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206 ES ist schwer, im Besitz eines so reichen Schatzes interessanter Data gei zend zurückznhalten. Aber ich fürchte durch Aufzählcn allzuvielcr Einzclnheiten den Umrissen des Gesammtbildes Eintrag zu thun. Darum aus der Menge der im Munde des Volkes lebenden Erzählungen nur noch eine der jüngsten, die in vielfacher Beziehung bezeichnend und durch wohlkundige Berichterstatter verbürgt ist. Nachdem der Papst wegen Einberufung von Provinzial-Depu- tirten als Erössncr und Berathcr der Bedürfnisse des Volkes mit den einzelnen Kardinälcn sich besprochen und die Mehrzahl mit sich einverstanden gefunden batte, war er nicht wenig verwundert, bei der Abstimmung im versammelten Kollegium einer nur geringen Zahl von weißen Kugeln zu begegnen. Ruhig legte er diese neben die bei weitem überwiegenden schwarzen vor sich hin und sagte, indem er über letztere sein weißes Käppchen breitete, mit fester Stimme, cs scp nicht schicklich, daß in dem zur Eintracht bestimmten heiligen Kollegium verschiedene Färbung herrsche. Somit war die Einheit der Vota hergestellt und der wichtige Akt entschieden. Fassen wir die Hauptmomentc seines bisherigen Thuns ins Auge, so sehen wir bei PiuS überall ein Hinzielen auf moralisches Einwirken, auf Erziehung seines Volkes zu sicherem Fortschritt, ein Strebe» nach Aufklärung des Geistes und nach bürgerlicher Wohlfahrt, so weit solches in den gegebenen Verhält nissen nur irgend zu erreichen steht. So bezwecken seine Erlasse zur Minde rung und zur Reform der Klöster, eben so wie wir bei dem Censur-Edikt ge sehen, ein Abschcidcn des MönchswesenS von dem Einschreiten in die bürger lichen Verhältnisse, ein Hinweisen der Geistlichen auf das, was ihres Amtes ist, und Sonderung von angcmaßten weltlichen Geschäften, wodurch zugleich die Klostcrzucht gefördert und Nichtgeistlichcn ein weiterer Spielraum zu amt licher Thätigkcit eröffnet wird. Dazu die besonders angewiesenen Vorübungen für die einzelne» Zweige zum Eintreten in den Staatsdienst. Mit welcher kühnen Rücksichtslosigkeit dieser humane Geist ein als nothwendig Erkanntes verfolgt, beweist die Umgestaltung der ^eademis ecclexia^lica, wo Söhne aus hohen Familien, als Abbaten cintrctend, für die höheren Staats- und Hof- stellcn herangezogen wurden, auch ohne die für solchen Beruf nöthigeu Eigen- schäften des Geistes und des Herzens zu besitzen. Zufolge der neuen An ordnung ist der Eintritt nur unbescholtenen Priestern »erstattet, die den Dok torgrad der Rechte oder der Theologie bereits erlangt, und somit nur wirk licher Befähigung die Bahn geöffnet. Zugleich aber find für das Volk sehr wesentliche Einrichtungen zur Verbesserung des Schulwesens getroffen, in welche vornehmlich auch der Unterricht in der Geschichte, namentlich der vater ländischen, einbegriffen ist; auch wird für Stiftung bürgerlicher Schulen Sorge getragen, welche nicht unter Geistlichen stehen, und welche den Behörden der Provinzen dringend zu eifriger Förderung empfohlen sind — ein außerordent licher Schritt, demzufolge man der Heranbildung eines ganz neuen Geschlechts im Kirchenstaate entgegensetzen darf. — Ferner ist die Kriminal-Justiz verein facht und nach Möglichkeit jeder willkürlichen Handlung entzogen. Auf Mehrung des öffentlichen Wohlstandes und Minderung der Noth zielen vor nehmlich die Verordnungen zum Anbau todt liegender Gründe, in deren An wendung der Gesetzgeber selbst mit ermunterndem und förderndem Beispiel vorangcht. So läßt er die pontinischen Sümpfe mit Reis bebauen, und eben so wird die römische Eampagna in ihren verschiedenen Bezirken mit den geeigneten Feldfrüchten bestellt werden. Nachdem mit den Staatsdomaincn und den Gründen, welche Kirchen und Klöstern zugehörcn, der Anfang gemacht worden, hat Pius den Fürsten und großen Grundbesitzern erklärt, er erwarte dasselbe von ihnen; wo nicht, so sehe er sich genöthigt, als Staatsoberhaupt zum Besten seines Volkes einzuschreiten. Zu gleicher Zeit sind umsichtige Verordnungen erlassen, den Mangel des GetraideS zu verhindern, Abgaben auf nothwendige Verbrauchsgegenstände (z. B. auf Ocl, Salz) aufgehoben oder herabgesetzt, die Preise von dergleichen niedriger gestellt, und durch strenge Gesetze ist auf daö kräftigste den Wucherern und Aufkäufern gesteuert, einzelne Nebcrtrctungsfälle werden mit unerbittlicher Strenge geahndet. Wenn durch Einführung der Eisenbahnen der Verkehr mit dem Auslande wesentlich ge fördert und vermöge der daraus hervorgehcndcn vielseitigen Verbindungen eben so geistiger Austausch als materielles Wohlscpn gesteigert wird, so stellt die Bildung der Nationalgardc den doppelten Vortheil zweckmäßiger Entwicke- lung der Volkskraft zum Wohl des Staates und bedeutender Ersparnisse durch Minderung der eigenen und dnrch gänzliche Abschaffung der fremden Truppen in Aussicht, was als moralischer Hebel durch Banne» des letzten Scheins von Mißtrauen von unberechenbarer Wirkung seyn muß. — Die nächst bevorste hende, bereits eingeleitcte Maßregel ist die Einführung einer Municipal-Ver- fassung für die Stadt Rom, wodurch ein seit undenklichen Zeiten cingerisscncü Heer von Mißbräuchen der Willkür, an welchem nur die Hauptstadt des Lan des litt, mit Ler Wurzel vertilgt und auch hier tüchtigen Kräften ein angemesse ner Spielraum eröffnet wird. Neben diesen größeren, umfassendere» Anordnungen verdienen nnnvcstcnS eine Andeutung auch solche, die in einem engeren Kreise öffentliches Wohl er. zielen. Dahin gehört die jüngst erst vorgcnommcue Beseitigung der Dach rinnen und die demnächst bevorstehende Anwendung des Gaslichts. Bon der Bedeutung der crstberührten Veränderung für Rom können Diejenigen sich einen Begriff machen, welche die höchst unzweckmäßige frühere Einrichtung ge kannt, die zur Fiegenzeit die ganze Stadt in eine fortgesetzte Traufe ver wandelte und es in engeren Straßen fast unmöglich machte, einer fortlaufen den Kette von Sturzbädern zu entgehen. Die römischen Kutscher, die, nicht selten Stunden lang der kalten Taufe ausgesetzt, am meiste» unter dem alten llcbelstand zn leiden hatten und ihre meisten Krankheiten denselben zuschriebeii, haben die neue Anlage durch ein Freudenfest gefeiert ; und man darf behaupten, daß ganz Rom, sich selbst glückwünschend, an demselben Theil genommen. Bon einem Herrscher, der mit solchem Ernst und solcher Umsicht im Größten wie im Kleinsten das Wohl seines Volkes ins Auge gefaßt hat, darf man sicher auch das endliche Aufheben des Lotto, dieser großen Demorali sations-Anstalt vornehmlich der unteren Klaffen, vorausverkündigcn. Und wo wäre dies grauenvolle, privilegirte Hazardspiel mit seinen immer sich erneuen den und erweiternden Abgründen moralischen und materiellen Verderbens minder an seiner Stelle als in einem geistlichen Staate? Pius hat vielleicht mir Eine Art von Feinden — die Nachtgespenster, denen das Wittern der Morgenluft Vorbote ihres nahen unvermeidlichen Ab zuges ist. Im Ucbrigen ist wohl niemals noch einem Papste solch' allgemeine Liebe zu Theil geworden als ihm, selbst unter den in Glaubensangelcgenheitcn von ihm abweichenden Parteien verschiedenster Färbung. Das ist eS auch, was besonders fromme Katholiken mit der Hoffnung erfüllt, cS werde unter der Herrschaft dieses hochherzigen Priesterkönigs — Ke Laeerüote, wie PiuS häufig im Volke genannt wird — die ganze Welt Ein Hirt nnd Eine Herde werden. Ob die Verwirklichung solch' übergreifender Erwartungen auch nur denkbar scp, mögen aufmerksame Leser deö an alle katholischen Bischöfe ent sendeten Rundschreibens vom neunten November t8i<i ermessen — ein Doku ment, das alle mittelalterlichen Ansprüche des päpstlichen Stuhles ungeschwächt und ungeschmälert aufrecht erhält nnd mit einigen neuen, auf die Gegenwart besonders bezüglichen Anforderungen und Strafandrohungen vermehrt, und bei dessen Betrachtung man unwillkürlich an des großen Staufen Wort erin nert wird, es könne nimmer ein Papst Ghibellin werden. Wie dem aber auch sep, der bedeutende Einfluß Pius des Neunten auf alle Welt bleibt »»geschmälert, schon als Beispiel einer solchen Mcnschennatnr auf dem Throne. Auch geht ans all' seinen bisherigen Handlungen deutlich hervor, daß er, seine große Ausgabe und seine schwierige Stellung gleichmäßig erkennend, ruhigen und festen Schrittes seine Bahn verfolgt, eben so unbe kümmert um das im Finstern schleichende Getriebe rückschrittssüchtiger Dun kelmänner und Ränkespinncr, als um das mahnende Geschrei der allzu Hasti gen und Drängenden, die ohne Erwägen der Sachlage das Unttzunliche, für den Augenblick Unmögliche verlange». Ob er den Anforderungen der zwar besonnen, aber doch entschieden ans ihn Bauenden innerhalb der Schranken seiner Stellung jemals wird entsprechen können? — Wenn Iphigenie von ihre»! gewaltigen Ahnherrn sagt: „ — — Zum Knecht zu groß, und zum Gesellen De§ großen DonnrcrS nur ein Mensch" — so dürste man, auf Pius den Neunten angewendet, diese Worte also um- wandeln —: Zum Sklaren üarrcr Satzung allzu edel Und frei gesinnt; der Zeit und ihrem Drange Vollkommen zn genügen, allzu sehr Von unansloelich starrem Nen umsponnen. Wer aber darf bei einem Manne, der, aus stillem Wirkungskreise plötzlich zur Herrschaft berufen, binnen kaum zwölf Monaten unter den bcdrängtesten Verhältnissen so viel des Bedeutenden ausgeführt und vorbereitet, der mit der reinsten Mischung von Weisheit und Liebe, Kraft und Milde, Strenge und Nachsicht die größten, fast unübcrsteiglich scheinenden Schwierigkeiten besiegt und auf einem Thron, von dem man seit Jahrhunderten nur gewohnt war, Stagnation und rückhaltende Maßregeln zu erwarten, jeden Tag die Welt mit neuen «»geahnten Fortschritten überrascht, wer darf bei einem solchen die Entwickelung der Kräfte und der Mittel nach hergebrachtem Maßstabe er messen nnd berechnen wollen? Polen. Politische Bemerkungen uns einer Reise nach dem Großherzogthnm Posen. (Fortsetzung.) Schucidemühl ist eine Gränzstadt des GroßherzogthumS, die nur deutsche Einwohner hat. Hier trennte ich mich von nicinen Reisegefährten. Ich fand Vic Bevölkerung in cincr gewissen Aufregung, wie ich sic hier nie zu vor wahrgcnommen. Das Wort „Anschluß an den deutschen Bund" war die Losung des Tages. Die aufgeregte Stimmung wurde noch erhöht, als wenige Stunden nach mir ein Ministerial-Reskript eintraf, in dem Herr v. Auerswald crklärtc, cs werde wegeu des Anschlusses der Nctzkrcise an Wcstpreußcn bereits im Kabinette und im Ministerium bcrathen, und er könne vorläufig die Vcr- sicherung geben, daß bald eine königliche KabinctS-Ordrc einen definitiven Be schluß verkündigen werde. Schon an demselben Nachmittage kam mit Estafette die Ordre, welche den Netz-Distrikt von der Reorganisation ausschloß. Unge meiner Jubel verbreitete sich durch die Stadt, den Abend wurden alle Häuser illuminirt, Musik zog durch die Straßen, und dem großen Volkszuge wurden die deutsche» Fahnen vorangetragen. Die Bromberger Volksversammlung war durch den Central-AuSschuß als unnöthig abbestellt. Hierzu war der Ausschuß nicht befugt, auch konnte er über die Nothwendigkeit nicht entscheiden. Eine ängstliche Bcamtcnpartei hatte die Versammlung hintertrieben, dcrnocheinc wich tige Aufgabe zu lösen blieb, nämlich die Beschickung der deutschen National- Bcrsammlung zu berathcn. Ich freue mich, diese Frage angeregt zu haben, sie ist die Krone der ganze» Verhandlungen über diesen Punkt und macht eine schnelle Entscheidnng unvermeidlich. Man möchte wünschen, daß in den