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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prönumerattonö-Prüö 22H TUbergr. (j Tdlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in ollen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für dle Prinumeralionen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Belt u. Comp., Iögerslraße Nr. 28), so wie von allen Aönigl. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 70. Berlin, Sonnabend den 12. Juni 1847. Aegypten. Stimmen aus Aegypten über Mehmed Ali. Fast ein halbes Jahrhundert regiert Mehmed Ali das Reich der Pha raonen, und noch hat sich die Welt kein bestimmtes Urtheil über ihn bilden können. Was die Sprache an Bezeichnung des Größten wie des Niedrigsten besitzt, hat man auf den Pascha von Aegppten angewendet; denn während seine Freunde ihn bis zum Himmel erheben und den größten Männern nicht nur des Jahrhunderts, sondern aller Zeiten beizählen, wird er von seinen Feinden in den Staub herabgezogcn und höchstens als ein glücklicher, blut dürstiger Abenteurer bezeichnet. Sicherlich aber wird auf beiden Seiten ge sündigt, vielleicht auf der der Freunde am meisten, so daß Mehmed Ali mit Recht sagen könnte: Gott bewahre mich vor meinen Freunden. ES ist nicht schwer, nachzuwcisen, daß die übertriebenen Lobhudeleien und Panegpriken auf den Napoleon des Orients größtentheilS diese feindliche Opposition, welche an ihm auch gar nichts anerkennen will, hervorgerufen hat. Das Schwankende im Urtheile über Mehmed Ali hat seinen Grund besonders darin, daß man unterläßt, den Standpunkt festzustellen, von welchem aus dieser ungewöhnliche Türke beurtheilt werden muß; ferner trug zur Verwirrung die Diplomatie nicht wenig bei, denn je nach ihren Sympathieen oder Antipathieen, je nach dem sich der Pascha von Aegypten den Intentionen dieses oder jenes Kabincts geneigt oder abhold zeigte, ließ sie in ihren Organen die Verdienste und Eigenschaften würdigen. In England und Frankreich hat das Urtheil über Mehmed Ali seinen Endpunkt in politischen Gründen ; das Geschick beider Län der ist bei den Bestrebungen und der Denkweise Mehmed Ali's nicht wenig betheiligt. Deutschland, fast gänzlich ausgeschlossen von der Leitung außer europäischer Zustände, wäre am meisten zu unparteiischer Beurtheilung geeig net, allein die Verwirrung der Ansichten ist bei uns größer als irgendwo. Während unsere Hauptorgane der französischen oder englischen Presse nach beten, schreiben deutsche Touristen dicke Bücher über Mehmed Ali, in ihrer Beurtheilung desselben nicht von unparteiischer Beobachtung geleitet, sondern freundlich oder feindlich gesinnt, je nachdem ihnen der Pascha bei der üblichen Visite freundlich zugelächelt oder nicht. Von Personen, die auf Kosten des Pascha in Aegypten reisten, wie Semilaffo, und die, wie allgemein erzählt wird, aus der Freigebigkeit des Pascha sogar noch andere lukrative Vortheile zogen; von jungen deutschen Professoren, deren schulmeisterliches Herz sich vor Freude und Hochgefühl nicht zu lassen weiß, wenn sie von fürstlichem Auge, sey cs in Europa, oder in Asien, oder in Afrika, angelächelt werden, ist, ab gesehen von ihrer politischen Unfähigkeit, unmöglich ein sicheres Urthcil über eine so bedeutende Persönlichkeit, wie die Mehmed Ali'S, zu erwarten. Nicht ohne Interesse wird cS scyn, aus diesem Chaos widersprechender europäischer Urtheile auch eine Stimme aus Aegypten selbst zu vernehmen. Während meines Aufenthaltes in Kahira lernte ich einen Mann kennen, dessen Urthcil wohl gehört zu werden verdient. Zwar nicht in Aegypten geboren, kam er doch schon in seiner Jugend in dieses Land und hielt sich bis zum ge reiften Alter darin auf. Mit der genauesten Kenntniß des Landes, der Sprache, des Charakters und der Sitten des Volks verbindet er ein klares und sicheres Urtheil über Persönlichkeiten. Was er mir in den Unterhaltungen, welche wir fast jeden Abend unter den schattigen Bäumen des Esbekiehplatzcs hielten, über Mehmed Ali und seine Familie mittheilte, bestand etwa in Folgendem: „Leugnen läßt sich nicht, daß Mehmed Ali das Glück, welches ihm fast unausgesetzt lächelte, mit Geschick zu ergreifen und mit Kraft zu benutzen verstand. Jetzt ist er ein kompleter Narr. Durch die ewigen Projekte, die man ihm zuraunte, ist er selbst ein Projektenjägcr geworden, im Größten wie im Kleinsten. Bis jetzt wurden alle Kräfte deS Landes Projekten geopfert. Unter den Beamten des Pascha ist etwa ein halb Dutzend tüchtiger Männer; leider aber sind diese nicht unter den Rathgebern in der nächsten Nähe des Pascha, sondern werden wohlweislich von den Günstlingen fern gehalten. Seine Vertrauten sind einige unwissende, verschmitzte Griechen und Armenier, Schacherer und Spekulanten, die ven Pascha und das Land betrügen. Finden diese ein Projekt in einem Zeitungs-Artikel, so bringen sic solches, je toller, je besser, sogleich als ihr eigenes vor den Pascha, welcher, da ihm jede höhere Einsicht und Bildung mangelt, alsbald darauf eingeht, es eben so schnell wie der fallen läßt, als er es ausgenommen. Hundert Dinge befiehlt er, und gleich darauf bestraft er diejenigen, welche die Befehle, von denen er nichts mehr weiß, ausgeführt haben. Eine höllische Kunst versteht der Pascha: ist er eines Mannes überdrüssig, so weiß er ihm an seiner verwundbarsten Seite durch Demüthigung, Verachtung rc. solche Streiche beizubringen, daß Alle, die er sich bis jetzt zum Ziel ausersehen, am gebrochenen Herzen oder an Gcisteszerrüttung gestorben find. Die Familie des Pascha, die Großen des Reichs und mit diesen das ganze Land wünschen sehnlichst das Ende des Alten herbei. Die ganze Familie des Pascha hat Anlage zu Irrsinn; in den Köpfen herrscht die Zerrissenheit der Ideen, welche die Engländer durch das Wort cracksü bezeichnen." Ein anderes Mal begann mein ägyptischer Freund, gleichsam einen Kom- mentar zu den vorhergehenden Ansichten gebend, die Unterhaltung wie folgt: „Es giebt keinen herzloseren Tyrannen, als Mchmed Ali. Diese Behauptung bekräftigen Millionen, deren Wohlstand er vernichtet hat- Schauen Sie um sich und betrachten Sie das wogende Achrenmeer, welches sich im Nilthale ausbreitet. Was erblicken Sie inmitten dieses überschwenglichen Segens? — In Lumpen gehüllte Menschen, in deren Brust der versengende Hauch der Despotie jedweden Keim edlerer Gesinnung zerstörte und die, durch den langen Druck ihrer Tyrannen demoralisirt, in der äußersten Armuth vegetiren. — DaS ärmste Volk ist am leichtesten zu regieren. — Im Jahre 1808 befahl Mehmed Ali, den'Fcddan (Landmaß etwa — I Morgen) zu verkleinern, mit Beibehaltung der darauf lastenden Abgaben. Der frühere Fcddan, 400 l_) Kaffab (Ruthen) oder 592» IZ Metres, ist jetzt herabgesetzt auf 333? (Z Kaffab oder 4418? 2 Metres, folglich um 1512? ^Metres verkleinert. Hierdurch wurden die Einkünfte um ? vermehrt. Zu gleicher Zeit mußten Abgaben von den Ländereien der Moscheen bezahlt werden, bis er die Länder selbst nahm und den Geistlichen Pension aussetzte, die nicht bezahlt wird. Der fortwährenden Bedrückungen müde, wanderten Viele aus; ihre Besitzungen nahm der Pascha sogleich an sich; den Uebrigcn befahl cr, ihre Dokumente in Betreff des recht mäßigen Besitzthums ihrer Ländereien vorzuweisen. Eine deshalb niedergesetzte Kommission erklärte die bcigebrachtcn Dokumente sammt und sonders für un zureichend. So fiel das ganze Land dem Pascha zu. Ein allgemeines Murren entstand im Volke ; aber darauf war man gefaßt; das Volk wurde durch harte Drohungen eingeschüchtert, und die vornehmsten Scheichs, unter ihnen Said Omar Makram, dem Mehmed Ali seine Erhöhung zu danken hat, wurden vcr. bannt. (Dieselbe Operation machte schon einmal Joseph mit Aegypten, 1 Mos. 47, 14 — 26; der Hebräer gab doch noch Getraidc für Freiheit und Eigen thum.) Dieser Gewaltthat folgte die Einführung des verderblichen Monopol systems. Der Pascha, nunmehr Besitzer aller Ländereien, verpachtete dieselben an ihre ehemaligen, rechtmäßigen Herren; der Pachtzins wurde von ihm festgesetzt und die Einwilligung zur Ucbernahme des Pachtes crprügelt. Dem neuen Pächter wurde befohlen, welches Quantum von diesem oder jenem Er zeugnisse er zu liefern habe, das dann der Pascha nach selbst gemachten Preisen kaufte, aber anstatt in baarem Geld, nach Abzug des schuldigen Pachtzinses, mit Anweisung auf die Kasse bezahlte; die letztere aber, angewiesen, Geld nur zu empfangen, aber nicht zu geben, zog diese Anweisungen ein und gab dafür andere auf die Fabriken, welche für die Papiere ein äquivalentes Quantum baumwollen Zeug auslieferten, dessen Werth jedoch höher berechnet war, als der Marktpreis besserer ausländischer Waarcn. Die Zeit der nächsten Steuern kam herbei; der Bauer, wollte er nicht dem Stocke verfallen, war gezwungen, die erhaltenen Baumwollenzeuge so bald als möglich loszuschlagen. Dies konnte aber nicht ohne bedeutenden Verlust geschehen, da sich eine Menge Wucherer die Noth der Leute zu Nutze machten. Konnte ein Bauer das vor geschriebene Quantum Erzeugniß nicht liefern, so wurde das fehlende ihm in Rechnung gebracht und ihm noch obendrein, in der Voraussetzung, daß er cS unterschlagen habe, eine Dosis Prügel aufgezählt. Wehe dem Bauer, der cS wagte, von dem selbst gebauten Getraide auch nur das Geringste für den Bedarf seines Hauses zu nehmen; Alles mußte abgeliefcrt werden. Hatte er Getraide nöthig, so stand es ihm frei, für 30 Piaster den Adep, welchen er für 18 hatte abliefcrn müssen, wieder zu kaufen. So verfuhr man bis 1841 mit dem Fellah; nach dem Traktat von 1840 wurde der Handel freigcbeben. Darum aber hat sich Nichts geändert, denn nach Abzug der Steuern und Pachtgelder bleibt dem Fellah nicht so viel, um für sich und die Seinigen Brod kaufen zu können. Die Hälfte der Bauern in Aegypten hat kein Brod. „Eine originelle Art indirekter Abgaben sind die Erpressungen der Pro vinzial-Gouverneure, von deren Schlechtigkeit Mehmed Ali von HauS aus Kenntniß hat, aber sie nicht hindert. Diese Blutsauger mästen sich mit dem Schweiße der Unterhancn. Glaubt der Pascha , daß cS der Mühe lohne, den Raub in Empfang zu nehmen, so läßt cr die Stunde des Gerichts schlagen. Der gestern noch mächtige Gouverneur liegt heute in Ketten; Beweise seiner Ungerechtigkeit werden beigebracht; sein erpreßtes Vermögen fällt, anstatt