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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration« - Preis 22j Silbergr. (j Lölr.) vierteliäärlich, z Tdlr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen ZheNen der Prmßischrn Monarwie. Magazin für die Pränumerationen werden von ieder Buchhandlung s!» Berlin bei Veit u. Como., IägerNraße Nr. 28), so wir von allen König!. Posl-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 9 Berlin,. Donnerstag den 21. Januar 1847. Rußland. Der Wiederaufbau des Winterpalastes in St. Petersburg. DaS größte Lod zn unsrer Väter Zeit War kurz: der Mann ist ein gerechter Mann. Stolberg. Custine sagt« in seinem Buche „Rußland im Jahre 1839", den Wieder aufbau des Winterpalastes betreffend: „Es mußten ungeheure Anstrengungen gemacht werden, um die Arbeit zu der von dem Kaiser gewünschten Zeit zu Ende zu bringen. Im Innern arbeitete man während des stärksten Frostes fort; fortwährend waren sechstausend Arbeiter beschäftigt. Zwar starben täglich mehrere, aber die Opfer wurden sogleich durch Andere ersetzt, die ihrerseits in dieser rühmlosen Bresche sterben mußten. Und der einzige Zweck so vieler Opfer war die Erfüllung einer Herren-Laune. Bei den natür lich, d. h. längst civilifirten Böllern giebt man das Leben der Menschen nur wegen gemeinsamer Interessen preis, deren Wichtigkeit fast Jedermann an erkennt. Aber wie viele Generationen von Herrschern hat das Beispiel Peter'S I. verleitet. „Bei einer Kälte von 28 — 30 Grad waren 6000 unbekannte Märtvrer, Märtyrer ohne Verdienst, die unfreiwillig Gehorsam leisteten, was bei den Russen eine angeborene und aufgenöthigte Tugend ist, in Säle eingeschlossen, welche man bis zu 30 Grad gebeizt hatte, damit die Wände um so schneller trockneten. So setzten sich diese Unglücklichen, wenn sie dieses Haus des Todes, das durch ihre Aufopferung ein Asyl der Eitelkeit, der Prachtliebe und des Vergnügens wurde, hinein traten oder aus ihm heraus, einer um 80-00 Grad verschiedenen Temperatur aus. „Die Arbeiten in den Minen des Ural-Gebirges find nicht so verderblich, und doch waren diese Arbeiter keine Verbrecher. Und diesen Kaiser hatten so Viele, die nun vor seinen Augen der Befriedigung seiner kaiserlichen Eitelkeit zum Opfer gebracht wurden, ihren Vater genannt! Die auf den Bau von Versailles verwendeten Millionen haben eben so viele sranzöfische Handwerker- Familien ernährt, als der Bau des Winterpalastes in zwölf Monaten slawische Leibeigene zu Grunde gerichtet." Gretsch trat in seiner bekannten Gegenschrift dem Marquis von Custine wegen dieser Auslassung mit den kurzen Worten entgegen: „Es ist nicht für einen Heller Wahrheit in den Worten des Marquis!" Der Engländer Bourke sagt in seiner Reisebeschreibung „8r. ?eree«burx mal „Der Winterpalast ward allerdings in unglaublich kurzer Zeit renovirt, aber ich stelle cs ganz in Abrede, daß dieses Resultat nur auf Kosten unzähliger Menschenleben erreicht wurde." Der Kaiser Nikolaus, um dessen Charakterschilderung es sich hier handelt, darf gewiß mit allem Rechte den ausgezeichnetsten Zeitgenossen beigezählt werden. Es ist daher nicht ohne Interesse, zu wissen: was ist Wahrbeit bei so verschiedenen Meinungen? Vielleicht erscheint das Urtheil eines Augen zeugen, der an Ort und Stelle Gelegenheit gehabt, zn sehen und zu hören, und zwar fast immer an ersten Quellen, nicht ganz am unrechten Platze, deshalb möge mir vergönnt seyn, mein Votum in der Sache hier abzu geben. Ze mehr wir vielleicht Ursache haben, uns als Gegner des politischen Prinzips, für dessen Hauptvertreter Kaiser Nikolaus gilt, zu bekennen ; je weniger wir uns zum Absolutismus hinncigen, um so mehr haben wir — meines Erachtens — Veranlassung, der Person des Kaisers Nikolaus strengste Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich halte zum mindesten dafür, daß man seiner Sache durch absichtliche Parteifärbung und sogenannte systematische Opposition endlich selbst großen Schaben zufüge. Daher wollen wir denn auch demnächst den Stand der Dinge vor dem Beginne des Winterpalastbaues ein wenig näher ins Auge fassen und die Umstände betrachten, unter denen derselbe begonnen wurde. Durch den Brand des erwähnten Gebäudes war das Lokal vernichtet, welches allein in St. Petersburg die eingeführte Repräsentation des HofeS möglich machte. Die kaiserliche Familie bezog allerdings in der Zwischenzeit den Anitschkoffschen Palast, worin jedoch die Räume notorisch so beschränkt waren, baß dieselben kaum zur nothdürftigcn Unterbringung des zur Kaiser familie gehörenden Personals nebst allernächster Umgebung ausreichend erklärt werden konnten. Bei der geringsten Bewegung, sey eS der Empfang eines ') Berg!, hierüber Nr. It» d. Bi. vom 5. Nov. 00U. Gesandten oder dergleichen, befand man sich in der That verlegen, denn der Platz wollte nirgend zureichen; die Reichsrepräsentation gehört aber nament lich in Rußland, sobald man nur irgend Rücksichten auf Menschen und Ver hältnisse zu nehmen nicht abgeneigt ist, eben so zu den unerläßlichen Dingen, als z. B. Truppen-Erercitien und sonstige Beschäftigungsmittel der Menge oder Einzelner. Wer demnach zu behaupten Willens wäre: es hätte dem Kaiser Nikolaus nicht um möglichst raschen Wieveraufbau zu tbun sevn müssen, der spricht völlig ohne genügende Kenntniß und Ueberlegung. Nun gab es aber nur zwei Wege des Baues: entweder man übergab die Sache den Händen des seitherigen Hofbaumeisters Montferrand, der ein Menschenalter und darüber an der Zsaakskirche baute, ohne fertig werden zu können, und von dem offen gesagt wurde: er werde den reichen Demidoff bei seinen (des Baumeisters) Lebzeiten das Fertigwcrden seines Palastes nicht er leben lassen; oder: es wurde der Wiederaufbau energischer verfahrenden Händen anverlraut. Die Umstände drängten zu letzterem Verfahren, daher der Bau rem General Kleinmichel übertragen wurde. Sollte der Letztere den Bau rasch vollführen können, dann mußte ibm natürlich freie Hand gelassen werden, und so arbeiteten — wie ich dies selbst mit angesehen habe — im Winter des Jahres 1838 9 allerdings eine Menge Menschen in sehr stark ge beizten Gemächern; namentlich waren dies Stubenmaler, Stukkaturarbeitcr und dergleichen. Ich sah, daß Mehrere von denen, die in der Höhe arbei teten , sich nasse Lappen um den Kopf gewunden hatten, um die Hitze erträg licher zu machen. Diese Arbeiter, deren Zahl Custine entsetzlich übertreibt und deren, nach meiner Ansicht, kaum 000 anstatt 6000 gewesen seyn dürsten, arbeiteten ganz gewiß freiwillig und zwar nach vorher eingegangenem Akkord; denn ich lernte in Gesellschaften rin paar Deutsche kennen, die selbst zur Zahl dirsrr Arbeiter gehörten, und die sich so wenig gezwungen zum Baue gemeldet datten, als es nur irgendwo in der Welt geschehen konnte. Und obwohl ich persönlich mit einem der angestellten Baumeister Umgang gehabt bade, so hörte ich doch nirgend von Zwangarbcitern sprechen, die bei diesem Bau ge- braucht worden seyn sollten. Ein Unterrichteter sagte mir: eS arbeiteten Überhaupt durchschnittlich nur etwa 2 — 3000 Arbeiter am Winterpalaste, und bei weitem die Minderzahl befand sich in den stark geheizten Zimmern. Daß häufige ErkrankungSfälle vorgekommen seyn sollen, hörte ich gelegentlich wohl behaupten, allein daß der Kaiser hiervon nur Nachricht erhalten haben durfte, muß ich durchaus bezweifeln. Er ließ Kleinmichel gewähren, der allerdings seinerseits kein Empsindlichkeitsmensch genannt wurde. Wer aber in Rußland irgend Etwas rasch durchsetzen will, der ist, meiner Erfahrung nach, sogar gezwungen, von dem individualisirenden Prinzipe abzugehen, das jedoch sicherlich, bei uns wenigstens, das allein empfehlungswerthe genannt werden muß. So viel ist sicher, die Herren Franzosen, welche sich z. B. bei ihren Eisenbahn-Verwaltungen so unverantwortlich gleichgültig gegen die Erhal tung des Lebens und der Gesundheit ihrer Mitmenschen bezeigen, hätten alle Ursache, vor den eigenen Thüren demnächst besser zu fegen, ehe sie das schärfste Urtheil an andere Völker und deren Oberhäupter legen. Gefehlt wird von uns Menschen ganz sicher unter jeder Form, aber in den west lichen Ländern Europa s, wo Freiheit in weit höherem Grade herrscht oder herrschen soll, als dies in Rußland der Fall ist und unter Umständen seyn kann, da fallen Mängel der gerügten Art sicher am schwersten ins Gewicht. Hiernach glaube ich bewiesen zu haben, daß weder Custine, noch Gretsch oder Bourke der Wahrheit die Ehre gaben, wie dies doch als erste Pflicht unter Menschen erscheint. Eduard Pelz. Frankreich. Eine Episode aus der Zeit der Kontinentalsperre Napolcon's. (Fortsetzung.) Als die ersten Strahlen der Morgensonne sichtbar wurden, erblickte ich in «inger Entfernung eine kleine Hütte, die an der Mündung der Maas gelegen war. Meine Führer gaben mir ein Zeichen, daß ich dort erwartet würde, und verließen mich alsbald. Jetzt erst, als ich am ersten Ziele angelangt war, fühlte ich, daß mich fror, und daß ich müde und hungrig war. Aber der Anblick der weiten Wasserfläche belebte von neuem meine Kräfte, und froh trat ich in die Barakc ein, deren Inneres indeß nichts Erfreuliches darbot. Sie war mit Bohlen und Netzen fast vollgestopft. Ein Mann verließ einen Haufen von Netzen, auf dem er geruht hatte, schlug Feuer an und lud mich in schlechtem