Volltext Seite (XML)
Wöchentlich "scheinen drei Nummern. Pränumeration« - Prei- 22z Sitdergr. (j Thlr.) vl««-ljährlich, » Thlr. ,«r da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Th-ilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., JSgcrstraße Nr. 28), so wie von allen König!. Post-A,intern, angenommen. Literatur des Auslandes. Berlin, Sonnabend den 4. März 28. 1848. Frankreich. Gedanken über das Volk-") Von Dan. Stern (Gräfin v. Agoult). I. Die Mode zieht die erhabensten Ideen des Jahrhunderts in ihr Reich, und ihr Einfluß reißt die Männer, welche die bewegenden Gedanken der Zeit aus» sprechen und erläutern, zu den unsinnigsten Uebertreibungen hin. Beredte Stimmen haben die Sorge der Mächtigen und Begüterten der Lage des nie deren Volkes zugewendet. Man hat für die Rechte desselben Anerkennung und Achtung gefordert, man hat Mitgefühl für seine Noth erweckt und Mittel ge- sucht, ihm aufzuhelfen. Bis dahin ist man wahr und gerecht gewesen. Bald aber stellte sich unter den Vertheidigern der Volkssache ein Wetteifer und ein Ringen nach Popularität ein, und dies hat sie vom rechten Wege abgelenkt. Die Einen, auf die Furcht der Reichen und den schlechten Geschmack der Menge spekulirend, schilderten, anstatt ein treues Bild der untersten Klassen zu entwerfen, Ungeheuer, moralische Mißgestalten, die unser Inneres empören und den Widerwillen, mit dem sich viele zartgeartcte Naturen von der rohen Masse abwenden, noch vermehren müssen. Die Anderen, zu einer philanthro pischen Poesie hinneigend, schrieben Bücher auf Bücher, die an Uebertreibungen den Ritterromancn gleichkamen, an denen sich unsere Väter ergötzten, um uns durch erfundene Beispiele zu beweisen, daß allein das Volk im Besitze aller Tugend sey und allein in ihm der Geist unserer Zeit gesucht werden müsse. ES wäre überflüssig, hier den verwerflichen Jrrthum derjenigen Schrift steller zu bekämpfen, die das Ideal des Volkes in Blut und Koth gesucht haben Ich bilde mir ein, daß keiner von meinen Lesern an die Mißgeburten dieser Leute glaubt-, aber nützlich scheint mir, darauf hinzudcutcn, wie sehr die Uebertreibungen der erwähnten kommunistischen Ritterromanc vom geraden Wege abirren und der Sache schaden, die sie angeblich fördern sollen. Nichts, was über die Wahrheit hinausgeht, und wäre es mit der höchsten Beredtsam- keit vorgetragen, macht einen nachhaltigen Eindruck. Nun ist cs keineswegeS wahr, daß die Armen allein tugendhaft find, nicht einmal, daß fie es mehr find, als die Reichen; diesen Satz vertheidigen hieße eine eben so falsche, als gefährliche Idee verbreiten. ES hieße behaupten, daß der moralische Sinn in umgekehrtem Verhältnisse zur Bildung steht, es hieße den Vorkämpfern des Fortschritts ihre beste Waffe aus den Händen schlagen. Denn eine solche Be. hauptung könnte viele Menschen auf den Gedanken bringen, daß cs schädlich sey, die Lage des Volkes zu verbessern. Wenn es wahr wäre, daß die edelsten Tugenden im Schutt des Elends blühen, daß der RechtSfinn tiefer wurzle in einem rohen als in einem gebildeten Geiste, so könnte man der Noth des Volkes gegenüber die Hände in den Schoß legen, ja, man müßte die Verän- Lerungcn fürchten, die diese erhabene Sittlichkeit in Gefahr setzen würden. Aber zur Ehre der Menschheit zeigt uns die tägliche Erfahrung, daß das fitt- liche Gefühl fich in demselben Maße läutert und verfeinert, als der Geist sich bildet, daß die Entwickelung des moralischen Sinnes durch äußeren Wohlstand gefördert, durch äußeres Elend niedergchalten wird. Ein Weiser des Alter- thumS sagte: Keine Tugend kömmt einem Sklaven zu. Sind aber die unter- sten Klassen des heutigen Volkes nicht noch im Zustande der Sklaverei? lieber den Pflug oder den Webstuhl gebeugt, wie ein Lastthier mit Bürden beladen, schlaff vor Ermüdung, schlecht mit Nahrung, schlecht mit Kleidung versorgt, erniedrigt und fich niedrig achtend, das Elend erbend und vererbend, schleppt der Arme im Schweiße seines Angesichts sein Dascyn vorüber an des Lebens grünen Höhen durch den Schlamm. Und ein Solcher sollte vor allen anderen die edelsten Eigenschaften des menschlichen Geschlechtes besitzen ? Ein Dichter, der den Muth hätte, in die Tiefen der Gesellschaft hinabzu. steigen und diese Hölle unserer Zeit zu durchwandcln, würde daraus zurück- kommen, wie jener Florentiner, blaß vor Schauder und die Phantasie erfüllt mit unauslöschlichen Gesichten. Und verstände er es dann, in der einfachen und kräftigen Redeweise der Alten zu schildern, was er gesehen, so könnte diese -) Wir brauchen wohl nicht erst z» bemerken, baß diese Gedanken niedergeschrieben und in der Ursprache gedruckt waren, bevor die letzten Ereignisse in Frankreich eingetreten. Aber nicht überßlWg scheint un« die Bemerkung, daß die Versagerin, Frau Gräfin Agoult, «ine Mitarbeiterin der k-vu« lvckvpvock»»«« ist und zu demjenigen Kreise von Schrift steller» gehört, deren Ideen jetzt in Frankreich die vorherrschenden find. Eben so wie man in Loui« Blanc'« Darstellung der Revolution von I7W sämmtliche Formeln und Stich- Worte der neuesten Pariser Proklamationen bereit« vorfinden kann, so werden vielleicht dies« Gedanken über da« Volk eine Erklärung zn manchen neu austauchenden Gesetzgebung«- und Reformirung«plänen liefern. „menschliche Komödie" an Erhabenheit ihrer Schreckgebilde der „göttlichen Komödie" wohl gleichkommcn. Was den Menschen vorzüglich gegen sein Geschick erbittert, ist nicht, daß er neben fich Macht und Reichthum ficht und diese Güter nicht erreichen kann; denn anzustaunen und zu gehorchen liegt in seiner Natur und erniedrigt ihn weder, noch kostet es ihn Ucberwindung. Jene Erbitterung stammt vielmehr ans dem Mißverhältniß zwischen seinen geistigen Fähigkeiten und seinem Loose, aus der Unmöglichkeit, in der er fich so oft befindet, zu seinem und seiner Mit- Menschen Vesten die Kräfte ins Werk zu setzen, die er von der Natur empfan gen hat. Nun aber ist in der Gesellschaft, wie man fie uns zugerichtet hat, eigentlich Niemanden freit Hand zur Ucbung aller seiner Fähigkeiten ge- lassen, denn, wenn die Armen von der Noth niedergehalten werden, so leitet wiederum die Reichen ein solcher Geist der Verblendung, daß fie, obwohl scheinbar von allen Seiten begünstigt, meist ihren natürlichen Beruf verfehlen. Unsere Erzichungssysteme zwängen die Kinder, unsere Sitten die Frauen, un sere Vorurtheile die Männer ein, und anstatt uns allein von der großen Noth- Wendigkeit bändigen zu lassen, die das Schicksal uns auf den Nacken setzt, machen wir uns zu Sklaven von tausend selbstgeschaffeaen, kleinlichen und wi- derfinnigen Nothwendigkeiten. O, wenn eS doch anders wäre, wenn wir es verständen, wie man, ohne aus eine chimärische Gleichheit auszugchen, das Reich der Gerechtigkeit unter Len Menschen gründet, jener Gerechtigkeit, die einem Jeden so viel Wissen, Arbeit und Besitz zutheilt, als seinen Bedürfnissen angemessen ist. Ohne diese wesentliche Uebereinstimmung zwischen dem inneren und äußeren Leben, die, ich fühle cs, eines Tages zu ihrem Rechte kommen muß, werden alle Be- mühungen der Volkserziehcr und StaatS-Ockonomcn, alle Verbesserungen, die aus Herstellung der Gleichheit htnarbciten, erfolglos bleiben und die freiesten Einrichtungen die Erwartung hinter fich lassen. Das Wort Gleichheit ist in der Sprache der Politik zu zweideutig, cS ist zu vielen Auslegungen unterworfen und bcvarf zu vieler Erklärungen. Simple Geister verwechseln die Gleichheit gewöhnlich mit der Gleichförmig, keit und setzen sich auf diese Weise ein unsinniges Ideal in den Kopf. Die Menschen werden weder gleich an Kraft, noch an Schönheit, noch an Geist geboren, die Natur ist hierarchisch; aber sie hat in jeden Menschen ein Streben gelegt, seine Neigungen »nd Fähigkeiten mit einander in Einklang zu bringen, und dieses Streben würde ihn zum Glücke führen, wenn sich demselben nicht verderbliche Gesetze entgegenstellten. Indem die Gesellschaft für die Einen künstliche Bedürfnisse schafft, ist sie gezwungen, den Anderen die Befriedigung rechtmäßiger Bedürfnisse zu versagen; indem fie durch die Ungleichheit des Unterrichts Privilegien gründet, durch welche die künstlichen Aristokraticcn fort und fort aufrecht erhalten werden, verschmäht und unterdrückt fie die natür- lichen Aristokratiecn, die fich unter der Sonne der Freiheit zum entschiedenen Vortheil des Gemeinwohls entwickeln würden. Was auch die Spartaner der Schreibstube sagen mögen, das Glück der Menschen wird wenig dadurch ge. fördert, daß Alle dieselben Gerichte essen, sich in dieselben Stoffe kleiden und in gleich prächtigen Häusern wohnen. Nicht die Würde, noch der Reiz des Lebens werden um diesen Preis erkauft; im Gegenthcil, die Menschheit ginge vor langer Weile zu Grunde, wenn die Mannigfaltigkeit der Lebensweisen der Verschiedenheit der Charaktere und Bildungsstufen nicht entspräche. Solche gleiche Vertheilung der äußeren Lebensfreuden würde — wäre fie nicht schon die unausführbarste — auch eine kindische Schwärmerei der Philanthropen seyn. Euer System ermangelt nicht der Erhabenheit; aber es hat einen ge. wissen Blutgeruch, der cö mir verdächtig macht. Euer Ideal ist eine schöne Blüthe des StaatSlebenS ; aber Schade, daß man fie nur erobert, wenn man seinen Pfeil auf seinen Nebcnmenschen richtet. Es giebt Leute, welche glauben oder vielmehr zu glauben vorgeben, daß die Reformatoren unserer Zeit, wenn fie mit Saint. Simon'S einfachen und gewichtigen Worten „die Verbesserung des Schicksals der zahlreichsten und ärmsten VolkSklaffe" verlangen, wollen, daß der Mann aus dem Volke in einer Karosse fahre, von feinem Porzellan esse und fich in wcrthvolle Stoffe kleide. „Wer" — fragen diese klugen Leute dann — „wird uns Brod backen, Kleider nähen, oder das Land bestellen?" — So aber ist die Weise der kleinen Geister, daß fie den großen Ideen lächerliche Uebertreibungen anhängen, um endlich durch einen Spott Recht zu haben. Sind fie denn wirklich wahnwitzig, die Männer, die cS nicht allein für möglich, sondern selbst für nvthwrndig halten, daß die Gesellschaft dem Arbeiter