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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumerationS-PreiS 22j Silbergr. Tdlr.) vierttliöhriich, Z THIr. für du« ganze Iadr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man xrZnumerirl auf dieses Literatur- Blatt in Berlin in der Erpedition der AUg. Pr. Ttaats-Zeitung sFriedrich«- Straüe Nr. 72); in der Provinz so wie im Andante bei den Wvhllööl. Post-Aemtern.' Literatur des Auslandes. 13, Berlin, Montag den 30. Januar 1843. Frankreich. Sitten und Zustände in der Bretagne. Nachdem wir in Nr. 8 dieser Blätter bet Gelegenheit einer von Herrn Dr. Häring (Wilibald AleriS) gehaltenen öffentlichen Vorlesung der Sprache und der Volkslieder der Bretons gedacht, wird cs unseren Lesern gewiß in- tereffant seyn, Einiges über die cigenthümlichen Sitten und Gewohnheiten dieses in einem Winkel Frankreichs lebenden Celtischen Volkes zn erfahren. Wir entnehmen daher einer Französischen Schilderung zunächst folgendes Bild eines Hochzeitsfestes in der Bretagne: Mit großer Besonnenheit und weiser Berechnung schließen die Bewohner der Bretagnischen Dörfer ihre Ehebündnisse. Ausbrüche blinder Leidenschaft, ertrotzte Einwilligung der Verwandten, kur; aller romanhafte Ausputz unserer Heiraten sind ihnen fremd. Dieser Ruhe indeß entspricht, wie wir sogleich sehen werden, wenig die lärmende Weise, mit der man die Hochzeitsfeste begeht. Sobald der Tag der Hochzeit festgesetzt ist, wählt sich die Brant unter ihren Freundinnen eine Begleiterin, der Bräutigam desgleichen unter seinen Freunden einen Begleiter, Beide, um persönlich ihre respcktivcn Familien zu dem bevorstehende» Feste einzuladen. Dieser Umzug dauert vierzehn Tage, denn, in wie entferntem Grade auch Einer verwandt sey und in welchen Ver hältnissen er sich befinde, »Keiner wird bei dieser Gelegenheit übergangen. Es giebt vielleicht kein Volk, bei welchem der verwandtschaftliche Sinn so rege wäre, als bei den Bretagnern; ihre gegenseitige Anhänglichkeit erinnert an die Schottischen Clans und die Römischen TribuS. Die Anzahl der Gäste steigt auch oft bis ins Ungeheure, und die reichen Pächter zählen bei ihren Hochzeiten mehrere hundert, oft tarnend Verwandte. Die Feier selbst findet immer am Dienstag statt und wo möglich im Hause der Braut. Der vorangehende Sonntag heißt der Schenktag, denn wer die Einladung angenommen hat, schickt an diesem Tage durch einen überaus reich gekleideten Diener ein Geschenk, das in Wildprct, Früchten, Butter oder anderen eßbaren Gegenständen besteht. Der Ankauf des Getränks und die Unkosten der Küche sind also die einzigen Ausgaben, die den Gastgebern bleiben. Mit Anbruch des Festtages versammeln sich die von dem Bräutigam em- gclaoenen Personen im Dorfe und ziehen, sobald sie vollzählig sind, einen Spielmann an ihrer Spitze, nach der Wohnung der Braut. Hier aber finden sie Thür und Thor verschlossen; nur im Dachfenster erscheint ein Mensch, der zu den Angekommenen spricht, sich sehr über ihren Besuch wundert und sie bittet, ihren Weg ruhig fortzusctzcn, obgleich die Lust mit dem Dampfe der Speisen angefüllt ist und die angehäuften Gcräthe in den Scheuern die Vor» bereitungen zum Feste verrathen. Jener Mann spricht in Versen und heißt der Reimer der Braut. Aber bald findet sich Jemand, der ihm antwortet. Da man den Fall vorhergesehen und auch der Bräutigam einen Reimer mit gebracht hat, legen einander die beiden Rivalen, zur großen Belustigung der Menge, die lächerlichsten Fragen vor. Nachdem dies Witzspiel einige Zeit ge dauert hat, erklärt sich endlich der Reimer im Dachfenster für besiegt durch den Scharfsinn seines Gegners und öffnet die Thür. Er hält wiederum eine schöne gereimte Anrede an die Versammlung und fragt endlich, was wohl so viele Herren und Damen, die er, ihrer Kleidung nach, für Edellcute halten müßte, in einer ärmlichen Hütte suchten, die nicht Werth sey, sie aufzunchmen. „Sprecht von keiner ärmlichen Hütte", antwortet dann der zweite Reimer, „dies Haus ist ein Palast. Denn wir wissen, daß es eine Blume birgt, glänzender als die Sonne. Entzieht sie nicht länger unseren Blicken, denn, sie zu holen, sind wir gekommen." Daraus geht der erste Reimer ins Haus und kommt mit einer alten Frau zurück, die er der Versammlung vorstellt. „Hier", sagt er, „habt ihr die ein zige Blume, die wir besitzen. Ihr scheint nette Leute und gute Christen, wir sind bereit, sie euch zu überlassen, wenn ihr um ihrer schönen Augen willen eure Reise gemacht habt." „Gewiß eine sehr achtbare Frau, aber die Tage der Hochzeit sind für sie vorüber. Wohl beugen wir uns vor der Würde eines grauen Hauptes, zumal wenn cs in einem ehrenvollen Leben bleichte, doch ganz Anderes suchen wir jetzt. Die wir von euch erbitten, ist mindestens dreimal jünger als diese da; ihr müßt sie sogleich erkennen an dem Glanze, den ihre unvergleichliche Schön- heit verbreitet." Nach der alten Frau bringt der Reimer ein Wickelkind, dann eine verhei ratete Frau, dann eine Witwe, abcr immer findet der Andere vorzügliche Gründe, die Angcbotencn zurückzuweisen. Endlich erscheint die wahre Braut, strahlend im Hochzcitsklcide und begrüßt von dem Jubclgeschrei der Menge. Alles tritt ins Haus, und bald nimmt die Scene einen ernsteren Charakter an. Der Reimer spricht ein Gebet zum Gedächtniß der Todten aus der Familie, wendet sich darauf zn den Acltern der Braut und bittet sie, der Tochter einen Segen zu ertheilen, den sie als Unterpfand ihres Glückes wieder auf ihre Kinder übertragen könne. Diese kniet vor der Mutter nieder, die sie aufhebt und bewegt in ihre Arme schließt. In einigen Ortschaften ist eS Sitte, daß die Mutter dann ein Ende vom Gurte der Braut abschncidct, indem sie spricht: „Das Band, meine Tochter, das uns verknüpfte, ist zerrissen, vom heutigen Tage übernimmt ein Anderer die Macht, die uns Gott über dich gegeben. Mein Haus ist nicht mehr das deine, so lange du glücklich bist; wenn aber das Unglück dich heimsucht, bin ich deine Mutter wieder, stets sollen meine Arme meinem Kinde geöffnet seyn. Wie du heute, habe auch ich einst meine Familie verlassen, um deinem Vater zu folgen, und auch dich werden einmal deine Kinder verlassen, wie du uns vcrlässest. Denn also ist es der Wille des Herrn; möge Er, in dessen Namcn ich dich segne, dir so viel Freude zu Theil werden lassen, als er mir geschenkt hat " Hierauf umarmt die Brant ihre Verwandten, und wiederum hält der Reimer einen langen Vortrag zum Preise ihrer Fähigkeiten und Tugenden. Er vergißt nie, zu erinnern, daß Sparsamkeit und ArbeitSlicbe in ihrer Familie erblich seycn, und empfiehlt dem jungen Ehemanne schließlich, seine Frau mit Sanftmuth zu behandeln und in allen wichtigen Fällen um Rath zu fragen- Jetzt ordnen sich beide Familien in einen Zng und nehmen den Weg durchs Dorf. Wer fast bei jedem Schritt werden sie von Bettlern aufgchalten, die auf die Zäune am Rande des Weges klettern und durch Brombeerstandcn, die sie mit ihren Stacheln den Leuten vor'S Gesicht halten, die Passage sperren. Der Begleiter des Bräutigams hat das Amt, durch einen kleinen Zoll diese Schlagbäume in die Höhe zu bringen. q-r« sich jndcß auch dieser Pflicht unterzieht, mag sie doch bei der Länge des Weges nicht gerade die an genehmste seyn. Wir übergehen mit Stillschweigen die kirchliche Ceremonie und einige an dere Gebräuche, die den Reimern wiederum Gelegenheit geben, ihr Dichter- talent oder ihr Gedächtniß glänzen zu lassen. Nur im Vorbeigehen wollen wir noch einer eigentümlichen Sitte erwähnen. Wenn nämlich die Ceremonie in der Kirche zu Ende ist, strömt Alles auf den Gottesacker, um aus den Gräbern der Familie zn beten. Man darf, sagen sie, der Todten nicht vcr- gessen, wenn sich die Lebenden freuen. Vielleicht verweilen sie gerade darum im Fegefeuer, weil sie zu emsig für jenen äußeren Wohlstand Sorge trugen, der ihren Nachkommen heute erlaubt, sich der Freude hinzugcben. — Das Fest mahl, das nun folgt, ist eigentümlich bis zur Unglaublichkeit. Nicht das bunteste Niederländische Bild könnte uns eine Anschauung von dieser verwor renen, unendlichen Masse fröhlich schmausender Menschen geben. Den ganzen Morgen bereits hat man unter neuen Zelten Tische ausgezimmert und an allen Ecken in improvisirten Küchen gekocht und gebraten, denn schon einen Tag vorher kommen alle Nachbarinnen und Verwandte, die Talent und Berns zur Kochkunst fühlen, ihren Nath und ihre Dienste anzubiete». Es ist höchst er götzlich, ihnen zuzuschcn, mit wie großer Geschäftigkeit sie ganze Schaaren von Geflügel in ihren riesigen Töpfen überwachen. Aber mit welchem Eifer sie auch ihr wichtiges Amt versehen mögen, so sind doch nur wenige so einge fleischte Köchinnen, daß sie nicht ihre Posten verließen, wenn der ferne Ton der Trompeten die Annäherung des Zuges verkündigt. Dem Brautpaare voran ziehen Spiellcute und Possenreißer, die durch ihre Künste und Kraft-Anstrengungen Beifall und Geschenke von den Gästen ärndten. Zunächst hinter den Neuvermählten gehen ihre Acltern und Pathen, denen die übrigen Eingeladcncn ohne Ordnung, jeder in der Tracht seiner Ge gend, folgen. Einige kommen zu Fuß, Andere zu Pferde, am häufigsten sieht man zwei Individuen auf einem Thierc, einen Mann vorn auf einem Quer- Holz, das mit Heu ausgcpolstcrt ist und als Sattel dient, und eine Frau hinter ihm auf dem Kreuz des Pferdes. Nicht selten kommen Pferde mit Körben be hangen, in welche kleine Kinder gepackt sind, die ebenfalls Gäste bei der Feier seyn sollen. Wie sie voll Staunen und Freude ihre Köpfchen drehen, die kaum über den Rand der weionen Tribünen hcrvorgucken, erhöhen sie nicht wenig den Rei; dieser malerischen ländlichen Scene. Die Bcttler schließen den Zug, denn auch sie sind zu Hunderten gekommen, um mit ihren besten Kräften bei dem Mahle mitzuwirken. Endlich gelangt die Masse, die auf ihrem Marsche wohl eine Viertelineile des Weges bedeckte, in die Gehöfte, auf denen das Mahl gehalten werden soll, und ballt sich in einen, dem Ansehen nach unent-