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Wöchentlich erichtink» drei Nnmmern. Pränumeration- Preis 22j Siibergr. (j THIr.) vierteiiädrlich, 3 Tblr. iür da« ganze Jabr, ohne Erhöhung, m allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt aus dielet Literatur. Blatt in Berlin in der Expedition der AUg. Pr. Staal- Zeitung (Friedrich«. Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post - Aemlern. Literatur des Au stund es. i ri Berlin, Mittwoch den 2. November 1842. Frankreich. Die Stadt Straßburg im Jahre I77Ü. Um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bewahrte Straßburg, obwohl es seit siebzig Jahren zu Frankreich gehörte, noch seinen alten, Deutschen Charakter. Die Sitten jenseits der Vogesen waren noch nicht die der Straß burger Bürgerschaft, und der Reisende, der in unsere Mauern cintrat, glaubte nach Frankfurt a. M. oder Mainz zu kommen und wurde nur durch die Uniformen unserer Garnison daran erinnert, daß er sich auf Französischem Boden befand. Während der letzten Jahre der Regierung Ludwig's XV. begannen sich die beiden Nationalitäten, zwei Ströme, die mit Gewalt in ein Bett geleitet waren, zu vermischen. Die ersten Tage dieses wechselseitigen Ringens will ich hier zu schildern versuchen. Wir treten im Jahre 1770 durch die Thore von Straßburg. Schön finden wir die Stadt nichts schön ist sie nie gewesen, und der eitelste Straßburger wird gestehen, daß sie cS auch jetzt noch nicht ist; dazu fehlt ihr die Regelmäßigkeit. Wir sehen die Arbeiten, welche auf Befehl des Intendanten Gayot eben beginnen und nach einem Plan des Architekten Blondel die Straßen gerade und regelmäßiger zu machen streben; wir bemerken bald, daß man voreilig an die Ausführung dieses Plans ge gangen ist, tausend Privat-Interessen stellen sich ihr entgegen, und auch auf den Hauptstraßen behalten die Häuser ihre verschiedenen Stockwerke, sie sprin gen bald vor, bald treten sie zurück, das eine giebt seinen Erker, das andere sein GothischeS Portal nicht auf, vorzüglich ist die Aussicht in die engen und krummen Seitcngäßchcn nicht fortzuschaffen, in die man heute noch treten darf, um sich mitten ins dreizehnte Jahrhundert zu träume». Die bedeutend sten öffentlichen G-böud« stellen sich uns im Ganzen eben so dar wie heute, und überhaupt hat sich Straßburg nicht in dem Grade seitdem verwandelt, wie fast alle große Städte Europa's. Die Häuser sind abgeputzt und nur wenige in modernem Style neu gebaut worden, die Siraße» haben sich er weitert, an die Stelle der alten Brücken sind neue von eleganterer und soliderer Constructio» getreten; die Kirche des heiligen Ludwig hat ebenfalls einer Kirche von moderner Bauart Platz gemacht; die übrige» Gotteshäuser sind dieselben geblieben, und der Münster erhebt sich seit vierhundert Jahren in die Wolken; nur sind die Heiligen, die Propheten und Könige, welche die Verblendung der Bilderstürmer herabgerifsen hatte, wieder in ihre Rechte eingesetzt. Doch am Fuße dieser Kirchen, in denselben Straßen, die nur etwas schwärzer, enger und mit weniger eleganten Läden geziert waren, bewegte sich vor siebzig Jahren eine Bevölkerung, die von der heutigen sehr verschieden war. Die Pariser Moden fingen erst an, sich in den höheren Bürgerstand einzudrängen. Die Familien, welche durch ihre Verhältnisse mit der geringen Anzahl Französischer Beamten in Berührung standen, nahmen zuerst deren Kleidung an. Wie gewöhnlich, griff die Umwandlung auch hier bei der jüngeren Generation zuerst durch; der Kopf fügte sich einer Französischen Pcrrücke, und die Zunge machte Anstalt, sich der Französischen Sprache zu unterwerfen. Die mittlere Bürgerklasse und die Handwerker behielten die Deutsche Kleidung bei. So ging neben einem Alten mit runder Perrücke, rothen oder grünen Strümpfen und einem Wesen, das fast eine Karikatur der Deutschen Treuherzigkeit war, ein junger Mann, ü I» kickest«» frisirt und gepudert, in Französischer Kleidung, mit wcißscikcncn Strümpfen, der die vorübergehenden Fremde» mit herausforderndem Hochmuth durch die Brille ansah und so parfümirt war, daß die Fremden bald die Flucht ergriffen. Die Großmutter und ihre Enkelin, die vertraulich neben einander gingen, schienen aus entfernten Jahrhunderten zusammengewürfelt, und von dem vollen gesunden Gesicht der Kaufmannsfrau sprangen die Pariser Schön pflästerchen immer wieder ab. Außerhalb der Stadt fand man schon die schönen Linden von Roberts«», einige Alleen von Contades, und in den niedrigen Tanzsälen der gewöhnlichen Herbergen die geräuschvollen Belustigungen, zu denen die Moralisten schon ') Der obige Aussatz ist der erste Tbeil einer Abhandlung, welche Herr LouiS Spach, General - Serrciair der DerwMunz de- Nieder. Rhein«, in einer Sitzung des „wistenschast licken Kongresse«" zu Slraßburg in Französischer Sprache vorgelesen ha«. Die Abhandlung ist, wa« man nickt übersehen darf, von einem Französirlen Elsasser geschrieben, der sich nicht veranlaßt fühlt, da- unvertilgtzarc Deutsche Element, da« sich »och in Straßburg findet, in seiner vollen Berechtigung anzuerkcnncn, und der daher stet- die auf dem misten, schafttichen Kongreß sehr häufig vernommene Phrase von der im Elsaß stattfindenden Ber- mlttelung zweier Nationalitäten im Munde führt, damals die Köpfe schüttelten, was sie bis heute noch nicht als vwgeblich ein gestellt haben. Das Volk, welches diesen Orten der weltlichen Freude zu- strömte, stellte die Vereinigung der beiden Nationalitäten auf Mereffante Weise dar ; Frankreich, das stärkere und mehr berechtigte (?) Element, ww durch die Tänzer, Elsaß, das schwächere, durch die Tänzerinnen vertreten. Die Lakaien der vornehmen Häuser, die Perrückenmacher und Soldaten leirten ihre Genossen die Menuet und das Französische und lernten dafür die Konst zu walzen und einige Deutsche Brocken. Mehr raffinirte Vergnügungen vereinigten die oberen Stände in ver schiedenen Salons, und der alte Straßburger saß unterdeß grollend in seinem Gemache; er verschloß die Thür und schleuderte Flüche gegen die Sittenver derbniß, die er auch schon an sein Haus anklopfen hörte und deren Sieg er mit Bestimmtheit voraussah. Die Langeweile eines vieljährigen Friedens, die Langeweile der einförmigen Sitten zehrte an der Jugend, und so athmete sie begierig mit Lippen und Herzen die Luft ein, welche von Westen herüber, wehte und mit dem Dufte neuer Vergnügungen und neuer Ideen erfüllt war. Wir treten in das Innere der Häuser und finden cs hier überall sehr finster und beengt, doch zutraulich, gemüthlich; der Charakter der alten Ein. wohncr, welche die glänzenden Formen verachteten und sich mit einer stillen Einfachheit begnügten, drückte sich in den häuslichen Einrichtungen aus. Ein einziges getäfeltes Zimmer vereinigte nach gut patriarchalischer Sitte die ganze Familie, ein zweites kleineres war das Schlafgemach des Hausherrn und feiner Gebieterin, und in einem dritten von noch bescheidenerem Aeußeren schliefen die Dicnstleute und Kinder. Die vornehmsten Familien fingen an, die plumpen Deutschen Möbel mit eleganten Französischen zu vertauschen, Marmorplatten, Vergoldungen, Tapeten und andere Lurus-Artikel in ihr Haus aufzunehmcn; sie räumten entweder das Dach weg und setzten einige Stockwerke auf ihr Haus, oder sie erweiterten cs auf Kosten der Höfe und Gärten, weil die wenigen früheren Piecen für ihre Bedürfnisse nicht mehr auSreichtcn. Die unteren Stände folgten diesem Beispiel nur langsam und mit sichtbarem Zagen. Natürlich fand das Französische Element bei dem katholischen Theil der Bevölkerung früher Anklang als bei dem protestantischen. Der letztere blickte mit Argwohn auf Alles, was unter der Acgide der Römischen Kirche aus ihn eindrang, und nahm mit Bedauern wahr, daß die Partei seiner Gegner stets größer wurde. Eine Anzahl vornehmer Schweden, welche Lutheraner ihrem Glauben, Deutsche ihrer Sprache und Franzosen ihren Sitten nach waren, stand neutral zwischen beiden Parteien und suchte sie einander zu nähern. Die hohen Französischen Beamten, denen ihre Stellung Unparteilichkeit gebot, gc- wannen durch ihr zuvorkommendes Wesen die Herzen der Frauen und wurden dadurch auch den Männern näher gerückt. In einer und derselben Soiree konnte man sich mit dem Marschall von ContadcS, dem Marquis de la Salle oder mit Herrn Gayot über Staats-Angelegenheiten unterhalten, durch die Familie von Löwcnhaupt oder durch Obersten Silverstolpe Neuigkeiten vom Hofe Gustav'S III. erfahren, von Rasummorsi, dem Heimann der Kosaken, die Einzelheiten über die Ermordung Peter's III. erfragen; man konnte den Abb« Grandidierhören, den gelehrten Schöpflin, wenn er über die vaterländische Geschichte sprach, Dietrich, wenn er sich über seine metallurgischen Ent- deckungen, Spielmann, wenn er sich über seine Medaillen, und Brunck, wenn er sich über den Sophokles oder den siebenjährigen Krieg unterhielt. In einem Winkel des Saales machten die Mitglieder des Munizipalrathes Opposition gegen den König, gegen die Minister und den Intendanten von Elsaß. Ihnen gegenüber gruppirtcn sich die Frauen, von denen ein Theil an den Ufern der Seine, der andere am Baltischen Meere, der dritte in Straßburg geboren war, und die alle sich als vortreffliche Französinnen erwiesen. So verschmolzen sich die Nationalitäten zuerst in den oberen Kreisen der Gesellschaft, von dem berauschenden Hauche der Macht, der Wissenschaft und der Schönheit in ihrer Starrheit überwältigt. Hiernächst gestalteten sich die Familienkreise aus den mittleren Klassen um, welche durch Vergnügungssucht oder Ehrgeiz getrieben wurden, sich denen äußerlich gleichzustellcn, die durch ihre Geburt vor ihnen bevorzugt waren. Die Sitten gewinnen bei der Be rührung verschiedener Nationalitäten nie. Straßburg hat im Handel wie in der Wissenschaft, seit cS sich dem Französischen Geiste angeschlossen hat, sich unbedingt verbessert, doch auf Kosten seiner Sittenstrenge. Auch waren die irdischen Güter früher gleichmäßiger verthcilt. Im sechzehnten und sieb- zehnten Jahrhundert dachte Niemand an Häuser für Arme und für Findel, linder; im Jahre 1770 wurden sie nothwendig. Eine philanthropische Gesell, schäft konstituirte sich in demselben Jahre; das Staatsschiff fürchtete schon, an der Sandbank der Verarmung zu stranden. Alles dies war für den Tiefer«