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288 England. Handel und Schifffahrt zur Zeit des Kontinental-Systems. Von einem alten Kaufmann. IV. (1808.) (Schluß.) Um noch vor Ankunft des Convois in Malta einzuireffen, schiffte ich mich gegen die Mitte Dezembers auf dem Post-Packetschiffe ein, welches von Fal mouth nach dem Mittelländischen Meere bestimmt war. Diese Packetschiffe, die mit den Brieffelleiscn, Depeschen und Passagieren nach dem Mittelländischen Meere, New-Jork, Bermuda und Westindien segelten, waren Dreimaster, lchnellsegelnde Korvetten von 180 bis 200 Schiffstonnen Gehalt, mit zehn Kanonen, iheils Carronaden, thcils von leichterem Kaliber armirt und einer Besatzung von 30 Mann, Capital», Steuerlcute, Koch, Schiffsjungen und Steward miteingerechnet. Auch diese Fahrzeuge waren, wie die früher er wähnten, Eigenthum der Capitaine und vom General-Postamt in London gc- miethet, welches eine gewisse Summe für den Transport der Brieffclleisen und Depeschen bewilligte; unterdessen wurden sie als königliche betrachtet und hatten die Erlaubniß, das lange Kriegswimpel (ksmmm) zu führen. Das Paffagiergeld gehörte bis auf eine Abgabe von t Guinee per Kopf (die, wie ich glaube, dem Hospital in Greenwich zugutekam), dem Capitain, der sich dabei gar nicht übel befand; man zahlte bis Malta in der ersten Kajüte SO Guineen, mit Einschluß der Beköstigung, bis Cadir, Gibraltar u. s. w. im Verhältnis. Uebrigens waren diese Fahrzeuge recht bequem eingerichtet, indem jeder Passagier sein eigenes Kabinet hatte. Das Packetschiff „Lord Hobart", an dem die Reihe war, nach dem Mittelländischen Meere zu segeln, hatte die Felleisen in Cadir, Gibraltar, Cagliari, Malta und Messina abzuliefern, und eS mochten unser wohl 20 bis 28 Passagiere sepn, die nach den verschiedenen Häfen bestimmt waren. Am folgenden Tage nach meiner Ankunft in Falmouth langten auch die Depeschen u. s. w. an, und kurz darauf gingen wir unter Segel. Eine günstige Brise führte uns schnell bis in die Nähe von Cadir- Schon bereiteten wir uns vor, in die Bai einzulaufen, aus der uns die Flaggen des AdmiralschiffeS entgegenwehtcn, als der Wind plötzlich umschlug und so eon- trair ward, daß wir die Aussicht hatten, mehrere Tage hin. und herlavircn zu müssen, ehe wir den Eingang des Hafens erreichten. Hierzu war ein Führer nöthig, und da kein Lootse herauskam, so versuchten wir es mit einem Fischer boote, das in unserer Nähe erschien, und welches wir durch einen Kanonen schuß zu uns beschieden. Der Fischer kam zwar auf unser Signal an Bord, mochte sich jedoch nicht getrauen, uns in den Hafen hiueinzulootsen, und nach dem der ganze Tag in fruchtlosen Anstrengungen hingegangen, mußten wir ihn wieder verabschieden und das Schiff beilegen, um bei Tagesanbruch unser Heil noch einmal zu versuchen. Bald aber wies es sich aus, daß wir hierin einen Fehler begangen hatten, indem weder der Capitain noch der Steuermann darauf Rücksicht nahmen, daß eine Strömung von Westen nach Osten oder vom Atlantischen Ocean nach dem Mittelländischen Meere stattfindet, die namentlich bei starken Westwinden eine Schnelligkeit von 4 bis 3 (engl.) Meilen die Stunde erreicht. Da wir nun beim Dunkelwerden beigelegt hatten, so waren wir in diese Strömung hineingerathen, und gegen Mitter nacht entdeckte man, daß wir so weit nach dem Eingang der Straße von Gibraltar getrieben waren, daß wir uns unter Cap Spartel, an der Küste von Afrika, befanden. Um uns nun nicht ferner dem Einflüsse der Strömung auS- zuseßen und vielleicht gar gegen das Cap zu treiben, mußten wir das Beilegen aufgcbe», schnell die Segel füllen, um das Schiff unter die Gewalt des Steuerruders zu bekommen, und bongrö maigrö bei stockfinsterer Nacht in die Straße hineinstcuern. An keinem der beiden Ufer war ein Lenchtthurm zu erblicken, und die größte Vorsicht mußte angcwendet werden, um dem Lande nicht zu nahe zu kommen und uns so viel als möglich in der Mitte der Meer enge zu halten. Bei der gewöhnlichen Art des Lavirens, wo man gleichsam einen großen Halbkreis beschreibt, hätten wir leicht an der Küste zerschellt wer den können, und wir sahen uns daher genöthigt, das Manöver vorzunehmen, das man in der Seemannssprache „Halsen" nennt, d. h. wir mußten kurze Wendungen vor dem Winde machen, wodurch sich das Schiff, so zu sagen, auf dem Hacken umdreht. Hierbei führte uns die Strömung immer weiter in die Straße hinein, und als der Morgen graute, waren wir schon an dem Eingang der Bai von Gibraltar vorbeigetrieben und befanden uns in der Nähe von Ceuta, ohne daß es uns möglich war nach Gibraltar hineinzukommen, indem der Wind wieder so stark aus der Bai wehte, daß wir nicht zurückkonnten. Die Verlegenheit unseres Capitains war nicht gering; er hatte die Bries beutel am Bord, die in Cadir und Gibraltar abzugeben waren, und die nach jenen Häfen bestimmten Passagiere, die sich schon am Ziel ihrer Reise glaubten und ihre Hoffnungen jetzt in so unerwarteter Weise getäuscht sahen, legten diese Verzögerung seiner Nachlässigkeit zur Last. Auf ihre Vorstellungen ent schloß er sich endlich, da wir uns doch einmal im Mittelländischen Meere be fanden, nach dem nächsten spanischen Landungsplatz zu steuern und Passagiere und Felleisen von da ab zu Lande nach Gibraltar und Cadir zu befördern. Spanien war um diese Zeit in vollem Ausstande gegen Napoleon und dessen Bruder, den aufgedrungen-m König Joseph; die Briten, bisher seine Feinde, waren seine Bundesgenossen geworden, und alle seine Häfen waren ihren Schiffen geöffnet- Die nächste Seestadt war Marvella, wo jedoch die Landung nicht gut bewirkt werden konnte; wir segelten daher etwas weiter an der spa nischen Küste entlang und ankerten auf der offenen Rhede von Velez Malaga. Der Capitain bestieg mit einigen Matrosen und den erwähnte» Passagieren sein Boot und versprach, sobald er dem Postmeister die Briefschaften zur sicheren Beförderung übergeben hätte, wieder an Bord zu kommen, um dann unsere Reise fortzusetzen. Es vergingen mehrere Stunden, der Wind ward immer stärker und die See unruhiger, so daß das Schiff gewaltig arbeitete (stampfte); ehe wir uns versahen, empfanden wir einen heftigen Ruck — das Kabeltau, welches das Schiff an seinen Anker festhielt, war gebrochen. Es'warfnie be- sonders stark gewesen, Ankerketten hatte man zu jener Zeit noch nicht, und das starke Reiben in den Klüslöchern, durch die unaufhörliche Bewegung des Schiffes verursacht, wurde ihm verderblich. Unter solchen Umständen wäre eS nöthig gewesen, ein zweites Kabeltau mit dem schweren Anker hinunter zu lassen ; da aber dieser, nach dem Verlust des ersten, der einzige noch übrige war, so hielt der Steuermann oder Master, wie er in der englischen Marine heißt, eS für gerathener, so schnell als möglich unter Segel zu gehen, um nicht auf die Küste zu treiben. Die ganze Nacht hielten wir uns in See und steuer ten dann von neuem auf unseren Ankerplatz zu, in der Hoffnung, daß der Capitain, sobald er uns ansichiig wurde, sich mit seinem Boote wieder einfin den werde. Bald nach Tagesanbruch näherten wir uns also abermals der Küste und legten auf der Rhede bei; es war jedoch weder vom Capitain noch vom Boote etwas zu sehen. Dasselbe Manöver ward fünf bis sechs Tage nach einander wiederholt, indem wir, sobald es dunkel wurde, uns vier bis sechs Stunden von der Küste entfernten, dann wieder zurücksegelten und einen großen Theil des Tages im Angesicht der Rhede lavirten, aber, mit eben so wenigem Erfolg als am ersten Tage. Man wird sich leicht denken können, daß diese Kreuz- und Querfahrten für uns Passagiere, die wir mit möglichster Eile theils nach Malta, theils nach Messina gelangen wollten, ein höchst unangenehmes Intermezzo darboten und daß wir ihrer bald genug überdrüssig wurden. Wir versuchten daher, den Master zu bewegen, die Reise nach Malta auch ohne den Capitain fortzusctzen, indem er als guter Seemann und Nautiker (obgleich ein wenig dem Trunk erge ben) der Leitung des Schiffes vollkommen gewachsen war. Wir stellten ihm vor, daß eS seine Pflicht sep, die Brieffelleisen des königl. Postamtes ohne Verzug an ihren Bestimmungsort zu bringen und daß ein längerer Aufschub die ernsthaf testen Folgen haben könne — kurz, eS gelang unserer vereinigten Ueberredungs- kraft, die Bedenklichkeiten deS ehrlichen Seemanns zu überwinden, und schon sollte der Kurs des Schiffes nach Osten gerichtet werden, als plötzlich ein Se gel am fernen Horizont auftauchte. Als eS sich näherte, erkannten wir die eng lische Flagge; es war das Linienschiff „Bulwark", vom Capitain Elphinstone Fleming befehligt, der vor einigen Jahren als Admiral und Gouverneur vom Greenwich-Hospital gestorben ist. Unser Fahrzeug zog jetzt das Privatsignal der Packetböte auf, welches vom Linienschiffe beantwortet wurde. Wir sahen dieses sogleich eine Schaluppe aussetzen und letztere auf uns zukommen, worauf sich ungefähr folgender Dialog zwischen dem kommandirenden Lieutenant und unserem Master entspann: ,,8bip Wer sepd Ihr?" „„Das Packctboot Lord Hobart."" „Woher?" „„Bon England."" „Wohin?" „„Nach Malta."" „Aber warum habt Ihr denn an der spanischen Küste beigelegt?" „„Wir suchen unseren Capitain."" „Was ist aus ihm geworden? Ist er über Bord gefallen?" „„Rein, er ist ans Land gegangen."" „Und warum kehrt er nicht zurück?" „„Das ist eS gerade, was wir nicht wissen."" „Aber zum Teufel! was wollte er hier am Lande machen?" „„Die Briefbeutel nach Gibraltar abliefern."" „Ihr sepd ja schon an Gibraltar vorbeigekommen; warum habt Ihr sie da nicht abgeliefert?" Wir setzten nunmehr dem Lieutenant auseinander, wie eS sich mit der ganzen Sache verhalte, worauf er entgegnete, daß man unser Hin- und Her- kreuzen schon seit einigen Stunden bemerkt habe und sich nicht erklären konnte, wag das Manöver eigentlich bedeute; er ruderte dann sogleich nach dem Linienschiffe zurück, um seinem Chef Bericht abzustatten, und erschien bald von neuem mit einer Einladung des Capitains Fleming an den Master, zu ihm an Bord zu kommen, indem er ihn zu sprechen wünsche. Eine solche Einladung war für Letzteren ein Befehl, und er beeilte sich, dem Commandeur deS „Bul- Wark" seine Aufwartung zu machen, der ihm sofort erklärte, daß es gegen die Disciplin sep, ohne den Capitain nach Malta zu segeln; er müsse vielmehr nach Gibraltar zurückkehren, wo er diesen ohne Zweifel treffen würde, und wohin auch sein eigenes Schiff bestimmt sep. Diese Vorschrift, die von einem Offizier ausging, der einen so hohen Rang in der Marine bekleidete, mußte natürlich von unserem Steuermann befolgt werocn; er schien ihr auch gern nachzukommen, um sich keiner Verantwortlichkeit ausznsetzen, und sobald er daher wieder bei uns cintraf, ließ er das Packctboot wenden und den Weg nach den Säulen des Herkules einschlagen. Das „Bulwark" segelte uns vor aus, und da der Wind günstig war, so passirten wir bereits am folgenden Tage, den 5. Januar 1809, die Meerenge und legten uns in der Bai von Gibraltar vor Anker. Kaum waren wir hier angelangt, als auch unser Capitain an Bord kam; er hatte sein Schiff für verloren gehalten und freute sich nicht wenig, eS wie der im Hafen zu erblicken. Den Passagieren meldete er, daß einige Tage darauf hingehen würden, einen neuen Anker, neue Kabeltaue u. s. w. anzu- schaffcn; wir möchten nur unterdessen ans Land gehen, um uns dort von un seren Strapazen zu erholen. Dies war für uns, die wir bereits gegen 3 Wo»