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WichtnUich ers»«Inm drii Nummern. Prä»ul»nallon5-Pr«it 22^ Tildcrgr. tj Td>r.) virrieljädrli», Z THIr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirl aus diese« Literalur- Platt in Berlin in der Erpedllion dcr Allg. Pr. Staar«-Zeitung sFriedrichS- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auilande dei den WohllSdl. Post - Aemtcrn. Literatur des Auslandes. 69. Berlin, Freitag den 9. Juni 1843. Frankreich. Orientalische Preis-Aufgaben und Europäische Gelehrte. Ein Jndisch-Fr.anzösischeS Capriccio. Ceylon würde die glücklichste Insel der Welt sepn, wenn sie nicht unter dem besonderen Schutze des großen Kaltragan stände. Kaltragan ist, um es ganz einfach zu sagen, ein Gott, aber ein Golt, wie es keinen zweiten giebt, ein eigensinniger, strenger, despotischer Gott. Er will unter allen nur mög lichen Gestalten angebetet sepn- wenn man ein Haus baut, so stellt man eS unter den Schutz Kaltragan's; die Erde wird im Namen Kaltragan's besäet; das Wasser ist Kaltragan, der Wein ist Kaltragan; aber besonders ist Kaltragan das Feuer. Ein solcher Gott darf nicht ohne Priester seyn. Diese Priester oder vielmehr die Vorgänger dieser Priester waren, zwölf Jahr hunderte lang, über 4Z,000 religiöse Fragen des Buddhismus in Zwiespalt. Alle sind endlich gelöst worden, mit Ausnahme einer einzigen, nämlich der Frage: „Verlangt das Feuer, dieses herrliche Bild des Buddha, von seinen tausendmal tausend Anbetern während der Handlung des Gebetes, welches man täglich zwanzig bis dreißig Male an ihn richtet, eine knicende oder eine liegende Stellung?" eine um so schwierigere Frage, als sie schon von dem großen Phalu in einem „Phalu" betitelten und vor sechshundert Jahren in der nach ihm genannten Phalu-Sprache geschriebenen Werke aufgeworfen wurde. Da diese erhabene Frage über die Anbetung des Feuers schon voll ständig darin gelöst war, so brauchte man nur das Phalu aufzuschlagen, um die erforderliche Belehrung daraus zu schöpfen. Aber wer versteht jetzt das Phalu? Seit Jahrhunderten schon find die seltenen Kenner dieser göttlichen Sprache, die nur Einen Schriftsteller und nur Ein Buch hatte, auögestorben; ein trauriges Unglück, das man größtentheilS der Unmöglichkeit, sich dieses Buch zu verschaffen, znschreiben muß. Wo ist es? Seit dem Tage, wo die Portugiesen Herren der Insel waren, nahmen sie nicht nur die goldenen und silbernen Götter mit den diamantenen Augen, sondern auch das ehrwürdige Phalu, ein ganz kleines Buch, das auf Seide geschrieben und in zwei lackirten Täfelchen eingebunden war; ja, sie nahmen das Phalu, daS eben so wenig zu ersetzen, als es leicht zu erkennen ist. Vierundzwanzig Diamanten von dem höchsten Wcrthe, zwölf auf jeder Seite, schmückten den Rand des Ein bandes, wie die goldenen Nägel die Meßbücher des Mittelalters. Da das Buch und die Sprache verloren gegangen find, wie soll man zur Kenntniß der Stellung gelangen, in welcher der Gott Kaltragan angerufen seyn will, wenn er die Gestalt des Feuers annimmt? Mit Wuth de» Eingebungen ihres Fanatismus sich überlassend, beschäftigten sich die Indier der Insel, wo der Streit entstanden war, und die Einwohner von ganz Hindostan nun nicht mehr mit der Perlenfischerei, noch mit dcr Stephanien.Jagd, noch mit dem Anbau des Pfeffers oder Ingwers. Tag und Nacht disputirten sse mit Hülfe von Dolchstichen über das Problem der Feueranbctung. Wenn es ein Mittel giebt, ihre verschiedenen Meinungen zu vereinigen, dachte der Gouverneur von Kalkutta, so besteht das Mittel darin, die Sache durch ein Konzilium entscheiden zu lassen; durch die Versammlung der ge lehrtesten Indischen Theologen wird gewiß einige Wahrheit an das Licht ge bracht werden. BenarcS, die vorzugsweise heilige Stadt nach dem Bischof Heber, wurde zum Versammlungsort der Priester von Auregabad, Madras, Mazulipatam und aller großen Städte des Reichs erwählt. Man überließ ihnen Dromedare, Palankine und Dampfschiffe, damit fic nicht vor den Schwierigkeiten der Reise zurückschrccken sollten. Alle Pracht wurde zu ihrem Empfange entfaltet. Wenn man die Zeit wissen will, wo dieses große Ereigniß in Ostindien stattfand, so ist eS uns leicht, darauf zu antworten; es war ungefähr vor acht Jahren, oder genauer: die Frage der Feueranbetung beschäftigte die Völkerschaften des Ganges gerade zu einer Zeit, die den Gelehrten und Archäologen noch sehr erinnerlich seyn wird: in demselben Jahre hatte die Moskauer Akademie einen Preis von 100,000 Fr. und einer jährlichen lebens länglichen Pension von 25,00V Fr. nebst dem Tltel als Mitglied der Moskauer Akademie demjenigen versprochen, dcr folgende Frage lösen würde: „Welcher Art von Fischen, deren Gattung, wie man versichert, auSgestorben ist, ge hört der kleine hellblaue Fisch an, den der Gott Wischnn manchmal in seiner Hand hält?" Dies Programm, die Wichtigkeit der Frage und der hohe Preis find von den Gelehrten gewiß noch nicht vergessen. Nach sechs Monaten waren fünfhundert Stellvertreter der verschiedenen Völker, hie sich zur Religion des Wischnu bekennen, in den Palästen von BenarcS versammelt, die mit Binsenmatten getäfelt, mit Wohlgerüchen durch duftet waren und von .dem Geschrei der Gaukler widerhalltcn. Diese heilige Versammlung versprach die besten Resultate; nach langen Erörterungen er reichte man endlich den glücklichen Moment, wo eS ausgemacht werden sollte, daß man, um Jedermann zu beruhigen, das Feuer in halb knicendcr und halb liegender Stellung anbeten sollte, als ein trauriger Umstand die gegen seitigen freundschaftlichen Verhältnisse störte. Ein Mitglied des Konziliums war nämlich in seinem Bade ermordet gefunden worden. Wer war dcr Mörder? Dies konnte nur ein Anhänger der knieenden Stellung seyn; denn der ermordete Priester gehörte dcr Partei dcr liegenden Stellung an. Man sprach von Hinterhalt, von Verrath; man griff sogar zu den Waffen. So gleich eilte der General-Gouverneur nach Benares, um den Frieden wieder herzustcllen. Anfangs wollten die Mitglieder dcS Konziliums nichts vom Frieden hören; endlich aber vereinigte er sic mit vielen Bitten und Geschenken wieder unter seine Präsidentschaft und gab der Versammlung, anstatt eines religiösen Charakters, einen ausschließlich gesellschaftlichen Charakter. Von ihrer Untersuchung, sagte er ihnen, hinge das Glück oder das Unglück dcr Völker Indiens ab. Wenn sie sich nicht verständigen könnten, so würden die Einwohner mit noch größerer Wuth als früher sich schlachten und morden, und wenn ein Bürgerkrieg an die Stelle dcr Industrie und des HaudelS träte, so würde das schrecklichste Elend daraus erfolgen. Und folglich würden ärmere Opfer auf den Altären dcr tausend Götter Indiens niedergelegt werden; d. h. die Einkünfte der Pagoden würden außerordentlich geschmälert werden. Diese Rede machte einigen Eindruck auf die Priester. Den Waffenstill stand benutzend, ricth ihnen der General-Gouverneur, die Sache zweien der berühmtesten Brammen zu übertragen, von denen der eine zur Partei der Knieenden, dcr andere zur Partei der Liegenden gehöre. Auf diesen Vorschlag antworteten die Priester, daß alle Brammen der Welt diese religiöse Frage nicht besser lösen könnten, als sie selbst; es müßten denn, fügten sie spöttisch hin zu, die beiden Brammen, deren Weisheit der General-Gouverneur die Entschei dung übertrüge, daS Phalu verstehen. — „Ich kenne", crwicderte der Gouver- neur, „vier Personen, welche das Phalu verstehen und sprechen; erstens diese beiden Brammen", indem er dem Konzilium zwei ehrwürdige Brammen vor- stcllte, welche die Versammlung in einer den fünfhundert Mitgliedern völlig unbekannten Sprache grüßten. Das größte Wunder würde auf die Ver sammlung keinen größeren Eindruck gemacht haben, als die Gegenwart dieser beiden Männer, die noch jung waren und das Phalu sprachen; denn dieses war eS, was sie sprachen. — „Sie verstehen Phalu", sagten die Mitglieder unter fich. — Unser Pseffcr, unser Zimmet, unsere Schildkröten, unsere Ele- phantcnzähne find gerettet, dachte dcr Gouverneur freudig bei sich. ES wird mir leichter werden, zwei Brammen zu einem Entschlusse zu bringen, als fünf hundert, und dann hoffe ich, den Frieden im ganzen Lande wieder herzustellcn. — „Aber", warf ein schlauer Bramme ein, „wer bürgt uns dafür, daß diese beiden Männer wirklich das Phalu verstehen?" Plötzlich herrschte in dem ganzen Konzilium ein allgemeiner Zweifel. „Welche Sprache sollten wir sprechen", antworteten die beiden Brammen, „wenn eS nicht das Phalu ist?" — „Da ich nicht will", sprach jetzt der Gouverneur, „daß an der Phalu. gelehrsamkeit dieser beiden ehrenwerthcn Brammen einen Augenblick gezweifelt werde, so will ich dem Konzilium zwei Europäische Gelehrte vorstellen, die bei unserer Frage ganz unbetheiligt find, und da sie ihr Leben dem Studium des Phalu gewidmet haben, so sollen sie entscheiden, ob diese beiden Bramine» es wirklich sprechen. Der Eine ist ein Englischer Philolog, Sir D. Crawford, der Andere ein Französischer Philolog, Herr Amiel. Es sind zwei berühmte Gelehrte, die in ihrem Vatcrlande das Sanskrit, das Prakrit, das Paisasche, das Magadhi, das Kanyakubdscha und daS Telinga lehren und sich jetzt in Indien aufhalten, um den Kreis ihrer Kenntnisse zu erweitern." „Man führe sie herein", rief das Konzilium, „und diese beiden Brammen mögen mit ihnen Phalu sprechen." Die beiden Europäischen Gelchrten begannen ein Gespräch mit den beiden Brammen, und der Saal ertönte von lauter Phaluwörtern. Sie lachten, sie ereiferten sich, sie wurden zornig, versöhnten fich wieder und wurden wieder zornig, und zwar Alles im Phalugespräch. Nach diesem Austausch von Redensarten und Gedanken war kein Zweifel inehr erlaubt. DaS Konzilium war also überzeugt, daß die beiden Brammen wirklich das Phalu, jene für verloren gehaltene Sprache, verstanden. Auf ein mal aber erhob sich ein Mitglied und sagte, daß damit noch nicht Alles ab- gemacht wäre. Die beiden Brammen wären ohne Zweifel fähig, das Phalu zu lesen, aber wozu sollte dies nützen, wenn das Phalu selbst nicht mehr eri.