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592 wichtiger ist, es verleiht ihm eine» Anschein von Unabhängigkeit und Wahr heit bei allen Lobeserhebungen, womit er das Individuum überschüttet, dem er Gluck und ewigen Ruhr» verschaffen will. In England, wo Altes nur handelsmäßig betrachtet und betrieben wird, heißt der Biriuoscn-Führer ganz einfach Konzert-Unternehmer; er kauft einen Violinisten mit Leib und Seele, das heißt seine Violine und seine Seele, und numerirt im voraus die Ncihesolge seiner Phantasiccn und Capriccn. Er weiß, daß die ganze Saison das Geschäft einträglich sepn und er so und so viel verdienen wird. In Frankreich oder Italien ist der Virtuosen-Führer künst lerischer gesinnt, sein Tagewerk ist ein Gemisch von Freundschaft, von Auf opferung tue die Kunst und persönlichem Interesse. Wie gewisse KommiS von HandlungSbäuscrn, ist er so recht eigentlich Reisender und Lobhudler. Der ergebenste, der wärmste, der unermüdlichste Führer, den ein Künstler nur immer haben kann, ist zweifelsohne derjenige, welcher ihm das Leben gegeben, denn nichts erreicht, nichts dämpft den Eifer, die Begeisterung und die Aufopferung eines Vaters. Das Amt eines nicht väterlichen Virtuosen-Führers ist schon schwieriger durchznführcn; sein Enthusiasmus ist berechneter, er kömmt mehr aus dem Kopf als aus dem Herzen. Wenn der Künstler, dessen Geschäfte er besorgt, vom Katharrh geplagt ist, oder wenn seine Hand durch irgend einen rheuma tischen Schmerz behindert wird, so ist cs wahrhaft rührend, mit anzusehcn, mit wie vieler Sorgfalt er ihn pflegt!.. . Denn außer seinem Gcbalt erhcbl er gewöhnlich noch zehn, fünfzehn, ja zwanzig Prozent von der Einnahme, die natürlich durch die augenblickliche Lähmung der Finger oder der Stimme seines Schützlings gleichfalls ins Stocken gcrälh. Wie viel glänzende Eigenschaften sind erforderlich zu einem guten Virtuo sen-Führer! Wir sagen glänzende, denn eine tiefe Gelehrsamkeit ist gerade nicht nötbig zur Ausübung dieses Geschäftszweiges. Es ist gut, wenn der Virtuosen-Führer auch ein wenig Musiker ist; wäre er cS aber nicht, so ver hindert ihn das keincswcgcs an der Ausübung seines Berufs; er braucht nicht wie Halövp zu kompvnircn, wie Thalberg zu spielen oder ein musikalischer Kritiker wie der Verfasser dieses Artikels zu sepn, um über Musik gcscheidt zu schwatzen und sich in Gemeinplätzen über diese Kunst weitläuftig auszulaffcn. Saget nur zu Jedem, der Euch aufstößt, daß Euer Virtuose Anmuth, Reiz, Eleganz und Feuer besitzt, daß er seine Zuhörer durch seine» Schwung, seine Zartheit und Rapiditäl begeistert und erhebt u. s. w. u. s. w. Diese Redens arten, die sich eben so gut auf das Talent eines Fechtmeisters, auf die Tour- nüre eines Stutzers, auf einen Tänzer, Schauspieler, eine Schauspielerin oder aus jedwede andere Sache anwcnden lassen, diese elastischen nnd gefügigen Worte bilden eine allvcrstandenc Sprache, die alle Welt redet und die hinrei chend kunstgerecht ist. Der Virtuosen- Führer mag dann zuweilen noch einige spezielle und technische Ausdrucke, wie Kontrapunkt, immerwährender Kanon, beimischcu, was ihm dann gleich einen wissenschaftlichen Anstrich gicbt. Der Virtuosen-Führer hat jenem Zeitwerte, das den Zustand eines ge schlagenen Eiweißes bezeichnet oder des gährenden Bieres, des umgerührten Seifwasscrs, oder der McereSwellcn, die sich an ciuander brechen, — diesem Zeitwerte hat er zuerst eine figürliche Bedeutung in der Kunst gegeben, er hat nämlich die Kunst erfunden, einen Ruf „schäumen" zu machen wie eine gute Tasse Ehekelave oder wie ein brausendcs Glas Champagner. Ganz im Ge gensatz zu jene» anderen Führern, ist unser Virtuoscn-Führer immer der Vor. läufer seines Künstlers tu allen Städten, die er auszubeuten gedenkt. Wie die Palast-Fourierc jenes militairischcn Monarchen, der Europa zum größten Ruhme Frankreichs durchzog, richtet er die Wohnung ein und wählt sie so glänzend als möglich. Sein erster Besuch gilt dem reichsten Musikliebhaber der Stadt. Vermittelst desselben wird er zum Präfekten, zum Bürger meister, zu einer anderen Autorität, selbst zuweilen zu dem kleinen regierenden Deutschen oocr Italiänischcn Fürsten eiugcladcn, in dessen Gebiet er sich gerade befindet. Da spricht er nun von seinem unvergleichlichen Virtuosen, und wie er Wege und Mittel anordnet, »in ihn auf seinem Fluge auszuhaltcn, denn dieses große Talent geht nur, wie er sagt, von einer bedeutenden Hauptstadt zur anderen: er hoffe icdoch, seinen trauten Freund zu veranlassen, daß er sich bei der Durchreise in einem kleinen Privat-Zirkel werde hören lassen. Das Alles geschieht nur, um den großen Künstler weltbekannt zu machen, dem unser Vir- luoscn-Führcr die Kränze, die Hurrah'S, die Serenaden, die von Menschen- hänven gezogenen Wagen und die beflaggten Schiffe vorbereitet, die ihn den Mississippi, den Rhone oder den Rhein hinauftragen, auf denen der neue Gott der Harmonie sich schaukelt und sanft auf den Wellen des LcbcnSstromcS da- hmscgelt. Unter der Menge der Puffs, deren sich der Virtuoscn-Führer bedient, ist der folgende ganz besonders der Erwähnung wcrth. „Wie! also in der That hat sich Ihr Freund vor Mehmed Ali hören lassen!" sagte man eines Tagcs an einem kleinen Deutschen Hofc zu unserem Virtuosen-Führcr. — „Er mußte darein willigen, dem jungen Sultan Abvul-Medschib und scincm Divan zu Ge fallen. Aus cincr Regung politischer Philanthropie und um den grausamen Folgen eines unseligen Krieges Einhalt zu thun, haben wir, wie Napoleon, unsere Aegpxtischc Expedition angetrctcn. Hier die Geschichte. Aus cincr jener Launen, die uns charaktcrisiren, hatten wir unsere Künstler-Flagge in den Mauern des alten Vpzanz aufgcpflanzt, in jener letzten Metropole des Römischen Reiches, der herrlichen Nebenbuhlerin der ewigen Stadt, kurz, in Konstantinopel. Unser civilisirendes, revolutionaircs, soziales Talent wurde über allen Ausdruck hinaus von den ausgezeichnetsten Türken begriffen und geschätzt. Die Börsen wie die Harems öffneten sich bei den Tönen unserer Lpra; schlichte OdaliSkcn, wie Favorit-Sultaninnen, ver- licbtcn sich sterblich in uns. Wenn ich „uns" sage, so meine ich damit meinen berühmten Freund, nur aus Ergebenheit identifizire ich mich mit ihm, wie ein Advokat die Ehre und das Interesse seines Klienten zu dem seiuigcn macht- Verschiedene Mitglieder dcS Divans nahmen meinen Freund bei Seite und sagten zu ihm: „„Sie können der Vermittler, der Bürge und Held eines wichtigen politischen Vergleiches werden."" Wie wäre das möglicht „„Sie wissen, daß der alte Aegpptischc Pascha sich der Ottomanischen Flotte bemäch tigt hat. Der Divan hatte beschlossen, alle Kräfte des Reichs aufzubicten, um wieder in den Besitz seiner Seemacht zu gelangen, jedoch zieht es Seine Hoheit vor, ehe cr seinen gefährlichen Vasallen mit Krieg übcrzicht, noch den Weg der Sanftmut!) zu versuchen, um ihn auf die Bahn der Pflicht zurückzu« führe». Seinerseits wünscht der listige und schlaue Greis ebenfalls, wieder sein gutes Einverständniß mit uns herzustcllcn, daher, — Niemand wird sich darüber wundern, — hat man in dieser Hinsicht die Augen auf Sie gewor fen."" Auf mich! „„Auf Sie selbst. Als die Bedingungen wegen der Fest, stellung der Erblichkeit seiner Dpnastic in Acgppten genehmigt waren, wollte der Vicekömg die Flotte zurückgeben, cr hatte aber von den Wundern reden Horen, die Ihr Talent auf die Türkischen GehörSncrven und im Scrai Seiner Hoheit ausgeübt, und so forderte er denn in einem geheimen Supplement- Artikel des Friedens-Abschlusses, daß der Sultan Sie ihm überließe oder doch wenigstens Sie bewegen möchte, sich zu ihm zu begeben. Diese Mission ist edel und schön, sie ist civilisirend und sichert dem Ottomanischen Reiche den Frieden; wir glauben, daß Sie Ihren Beifall haben wird, und daß Sie dieselbe annchmcn werden."" Sie trauten mir nicht zu viel zu, erwicderte der cdle Künstler. „Und so kam cs", fuhr der Virtuosen-Führcr in seinem Berichte fort, „daß mein berühmter Freund, wie Napoleon, ja vielleicht größer als Napoleon, vermittelst der Musik in das alte Acgppten nicht Krieg und Zerstörung, nein, Friede und Eintracht hinübertrug, und alle Wohlthaten der Civilisation, jener Königin der Menschheit. Süß und tröstend", schloß der Virtuosen-Führer, „ist der Gedanke, einem solchen Königthume zum Vor- läufer, Beförderer, Verbreiter und Verkünder zu dienen." (Onr. musie.) Mattnigfaltiges. — Die Thronentsagung Karl's V. Es ist uns vergönnt, die beiden herrlichen, in jeder Bedeutung des Worts „historischen" Bilder: „Karl's V. Abdankung" von Gallait und den „Kompromiß der Niederländi- sche» Eveln" von de Biefve, auch noch nach Schließung der großen Berliner Kunst-Ausstellung zu bewundern, da sie noch eine Zeitlang in der Rotunde des König!. Museums ausgestellt seyn werden. Es wird daher auch unseren Lesern angenehm sepn, wenn wir sie daran erinnern, daß sich in Nr. 28 des Magazins (von 1842) eine treffliche, von dem Belgischen Geschichtschreiber de Gerlache hcrrührende Schilderung der Abdankuuzsscene befindet, wie sie sich zu Brüssel am 23. Okt. !333 Nachmittags um Z Uhr zugetragen. Für diejenigen Leser, die jenes Blatt nicht zur Hand haben, lassen wir hier eine kürzere, mit jener Darstellung de Gerlachc's wesentlich übereinstimmende Rela tion folgen, die sich in einem alten Niederländischen Geschichtswcrke (kekiropls Ilistorje viui'c Vnäorlnm!) befindet: „Da der Kaiser beschlossen hatte, die Regierung seiner Länder, das Kaiserreich ausgenommen, seinem Sohne Philipp abzutreten, ließ er diesen aus England nach Brüssel kommen. Philipp traf am 8. September ein, die feierliche Entsagung geschah jedoch erst am 23. Okt. t335. Hier machte Karl V. seinen Sohn zunächst zum Oberhaupte des Ordens vom Goldenen Fließ und ließ dann durch Philibert von Brüssel die Gründe auseinan- dcrsctzen, welche ihn veranlaßten, der Negierung über die Niederlande zu ent sagen und sie seinem Sohne zu übertragen. Während Jener noch sprach, stand der Kaiser plötzlich selbst auf und fing an — indem er sich auf die Schulter des Prinzcn von Oranien stützte — in Französischer Sprache aus einem kleinen Gedcnkduche hcrzulesen, was er von seinem siebzehnten Jahre bis aus den hculigcn Tag geführt, — wie cr neun Feldzügen in Deutschland, sechs in Spanien, vier in Frankreich, zehn in den Niederlanden, zwei in England und eben so vielen in Afrika bcigcwohnt, — wie er elfmal in See gegan gen, — wie viele Friedens- und Freundschafts-Bündnisse er geschlossen, und wie viele Siege er erfochten. Dies Alles stellte er feierlich dar und vergaß auch dabei nicht, des Eifcrs zu gedenken, den er zur Aufrcchthaltnng der ka tholischen Kirche stets an den Tag gelegt, und seinen Sohn zu ermahnen, dasselbe zu thun. Darauf gab er ihm — auf Philipp's Ersuchen — seinen väterlichen Segen, der unter heißen Thränen empfangen wurde und auch die Anwesendcn bis zu Thränen rührte. Der Bischof An ton Percnot (de Granvclla) erklärte jetzt, von Philipp den Auftrag erhalten zu haben, dcm Kaiser die Dankbarkeit seines Sohnes und den Landcsgcnosscn seine Liebe auszudrückcn. °) Er that dies in cincr wohlgesetztcn Rede, dic von Seiten der Stände durch Jakob Maas, Pensionair von Antwerpen, beantwortet ward „ °°) ') Philipp II. verstand nämlich weder Flamändisch noch Französisch genug, um iu dieser Versammlung selbst das Wort sichren zu können. ") Tc Gerlache dcrichtcr ausserdem, dass auch dic Tchwester des Kauer?, Maria, SiaNdaNcrin der Niederlande, Wonc des Abschieds gesprochen, mir denen sic Rcchcnschast stier ihre Regierung adgelegl. HerauSgegcben von der Erpcdition der Allg. Preuß. Staalö- Zeitung. Ncdigirt von I. Leh m a u ri. Gedruckt bci A. W. H a y n.