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260 danke wurde, mit Rücksicht auf die Elbe und Weser, dadurch bestärkt, daß die Fregatte „Gefion" und der Schoner „Seeritter" nordwärts segelten, und man überdies wußte, daß sich eine armirte kleine Flotte zwischen den dänischen Inseln und den schleswigschen und jütischen Küsten befand, die sich, wie man zum Theil glaubte, mit jener in Verbindung setzen sollte. In Helsingör am Sund wurde die allgemeine Blokade in den ersten Tagen dieses Monats allenthalben mündlich und schriftlich bekannt gemacht, und mit einem besonderen Stolz «heilte man den Seefahrer» aller fremden Nationen in diesem kurzen Zeitraum mit, daß die Küsten von ganz Deutschland und Preußen, von der holländischen bis zur russischen Gränze von dänischen Kreuzern blokirt wären. Fürwahr, ein stolzer Ge danke, daß das kleine einige Dänemark dem übermüthigen, großen, sogenann ten einigen Deutschland die Thüre vor der Nase Zuschlägen konnte! Welches kitzelnde Gefühl, mitten in unseren Drangsalen, täglich von den Ankömmlingen aus allen deutschen Häfen Berichte zu höre» von der Angst, womit unsere Kriegsschiffe theils schon ausgenommen waren, thcils noch erwartet wurden; von den Sicherheits-Anstalten „gegen die Dänen", indem man eiserne Ketten über die Hälen zog u. s. w., wie in Danzig und an mehreren anderen Orten geschah, von den ohnmächtigen WirthShaus-Declamationen, von der täglich mehr um sich greifenden Anarchie, welche unfehlbar binnen Kurzem zu einem wiithcn- den Bürgerkriege führen mußte, der höchst wahrscheinlich den Zusammensturz der ganzen preußischen Monarchie zur Folge gehabt hätte") und dies Alles, selbst ehe noch die eigentlichen Wirkungen der verheißenen Maßregeln von dä nischer Seite ins Leben getreten waren! Aber leider war unsere Illusion nur kurz, unsere patriotische Begeisterung sollte vor dem erstarrenden Gefühl der Wirklichkeit bald verschwinden — mit jedem Tage werden uns die Augen mehr geöffnet, mit jedem Tage sehe» wir klarer, daß unsere Hoffnung nur eine Sei fenblase war, unsere goldenen Träume vor einigen Tage» nur ein Gaukelspiel der Phantasie, ohne Wahrheit, ohne Wirklichkeit. Statt jener umfassenden Versprechungen erließ das Marine-Ministerium schon unterm 4. Mai einen Bericht an alle Seefahrer, der auch den Gesand- ten aller freundschaftlichen und neutralen Mächte am dänischen Hofe mitge- theilt wurde, daß die wirkliche Blokade bis auf weitere Bekannt machung nur Pillau, Danzig, Swinemünde, Stralsund, Rostock, Wismar, Kiel mit dem Ausgange des schleswigschen Kanals bei Holtenau, also weder die Elbe noch die Weser umfassen sollte. Obschon uns diese Nachricht keineS- wcgeS willkommen war, zufolge unserer Ueberzeugung, daß, je schneller alle Häfen gesperrt werden könnten, einen um so mächtigeren Beistand die arbeits lose, hungernde Bevölkerung Deutschlands uns selbst leisten nnd unö zu einem raschen wie günstigen Resultat verhelfen würde: — so nahmen wir doch an, daß diese Beschränkung der königlichen Erklärung zur Zeit nur darauf beruhe, daß man im Augenblick nicht mehr Schiffe zu einer umfangreicheren Blo kade habe. Wir hofften bald mehr von den versprochenen weiteren Bekanntmachungen; überdies ging ja der „Gefion" nordwärts, und die Hamburger Blätter, wie das allgemeine Gerücht, meldeten, daß die vollständige Schließung der Elke und der Weser am 10. Mai stattfindcn werde. Die Nachricht von dieser höchst wichtigen Veranstaltung erwarteten wir mit besonderer Sehnsucht. Aber was geschieht/ Statt der erwarteten zunehmenden Erweiterung erhalte» wir gerade den 10. Mai die in hohem Grade nicderschlagende Nachricht, daß vom Ivtcn ab sogar die Blokade des größten Thcils der wenige Tage zuvor in Blokadezustand erklärten Häfen aufhören solle, und daß diese in Zukunft bis auf Weiteres nur stattsinde und fortgesetzt werde bei den Odermündungcn, so wie bei Kiel und Holtenau, daß also die oft genann ten Flüsse, von denen die Wohlfahrt von ganz Deutschland abhängt, ferner offen bleiben, und es demnach unseren Feinden überlassen wird, in aller Ruhe und Gemächlichkeit, durch neutrale Schiffe, ferner ihre Ein- und Aus fuhr zu bewerkstelligen. Diese Flußmündungen hätten zu allererst geschloffen werden müssen, da wir hier auf einmal die Interessen von Preußen, Hanno, ver, de» Hansestädten und Oldenburg bedrohen konnten. Wir können den Eindruck, das demüthigeude Gefühl, welches die Bekannt machung des Marine.Ministeriums vom io. Mai in uns erweckte, nicht bc- schreiben. Wir haben angeführt und glaube» gewiß nicht zu irren, daß eS Dänemark unmöglich an materieller Kraft gebrechen kann, die zuerst gefaßte Bestimmung der Regierung auszuführcn, selbst wenn unsere Briggs und Kor vetten nöthigenfalls zu de» Kriegs-Operationen gebraucht werden sollten. Der Herr Minister deS Auswärtigen vergebe uns deshalb einen Gedanke», der sich uns unwillkürlich aufdrängte, als wir nach dem anfängliche» kräftige» Beschlusse bemerkten, daß die Ausführung bis unter die Hälfte herabsank — nämlich, ob nicht die Rücksicht auf fremde Mächte die Schuld von dem Hin- und Herschwanken trage, welches in den Blokade-Bestimmungcn der Regierung zu verspüren ist/ In diesem Falle ist aber die Nachgiebigkeit offenbar als höchst gefährlich anzusehen, denn die Blokade ist ein Eingriff in das Interesse aller neutralen Mächte, und in dem Augenblick, da mau sich gegen irgend einen Ein- spruch wider eine Veranstaltung, die nichtsdestoweniger einmal im Völkerrecht begründet ist, nachgiebig zeigt, macht man die Aufrcchthaltung derselben ganz unmöglich, indem alle Staaten mit gleichem Recht die Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse fordern können. -) Hört, hört! Ihr Anarchisten, so tonten die Wunsche unserer BaterlandSfeinde! Mannigfaltiges. — Pariser Volksredner, nnd was istReactiou inFrankreich/ Die kevue ÜS8 steux Mondes, charakterisirt die eraltirten Politiker in Paris folgendermaßen: „Unsere EraltadoS haben ein gemeinschaftliches Merkmal, das ihre parlamentarische Beredtsamkeit charakterisirt. Sie glauben sich allezeit auf dem Forum oder in der Agora: das Volk aber ist für sie nicht jenes un ermeßliche, den französischen Boden dicht bedeckende Volk, zugleich eines und verschiedenartig, zusammengehalten durch tausend unsichtbare Bande, vertheilt unter die unzählige» Sphären des modernen Lebens und überall in den komplizirtcn Verhältnissen lebend, auf welche die Civilisation der Jahrhunderte die heutige Gesellschaft erbaut hat; — das Volk ist für jene von ihren Theorieen eingenommenen Leute vielmehr das Auditorium eines Klubs, der an einer Straßenecke von Paris sich sammelnde Haufe. Diese bewegliche Masse, die man nöthigenfalls zähle» kann, die man, so zu sagen, ganz in der Hand hat und am Schnürchen zu führen vermag, ist für sie das französische Volk. Vermöge eines seltsamen Widerspruches reden unsere EraltadoS mit diesem so zusammengeschrumpften und in Schranken, die man beinahe mit Händen greifen kann, eingeschtossencn Volke, immer vom Staate, von diesem durchaus moderne» Begriffe, den man nicht zn fassen vermag, wen» man sich nicht zu einer Art von politischem Ideal erhebt. Der Staat spielt in allen ihre» Träumen die Hauptrolle ; der Schutz des Staates, die Einmischung deS Staates ist das beständige Thema dieser römischen Reden an die Quiritcn von Paris. Seht da unsere Demosthenes und Cicero auf einem ganz neuen Schlachteurofsc, das weder die Griechen noch die Römer kannten, denen man heutzutage so Vieles entlehnt. Bei den Wahlen und auf der Redncrbühne der National-Versammlung bcsicgt, werfen sie sich jetzt auf die Reactionaire. Neactio»! was ist das eigentlich/ ES ist ein Wort, das, wie so manches andere, jetzt durch unsere Atmosphäre rauscht, weil cs einem Phantome gleicht, von dem alle Welt spricht, ohne daß cS irgend Jemand sieht. Die Rcaction ist heutzutage im Munde unserer Volkötribuncn daö, was Pitt und Koburg in diesem Munde zur Zeit der ersten Revolution waren. Was also ist die Neaction/ Wir nehmen keinen Anstand zu sagen, was wir darunter verstehen und unter welchen Bedingungen wir uns selbst dazu bekennen. Wir verstehen darunter nicht die Hoffnung auf irgend eine Restauration; bei drei konkurri- renden Dpnasticcn ist die Restauration etwas Unmögliches. Wir verstehen darunter nicht das thörichte Unternehmen, das regelmäßige Fortschritten der Demokratie auf der politischen Bahn anfzuhaltcn oder zu verhindern, denn die Demokratie ist unseren Institutionen für alle Zeiten eingeimpft; das soge nannte logst") unter der vorigen Regierung war eben nur ein Luftgc- bilvc, das bei der ersten Berührung mit der Wirklichkeit zerstob. Wir ver- stehen endlich darunter nicht jenen kalten Egoismus, der das von der mensch lichen Gesellschaft unzertrennliche Elend sich selbst überlassen möchte und nichts dazu thun mag, um eS zu lindern. Die Neaction, zu der wir unü bekennen, die wir freudig begrüße», weil sie dringend noth thut, ist der feste Vorsatz, jene gefährlichen Träumer nicht zu unterstützen, die den Massen ein voll- kommencS Glück auf Erden versprechen, als eine früher oder später zu bc- wirkendc Eroberung, als eine Jedem von Gottes und von Rechts wegen ge bührende Ausstattung, zu der sie dem Menschengcschlechte wieder verhelfen wollen; cs ist der energische Wille, den rohen und ungeschickten Händen jener hochmüthigen Empiriker die gesellschaftliche Ordnung wieder zu entreißen, dcreu sie sich bemächtigt haben." — Ein neues Werk von George Sand. Francois le Champi heißt dic neueste Erzählung von George Sand, die, nach dem Vorgänge der beiden jüngsten Novellen der Verfasserin, durch Einfachheit der Handlung, so wie durch Klarheit der Gedanke» und dcö Stiles fesselt und einen nachhaltigen Eindruck zurückläßt. Es ist, als ob die Verfasserin den durch die Excentricitäten von Sue, Dumas u. A. abgespannten Lesern einen stille», gcmüthlichen Ruhc- punkt und damit einen neuen Reiz auf dem Felde der Roman-Literatur habe dar biete» wollen. JhrZwcck dürste um so vollständiger erreicht werden, als daö Pu blikum auch durch die auf alle Klaffen, auf alle VermögenSumständc Frankreichs trübselig einwirkcndcn politisch-sozialen Umwälzungen der letzten Monate vor jenen übertriebenen Darstellungen der Schauer- und Nachtseite» der Gesellschaft einen solchen Ekel bekommen, daß sie Niemand mehr lesen mag. Francois le Ehampi ist eine so einfache, sittlich wahre und erhebende Geschichte, daß sie auch einem Kinde in die Hand gegeben werden kann und von ihm verstanden werden wird. Wer darin glänzende Schilderungen und Situationen oder eine melodramatische Spannung sucht, wird sich freilich getäuscht finden, aber Freunde des Landlebens, des Malerischen in der Natur und jener ewig neu bleibenden, alten Geschichte des menschlichen Herzens werden darin ein von Meisterhand angelegtes Kunstwerk erkennen. Wir glauben darum, daß, wenn nur dic rechte Uebersetzcrhand sich findet, diese Erzählung auch in deutschem Gewände von außerordentlicher Wirkung scpn müsse. Sue und Dumas find in ihren deutschen Uebertragungcn nur noch widerwärtiger geworden, wogegen unsere Sprache sowohl als unser Publikum, besonders das weibliche, ein um so bildsameres Material für Kunstwerke wie Fran^oisleChampi darbictct. -j Der durch den CensuS wahlfähige Theil der Nation. HcrauSgcgebkn und rcdigirt von I. Lehmann. Im Verlagc von Veit Comp. Gedruckt bei A. W. Hayn.