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Wöchentlich erscheinen tret Nummern. Pränumeration» - Preis 22Z Tiiöergr. j^ Tölc.) vierieljädriich, Z Tdlr. für du» ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man xränumerirt aus diese« Literatur- Blatt in Berlin in der Erpedition der Mg. Pr. Staat«,Zeitung sFriedrich»- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Poft - Aemtcrn. Literatur des Auslandes. Berlin, Freitag den 2. Juni 1843 Frankreich. Gras von Segur als Schriftsteller und Staatsmann. Von Sainte-Benve. Schriftsteller, welche sehr viel geschrieben haben, sind oft schwer zn klassifizircn; wenn sie sich über eine unendliche Menge von Gattungen und von Gegenständen verbreitet haben, über Geschichte, Tages-Politik, leichtere Poesie, kritische Versuche und Theaterstücke, so sucht man ihr Centrum, einen Gesichtspunkt, von dem aus nian sie richtig auffafsen und begreifen könne. Zuweilen aber findet man einen solchen Punkt gar nicht ans; das Urtheil kann dann fast nur aufs Gerathcwohl gefällt werden und trägt den zerstreuten Charakter ihres Lebens und der Erzeugnisse ihrer Feder. Glücklich aber preist man sich, wenn inmitten dieser Verschiedenartigkeit des Talentes und der Richtungen überall der Moralist und der Mensch, eine lebensfrische und kräftige Natur hervorblickt und uns anlächelt. Diese Betrachtungen drängen sich uns ganz besonders auf, da wir von Herrn von Segur sprechen wollen. Sein langes, von so vielen Widerwärtig keiten durchfurchtes Leben würde des Interessanten viel darbietcn, doch eignet es sich nicht recht zu einer genauen Darstellung oder zu einer zusammen- gcfaßten Uebcrsicht; er selbst legte, nach der Schilderung seiner glänzenden Jugend-Periode, die Feder wieder aus der Hand. Seine literarischen Arbeiten find zahlreich und verschiedenartig; sie entstanden aus tausenderlei Erlebnissen des Augenblickes, und seine sogenannten vollständigen Werke ent halten dieselben keincSweges sämmtlich. Doch was die Hauptsache ist, überall schimmert der Mensch hindurch, der uns leitet und zurückruft; in jedem Werke und zu allen Zeiten erscheint er immer wieder in seinem ausgeprägten und wohlwollenden Wesen, seinem klaren, verständigen, feinen Geiste, seiner würdevollen, leichten Haltung, seiner beständigen, ungetrübten Sittlichkeit und seiner liebenswürdigen Philosophie, die eine so sanfte Färbung über alle seine wechselvollen Schicksale verbreitet und sein Leben zur Einheit gestaltet. Ein köstliches Bild von ihm erhalten wir in seinen Memoiren während der fünfzehn letzten Jahre des alten KönigthumS bis zum Ausbruche der Revolution von 1780. Geboren im Jahre I7SZ, war er bei der Thron besteigung Ludwig's XVI. zwanzig Jahr alt. Er, sein Bruder, der Vicomte von Segur, Lafayette, Narbonne, Lauzun und einige Andere gehörten zu jenen Persönlichkeiten, welche Fontanes die „Fürsten der Jugend" nennt. Es ist immer eine schöne Sache um ein Alter von zwanzig Jahren, doppelt schön und glücklich ist es aber, am Morgen einer Negierung, am Beginn einer neuen Epoche, eben so alt wie seine Zeit zu sepn, mit ihr sich heran zubilden, sich im Einklang und in Uebercinstimmung mit seiner ganzen Um gebung zu finden. Zwanzig Jahr alt zu sepn am Vorabende von Marengo, 1800, welches Ideal für eine Hcldensecle! I77ä zwanzig Jahr alt zu sepn, wenn man zu Versailles und am Hofe sich aufhielt, das war freilich weniger großartig, aber immer noch schmeichelhaft genug; man hatte ja fünfzehn Jahre einer lebensfrischcn, blendenden, mährchenhaften Jugend vor sich. Herr von Segur führt uns auf so mancher Seite seiner Memoiren das Zusammenwirken günstiger Umstände vor Augen, welche diese Epoche voll Täuschung und Hoffnung wohl als einzig in der Geschichte erscheinen lassen. Die Literatur des achtzehnten Jahrhunderts arbeitete fast ausschließlich daraus hin, den Rechten der Völker wieder Achtung zu verschaffen und die Ansprüche des Menschengeschlechts aufzufindcn und zu verkündigen. Die bevorzugten Klassen der Gesellschaft hatten anfangs mit Begeisterung diese erhebenden Lehr sätze aufgefaßt, die sie so nahe angingen; das zeigte viel Großmuth von ihrer Seite, und man ist in Frankreich gern großmüthig. Insbesondere ließ es der junge Adel sich angelegen sepn, den Vorkämpfer zu machen und aus freien Stücken aufzuopfern, was damals noch Niemand von ihm verlangte. Durch allerhand mehr oder weniger eitle Zeichen, durch die Anglomanie in den Moden, durch die Einfachheit des Fracks und der ganzen Tracht bekundete er sein Ein gehen auf die neuen Ideen. „Unsere ganze Zeit", sagt Herr von Segur, „nur der Gesellschaft, den Festen, den Vergnügungen, den wenig belästigenden Pflichten des Hof- und Garnisondienstes widmend, erfreuten wir uns sorglos aller Vortheile, die uns das alte Herkommen i^ermacht hatte, und zugleich auch der Freiheit, die uns die neuen Sitten gewährten; so schmeichelten also diese beiden Ordnungen eines Theils unserer Eitelkeit und anderen Theils unserer Neigung zum Vergnügen." „In unseren Schlössern war uns noch durch unsere Bauern, Wachen und Amtleute ein Schatten unserer alten Feudalmacht geblieben, am Hofe und in der Stadt genossen wir alle Auszeichnungen der Geburt, unser Name allein sicherte uns schon die höheren militairischen Ehrenstellen, und überdies konnten wir ohne Aufsehen und Rückhalt uns unter die Bürger mischen, nm alle An nehmlichkeiten der bürgerlichen Gleichheit zu schmecken; so flohen die kurzen Jahre unseres Frühlings unter Täuschungen und in einer Art von Glück dahin, welches wohl niemals von Anderen empfunden wurde. Freiheit, Königthum, Adels- und Volkshcrrschaft, Vorurtheile, Vernunft, Neuheit und Philosophie, Alles vereinigte sich, um unsere Tage glücklich zu machen, und nie gingen einem schrecklicheren Erwachen ein süßerer Schlummer und anmuthigere Träume voraus." So versagte man sich also nichts in diesem flüchtigen goldenen Zeitalter; man war freigebig mit dem, was man noch nicht verloren hatte, man pflückte sorglos alle Blumen. Nach einem Duell, worin man einen Freund verwun det hatte, begab man sich zum Frühstück des Abbö Rapnal, um hier gegen die Vorurtheile zu Felde zu ziehen; Abends erschien man bei der Quadrille der Königin, nachdem man patriarchalische Frühstunden »ach Franklin's Weise verlebt; man machte eine Campagne in Amerika mit und kehrte als Oberster zurück, um einen Luftball steigen zu sehen und den Mcsmerschen Manipu lationen beizuwohnen, und zuletzt brachte man Alles in ein Vaudeville oder setzte es in Verse. Zum Lobe dieser liebenswürdigen Männer, dieser eleganten und vollen deten Edclleute, muß man jedoch eingestchen, daß sie den ernsten Prüfungen nicht erlagen; das Schicksal bestürmte sie mit seinen Blitzen und Donnerkeilen, aber diese prallten meist kraftlos an ihrer guten Laune ab. Man kennt die unerschütterliche Haltung Lauzuns am Fuße des Schaffots, und die Narbonne's mitten unter den Widerwärtigkeiten jenes eisigen Rückzuges. Obgleich über die beiden Brüder, den Grafen und den Vicomte von Segur, nicht gerade so außerordentliche Leiden hereinstürmtcn, so behaupteten doch auch sie dem Unglück gegenüber, die Feder in der Hand, ihre feine Anmuth und alle die Eigen schaften des Geistes, wodurch sie sich auszcichneten. Ueberhaupt bewahrte» alle die Personen von hohem Rang ans jener Zeit, von deren geehrtem Alter wir zum Theil noch Zeugen sind, eine merkwürdige Treue, wenn nicht gegen alle Prinzipien, so doch wenigstens gegen den Geist der Lehrsätze und Sitten, die sie in ihrer Jugend eingcsogen hatten, jene Gabe der Geselligkeit, des leut seligen, duldsamen, freundlichen und echt liberalen Umgangs, ohne den ge ringsten Schatten von Menschenhaß oder Bitterkeit, eine Art lächelnden Ver trauens, doppelt liebenswürdig nach so vielen Enttäuschungen, und jene Eigenschaft, die bei dem vortrefflichen Manne, von dem wir sprechen, mehr als vorübergehende Aufwallung, die der Grundzug des Charakters selbst und eine Tugend war, — das Wohlwollen. Greifen wir aber der Zeit nicht vor, noch stehen wir bei jenen Jahren vor der Revolution, über die man auch nicht zu leichtfertig urtheilen darf. Für Herrn von Segur zerfällt dieser Zeitraum in zwei durch den Amerikanischen Krieg getrennte Hälften; bei seiner Rückkehr tritt er in das ernstere Leben, in eine zweite Jugend ein. Bis dahin hatte er nur die Annehmlichkeiten des Feld- lagers und des Hofes abwechselnd genossen, mit leichter Literatur sich be schäftigt und die Neigungen seines Alters gepflegt, mit Lebhaftigkeit jedoch alle Gelegenheiten zu seiner Aufklärung und Fortbildung im Schoße der unschätz baren Gesellschaften jener Zeit benutzend, die er so richtig glänzende Bildungs schulen nennt. Der unter liebenswürdige Formen verschleierte Ernst, dessen Geheimniß verloren gegangen ist, machte den Hauptreiz derselben aus. Die Trauer darüber und den Ausdruck desselben findet man auf mehr als einer Seite der Memoiren des Herrn von Segur. Wie viel tiefe und wahre histo rische Bemerkungen sind hier mit leichter Feder hingeworfcn; mancher Leser, der sie mit Vergnügen durchblättert, faßt vielleicht nicht einmal die ganze Tiefe derselben, so gefällig ist Alles ausgedrückt. Bei seiner Rückkehr ans dem Amerikanischen Feldzuge brachte Herr von Segur eine Tragödie in fünf Akten, Koriolan, mit, die er bei seiner Ucber- fahrt am Bord des „Northumbcrland" verfaßt hatte, und die später auf Katharinas Befehl auf dem Theater der Eremitage aufgeführt wurde. Einige Erzählungen, Fabeln, niedliche Romanzen und heitere Lieder hatten ihm schon den ausmunternden Beifall des Herzogs von Nivernais und des Ritters von Bouffiers, ja sogar den Rath Voltaire's eingetragen, bei der letzten Reise des großen Dichters nach Paris. Dieses anmuthige Familien- und GesellschaftS- Gepäck, wovon ein Theil in die Belanges ausgenommen ist und das Uebrige in den keeueil üe tamille, ein nur wenig zur Oeffentlichkeit gelangtes Werk, ist am Schluß, gleichsam wie mit Signatur und Siegel, mit einer geist reichen Genehmigung und einem parodirten Privilegium in Versen versehen, die von der jungen Gattin des Schriftstellers herrühren sollen. Die Depeschen, welche Herr von Segur während seines Amerikanischen