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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränum-raüonö-Preis 22j Silbergr. (j Tdlr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für d-!s ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theile» der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf dieses Literatur» Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staats-Zeitung (Friebricks- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohllöbl. Pvst-Aemtern. Literatur des Auslandes. 78. Berlin, Freitag den I. Juli 1842. Frankreich. Destutt de Tracy. Ein Blick auf sein Leben und seine philosophische Wirksamkeit. Von Mignct.' 1 Antoinc Louis Claude Destutt ve Tracy wurde am 2». Juli >7.>ä geboren. Er stammte aus einer ausländischen Familie, die sich während einer der großen militairischen Krisen der alten Monarchie nach Frankreich begeben unv ihrem Adoptiv-Vaterlande eine Reihe ausgezeichneter Kricgsmänncr geliefert hatte. Sein Vater fiel in der Schlacht bei Minden, wo er die Gendarmerie des Königs befehligte. Seine Mutter begab sich hierauf mu dem kaum acht jährigen Sohne nach Paris, um sich ganz der Erziehung desselben widmen zu können. Nachdem derselbe hier den Grund zu seiner klassischen Bildung ge legt, begab er sich nach der Universität Straßburg, die damals in hohem Rufe stand. Tracp bildete sich hier zu einem vollkommenen Edelmanuc nach damaligen Begriffen aus, d. h. er lernte fechten, reiten, schießen, tanzen und suchte überhaupt in allen Körpcrübnngen den höchsten Grad der Vollkommen heit z» erreichen. Der nachherige Philosoph erfand hier einen Contre-Tanz, der noch jetzt seinen Ramen trägt. Nachdem er seine Erziehung vollendet, trat er in die ml>u>guet<<ix<-> des Königlichen Hauses ein. Er erhielt bald eine Compagnie im Regiment OuupImi-cÄvsU-rn-, und im Alter von 22 Jahren war er schon zweiter Oberst des Regiments ro; »I - euvalerie. Trotz seiner Stellung blieb er indcß den neuen Ideen, welche alle Geister beherrschten und sogar in die Kirche und bis zu den Thronen gedrungen waren, nicht unzugänglich. Der alte Voltaire galt damals in ganz Europa für den Oberpricster der neuen Religion ; Tracy hatte ihm in Ferney einen Besuch abgestattct und bei dieser Gelegenheit die Auszeichnung erlebt, daß Voltaire die Hand auf seine herrliche Stirn ge legt hatte. Durch den Tod seines Großvaters wurde er Graf von Tracy in Niver nais, Edelhcrr von Paray-le-Frösil in Bourbonnais nnv Besitzer cineS bc- dcntenden Vermögens; er vermählte sich mit Fräulein von Durfort-Civrac, ciner nahen Verwandten des Herzogs von Pcnthiövrc, welcher ihm das Kom mando des Regiments übertrug, das seinen Namen führte. Er war ZS Jahr alt, als die Revolution ausbrach. Da er den Jntcrcffcn seiner Provinz er geben war und sich den Ideen angeschloffen hatte, welche damals Frankreich beherrschten, so nahm er thätigen Antheil an den Operationen der Stände des Bourbonnais und wurde am 24. Januar 1788 vom Adel der Provinz zu einem der drei Deputirten für die Generalstände erwählt. Da er durch sein Mandat gebunden war, so konnte cr sich erst am 28. Juni mit dcr Majorität des Adels in den Saal der Gemeinen bcgeben. Als er frei seinen Ueber- zeugungen folgen durfte, setzte cr sich in der konstituircndcn Versammlung auf dieselbe Seite mit dem Herzog von La Rochefoucauld und dem General Lafayette. Er schloß sich wie seine Freunde allen großen Maßregeln an, welche von dieser Versammlung ausgingen. Bald kam die Zeit, wo die Revolution die Angriffe Europa s abzuwchrcn hatte. Die meisten Offiziere verließen die Armee, nm auszuwandern, und die, welche blieben, um die Revolution zu vcrthcidigen, wurden verdächtig. Tracy hatte das Glück gehabt, dem Regimcnte Penthievre, das er seit länger als zehn Jahren befehligte, das vollkommenste Vertrauen cinzuflößcn. Gern wäre er an der Spiye desselben in den Kampf gezogen, aber cr durfte cs nicht. Herr von Narbonne, damaliger Kriegs-Minister, der ibm befreundet war, ernannte ihn gegen seinen Wunsch zum General-Major und stellte die Kavallerie der Nord-Armee, an deren Spitze Lafavcttc stand, unter seinen Befehl. Ehe cr zu seiner Bestimmung abging, begab er sich nach den Tuilericcn, um vom Könige Abschied zu nehmen- An demselben Tage, in derselben Stunde stellte sich auch ein Mann von vornehmer Geburt vor, dcr cmigriren wollte. Die Aufnahme, welche sie fanden, war sehr verschieden; dcr, welcher nach Koblenz abging, wurde mit der zuvorkommendsten Höflichkeit behandelt, der, welcher nach der Gränze zog,, um sein Vaterland gegen die Angriffe dcS Aus landes zu verthcidigen, erhielt kein Wort, keinen Blick. Während er bei der Armee war, stürzte der Thron zusammen. General Lafayette, welcher einen verunglückten Versuch gemacht hatte, die erschütterte '> Borgetragen in einer öffentlichen Sitzung der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften in Paris. Verfassung zn stützen, sah sich genötbigl, zu entweichen. Den Tag vor seiner Entfernung von der Armee theiltr cr keinem Freunde Tracy seinen Entschluß mit. Derselbe war zu sehr durch die Umstände geboten, als daß dieser ihn hätte mißbilligen können; aber cr selbst hielt cS nicht für angemessen, ihm beizmrctcn, da seine Gefahr nicht so augenscheinlich war. Er legte nicht ein mal seine Stelle nieder und ließ sich nur von dem General, der am nächsten Tage flüchtig wnrde, einen Urlaub geben. Während dieser die Gränze über schritt, schlug unser Held den Weg nach Paris ein- Er bcgab sich mit seiner Familie nach Auteuil, wo cr Condorect, CabaniS, Mavamc Helvctius und andere thcurc Freunde fand. Hier beschäftigte er sich mit den Wissenschaften und mit dcr Erziehung seiner Kinder. Dem Zuge des Jahrhunderts kolgcnd, suchte cr sich zunächst von den sinn lichen Erscheinungen und von den Gesetzen dcr physischem Welt Rechenschaft zu geben. Es war gerade vic Zeit, wo der analutischc Geist des Jahrhunderts schöpferisch bervortrat. Wenige Jahre hatten genügt, mn die alte Kon- icttural-Chemie über vcn Haufen zu werfen und die Phlogistik in die Reihe der Chimären zu stellen; Bergmann, Priestley, Cavendish, Bcrthollct, La- voisicr warcn aufgcstanden. Tracy stndirte eifrig die ncnc Tbcoric, welche in die innere Zusammensetzung der Körper einmalig, die alten Elemente a»f- löstc und die bis dahin unerklärbarcn Erscheinungen des Athmungs-Prozesses und dcr Verbrennung dcr Körper erklärte. Tracy wurde einer der eifrigsten Adepten dcr ncucn Wissenschaft. Indcß war ''ein Geist doch zu umfassend, als daß er in der Schulc Lavoisier's hätte gänzliche Befriedigung sinken können. Nachdem cr die Erscheinungen der Materie studirt, bemühte cr sich um die Gcietze des Geistes. Den großen Aufgaben dcr moralischen Wclt forschte er indcß nicht im Kreise scincr Familie und in der Mitte seiner Freunde nach. Er halte unge fähr ei» Jahr in Auteuil gelebt, als er seinen Studien gewaltsam entrissen wurde. Am 2. November 1783 umzingelte eine Abtbeilung der rcvolntionaircn Armee unter dem Befehl des berüchtigten Generals Ronsin kein Hans in Auteuil und führte ihn nach dcr „Abtei" in Paris ab. Hier blieb cr secks - lange Wochen. In diesem Aufenthalte nahm er seine unterbrochenen Studien auf und ging vom Studium der Natur zum Studium des Menschen über. In dem Augenblicke, wo Tracy sich an dicscn Gegenstand machte, hatte der philosophische Geist schon eine vollständige Revolution bestanden. Der Ausgangspunkt war noch immer dcr Mcnsch, aber nicht dcr Gedanke, sondern die Sinne. Tracy nahm, wie Condillac, das Gefühl nicht mir als ursprüng liches Element des Verstandes an, sondern anch als einziges. Alle Fähig keiten und alle Thätigkeiten des menschlichen Erkcnntnißvermögcns wurden aus die Sinne zurückgeführt. Deren nahm cr vier hauptsächliche an; die Wahr- nchmung, das Gcdächtniß, das Urtheil und den Willen, d. h. das Vermögen, Gegenstände, Erinncrnngen, Beziehungen und Begierden zu empfinden. Die drei ersten Thätigkeiten bildeten das Erkenntnifivcrmögcn dcS Men schen; die letzte gab ihm das Vermögen, zu handeln. Alle vier waren nur durch die Vermittelung der Sinne möglich. Die äußeren Gegenstände machten nämlich einen Eindruck aus die Nerven, und die Nerven pflanzten ihn, vermöge einer ihnen eigenthümlichen Bewegung, bis zum Gehirn kort. Das Gehirn, das mit einer eigenen Kraft begabt war, die Tracy indcß nicht erklärtc, nahm dicscn Eindruck auf, dcr bicr eine Empfindung wurde, wenn der Gegenstand gegenwärtig, eine Erinnerung, wenn er abwesend "war, eine Beziehung, wenn niedrere Gegenstände ihm das Bild ibrer Aebn- lichscit oder Unähnlichkeit zuführten, ein Schluß, wenn mehrere Beziehungen vorhanden waren; wenn cr Begierde im Gehirn erregte, so rief er eine andere nervöse Bewegung hervor, die von Innen nach Außen ging, um sie zu befrie digen, und dic That hervorbrachtc, wie die andere Bewegung die Erkcnntniß. Also Wissen und Wollen waren dic Resultate zweier organischer, von Außen erzwungener Thätigkeiten, dic von einander abdingcn. Dies war die Jdccnlcbre Tracy's, wclckc die Grnndlage seiner Moral bildete. Ans der vierten Tbätigkeil des Verstandes oder Willens entsprangen für den Menschen die Rechte und Pstichren, welche sein Betragen regeln und bestimmen. Dcr Ursprung dieser Rechte waren dic wohlvcrstandenen Bedürf nisse dcr Natur; dcr Ursprung der Pflichten die woblangewendeten Mittel, welche dem Menschen znr Befriedigung dieser Bedürfnisse gegeben warcn. In diesem Moral-System war die Freiheit des Menschen nur die Macht, seine Wünsche zu befriedigen, die Tugend nur die Klugheit, sie seinen Kräften ent sprechend abzumcffen, nnd bas Glück entsprang aus dem Gebrauch dieser Frei heit, wenn sie durch den Verstand und die Tugend geregelt wurde. Diese Moral bedurfte einer Sanction. Tracy war auf folgende verfallen.