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606 Wartung der nächsten Schüssel sein Pfeifchen. Sie sitzen lange zu Tisch, aber wie Alles zu Ende geben muß, so auch ein Schwedisches Mittagscsseu. Dann beginnt der Tanz. Er wird dnrch die Braut und den Pfarrer angeführt, die eine feierliche Menuct mit einander tanzen. Erst nach Mitternacht kommt der Kehrans. Die Mädchen schließen einen Kreis um die Brant, um sie vor den verheirateten Frauen zu schützen, die den Zauberring zu durchbrechen und ihre neue Schwester zu ergreifen bemüht sind. Nach langem Kampf gelingt es ihnen; die Krone wird ibr ans den Haaren und die Perlen werden ihr vom Halse genommen: ihr Mieder wird aufgeschnllrt und ihre Schürze losgebun den, und wie eine Vestalin, ganz in Weiß gekleidet, geht sic fort, aber nicht zum Grabe, sondern in ihre Brautkammer, in welche die Hochzeitsgäste mit brennenden Kerzen ihr das Geleit geben. So feiert man in Schweden eine Bauernhochzeit. Ich darf die plötzlich wechselnden Jahreszeiten des nordischen Himmel strichs nicht vergessen. Hier giebt es keinen langen, zögernden Frühling, der Blatt und Blüthe, eines nach dem anderen, langsam entfaltet; hier keinen langen, zögernden Herbst, den vielfarbiges Laub und die ganze Pracht und Gluth eines Indianischen Sommers schmücken. Aber Winter und Sommer sind wundervoll und gehen unmittelbar in einander über. Der Schlag der Wachtel ist kaum im Korne verklungen, als auch schon der Winter aus falti gem Wolkentuche Schnee, Eis und rasselnden Hagel mit breitem Wurfe über das Land sä't. Die Tage nehmen rasch ab. Nicht lauge, und die Sonne er hebt sich kaum noch über den Horizont; zuletzt geht sie gar nicht mehr aus. Der Mond und die Sterne scheinen den Tag hindurch; nur um Mittag wer de» sie bleich, und am südlichen Himmel brennt ein rothcs, seuriges Glühen, wie das des Sonnenuntergangs, den Horizont entlang und erlischt dann, lind lieblich unter dem Silberlicht des Mondcö und unter den stillen, feier liche» Sternen klingen die Stahlschuhe der Schlittschuhläufer, klingen Glockcn- ton und Stimmen über die gefrorene See. Und jetzt fangen die Nordlichter an zu brennen, zuerst schwach, wie Sonnenstrahlen, die in den Finthen des blauen Meeres spielen. Dann färbt ein sanftes Carmoisin den Himmel — auf der Wange der Nacht liegt ein Er- röthcn. Die Farben kommen und gehen, aus Carmoisin in Gold, aus Gold in Carmoisin sich verwandelnd. Ans dem Schnee liegen Flecken rosigen Lichtes. Zweifach vom Zenith, nach Osten und nach Westen, flammt ein feuriges Schwert, und ei» breites Band, wie ein Sonnenuntergang im Sommer, geht querüber den Himmel. Sanfte Purpurwolken segeln über das Firmament, und durch ihre dunstigen Falten winken und schimmern die Sterne weiß wie Sil ber. Mit solcher Pracht kündigt sich die fröhliche Christzeit an, obgleich nur ein einziger Stern der ersten Weihnacht als Herold vorleuchtetc. Und zum Gedächtniß jener ersten Weihnacht tanzen heute die Schwedischen Bauern auf Stroh, und die Mädchen werfen mit Strohhalmen nach dem gezimmerten Dache der Halle: jeder Strohhalm, der in einer Nitze stecken bleibt, bedeutet einen Brautführer zu ihrer Hochzeit. Fröhliche Weihnacht in der That! für fromme Seelen bringt sie Gesang und Predigten, für Schwedische Bauern aber Branntwein und nußbraunes Bier in hölzernen Näpfen, sammt dem großen, mit einem Käse gekrönten und mit Aepfcln bekränzten Weihnachts kuchen , der einen dreiarmigen Leuchter in die Höhe hält. Dabei erzählen sie sich Geschichten von Jöns Lundsbracka, und Lunkenfus, und dem großen Riddar Finke von Pingsdaga. °) Und jetzt ist die lustige, laubige Mittsommerzcit gekommen, voll von Blüthcn und Nachtigall-Gesängen. St. Johannes bat die Blume» und das Fest des heidnischen Balder an sich gerissen, und in jedem Dorfe erhebt sich ein Maibaum von fünfzig Fuß Höhe, mit im Winde fliegenden Kränzen, und Rosen und Bändern, »nd einem knarrenden Wetterhahn auf der Spitze, der dem Dorfe ansagen muß, von wannen der Wind kommt und wohin er fährt. Vor zehn Uhr Abends geht die Sonne nicht unter, und noch eine Stunde später spielen die Kinder in den Straßen. Fenster und Thüren sind wett geöff net, und bis Mitternacht kann man ohne Licht lesen. O, wie schön ist die Sommernacht, die keine Nacht, sondern nur ein sonnenloser, doch unbewölkter Tag ist, der mit Thau und Schatten und erfrischender Kühle zur Erde herab steigt! Wie schön das lange, milde Zwielicht, das wie eine Silberspange ge stern und heut mit einander verbindet! Wie schön ist die stille Stunde, wenn Morgen und Abend also Hand in Hand unter dem sternlosen MitternachtS- himmel beisammen sitzen! Vom Kirchthurm herab zeigt die Glocke mit sanf tem, melodischem Schlage die Stunde an, und der Nachtwächter, dessen Wart thurm die Glockenstube ist, thut bei jedem Niederfallen des Hammers einen Stoß in sein Horn, und viermal, nach den vier Gegenden des Himmels, singt er mit wohlklingender Stimme; „Ao, Wasner, bo! Zwölf ist die Uhr! Golt schüfe die Siad« Bor geuer nnd Brand lind Feindeshand! Zwölf ist die Uhr!" Aus seinem Schwalbennest in der Glockcnstnbe kann er die ganze Nacht hindurch die Sonne sehen; und noch weiter nördlich steht der Pfarrer in der warmen Mitternacht an seiner Hausthür und zündet seine Pfeife mit einem gewöhnlichen Brcnnglase an. S. G. 'l Zücl Schwedischer Noltsqeschichmi. Frankreich. Die Marionetten. (Schluß.) V. Das hohe Alter der Marionetten ist jetzt historisch erwiesen. Selbst d'? entschiedensten Vertreter des Fortschritts werden in der Identität der anti'e» und modernen Narionetten Übereinkommen. Die Marn netten waren für die Ergötzung der Kinder erfunden, und wen» sie so klug wären, wie sie zu seyn sich die Miene geben, sie würden bedauern, sich nicht auf diesen Zweck beschränkt zu haben. Doch wie alles Irdische, gefielen sie sich ans dem Platze nicht, den ihnen die Natur zugewiesen hatte. Sie wollten höher steigen. Sie wollten die ganze Welt als eine Komödie darstellen. Sie unterwarfen sich die Nation durch das Recht der List und der Frechheit. Dies geschah nicht zum erstenmal in der Geschichte, und es wird nicht zum letztenmal geschehen sepn. Seit die Marionetten nicht mehr eigentliche Marionetten find »nd als solche die Menschheit belehren, hat diese nur Rückschritte gemacht. Die Mario netten wurden Fleisch. Sie bestriche» sich das Gesicht mit Hefen und wurden zum Polichincll, sie schwärzten es mit Ruß und wurden zum Harlekin, sie be streuten es mit Mehl und wurden zum Pierrot. Doch die Kunst sank. Wie tief sie heut steht, beweist der eine Umstand, daß Söraphin, der unendlich ent artete Nachkomme der alten Marionetten-Dynastie, seine Marionetten jetzt die Vaudevilles des Herrn Scribe aufführen läßt. Herr Scribe, der allein so viel Geist und Geschmack hat als alle Mario netten zusammen, wäre berufen gewesen, die Marionetten wieder zu Ehren zu bringen; hätte er in den schönen Tagen der Begeisterung und des Genies ge lebt, er würde die Schüler beiin Gymnasial-Aktus haben Marionetten-Spiele ansführcn lassen. Oder er würde darauf angetrageu habe», daß die Gymna sial-Direktoren, wenn sie Stücke schreiben, dieselben für sich allein schreiben, wie auch die Marionetteu-Schauspiel-Dircktoren diese edle Gewohnheit haben. VI. Ich bitte, seyd so gut und sagt mir, was soll die klassische Komödie noch? Die klassische Komödie war vortrefflich, ehe ihr die Hände gebunden wurden; doch wenn ihr auch nicht die Hände wären gebunden worden, sie hätte doch aufgehört, vortrefflich zu seyn; sie war der Ausdruck eines bestimmten Geistes, dieser Geist eristirt nicht mehr; er war die gesunde Vernunft. Der Mensch hört auf, über seine Fehler zu lachen, wenn er sich unfähig fühlt, sie abzulcgen. Man hat von der Komödie gesagt, sic züchtige lachend die Gebrechen der Menschen. Dies ist ein Jrrthum der unaufgeklärten Jahr hunderte. Wenn fie heut lachen will oder Lachen erregen, so muß sie voll Erbitterung gegen sie anstürmen oder ihnen schmeicheln. Die Tragödie wenigstens hat ihren Charakter nicht verändert: x«k wenn man sie sicht, erschrickt man oder fühlt Mitleid. Das Theater unserer Tage ist ein industrielles Etablissement, das durch den Staat unterstützt wird, und das durch die Ausbeutung zweier wider sinnigen Sätze eristirt, die man Ideen nennt, seit das, was man früher Idee nannte, widersinnig heißt. Die erste dieser Ideen ist, daß die Tugend ihre Lächerlichkeiten, die zweite, daß das Laster seine Schönheiten hat. Mit der ersten dieser Ideen «nacht inan Lustspiele, «nit der zweiten Trauerspiele, plan- ilit«, eiven. Wer würde heut »och wagen, die gefürchteten Worte: „cko te Isbuls narrakur, der Schurke bist Du" an Jemand zu richten? Wenn cs ein Pair von Frankrcick ist, dem sie gelten, so erfolgt eine Staats-Umwandlung, wenn es ein Spezercikrämer ist, eine Emeute, wen» ein Journalist, eine Revolution. Ueber den Marquis darf alle Welt lachen, er eristirt nur noch in den Alma nachen. Doch über etwas zu lachen, was in der That lächerlich ist, war nur den Marionetten erlaubt. Ich bin überzeugt, daß die Vorsehung für jede Bedrängniß, in der sich das menschliche Geschlecht befindet, einen besonderen Rettcr schickt: für unsere Roth nun ist kein Religionsstifter, kein Gesetzgeber, kein König nöthig, sondern Polichincll. Polichincll, der so Vieles weiß, wird ohne Zweifel auch wissen und uns sagen, daß ein Volk, welches die Orthographie Voltaire's angenommen hat, welches sich in Departements theilen zu lassen und die neue Benennung der Maaße und Gewichte sich anzueignen vermocht hat, nicht immer sort- schreitcn kann; daß die Völker in der Regel gerade dann, wenn sie am meisten auf ihre Fortschritte stolz sind, ain meisten rückwärts gehen. VII. Was ich vor Allein an den Marionetten bewundere, und ich bewundere fast Alles an ihnen, ist das herrliche Behagen, mit dcm sie bei der ersten Form des Dramas beharren. Die klassische Komödie führt den Menschen vor, sie hat es bloß mit dein Menschen zu thun, sie greift den Lasterhaften an; die Marionetten-Komödie macht uns bloß mit Marionetten bekannt, und ihre An griffe betreffen das abstrakte Laster. Sie übt ein strenges reinigendes Nichter- amt und verletzt doch Niemand, während die klassische Komödie blos persönlich ist. Die Marionetten-Komödie achtet unser Privatleben heilig, während die klassische Komödie die Scheiben in unseren Fenstcr» eingeschlagen hat und den lachenden Vorübergehenden zeigt, was im Innern unserer Gemächer geschieht. In Maskcnzürcn, die sich den Marwncttcnspiclen nähern und ihnen gleichge stellt werden dürfen, giebt es keine Individuen, selbst nicht der Kleidung nach, auch sie bezeichnet nur Gattungen. Harlekin ist am bunte» Mantel und