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„Ich will Henie früh zu Bett gehen," sagte Grace Abends, eS mochte kaum neu» Uhr sei», aber sie hatte schon wieder« holt nicht mißzuvcrstehende Zeichen von Müdigkeit gegeben. „Du brauchst mich nicht zu begleiten," da Heinz Miene machte, seinen Platz zu verlassen, „es wäre egoistisch von mir, wollte ich Dich der Gesellschaft Deiner Freunde entziehen," dies .Deiner Freunde' klang spitz nud scharf, als wolle Grace durch diese Worte den Beweis liefern, daß sie keinen Theil an dieser Freundschaft habe, „ich habe Kopfweh, ich wünsche allein zu sein, gute Nacht allerseits." Es war zum ersten Male in ihrem Eheleben, und sie waren säst anderthalb Jahre verheirathet, daß Grace freiwillig auf die Gesellschaft ihres Gatte» Verzicht leistete, und Heinz wußte ihr das Dank, weil er es als Rücksichtnahme sür sich ausfaßte. Wie hätte auch Heinz, der brave, ehremverlhe Heinz, im Stande sein sollen, einer kleinlichen, boshaften, rachsüchtigen Frauen seele bis in die geheimsten Jrrgänge nachzugehcn — Grace ließ sich von ihrer Zofe anskleiden, ohne eine Hand zu rühren, sie ließ sich stets wie eine Puppe aus- und auzieben, sie hätte sich auch nicht eine einzige Nadel festgesteckt, dazu war ja das Mädchen da, das Mädchen, das für seine Dienstleistungen wahrlich gut bezahlt wurde, und Grace ließ sich das Haar auflöscn und für die Nacht in zwei starke, kunstlose Zöpfe flechten, während sie mit unruhig flackernden Augen die noch tiefer denn sonst in ihre Höhlen zurückgewichen zu sein schienen, aus ihr Spiegelbild starrte, auf dieses kleine unschöne, hagere Gesicht, in das Grace selbst mit der Fanst hätte hinein- schlageu mögen, weil cS nicht schöner, begehrenSwerther war. „Erna, — Erna" sie flüsterte den Namen mit zuckenden Rippen vor sich hin, und die Zofe, die eben den schweren, sahlblonden Zops in der Hand wog, bog sich mit ver schmitztem Lächeln vor: „Gnädige Frau befehlen —" „Alberne Gans!" Ein zorniger Blick der Gebieterin traf die kleine, schnip pische Brünette, und diese, die an dergleichen wenig schmei chelhafte Bezeichnungen gewöhnt zu sein schien, knickte in asseclirlem Schuldbewnßtseiu zusammen, ja, sank gewisser maßen in die Kniee und begann dann eilfertig und behutsam — die Kammerzofen von Grace mnßten wahre Wunder von Geschicklichkeit verrichten, wollten sie nur halbwegs die Zu- sriedenheit ihrer launenhaften Herrin erringen — Schuhe uud Strümpfe vou den winzigen, mageren Füßen abzustreifen. Endlich lag Grace im Belt. Lina, so hieß die Zofe, breitete sorgsam d:e Decke über den kleinen hageren Körper und huschte dann noch auf leisen Sohlen hin und her, — die kleine, behende Person hatte eine Art katzenhaster Ge schmeidigkeit an sich — um alles so für die Nacht vorzu« bereiten, wie es die strenge Gebieterin haben wollte. Endlich, endlich war Grace allein, viel zu spät für ihre Ungeduld, nnd doch hatte ein instinktives Gefühl sie abgehalten, das Mädchen aus dem Zimmer zu schicken; Grace war gelegent lich von durchtriebener Schlauheit. Das Klappern der spitzen Absätze war verhallt, Grace horchte dem Ton noch eine Weile nach, dann richtete sie sich wieder im Bett empor nnd griff nach einem schwarz polirten, mit Silber incrustirten Kasten, der auf der Platte des Nachttisch's stand, und der Graces Arz neimittel enthielt. Sie kramte mit unruhiger Hast darin, daß die Büchschen und Phiolen leise aneinander klirrten. Der Ton schien sie zn erschrecken, sie hielt inne, und der Ausdruck angestrengten Lauschens kam in ihr Gesicht. Es war nichts, sie war ungestört, uud Grace kraulte weiter, mit zittteriideu Fingcru und der hektischen Nöthe auf den Wangen, die bei ihr ein Zeichen innerer Erregung war. Nun hatte sie das Gesuchte gesunden, und ihr Gesicht verzerrte sich zu einem abscheulichen Grinsen, als sie jetzt krampfhaft das Fläschchen hoch hob nnd seinen Inhalt, eine saft wasserhelle Flüssigkeit, im matten Licht der Ampel anjblmken ließ. Wie hatte der Arzt gesagt, der nur sehr schwer zu bewegen ge wesen, dieses Mittel den Händen seiner Patientin anznver- trauen: „Vorsicht, Vorsicht im höchsten Grade, meine gnädige Frau. Drei Trvpfcu in einem halben Glase Wasser, uno Sie schlafen einen festen, traumlosen Schlaf, der erquickend auf Ihre Nerveu wirkt, aber zwei bis drei Tropfen znvicl, und der Schlaf könnte leicht ein ewiger werden, also Vorsicht, Vorsicht und nochmals Vorsicht." „Ein ewiger Schlaf — hihi — ein ewiger —" sie zuckte vor ihrem eigenen Lachen zusammen, es hatte selbst sür sie etwas Grauenhaftes, Gespenstisches, aber dann begann sie wieder vor sich hin zu murmclu — es lag zuweilen etwas Wahnsinniges in ihrem Gebahren — und ihre Ge danken begannen einen tollen, wirbelnden Tanz — „Erna —" ob sie schön sein mochte, jene Erna, die ihr das Herz ihres Gatten gestohlen halte, „ja wohl — gestohlen —" sie war eine Diebin, und eine Diebin mußte bestrast werden, war ein ewiger Schlaf wohl Strafe genug'? „Erna — ewiger Schlaf — nicht Schlaf, Tod, Todl" „Mörderin!" Klang es nicht so aus jener finsteren Zimmereckc hervor, in die das Licht der Lampe so ungenügend siel'? Grace wurde aschfahl, und ihre Augen weiteten sich unnatürlich, sie packte mit zitternden Fingern Alles bei Seite und sank auf stöhnend in die spitzenbesetzten Kissen zurück, die Augen schließend, nur daß sich die Gedanken nicht ebenso bei Seite packen ließen nnd aufgeregt weiter arbeiteten. Als Heinz zwei Stunden später mit gedämpften Schritten das Zimmer betrat, lag Grace trotzdem ruhig athmend, mit über der Brust verschränkten Händen da. Er warf einen flüchtigen Blick nach ihr hin, sie schlief er athmete erleichtert auf, und er ahnte cS nicht, daß die Augen der anscheinend so fest und ruhig Schlafenden jeder seiner Bewegungen spähend und argwöhnisch folgten. XXVIII. Also das war Erna, jene Erna, die Grace so haßte, wie sie noch nie einen Menschen gehaßt hatte, die sie hätte mit Wonne tausend Tode sterben lassen, wäre das in ihre Macht gegeben gewesen, um sich hohnlachend an den Qualen der Verhaßten zu weiden. Höllenqualen hätte sie leiden müssen, jawohl — Höllenqualen — hatte sie ihr, Grace, nicht auch Höllenqualen bereitet'? Wie das brannte, schmerzte, ah! — nnd Grace fuhr mit der Hand uach dem Herzen, während sie mit haßerfüllten Angen ans die schlanke Mädchengcstalt starrte, die eben, sich leicht mit der Hand auf Egberts Schulter stützend, vom Pferde sprang, nnmuthig und sicher in jeder ihrer Bewegungen, und über Graces Gesicht, der sich unwillkürlich ein Vergleich mit ihrer eigenen gebrechlichen Erscheinung aufdrängte, zuckle eiu hämisches Lächeln. Ruhig plaudernd stieg Erna an Egberts Seite die Stein- stufen hinan, auf die sich die Glasthüren der Veranda öff neten, vielleicht ein wenig zn ruhig und unbewegt sah das junge Gesicht aus, au dessen pikanten, rcizumflosseuen Zügen die Augen von Heine sür eine kurze Sekunde wce verzaubert hingen. Eine einzige, lnrze Sekunde nnr, aber sie hatte genügt, um in Grace die Ueberzeugung zu festigen, daß sie sich nicht irre, und den finstern, unheilvollen Entschluß, der gestern Abend keimte, in ihrer Seele zur Reife zu bringen. Erna mnßte noch gewachsen sein, merkwürdig, wie hoch und stolz aufgerichtet sie da vor Heinz stand und ihn mit dem ruhig kühlen Blick ihrer Augen beinahe in Verwirrung brachte. Er raffte sich gewaltsam auf uud berief sich iu der Begrüßung auf das Recht des alten Bekannten. Erna lächelte, ein seltsames, franenhaftes Lächeln, durch das es wie ein geheimer, unnennbarer Schmerz hindurch zitterte, und legte leicht wie eiu Hauch ihre Fingerspitzen in seine dargcreichte Rechte. Seine Finger schlossen sich über der schlanken Hand, um sie im nächsten Augenblick, als brenne sie ihn, wieder- frei zu geben, und das Lächeln schien auf Ernas Gesicht wie festgezanbert, als sie jetzt die übrigen Anwesenden be grüßte.