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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration- Preis 22) SUbcrgr. (1 Tdlr.) vicrtelsabrlich, 3 Tdlr. für da? ganze Jahr, ohne Erdöd ung. in allen rdeilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf diese- Literatur- Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (Friedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Posl-Aemtern. Literatur des Auslandes. 144 Berlin, Freitag den 2. Dezember 1842. Frankreich. Ueber den Einfluß des Zeitgeistes auf die Französische Literatur im 17., l8. und 19. Jahrhundert. (Aus dem Schreiben eine- in Pari- lebenden Deutschen.) 3ch gehe jetzt zu einer kurzen Analyse der Diskussion des histo rischen Kongresses über den Einfluß des Zeitgeistes auf die neuere Lite ratur über. Sie erinnern sich, in meinem letzten Schreiben gelesen zu haben, daß sich hier vor ungefähr einem halben Jahre ein historischer Verein gebildet habe, welcher aus gelehrten Forschern auf allen Gebieten des Wissens besteht, und der mir die unerwartete Ehre erwies, mich zum Beitritt zu demselben als wirkendes Mitglied aufzufordern. Genannter Verein hat sich nicht nur die Erkenntniß der geistigen und sozialen Fortentwickelung der Franzosen zum Zwecke gesetzt, sondern die Erforschung des historischen Ganges dcS menschlichen Geistes erstreckt sich eben so sehr über ganz Europa, ja über die ganze be wohnte Erde, obgleich zu erwarten steht, daß Frankreich mit seinen geistigen und politischen Verhältnissen am meisten ins Auge gefaßt werden wird. Wie nun der Wirkungskreis des vorgesteckten Ziels kein beschränkter, vielmehr ein solcher ist, der alle geschichtliche Staaten und Länder umfaßt, so sind auch die Mitwirkcndcn und Mitglieder nicht nur hinsichtlich der Anzahl, sondern auch in Bezug auf die Nationalität unbeschränkt, ja man ist sogar in hohem Maße bestrebt, so viel ausländische gelehrte Forscher als möglich der Tendenz des Vereins zu acquirircn, und in der That ist die Anzahl der Mitglieder aus letzterer Klaffe nicht unbeträchtlich. Abgerechnet, daß diese Gesellschaft dem edlen Aufschwünge unserer Zeit für historische Ergründung früherer Zeitalter ihr Scherflein beizutragcn sucht, so hat sie auch zugleich den praktischen Nutzen, daß sie die gelehrten Celebritäten fast aller Länder durch ihre Kongresse, die nicht selten sepn werden, innerhalb eines Salons zusammenbringt, wodurch eine persönliche Bekanntschaft der verschiedenen Gelehrten aus verschiedenen Landen möglich und somit auch zugleich eine gesteigerte Theilnahme an den historischen Mittheilungen aus einem Gebiete der Forschung, wie es auch heißen möge, in dem höchsten Grade hervorgerufen wird. Vor wenigen Wochen hatten wir unsere erste Sitzung; die Anzahl der anwesenden Theilnehmer war sehr groß, nur sehr wenige von ihnen kannte ich, die ich Ihnen, so wie die berühmtesten übrigen Mitglieder, nachdem ich sie werde kennen gelernt haben, in einem späteren Schreiben namhaft machen werde. Der Spanische Erminister Martinez de la Rosa begann die Sitzung mit einem Vortrage „über den Einfluß des Zeitgeistes auf die moderne Literatur", den ich Ihnen, so getreu als es mein Gcdächtniß nur erlaubt, im Nachstehenden mittheilen werde; jedoch werde ich mir dann und wann eine Digresfion erlauben, um mein eigenes Urtheil über diesen Gegenstand zu äußern, besonders wo es darauf ankömmt, die Ansichten des Redners zu be richtigen, wobei ich auf Ihre gütige Nachsicht rechne. Der Spanische Gelehrte las ein Memoire vor, das indessen keineswcges die »Frage erschöpfend beantwortete. Anstatt vom Einflüsse der Zeitphilosophie im allgemeinsten Sinne des Wortes auf die moderne Literatur zu handeln, hob er vielmehr, wenngleich mit feinem Takte, das Charakteristische derselben im Ge gensatz zu der Literatur des I8ten Jahrhunderts hervor; hierdurch bekommt die Frage eine ganz andere Wendung, und die Debatten des Klassizismus und Romantizismus mußten auf das Tapet gebracht werden. Der ehrenwcrthe Spanier begann etwa folgendermaßen: Im löten Jahrhundert fingen die nationalen und realen Elemente durch den Aufschwung der klassischen Studien allmälig aus der Literatur zu verschwin den an. Die Schriftsteller verließen das nationale Terrain, um Erben Griechen lands und Roms zu werden. Im I7ten Jahrhundert wurde die Literatur wesent lich Hofliteratur; wie am Hofe Ceremonie und Etikette herrschte, so bekam die Literatur eine glatte Politur und elegante Form; edle Einfachheit wurde jedoch nur zu oft durch bloß conventionelle Sprache ersetzt. Hatte in Ronsard und seiner Schule die Nachahmung der Alten einen theils naiven, theils pedanti schen Charakter wegen so mancher Ucberbleibsel des Mittelalters erhalten, so verdrängte in Corneille und Racine die Hofluft mehr oder minder fast allen Geist des Alterthums; die Heroen des AlterthumS zogen Hof- und Marquis- Gewänder an. Die höhere Poesie, d. h. Lyrik und Tragödie, entfernte sich von den Sitten der Nation; der Dichter, anstatt sich seinem eigenen Genius hinzugebcn, seine eigenen Eindrücke, Gesinnungen und Gefühle darzustellcn, strebte theils dem Hofe zu gefallen, theils den Horaz und den Euripides (Boileau und Racine) nachzuahmen, und verfiel so in eine gesuchte affektirte Erageration und Declamation; die Poesie wurde kalt und die Sprache schwülstig; bloß in den niedrigeren Sphären der Poesie, in der Komödie, im Roman und in den poe8>«8 Iegere8 (6bsll8on8 el ooupl«t8 erc.), in den Darstellungen der Bege benheiten und Eindrücke des alltäglichen Lebens erhielten sich Reste der Alt französischen Literatur. Moliere und Lafontaine, die aus den Gallischen comes und (»blisux zu schöpfen wußten, blieben daher die einzigen nationalen Schriftsteller im Zeitalter der Blüthe des Klassizismus. In beiden findet man den «8prit mnqueur und rsitleur, ja in Lafontaine selbst die Naivetät der Alt französischen Literatur. Im I8ten Jahrhundert nahm der Zeitgeist bald eine andere Gestalt an; der große Monarch moderte im Grabe, und mit ihm war der Glanz des HofeS erbliche». Der Adel, dcn Richelieu physisch, Ludwig XIV. moralisch ent kräftet, war zu einem feilen Diener des Hofes herabgesunken; im Gefühle seiner Schwäche, gegenüber einer großen, durch Industrie und Bildung immer mehr cmporkommenden Nation, suchte er den Schatten seiner alten Größe unter der Obhut deS Fürsten zu bewahren. Die Bildung drang immer mehr in die Masse der Nation, und mit ihr die Licenz und die frivolen Sitten des Hofes und dcS Adels; LuruS und Ueppigkeit verdrängten alle Einfachheit; der Skeptizismus, der mit den Hugenotten aus Frankreich vertrieben war, brach durch die Verbreitung der Schriften des scharfsinnigen Emigrirtcn Bayle mit neuer Macht in Frankreich ein; der Englische Atheismus und die Philosophie Locke's, so plausibel dem gesunden Menschenverstände, fingen ebenfalls an, die Gemüther zu bewegen und die Irreligiosität zu den lockeren Sitten zu gesellen. Während die gebildete Welt Frankreichs schon einen anderen Charakter ange nommen hatte, folgte die Poesie, vom Leben der Ration entfernt, noch immer dem Impulse, den ihr das Zeitalter Ludwig's Xl V. verliehen; sie war in eine bedeutende Apathie versunken; als Zeichen des Verfalls traten mit Fontenelle die faden I>ergerie8 und Idyllen auf. Die Lyrik verdorrte gänzlich in den kalten Oden I. B. Rouffeau'S und Lamothe'S. Die Tragiker, mit Ausnahme Cre- billon's, ahmten serviler Weise Racine nach. Die Nachahmung der Alten war zu einer Nachahmung Ludwig's XlV. geworden und so zu einer argen Kari katur hcrabgewürdigt (ein Punkt, den der Kongreß in seiner Diskussion leider gar nicht berührte). Bloß in der Komödie und im Roman herrschte noch eini ges Leben. Der berühmte komische Roman Gil Blas und Manon Lescaut, jene so einfach naive Darstellung der Leidenschaften des menschlichen Herzens, die so seltsam mit allen übrigen Productionen des I8ten Jahrhunderts kontra- stirt, gehören dieser Periode an. Uebcrdcm bieten die Komiker und Roman- Schriftsteller ein historisches Interesse dar; als Darsteller des alltäglichen Lebens sind sie Zeugen der hereinbrcchendcn Sitten-Verderbniß. — Mitten in einer solchen Gesellschaft, wo der Zweifel Alles zu unterminiren drohte, wo der Ueberdruß und Ekel an Allem, was durch Tradition und althergebrachte Sitte der Nachwelt überliefert war, überhandnahm, wo die Religion und Moral aufhörtcn, die Richtschnur der Gemüther zu seyn, trat nun ein Genius auf, der wegen der außerordentlichen Empfänglichkeit seines Geistes fähiger als irgend ein anderer seiner Zeitgenossen war, dem Zeitgeist den Puls zu fühlen, ja ihm in die innersten Falten seines Herzens zu schauen. Ueberdies besaß Voltaire in seltenem Maße die Gabe, alle Eindrücke seines regen Geistes mit Leichtigkeit, Anmuth und Grazie zu reproduziren, verbunden mit dem feinen Takte, auf dem Strome zu schwimmen. Diese Eigenschaften nun machten Vol taire zum vollkommensten Repräsentanten seines Jahrhunderts; er erst sollte diesem ein eigenes Siegel aufdrücken; vor ihm war Alles in einer Krisis, in einem UebergangS-Zustande begriffen; mit ihm erst fing der Zeitgeist an, seiner selbst bewußt zu werden; mit Voltaire erst bekam die Literatur jene philoso phisch-soziale Tendenz, die das charakteristische Merkmal der Literatur des I8ten Jahrhunderts ist. (Fortsetzung folgt.) Nord - Amerika. Boz über Amerika. z. Beschreibung des Gefängnisses „Wh- L»«t°ru keuitentiar?" zu Philadelphia. — Die Gefangenen. — Das Ausscheiden aus dem Kerker. Zwischen dem eigentlichen Gefängnisse und der Außcnmauer befindet sich ein geräumiger Garten. Wir traten durch die enge Thür eines gewölbten Thorwegs darin ein, verfolgten dcn vor uns liegenden Pfad bis zu dessen äußerster Gränze und kamen nun in ein großes Zimmer, von dem sieben lange Gänge ausliefcn. Auf beiden Seiten eines jeden derselben befindet sich eine lange, lange Reihe niedriger Zellthürcn, mit einer bestimmten Nummer über.