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Wöchentlich .Meinen drei Nunnnern. Pr^numeraüons-Preis 222 Tilberzr. (^ Tdlr.) vierteliährlich, Z Tb!r. fnr k.:S ganze Iavr, ohne (»rhobung, in allen Tdeilen der Preukischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf diese« Literatur- Blatt in Berlin in der Ernedition der Alla. Pr. Staat-,Zeitung sFriedrich-- Stralle Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslände dci den WohIWI». PoN-Aemtern. Literatur des Auslandes. 19. Berlin, Montag den 1Z. Februar 1843. Schweden. Reise auf dem Göta-Kanal aus der Ost-'in die Nordsee.") I. Die Reisegesellschaft, der Mälar - See und die Üflsee-Hüsic. Die Zeit Ivar gekommen, wo ich die Schneeschuhe abschnallte, die Büchse an die Wand hing und das Dampfschiff „Thumbcrg" bestieg, das mich von Stockholm noch Gothenburg bringen sollte. Auf Reisen, zu Lande wie zu Wasser — vornehmlich auf dein letzteren, fühlt man das Bedürfniß, diejenigen zu kennen, mit denen man auf einige Zeit einen Gesellschaft--Verein ausmachen soll, weiß man auch schon, daß dieser sich bald auflöscn wird — vielleicht mit aus diesem Grunde. — Darum waren wir auch noch nicht weit auf dem Mälarn vorwärts gekommen, als ich mir vom Capitain die Passagier-Liste ausbat. ES gab darunter von allen Ständen und NahrungSwcgen und von sieben verschiedenen Bolköstämmcn: von sechsen freilich nur einzelne Individuen; zwei Russen, einen Normann, einen Dänen (meine Wenigkeit), einen Engländer, zwei Ungarn und zwei Deutsche — die Ucbrigen Schweden, und oicse in mehr als doppelter Anzahl, als wir Fremde Alle zusammen. Die beiden Russen waren; Graf Barclay de Tolly (mit Diener), ein BruderSsohn von Napoleons erstem Gegner in Rußland. Der Brite reiste zu seinem Vergnügen, die übrigen Ausländer in Handelsge schäften. Ich machte einen Versuch, ob ich nicht, indem ich bloß meine Augen ge brauchte, die Repräsentanten der verschiedenen Nationen Heraussinden könnte. Der Versuch scheiterte fast gänzlich — ich mußte die Ohren mit zu Hülfe neh. men. Und nun fand ich den Russischen Grafen und StaatSrath in einem ein fachen grünen Nock, klein von Wuchs, ernst von Gesicht: von Orden konnte ich nichts sehen, vielleicht hatten sie sich unter dem Rocke verkrochen. Der Engländer, ein Mann in seinen besten Jahren, mit einem blaffen und zarten Gesicht, war nicht nnr zurückhaltend, wie seine Landsleute es gewöhn lich find, sondern von einer an Schüchternheit gränzenden Bescheidenheit. Er hätte wirklich beinahe Noth am Bord leiden müssen; denn er konnte weder Schwedisch noch Deutsch, und vergebens glitten seine Augen auf dem Speise zettel hin und her. Die einzige Weise, wie er sich durchhalf, war, zu warten, bis ein Anderer ein Gericht erhalten batte, welches auch er auf seinem Teller gebrauchen konnte. Auf dieses zeigte er dann und nickte dem aufwartenden Mädchen. Ich bot ihm meine Vermittelung an und wurde mit herzlichem Dank zum Stewart (Haushofmeister) angenommen, um ihm sein diätetisches Journal zu führen. Mit letzterem hatte cs folgende Bcwandniß. Jeder Reisende, der qualifizirt ist, an der Dubio ü'lmte zu speisen, hat einige zusammcngeheftete Oktavblättcr, mit seinem davorgeschriebcncn Namen an einem Pflock der Ka- jütenwand hängend. Hier notirt er selbst Alles, waS er außer dem Ncgle- mentsmäßigen die ganze Reise hindurch verzehrt; und diese Buchhaltern ist seiner eigene» Ehrlichkeit überlassen. Am Ende der Reise wird aufsummirt und bezahlt. Ich bemerkte nicht die mindeste Kontrolle oder Revision. — Der Normann, noch im jugendlichen Alter, hatte in seinem Wesen viel Achnlichkeit mit meinem Engländer; aber er war so dürftig gekleidet, daß sich Niemand mit ihm einlassen wollte, ausgenommen der Brite, der ein wenig Französisch radbrechcn konnte, und ich. Er war wie jener viel gereist und hatte gleich ihm die feine Bildung, die wohl beinahe allein auf Reisen gewonnen wird. Ich sah ihn als einen, in Bezug auf Armuth und Mißgeschick, mir Verwandten an. Als er indcß, in Gothenburg angekommen, sich umgcklcidct hatte, und zwar elegant, und seine schwarze Weste mit einem dreifach masfivgoldeuen Uhrband schmückte, begann ich mit Recht höhere Gedanken über ihn zu hegen. Indem ich meine Augen auf seine Reisetasche warf (wir lagen zusammen in einem Raum) sah ich — einen Schweizer historischen Namen — einen, den Johannes Müller in seiner Helvetischen Geschichte ost als Zeugniß anführt. Ich frage, und siehe! mein Norwegischer Contabernal war wirklich ein Spröß- ling vcS Schweizers, dessen Enkel aus seinen Geburts-Alpen hier herauf in die Norwegischen gezogen war. Sollte der wackre Bergmann dies hier zu lesen bekommen, so weiß er, was ich meine, wenn ich sage: daß er Schlakkcn in Gold umzuschmclzcn versteht. Meine beiden munteren Gothenburger, mit denen ich bereits nach Stock holm bingcrcist war, begleiteten mich auch wieder von da und halfen mir eine ') Au- ..Ei» Betuch m Schweben" (in Dänischer Sprache), non S. S. Blichen Kopenhagen Mi. oder die andere leere Stunde mit Strohmannswhist ausfüllen. Während einer solchen Partie spielte ich eines TageS eine ganz andere. — Wo der Kanal eng war, erhielten wir nämlich stets Begleitung von zerlumpten, halbnackten Kin dern, die längs dem Schiffe am Lande liefen und die Herren um einen „Slant" (eine kleine Kupfermünze) baten. — In der Seitenkajüte, wo wir drei saßen und spielten, stand das Fenster offen. Ich zeigte der Schaar einen Slant und hieß sie die Mäuler öffnen, ich würde einem von ihnen denselben zuwerfcn. Ich warf auch einige Mal, und es entstand ein Mundgaffen und Drängen um den Slant, der aber natürlich sein Ziel nie treffen sollte. Die übrigen Reisenden, die oben auf der Kajüte und auf dem Verdeck standen und diese Grimassen und all' den Spektakel sahen, aber nicht die Ursach davon, glaubten, daß die Buben und Mädchen plötzlich unter den Einfluß der Hunds sterne gcrathen wären, bis einer zuletzt die tollmachendcn Kupferschillinge ent deckte und aus welcher Kajüte sie hcrausflögen. „Djeflan anfekta mig", ließ er sich aus, „ist das nicht der Däne, der all' die Wirthschast macht!" — In den Waldgegenden kamen die Kinder beständig mit wilden Erd - und anderen Beeren in Daten von Birkenrinde; ebenfalls zu einem Slant ein oder mehrere Nößel. Moorgründc und Felsen (die letzteren hier und da mit einer vegetabi- lischen Oberfläche bekleidet, die sich von Fichten- und Kiefern-Nadeln, Moos u. s. w. gebildet hat) bringen diese Gaben der Natur im Norden hervor: Erd beeren, Brombeeren, Heidelbeeren, Preißelbeercn, Himbeeren und Multebeeren in solchem Uebcrfluß, daß Menschen, Waldvögel, Birkhühner, Feldhühner und Bären lauge nicht damit reinen Tilch machen können. „Bären?" fragt vielleicht Der und Jener. Ja wohl. Der Bär hat überhaupt sowohl im Physischen wie im Intellektuellen unter allen Thiercn die größte Achnlichkeit mit dem Menschen ; er ißt alle Erzeugnisse der Natur; Fleisch, Fisch, Beeren, Kräuter, Wurzeln; nud wie das Volk sagt: „er hat sieben Manns Stärke und zwölf Manns Verstand." Ich denke, weder das Maaß dieser Stärke, noch das dieses Verstandes kann von Prima Sorte seyn. Den ersten Halt machten wir bei Söder-Talga, einem kleinen Flecken, wo ein durch einen Sandrückcn gegrabener Kanal beginnt, der den Mälarsee auch in südlicher Richtung mit dem Meere, dem Botnischen Busen, verbindet. Dieser letztere ist hier den ganzen Küstcnweg so übersäet mit Fclscninseln, sichtbaren und blinden Scheeren, daß wir säst jede Meile neue Lootsen haben mußten, ungeachtet es Tag und das Wetter gut war — der Wind rührte sich nur ganz wenig. In einiger Entfernung vom Schiffe erblickte ich hier und da kleine schwarze Flecke, von denen viele plötzlich verschwanden. ES waren Seehunde, schlafend aus den Rücken dieser kleinen Scheeren, die bei einem Nachtsturm bald jeden Lootsen überflüssig und die Mcnschen zu Kameraden der Seehunde machen müßten. Wir aber fuhren ohne den mindesten Unfall in die Bucht ein, die nach Söderköping führt, vorüber au dem alten Schlosse Stcgeborg, — oder seinen Ruinen — und übernachteten an einem Orte, der den seltsamen Namen „Mcm" führt. Die Bucht selbst heißt „Slätbakcn." Mit dem frühen Morgen wurden die Raver aufs neue in Gang gesetzt und nach einer Vier- telmcile bei dem kleinen Söderköping «»gehalten. Hier verließen uns einige Reisende, und Andere kamen hinzu. Auf der Brücke stand eine kleine Schaar Mensche», meist Frauenzimmer und Kinder. Man brauchte nicht Schwedisch zu verstehen, um zu lesen, was auf ihren Gesichter» geschrieben stand — aus dem einen „Wiedervereinigung", auf dem anderen „Trennung". „Will kommen!" und „Lebewohl!" (Fortsetzung folgt.) Frankreich. Jean Jacques Rousseau und der weltgeschichtliche Fortschritt. Von George Sand. (Schluß.) So nun Jean Jacques auf der einen Seite; Jean Jacques, der Denker, dcr Mensch des Genies und des Gedankens, der unglückliche, ungerechte und verzweifelte Mensch. Auf dcr anderen Voltaire, Diderot und die Holbachiancr, die Menschen des TageS, die Kritiker voll Macht und Erfolg (die Anwender dcr Philosophie des I8ten Jahrhunderts), welche die Gesellschaft zertrümmerten, ohne erst an morgen zu denken, welche rcflektirten, Leumund aiisspiecn, mit der Menge philosophirtcn, mächtige Männer, starke, nothwcndigc Menschen, dem Publikum theuer, im Triumph getragen, Menschen, welche den Misan-