Volltext Seite (XML)
388 wieder hcrgestcllt, als er seinen Gefährten auf ihren neuen Erpeditionen folgte. Die Zeit der Pferderennen war zwar nun vorüber, aber für den Ver ehrer der Englischen Mode giebt's zu jeder Zeit ein eigenthümlicheS Geschäft. Die Londoner Dandys durchziehen gern die Stadt während der Nacht, wobei sie sich auf die lärmendste Weise boren. Diese Art Vergnügen haben sie eigentlich von den Französischen RoueS aus der Zeit der Regentschaft ge lernt und nur nach ihrer besonderen Art etwas großartig umgeformt. Die jungen Gräflein in Frankreich pflegten die Schildwachen ein wenig zu prügeln und die Straßenlaternen zu zerbrechen; die Englischen Dandys haben den Kampf ernster gestaltet und messen sich öfter mit den massivsten Matrosen. So hat denn die Mode zwei Mal den Weg über den Kanal hin und her gemacht. Henri folgte seinen Freunden auf ihren nächtlichen Umzügen; er war für den Faustkampf weit besser gebildet, als für das Pferderennen; er batte auf seine eigene Kosten aus London einen Professor kommen lassen, der ihn in die große Kunst des Borcns eingewciht... Und in der That hatte er auch bereits viele Siege erfochten. Wie viele Kutscher, wie viele Landstreicher hatte er nicht schon auf dem Straßenpflaster von Paris überwunden zurückge lassen! Allein in dieser Art giebt es keinen Helden, der nicht am Ende auch seinen Meister findet. Der siegreiche Anglomane hatte eine unglückliche Stunde, und der geschickte Borer vermochte eS nicht, einen ganz gewöhnlichen Faustschlag zu pariren, der ihm seine drei schönsten Zähne raubte. Während so der körperliche Zustand des Anglomanen sich allmälig vcr- schlimmerte, erlitten seine Vermögens-Umstände kcineSweges minder derbe Stöße. Die Pferde und besonders die in Bezug auf die Rennen angestellten Wetten haben bereits so manchen Mann zu Grunde gerichtet. Die Englische Mode hat stets die Wette im Munde und bei der Hand: es ist in der That eine handgreifliche, finanzielle Logik, ein Mittel, für baares Geld stets Recht zu haben. Unser Henri war leichtsinnig in seinen Reden und ein Wagehals in seinen seltsamen Behauptungen; dies war ein Charakterfehler, den aller Englische Firniß nicht zu verwischen vermochte; er ließ sich oft vcrwegener- weise in ein Par« ein, man führte ihn leicht auf ein für ihn unvortheil- haflcs Terrain, und hier nahm ihn, nach manchen geschickten Wendungen, der Gegner gefangen. Henri war zu sehr Anglomane, um je zurückzutreten; er nahm die Wette an, er verlor und bezahlte sie. Die Lieferanten, die cs mit ihm zu thun hatten, machten sich ebenfalls seine Schwäche zu Nutze. Da eS ihm nie gelungen war, die Englische Sprache gründlich zu erlernen, und er sich gleichwohl einbildete, sie gut zu sprechen, weil er mit seinen Gefährten ein barbarisches Englisch zu schwatzen verstand, « so mischte» gewandte Spekulanten in ihre Kontrakte einige Englische Worte, deren Bedeutung er nicht kannte und die er doch, ohne Erklärung über die selben zu fordern, aus lauter Eitelkeit unterzeichnete; als hierauf die Zahlungszeit herangerückt war, sah er sich den lästigsten Bedingungen unter worfen, und als ein Opfer der Unwissenheit und des Stolzes mußte er die Unterschrift anerkennen und den Schaden büßen. Als zuletzt seine Vermögensunistände beunruhigend wurden, vertraute Henri seine Lage dem besten unter seinen Freunden, einem Anglomanen von gleichem Schlage wie er, an. „Es bleibt dir noch eine HülfSquelle übrig", erwiederte der Vertraute. — „Ja! ich habe noch ein Gut zu verkaufen; aber was hernach?" ... — „Man muß nicht bis auf das Aeußerste warten. Wenn du mir folgst, so wirst du dir diesen letzten Ucbcrrest als einen noch ziemlich guten Schein von Wohlhabenheit zurückhalten und dich vielmehr durch jenes vortreffliche Heilmittel retten, das den Lords und Gentlemen noch nie fehlgc- schlagen ist. Du wirst dich vermählen, du wirst die Tochter eines braven, reichen Kaufmanns aus der City ... oder vielmehr aus der Straße St. Denis heiraten; eine reichgespickte Erbin, die sich zu glücklich schätzen wird, mit einem Dandy verlobt und Frau Baronin von Buzemare zu werden." Der Rath verdiente in Erwägung gezogen zu werden, und das vorge- schlagcne Mittel war um so wichtiger, als cs beinahe das einzige war, wo durch die Verlegenheit leicht abgewandt werden konnte. Henri beeilte sich daher, eine reiche Erbin aufznsuchen. Er war seiner körperlichen Beschaffenheit nach etwas krumm und hinkte ein wenig, aber er hatte Kühnheit und Selbst vertrauen; es blieben ihm noch ungefähr zwanzigtausend Francs Renten, und er gab sich das Ansehen, als besäße er das Doppelte. Im Ganzen genom men, bildete seine Person noch immer eine anständige Partie, und hätte er sich nur die gehörige Mühe gegeben, so würde er bald zwei oder drei dargc- botene Gelegenheiten haben ergreifen können; allein die Anglomanie mischte sich auch hier ins Spiel; er wollte keine Frau, die zu sehr eine Pariserin war. Nachdem so bereits einige Zeit verstrichen, zeigte ihm ein Agent, den er auf Entdeckung heiratslustiger Mädchen oder Witwen ausgesandt, an, daß noch zwei dergleichen sich vorfänden, die in Betreff der Mitgift sehr beachtenSwcrth wären. Henri ward ihnen vorgestellt, er fand sie gleich angemessen, nur wollte er, bevor er zur Wahl schritt, sie noch hinsichtlich der Erziehung, des Ge schmacks und der Sitten näher kennen lernen. Diese Vorsicht war gewiß nicht eben zu tadeln, aber wir wollen sehen, was bei unserem Dandy zuletzt den Ausschlag gab. Die eine dieser Damen lebte still und bescheiden im Kreise ihrer Familie; sie war schüchtern, sittsam und erröthete bei dem geringsten Worte. Die an andere, Mlle. Armide B ..., stand unter der Vormundschaft eines Onkels, der sie schlecht beaufsichtigte und ihr viele Freiheit ließ, die sie aus eine unbe- dachtsame Weise benutzte. Eines Abends traf Henri die Dame im Theater, wo sie sich allein in Be gleitung eines jungen fashionablcn Mannes befand. Darin erkannte Henri sogleich eine Englische Erziehung. Die auf diese Weise erzogenen jungen Damen, sagte er bei sich selbst, werden ganz vortreffliche Frauen. Und sogleich bot er seine Hand der Mlle. Armide, die sie annahm. Jener junge Mann mit dem hübschen schwarzen Auge, den er im Theater bei ihr gesehen, war ihr Gesanglehrer. Nach der Hochzeit richtete der Anglomane sein Haus wieder auf dem ele gantesten Fuße ein: er machte eS zur komfortablen Residenz eines reichbe güterten Baronets. Täglich wurden hier glänzende Feste gegeben, und wäh rend die Damen sich zum Dessert zurückzogen, verweilten die Herren bei Tische, um vollauf zu trinken. Diese Manieren gefielen der schönen Armide nicht, die weniger Engländerin war, als ihr Mann sich's eingebildet hatte. Auch wollte der Anglomane seine Frau, nach der Mode jenseits des Kanals, nöthigen, den Winter auf dem Landgute zuzubringen, wo er der Jagd leiden schaftlich nachhing. Armide lehnte sich anfangs dagegen ganz gelassen auf; sie empfing ihren Gesanglehrer im Salon, während ihr Mann seine Gäste im Speisesaal bc- wirthete: nichtHusrieden mit diesem Privilegium, stellte sich der liebenswürdige Professor bald auch auf dem Lande bei seinem Zöglinge ein. Der Mann sand dies nicht schön und behauptete, daß dergleichen Besuche den Englischen Sitten nicht entsprächen: „Die Britische Mode", sagte er, ,,will, daß die jungen Mädchen frei, daß aber die verheirateten Frauen eingezogen leben." Und da er Miene machte, dies Gesetz in Vollzug bringen zu lassen, so ergriff Armive, um einer solchen Tyrannei bei Zeiten zu entgehen, sammt dem Musiker die Flucht. „Wie ertragen die Engländer dergleichen Mißgeschick?" fragte Henri. „Mit Philosophie und Champagner", antwortete man ihm. Der Anglomane richtete sich ganz nach dieser Vorschrift; er trank so gut und führte ein so frohes Leben, um seinen Schmer; zu betäuben, daß bald die Mitgift seiner Frau denselben Weg nahm, den das väterliche Erbtheil einge schlagen hatte. Jetzt gab es kein Nettungsmittcl mehr. Als er das Ende seines Geldes heranrücken sah, überließ sich Henri einer düstcrn Schwermut-, die ihm gewissermaßen noch angenehm erschien, weil eS eine Englische Krank heit war: der Spleen! Unsere Leser n issen wohl, wohin dies Uebel führt? — Eines Tages, als der Anfall desselben länger und heftiger als gewöhnlich war, laS Henri die Biographie eines berühmten Englischen Ministers, und als er auf der letzten Seite des Buches war, schnitt er sich mit einem vortrefflichen Birming hamer Rasirmeffer den Hals ab. Mannigfaltiges. — Goethe's Faust Flamändisch. Eine mit Sorgfalt gearbeitete Flamändische Uebersctzung des Faust ist (wie wir kürzlich auch bereits unter „Bibliographie" gemeldet) von Hrn. Vleeschouwer (Fleischhauer) erschienen. Der Uebersetzcr hat sich treu an die Verse des Originals gehalten und cs nicht, so wie seine Vettern, die Holländer, gemacht, welche die Jamben der Deutschen und die Trochäen der Spanischen Tragödie in die Form des Fran zösischen Alcrandriners einzuzwängen oder vielmehr auSzudchnen pflegen. (Man vergleiche z. B. die Holländische Uebersctzung der Müllncrschcn „Schuld" von A. van der Hoop jun.) Als Probe des Flamändischen Faust möge das nachstehende Bruchstück des ersten Monologes dienen: Faust. 'k beb nu de pdilosopkie, De rcchtskunde e» de medeeyne, HclacS! ook de Ideologie Diep bestudeerd, mei beete zorg eil pnne. Jk arme gck! nu sta ik Laer, Riet wyzer als voor wenig jaer; Ik heet Magister, ik beet Doktor, ja! En sleepe nu tien jaer bbna. En °p en af, en regt en krem Myne studenten niet de neuzen am — En jie, bat nm nicts knnnen nieten! Dit beeil my slbidr het bcrt geretcn. 'T it wacr, 1 den schranderen al» al die apen, Docmrs, Magister«, slbrnver«, papen; Gern slbroom noch «wyel kan my plagen. Gern yel noch duivel kan my s»rik injagen — Daerom iS my ook alle vreugd omretcn, 'K beeid my niet in, iel« regt» tc weien, 'jk beeid my niet in. >k kon ict» iceren, Om menslben te verbectren en bekeeren. Ook ked ik geid noch goedren meer, tAcen heerinkdeld der wereid noch gecn cer. Er jou gern bond zoo langer Icoen! Daerom heb ik my tot de toooern begeoen, Oi ik door geeflenkracht en mond Niet wenig een geycimmS oond; Da> ik niet meer mei bitter zweet Te zeggcn boef mal ik nici wcer; Dät ik erkenne 't geen del« acrd, Zoo innerlyk te zamen paert; Dat 'k ave kracht en «adcn mag vmvaemen En langer nie, mei moorden hvef te kramen. veransgeacben von der Ervcdiiio» der Allg. Preuß. StaatS-Zcitung. Nedigirt von I. Vehinann. Gedruckt bei A. W. Haun.