Volltext Seite (XML)
LL8 Italien. Neuere Jtaliänische Dichter. II. Silvio Pcllico- (Schluß.) Im Jahre 1828 verbreitete sich das Gerücht seines Todes jenseits der Alpen. Ich befand mich damals gerade in Italien und war Zeuge des tiefen Schmerzes, den diese Nachricht überall hervorricf. Auf der Straße fragten sich die Begegnenden: Wissen Sie schon? — WaS? — Er ist todt! Und Jeder verstand, wer gemeint war. Ein Gedicht auf seinen Tod, welches Barroni zugeschriebcn wurde, durchflog als Manuskript die ganze Halbinsel. Am 17. September I8Z0 wurde Pellico seiner Familie zurückgcgebcn. Es ist bekannt, wie sein Geist sich während der Gefangenschaft verwandelt hatte: seine Seele, von Natur zart, war unter der Last dieses UngückS er legen; sie hatte sich von der Welt abgewandt und sich dem Mystizismus und der eifrigsten Bigotterie hingegcbe». Die Frau Marquise von Barol hat ihm in ihrem Hause ein Asyl geboten, das er als Sccrctair oder Bibliothekar angenommen hat, und wo er alle Ccremonicn des Katholizismus aufs strengste befolgt. Pellico's Gesundheit, von Natur hinfällig, ist durch diese Erlebnisse noch mehr erschüttert worden. Er ist sehr klein, und wenn man ihn sicht, fragt man sich, ob dies dcr Verschwörer sey, und wie nicht schon sein bloßer Anblick seine Verfolger entwaffnet habe? Sein Auge ist matt, doch die Stirn hoch und dcr Königlichen Schauspiele austellen. Es ist nicht unmöglich, daß er sich auf diese Weise wieder zu uns hält... Bürcau-Chef. Im Interesse der Kunst. Dritte Scene. Dieselben; dcr Gcncral-Secretair. Gcneral-Secretair. Verzeihen Sie, Herr Minister, wenn ich Ihre Unterhaltung störe: aber ich brauche Ihre Unterschriften für sehr viele wichtige Sachen, die nicht aufgeschobcn werden können. Minister. Warten Sie einen Augenblick, mein lieber General- Secretair. Ich stehe in einem Augenblick zu Ihren Diensten. Wir unterhalten uns jetzt über ernste Angelegenheiten, die auch keinen Aufschub zulasten. (Der Gcneral-Secretair zieht sich zurück.) Vierte Scene. Der Minister; der Bstrcau-Chef. Minister. Was sagte man von meiner neulichen Rede im Institut? Man sprach ohne Zweifel davon? Büreau-Chef. Ja wohl, und zwar mit großem Lobe. Niemals, sagte man, sey ein ernsteres Thema in einem erhabenercn Style, mit einer solchen Tiefe der Gedanke» behandelt worden. Alle, ohne Ausnahme, lobten die Rede. Minister. Das wird für das Ministerium vortheilhaft scpn. Ach! wenn doch alle meine Kollegen ihre Meinung so unterjochen könnten! Aber, unter uns gesagt, daö Kabinct hat sehr mittelmäßige Talente. Fünfte Scene. Die Vorigen; der jsanzleidiener. Kanzleidiener. Der Herr Graf von...., Pair von Frankreich, wünscht mit Ew. Ercellenz zu sprechen; er bittet inständig darum. Minister. Es ist mir unmöglich! Sagen Sie ihm, daß ich cs sehr be dauere, die Ehre nicht haben zu können. Ich habe keinen Augenblick übrig. Ich werde ihn heute in der Kammer sehen. Sechste Scene. Der Minister; der Bureau > E des. Minister. Kommen wir auf unsere akademische Rede zurück. Das Publikum ficht eS gern, wenn ein Minister die StaatSgeschäfte mit dcr Pflege der Wissenschaften zu verbinden versteht; es weiß eine solche Freiheit des Geistes zu schätzen; es bewundert einen Gedanken, dcr, ungeachtet dcr Be schäftigungen mit den Angelegenheiten des Staats, beständig Herr über sich bleibt. Was mich anlangt, so wissen Sic besser, als irgend Jemand, ob meine Verwaltung darunter leidet. Büreau-Ehcf. Wir haben aber wohl einige rückständige Sachen. Minister. Was ist eS? Zu große Eile schadet oft; die Zeit ist ein großer Versöhner. UebrigenS wird der gute Ruf des Ministers durch den Aufschub einiger Unterschriften nicht zu thcuer bezahlt. Siebente Scene. Die Borigcn; der Ka njleidieu er. Minister. Ist schon wieder Jemand da? Hatte ich es Euch nicht ver boten? Kanzleidiener. Herr D ...., Mitglied der Deputirten-Kammer: er sagt, er habe zu jeder Zeit Audienz, wann er komme. Minister. Er mag cintrcten. (Der Kanzleidiener geht hinaus.) Eine langweilige Personnage! Er wird mich um eine ganze Stunde bringen. (Zum Bürcau-Chef.) Schicken Sie mir nach einigen Augenblicken den Ge neral-Secretair, damit er mich von ihm befreie. (Fortsetzung folgt.) frei. Er spricht wenig, und dieses Wenige überrascht nicht durch Witz oder Originalität, doch ist er in Schriften und in seinem ganzen Wesen höchst sanft und nimmt durch seine tiefe Naivetät Alles für fich ein. Und was seinen Hauptwerth ausmacht: er ist im innersten Gemüthe rein und edel. Nach seiner Rückkehr nach Turin, hat Silvio den so lange zerrissenen Faden seiner literarischen Thätigkeit langsam wieder angeknüpft. Ester d'Engaddi wurde 1831 mit Erfolg zu Turin aufgeführt; doch die Ccnsur that Einspruch, und obgleich in dem ganzen Stücke keine Sylbe von Politik verkam, durfte das Stück nicht wiederholt werden. Eine neue Tragödie, GiSmonda da Mendrifio, hatte IM oder 1833 dasselbe Geschick. Der Conradin fiel ein Jahr später bei dcr Aufführung durch und ist, so viel ich weiß, nicht gedruckt. Außerdem hat Pcllico noch zwei Tragödien: HcrodiaS und Thomas Morus herausgegcben und soll drei oder vier in seinem Pulte liegen haben. Pellico's Ruf hat, wie ich bemerkt habe, mit seiner Francesca da Rimini begonnen. Ich gestehe, daß ich Foscolos Ansicht theilc; die beiden Liebenden hätten in dcr Hölle bleiben sollen, wo sie Dante verlassen hat. In dcr Ge schichte und bei Dante sind die Liebenden schuldig, und Lanciotto tödtet sie mit dem Rechte des verletzten Gemahls; bei Pcllico sind sie noch unschuldig, sie kämpften gegen die Versuchung dcr unerlaubten Liebe an; keine einzige Person des Stückes fesselt des Lesers Aufmerksamkeit, sic haben Alle gleiches Recht und Unrecht ; dramatisches Leben ist gar nicht da. Der Eufemio di Messina zeigte eine gewisse Unreife und gewaltige Längen. Von den übrigen Stücken behan deln zwei biblische Stoffe: Esther und Hcrodias, die anderen find politisch. Esther hat mehr Leben, mehr Pracht als Eufemio und Francesca; das israeli tische Volt wird vorgeführt; die Scene ist in dem Gebirge nach dem Unter gänge Jerusalems ; Esther, die Frau des Chefs Azaria, wird vom Hohenpriester geliebt und, weil sie ihn verachtet, von ihm des Ehebruchs beschuldigt und hingcrichtct. Auch hier erhalte» wir statt lebendiger Gestalten nur Sil houette». Eine ganz dürftige Figur aber ist Johannes dcr Täufer in der Hcrodias; seine ganze Mission in dem Stücke ist, daß er einen Hausstreit bei HerodeS schlichtet, dcr lange Zeit zwischen Sefora, der rechtmäßigen Gemahlin des Hcrodcs, und Hcrodias, dcr Frau seines Bruders, die ihm HerodeS er zogen, gewährt hat. Und obgleich wir sonst keine Thaten von Johannes sehen, nennt er fich doch „la voce «leit' vtern» »cuol» ". Thomas Morus stirbt, weil cr den Protestantismus nicht annchmcn will; ein solcher Stoff mußte Pellico in seiner Orthodoxie willkommen seyn, und man steht, daß er den Charakter des Helden mit großer Liebe gezeichnet hat; allein das ganze Stück geht in diesen einzigen Charakter auf; es ist eine Biographie, kein Drama. Die politischen Tragödien stellen die Schrecken der Bürgerkriege und den Segen deck Friedens dar, ihre Stoffe sind dem Mittelalter entnommen. Alle zeigen einen glühenden Haß gegen die fremde Herrschaft, und die Anspielungen auf die Gegenwart find im Leoniero, der im Gefängnisse gedichteten Tragödie, fast gar nicht verhüllt; der Leoniero so wie Jginia mW GiSmonda stellen die Kämpfe der Guclfcn und Ghibellincn dar, und hier sind die Ghibellincn, d. h. die Anhänger des Reiches, stets die gehässige Partei; sic stehen nicht bloß als Gegner des Papstthums, sondern als Unterdrücker Italiens, mit einem Worte als Fremde da. Und so sehr dies dcr Illusion sciner Stückc Ein trag thut, so verdanken sie diesen ästhetischen Sünden doch gewiß einen großen Theil des Beifalls, der ihnen geworden ist. Obgleich nun Pcllico mit seinen acht Tragödien im Ganzen Glück gemacht hat und mit inniger Liebe am Theater hängt, so glaube ich doch, daß er seinen Berus mißkannt hat, daß sein dramatisches Talent unbedeutend ist. Seinen Gestalten fehlt das innere Leben und die historische Wahrheit; ihr Herz schlägt nicht, ihr Blut fließt nicht, ihre Physiognomie ist stets dieselbe. Sie sind in dcr wildesten Leidenschaft selbst cngelmild, die Verwickelung ist stets sehr lose, der Gesichtskreis, in den uns dcr Dichter stellt, sehr beschränkt, und Blicke in das menschliche Herz läßt cr uns fast gar nicht thun. In dcr Form schließt sich Pcllico an Alficri an. Ucberall schcn wir die selbe Besonnenheit und Mäßigung, in dcn Personen wie in dcr Anordnung dcr Ereignisse; doch bei weitem weniger Kraft und Schärfe. Alfieri hat den Jtaliänern ein Theater gegeben, und obgleich cr seine Tragödien aus dem Amboß dcr Gricchcn geschmicdct hat und das Gesetz der drei Einhcitcn in seiner ganzen Strenge bewahrt, so ist er doch insofern selbständig, als cr seine Stoffe aus dcr ncucrcn Geschichte nahm. Diese Verwegenheit fand Anfangs keine Nachahmer: Monti und selbst Pmdemonte blieben dcn Griechischen Stoffen ge treu, und sogar Foscolo machte in scincr Tragödie Ricciarda nur eine Aus nahme, wie sein Thyest und Ajar beweist. Als im Reiche dcr Literatur mit dem Erscheinen des Conciliatore die Revolution dcr Romantiker ausbrach, wurde die dramatische Frage lebhaft besprochcn und so zu sagcn das Schlacht feld beider Parteien; eS handelte sich nicht bloß um die Wahl der Stoffe, son dern um die Aristotelische Einheit. Die Klassiker leisteten hinter dem morschen, doch ehrwürdigen Walle des Herkommens lange Widerstand; gleichwohl muß- tcn sie das Feld räumen. Die erste Bresche schoß Manzoni, cr hatte dcn Bei fall des Volkes davongetragcn; Pellico folgte langsam und mit einigem Zagen, er machte sich den Sieg dcr Neuerer nicht zu Nutze, und man darf hierin wohl eine geheime Mißbilligung dcr ncucrcn Theoricen schcn, die von Manzoni so glücklich verthcidigt worden sind. Außcr dcn acht Traucrspiclcn hat Pcllico cin Dutzend kleiner Novellen in Versen veröffentlicht, die cr Cantiche nennt. Er legt sie in dcn Mund cincS Trouvercs von Saluzzo, der von Schloß zu Schloß singt. Die Stoffe sind sämmtlich ans dem Mittelalter: Tancrcda, eine Heroine, in den Wäldern er zogen, kämpst muthig gegen die Feinde ihres Vaters und nimmt dcn Schleier, weil cr gefallen ist; Rosilde, eine junge kranke Frau, wallfahrtet nach Rom,