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1L2 die Kränzen von Rußland geflüchtet, nach Polen, Kleinrußland und zu den dänischen Kosaken. Verbannung, Gefängniß, Confiscation des Eigenthums haben sie ost getroffen; dessenungeachtet gicbt cS ihrer noch fast in allen Pro vinzen. Einige von den Sekten, welche unter dem allgemeinen Namen Raskolnikcn begriffen sind, verwerfen zugleich die alte und die neue Liturgie, alte und neue Bilder; sie leiten aus dem Worte Gottes selbst ihren Glauben ab. Man hatte öfter sich vergebens bemüht, sie in die herrschende Kirche zurückzuführen; da erlaubte ihnen Katharina II. in einem Ukas, daß sie die geschriebenen alten gottesdienstlichen Bücher ferner brauchen dürften, und forderte sie auf, regelmäßig geweihte Priester aus der Mutterkirche anzunehmcn. Viele gingen darauf ein, die Verfolgungen hörte» auf, und danach findet man jetzt bei den Scktircrn eigene Priester und Kirchen. Viele Sekten aber halten sich im Ver borgenen, ohne von der Regierung beachtet zu werden. Die Vuckvbortri find besonders zahlreich. Auf kaiserlichen Befehl sam melte sich eine Kolonie von ihnen aus allen Theilen des Reichs, 2S0V Seelen stark, und ließ sich in acht Dörfern nieder am Flusse Molochnia und am Asowschcn Meere. Sie zeichnen sich aus durch reinliche Kleidung, wohlgebaute Wohnhäuser, ehrbare Sitten und vorzüglich angebaute Felder. Man hatte ihre Grundsätze verdächtig gemacht, und der Militair-Gouvcrneur von Cherson wollte sie vertreiben. Sie wandten sich im Jahr 1816 selbst an den Kaiser Alexander, und dieser nahm sie in Schutz. Seit 1770 hatte ihre Zahl gerade während der Verfolgung immer zugenommen, und die aufAlerandcr's Befehl im Jahr 1802 gegründete Kolonie sollte sie nun sicher stellen. Der Kaiser erkennt in seinem Reskriptan, sie haben Eifer fürden Glauben, wenn auch ohnedie rechte Ein sicht und Bildung ; ihre Zurückführung zur Kirche dürfte nicht durch Gewalt und Unterdrückung geschehen. Immer zeigen die vuckobortri eine gewisse Zurück haltung; ähnlich den Quäkern sprechen sie von einem inneren Licht, einer un mittelbaren Eingebung, verwerfen die äußere Taufe und das heilige Abend mahl. Sie wählen aus ihrer Mitte Aclteste, und die ganze Gemeinde weiht sie durch Handauflegung und Gebet für ihr Amt ein. Sie brauchen beim Gottesdienst nur die Bibel nebst einer Erklärung derselben für den Hausge brauch, dazu freie Gebete. Die lUolocKani legen besonderen Werth auf den Liebeskuß. Bei der Be gegnung verbeugt sich Jeder sehr tief gegen den Anderen, weil Jeder ein Tem pel des heiligen Geistes sep und das Bild Gottes in der Seele trage. Manche wollen von keinem jüngsten Gericht etwas wissen und sagen, Christus sep schon wiedergekommcn. Viele wollen das Wort Gottes in sich tragen mit Ver werfung der Bibel; auch sind viele Deisten unter ihnen. Der Mangel an Schulen und an ordentlichen Geistlichen macht sich sehr bemerkbar. Einzelne Mitglieder der Sekten kommen wohl zu einer achtungswcrthcn geistigen Tüchtigkeit, so daß sie auch sich aus der heiligen Schrift wohl zu vcrthcidiqcn wissen. Einer von den Ducllobortri wurde von einem Archiman- driten geprüft, da gab er seine Ansicht über die wahre Kirche folgendermaßen zu erkennen: „In ihr ist nur ein Hirte Jesus Christus, der sein Leben für „seine Schafe gegeben hat; eS ist eine Kirche heilig, apostolisch, geistig, un- „ sichtbar, von der gesagt ist: wo zwei oder drei in meinem Namen vcrsam- „melt sind, da bin ich mitten unter ihnen; da knüpft sich die Verehrung an „keinen sinnlichen Gegenstand, da sind das die wahren Lehrer, die einen tu- „gendhastcn Wandel führen, da gehorcht man dem Worte Gottes mit dem „Herzen, und jenes kömmt herab auf das Herz gleich dem Thau, und cs geht „ aus demselben wieder hervor gleich einem Wasserquell im Gebirge." Es mögen die Sekten zusammen mehr als 2 Millionen Seelen enthalten; sie finden sich vornehmlich in den Handelsstädten und im Süden von Rußland. Das Wachsthum der Sekten wird durch das Verbot gehindert, welches einem Ucbertritt von Mitgliedern der Landeskirche entgegensteht, auch dadurch, daß bei gemischten Ehen die Kinder immer als Mitglieder der Landeskirche ge- tauft werden. Die kämst« sind durch die Jesuiten vornehmlich zum Ucbertritt in die römische Kirche bewogen worden. In den slavischen Ländern, besonders in Serbien, hat die römische Kirche sehr viele von der griechischen herübergezogen. Die Geistlichen von Kleinrußland waren durch eine strenge Verfügung des Patriarchen von Konstantinopel ausgebracht worden und gingen inSgesammt im Jahre IS»S unter gewissen Bedingungen zur römischen Kirche über. In vielen Städten finden sich neben den griechischen Kirchen und Klöstern anch römische. Weil die Jesuiten eine so bedeutende Thätigkeit entwickelten, kam ein kaiserlicher Befehl heraus, daß nur Kinder der Römisch-Katholischen ihre Schulen besuchen dürften. Der griechische Erzbischof von Moskau, Philaretcs, veröffentlichte eine vergleichende Ucbcrsicht der griechisch - orthodoxen und der römischen Kirchen; in ihr sind manche Punkte sehr entsprechend der protestan tischen Auffaffungswcise. Mannigfaltiges. — Die SonntagSseier nach neusranzösischcr Ansicht. Pierre Leroux, ein philosophischer Schriftsteller von großem Einflüsse auf die jetzigen Zeitbewegungen in Frankreich, hat durch drei seiner Schüler Abhandlungen über die Sonntagsfeier ans sozialistischem Standpunkte schreiben und diese zu sammen abdrucken lassen. Wie in der pythagoräischen Zahlenlehre und im Hegelschen System, so wird auch von Leroux überall eine Trias zum Grunde gelegt, und zwar unterscheidet er in der Kritik die sinnliche Wahrneh mung (Sensation) von der Empfindung (sentimeot) und der Erkenntniß (oonnaissance). Diese drei Kriterien, meint Leroux, obgleich niemals in einem und demselben Individuum harmonisch und vollständig vereinigt, führen doch zusammen erst zur Wahrheit. Es wird also, um letztere zu begründen, weder der Verstand allein, noch das Herz allein, noch endlich die Synthesis von beiden allein ausrcichen, sondern es bedarf dazu der Zusammenwir kung dreier verschieden organisirtcr Individualitäten. Nach dieser Theo rie haben sich denn auch die Herren Gregoire Champseir, Aug. Des- moulins und Luc Desagcs vereinigt, um über die SonntagSseier ein Ur- thcil festzustellcn, das in seiner Gesammtheit die Beibehaltung derselben für nothwcndig erklärt. Der Sensualist, Herr Champseir, betrachtet den Sonntag, indem er den beseligenden Anblick schildert, den unsere Woh nungen, unsere Städte, unsere Gefilde an diesem Tage darbieten. Der Sonn tag erscheint ihm als ein regelmäßig wiederkehrendes Einathmen der frischen Luft, als eine Rückkehr zu der mütterlichen Pflege der Natur. Auch meint er, daß die siebentägige Woche ein in der menschlichen Tradition fest begründetes und nicht wieder zu vertilgendes Moment sey. Die Revolution von 178» habe sich vergebens bemüht, die Dekade an die Stelle der Woche einzuführen; der D «cadi habe keine Sympathie gefunden, da er dem Bedürfnisse der wöchent - lichen Unterbrechung der Arbeit nicht entsprochen habe. — Herr DeSmou- lins, der Mann des Gefühls, weist nach, daß der Mensch geschaffen sey, um mit anderen Menschen zusammen zu leben, und daß der Sonntag noth wendig sey, um den Begriff der Gesellschaft zu verwirklichen. Die Religion lehre uns, uns zu vereinigen, und der Sonntag sey der Tag der Communion und der Verbrüderung (srmsrnire). Um die letztere wie- derherzustellcn oder zu befestigen, sey der Ruhetag eingesetzt, an dem wir in uns selbst zurückkehren und unsere Aufmerksamkeit auf unsere Be ziehung zu Anderen richten sollen. Die ewigen Gesetze Gottes, zu welchen insbesondere das dcr Menschenliebe und Verbrüderung gehöre, sind es vor Allem, mit denen wir uns an diesem Tage vertraut zu machen haben. — Der Erkenntniß-( Verstandes -) Mensch endlich, Herr DesageS, nennt den Sonntag den Tag der Gleichheit (also auch hier kehrt die Formel der Freih eit in der Naturanschauung, der Verbrüderung im Gefühls leben und der Gleichheit in der reinen Verstandesauffassung zurück). Der Sonntag soll, nach Herrn Desagcs, dazu dienen, das Gleichgewicht zwischen unseren Fähigkeiten herzustcllen. „Das Problem ist", sagt er etwas dunkel, „vermittelst eines gewissen Gesetzes der Association und dcr Communion unter den Menschen zu bewirken, daß jeder Mensch die in ihm vorherrschende Fähig keit — in Industrie, Kunst oder Wissenschaft — so anwcnde, daß sie die Einheit in ihm selbst nicht aufhcbe- Ein solcher Zustand der Einheit oder Harmonie der sinnlichen Wahrnehmung, des Gefühls und dcr Erkenntniß wird Gleich heit dcr Seele (ögalito ü'-nne) genannt." Von Woche zu Woche sollen wir in dieser Seclcncinhcit und Gleichheit uns vervollkommnen, und daher ist auch aus Verstandesgründen der Sonntag unentbehrlich. — Dies ungefähr ist das Gcrippe der neuen triadischen Theorie, die aber eben nur eine Theorie ist, wie alle anderen, und die religiöse Grundlage dcr SonntagSseier da, wo sie er schüttert ist, schwerlich zu ersetzen vermag. — Börösmarty Mihuly und Petöfy Ssndor. Diese beiden hervorragenden Vertreter der modernen ungarischen Literatur haben be gonnen , William Shakespeare's sämmtliche Dramen ins Ungarische zu über setzen, von welchem Unternehmen demnächst der erste Band auSgcgeben wird. Rechnen wir besonders dazu, daß VöröSmarty die englische Sprache wie die seines eigenen Landes kennt, dabei Philologe und Dichter ist — sein lieber, setzertalent auch schon durch Lear, Coriolan, Jul. Cäsar und Richard IN. be- urkundete — so ist zu erwarten, daß dieser ungarische Shakespeare dcr deut schen Schlegel-Tieckschen Ausgabe nahekommen werde. Uebrigens ist Shake- spcarc in einzelnen Dramen schon früher dem ungarischen Publikum durch Kazinczy, Döbrentci, Toth und Szemere bekannt, und schon seit Jahren auf dem Repertoire des ungarischen Nationaltheatcrs; endlich wurde eben im vorigen Jahr s 1847) eine GesammtauSgabc in 24 Bänden — übersetzt durch Fräulein Emilie Lemonton — beendet, und somit huldigt auch die ungarische Nation dem britischen Genius auf vielfache Weise. Literarischer Anzeiger. Durcli alle Uuchksnülungen ru haben: I)il8 Keperioire >Iv Maire fravyLis a öerlm enthüll üio clsssiscben 'rrsgöüien von Lheüre, ^nüro- msqne, Iphigonie, Lstlier, tjritsimicu«, 4thslie, Illithriüste unü üio Lome- üie: Des plsülenr«. Von D»r»»«llII«^ klaraee, Oinna, Oiü, koüogune, pnl^eucte. Von Voltcslrbr IVI-simmet, Zsire, IVlerope. Von üie komeüie«: 'IsnuUd, D'^vare, dlaleüe imsginsire, »issntkrope, üour- geois-genlilhonnne, Döpit amaureux, k emmcs ssvantes, lyöüecin mslxrc lui, Lcvle üe« insri«. Von K« üio Loineüie«: Karbier üe 8e- ville, öüarisgo üe Vigero, Illere cnupsble. ferner: Diogene, Dreine per Ducrece, ürsine psr Lonssrü, Da eigne, per Augier, Antigone, per 8 opbocIe. gr. 8. br. e 5—"b 8gr. Perlin, Schlcsinger'sche Puch- und Musikhandlung. Herausgegeben und rcdigirt von I. Lehmann. Im Verlage von Neit «L Comp. Gedruckt bei A. W. Hayn.