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Wöchentlich erscheinen drei Nummer». Pränumeration«, Preiß 22j Silbergr. Lh!r.) vierteliäbrlich, z Tblr. für La« ganze Jabr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pranumerirl auf diese« Literatur. Blatt in Berlin in der Expedition der 2Mg. Pr. Staat«-Zeitung (Friedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den WohllSbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 35 Berlin, Mittwoch den 22. März 1843. Frankreich. Ein Marine-Genrebild aus der Zeit der Revolution. Der Kutter „la Cocarde", der zu St. Malo auf Befehl des National- Aonvents ausgerüstet worden war, erhielt den Auftrag, mit vierzehn Kanonen und IIV Mann im Norden von Frankreich die Küstenfahrer zu decken, welchen die Englischen Kreuzer die Einfahrt in die Häfen von Dünkirchen, Calais und Boulogne abzuschneidcn versuchten. Der Schiffs-Lieutenant, dem das Kommando übertragen war, gehörte unter die Zahl jener alten Steuermänner, aus denen die Revolution wohl Marine-Offiziere, aber eben keine Männer von feinem Ton« zu bilden vermochte. Indessen bewährte sich der Capitain Ratout gleich wohl als der liberalste Seemann, und er war der gefälligste Offizier, der zur See-Armee je gehört. Von lebhaftem und heftigem Temperament, gefühlvoll und roh zu gleicher Zeit, war er niemals bereitwilliger, fich nachsichtig zu zeigen, als wenn er eben im höchsten Grade aufgebracht schic» und in einem Strome von mehr oder weniger beredten Worten fich Lust machte, nm seinen Untergebenen irgend einen Dicnstfchler vorzurückcn. Um den ungestümen und wilden Charakter des Capitains Ratout durch ein mäßigendes Gegengewicht so viel als möglich in den gehörigen Schranken zu halten, hatte der Chef der Marine-Abthcilnng von St. Malo die Vorsicht angewandt, dein Kutter „la Cocarde" als Unter-Befehlshaber einen jungen See-Fähnrich beizuordnen, der in jener demokratischen Zeit wie ein b>-»u der entschwundenen Hofluft erschien. Weit mehr vergnügungssüchtig, als auf die Erfüllung seiner Pflichten bedacht, zwar tapfer, aber zugleich leichtsinnig, geistreich, aber ohne Festigkeit, vereinigte der elegante Apreval alle gute Eigen- schäften und liebenswürdigen Fehler in sich, so daß seine Kameraden die Lor- theile so wie das Extravagante seines Betragens gern übersahen, und trotz der anscheinenden Mißhelligkeit, die aus der Nebeneinanderstellung eines Seehundes, wie Capitain Ratout, und eines Stutzers, wie Fähnrich Apreval, leicht hätte entspringen können, vertrugen sich die beiden entgegengesetzten Charaktere so glücklich mit einander, daß sie wie ein Räderwerk in einem trefflich organisirtcn Mechanismus paffend in einander griffen und harmonisch nach einem und demselben Ziele hinstrebten. Um den Generalstab des Kutters „la Cocarde" vollzählig zu machen, kamen noch zwei Marine-Aspiranten hinzu, die wegen ihrer untergeordneten Stellung am Bord zwar nur von geringer Bedeutung, aber durch Geist und regsame Thätigkeit ausgezeichnet waren. Nachdem dies Convoischiff drei bis vier Monat zwischen den Küsten Frank reichs und Englands umhergcstreift, ging cs eines Abends auf der offenen Rhede von Dünkirchen, auf der Höhe der langen Dämme dieses Hafens vor Anker, um beim Eintritt ungünstiger Winde die Ebbe abzuwarten, vermittelst welcher der Capitain Ratout lavirend nach Boulogne zu gelangen hoffte. Apreval, der sich am Bord nie mehr ennuyirte, als wenn das Schiff still vor Anker gebannt lag, machte vermittelst des republikanischen Kalenders die glückliche Entdeckung, daß der Tag, der bald so traurig für ihn zu Ende gehen sollte, der ehemalige Fastnachtsdienstag scp, eine Entdeckung, die den jungen Offizier an alle Vergnügungen lebhaft erinnerte, die er zu Lande hätte ge nießen können, und die ihn dazu verleitete, fich mit einer Bitte an den Capitain zu wenden, deren Gewährung er kaum erwarten durfte, so viel er fich auch sonst auf den Einfluß einbildctc, den er auf die keinesweges unerschütterlichen Entschlüsse seines Vorgesetzten auszuüben gewohnt war. „Kommandant", so redete Apreval seinen Capitain an, dem er nie den Titel eines Kommandanten beizulegen ermangelte, wenn er dadurch etwas bei ihm durchzusetzcn hoffte, „Sie haben mir oft gesagt, daß Sie in Ihrer Jugend tanzten." „„Je nun"", erwiederte Ratout, „„können Sie mir wohl irgend Jemanden nennen, der nicht einmal in seinem Leben gern getanzt hätte? Allein wozu diese Anrede?"" >,Jch wollte Sie auffordern, mein Kommandant, nachsichtig gegen die Schwäche derjenigen zu sepn, die noch jetzt den Tanz lieben, und Sic um die Erlaubniß bitten, nur auf drei oder vier Stunden auf unserem großen Boote einen Abstecher nach Dünkirchen zu machen." „„Einen Ausflug aufs Land zu machen, während das Schiff aus der Höhe vor Anker liegt und ich nur den Eintritt der Ebbe abwarte, um wieder unter Segel zu gehen und zu laviren! Und zur Ehre welches Heiligen, wenn ich fragen darf, halten Sic um die Erlaubniß an, nach Dünkirchen zu gehen?"" „Zur Ehre der Fastnacht, die man eine halbe Stunde von uns so fröhlich feiert, während wir hier ohne irgend einen wahren Nutzen für den Dienst vor Langeweile fast umkommen möchten." „„Die Zerstreuung, die Sie fich dadurch verschaffen wollen, daß Sie ein wenig Ballluft einathmcn, kann ich Ihnen unmöglich gestatten.... Wie, wenn, während Sie in seidenen Strümpfen und gewichste» Tanzschuhen auf dem Lande fich herumtummeln, die Engländer mir plötzlich in den Rücken fielen, welches Gesicht, ich bitte Sie, würden Sie wohl machen, wenn Sie von der Mennet hörten, die man mich ganz allein am Bord unterdessen tan zen ließe?"" „O! die Engländer greifen nie cD Schiff an einem Tage, wie der heutige, an! Und übrigens, würde ich, wenn das unmögliche Ereigniß, das Sie für den schlimmsten Fall ängstlich voraussehcn, ja eintrctcn sollte, um Sie außer aller Verantwortlichkeit zu sctzcn, sagen, daß ich wider Ihren Willen durch Täuschung Ihrer Aufmerksamkeit aufs Land gegangen scp. So geben Sie mir denn, Herr Kommandant, nnr auf drei Stunden unser Boot, nebst einem unserer Aspiranten und zwölf Ruderern, nm desto schneller fortzukommen, und Sie behalten noch hundert Mann am Bord zurück, so wie den ältesten unserer Aspiranten, der mittlerweile meine Stelle versehen kann." „„Ich sehe wohl"", erwiederte der Capitain, „„daß, wenn Sic sich einmal cine alberne Idee in den Kopf gesetzt haben, cs kein Mittel mehr gicbt, sic Ihnen anszutreibcn. So mögen Sic denn auf drei Stunden Urlaub haben.... Aber dies sagc ich Ihnen gleich im voraus, daß, wenn Sie nach Ablauf der drei Stunden Maskerade noch nicht am Bord zurück sepn sollten, ich dann nach Boulogne absegeln würde, wohin Sie nur mit Mübc gelangen würdcn, »m siir Ihren Ungehorsam die Strafe des strengen Arrestes zu erleiden."" „Ich werde schon auf das pünktlichste gehorchen, mein tapferer Komman dant, und ich eile sofort, um das Boot auSrüstcn zu lassen und den Aspiranten Charles mit mir zu nehmen, in der frohen Aussicht, zu Ihrer Ehre und unserem Ruhm dem Lande cine Ball-Visite abzustatten." Das Erscheinen der beiden jungen Marine-Offiziere im Tanzsaale der Stadt Dünkirchen wurde in der That durch den lebhaftesten Beifall gekrönt. Die schönsten, liebenswürdigsten Frauen gewährten ihnen so viel Contrctänzc und Walzer, als sie nur verlangten, um ihnen ihren Dank für das heroische Unternehmen zu erkennen zu geben, das zur Verherrlichung des Balles so ungemein beitrug, und so schlürften denn auch unsere Scc-Offizicre, ohne sich um den Ablauf der ihnen so genau festgesetzten Zcit im geringsten zu be kümmern , in vollen Zügen das Vergnügen ein, das sie hier empfanden. Unter den Masken, welche die besondere Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf sich zogen, befand sich cine Magierin von schlanker Figur, von liebenswür diger Haltung und verführerischer Beredsamkeit, die auf cine auffallende Weise bemüht war, die Spuren des ältesten unserer beiden Marine-Offiziere durch das Labyrinth aller Walzer und Quadrillen hindurch zu verfolgen. Der ritterliche Apreval, ganz stolz darauf, dcr sichtbare Gegenstand der sanften Zudringlichkeit einer Dame geworden z» sepn, die man als die Heldin des Abends begrüßte, hatte fich bereits dem frivolen Gedanken überlassen, eine galante Jntrigue anzuspinnen. Indessen war bei dcr reizenden Unterhaltung des Offiziers und dcr schönen Unbekannten die Zeit so schnell verflossen, daß, als dcr Aspirant Charles seinem Vorgesetzten meldete, daß dic Stande des Rückzuges schon längst geschlagen, der verliebte See-Fähnrich es kaum glauben wollte. Der Aspirant Charles, der seinen vergeßlichen Kameraden an den Ver druß erinnerte, den ihre zu lang verzögerte Abwesenheit ihrem Capitain ver ursachen müßte, hatte sehr richtig errathen, was am Bord der „Cocarde" vorgegangen, während sie an nichts Anderes dachten, als dem Vergnügen des Augenblickes sich hinzugeben. Capitain Ratout, der mit Ungeduld die Zcit vorüberstrcichen sah, wo sein Boot zurückkchrcn sollte, hatte fast keine Worte mehr finden können, um die Unbedachtsamkeit seines Unter-Befehlshabers zu bezeichnen, und da dcr tapfere Kommandant gegen seine Untergebene» nie mehr in Hitze gerieth, als wenn dieselben ganz außerhalb des Bereichs seine« Zornes sich befanden, so hatte er sich gegen seinen abwesenden Unter-BefehlS- haber dermaßen erbost, daß ihm zuletzt die Ausdrücke fehlten, nm seinem Aerger Lust zu machen. Als die Wuth des Capitains Ratout aufs Höchste gestiegen war, gab er end- lich dem Aspiranten, der ihm von dem ganzen Generalstab noch übrig geblieben war, Befehl, das Ankertau des KutterS umwcndcn zu lassen. Der Eintritt der Ebbe nahte heran; der Wind war zwar noch contrair, jedoch leidlicher als