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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Prei« 22z Silbergr. (k Tblr.) vierteljährlich, 3 Tblr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in alte» Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt aus diese« Literatur- Blatt i« Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staat«-Zeitung (Friedrich«, Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslände bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 69. Berlin, Freitag den 10. Juni 1842. Italien. Machiavell als Lustspieldichter. Der „Florentinische Geheimschreiber", Dantc's, Petrarka's und Boccaccio's berühmter Landsmann, Nicol" Machiavelli, verdankt seinen Ruhm zwar lediglich seinem thätigen Eingreifen in die staatlichen Verhältnisse seines Vaterlandes und Italiens überhaupt, so wie dem Einflüsse seiner mannig fachen dahin einschlagcndcn Schriften insbesondere, ohne deren Vermittelung sein Name vielleicht niemals bis zu uns gedrungen wäre; doch sollte man darüber billig nicht ganz außer Acht lassen, daß er auch als Dichter Fähig, leiten an den Tag gelegt, welche allein ihm gewiß nicht minderen Ruhm ge bracht hätten, wenn er sich nur auf diese Thätigkcit hätte beschränken wollen. Viele — mit welchem Rechte, bleibt freilich dahingestellt — haben von Machiavell als von einem großen Geschichtschreiber geredet; Alfieri hat ihn einem Tacitus verglichen, dem nur das Volk gefehlt, das die Jialiäuer seiner Zeit nicht gewesen. .... So äußert sich ein Jtaliäncr, der gern die Gegenwart durch Erin nerungen an die Vergangenheit möchte erstarken machen, und dessen Betrach tungen über Machiavell (in der Mailänder Uivinra Lm opoa), ihrem wesent lichen Inhalte nach, wir hier mitthcilcn wollen. Zuvörderst versucht derselbe eine kurze Rechtfertigung von Machiavcll's Grundsätzen, gestützt auf dessen Lebensverhältniffe und Schicksale in den höchsten Ehrenstellcn des Staats und als armseliger Dorfschulmcistcr, der sein tägliches Brod elendiglich erarbeiten, kümmerlich zusammcnbringen mußte — gestützt vornehmlich auf diese Dürftigkeit nach Verwaltung der einträglichsten, mit allen Reizen der Bestechung verbundenen Aemter. Dann verweist er auf den unverkennbar reichen Dramcnstoff in der damaligen Zeit, indem er ausruft: „Eine merkwürdige Zeit, fürwahr, die Machiavellische Lebensperiode °) — reich an gewaltigen Begebenheiten, gesegnet mit strahlenden Großthaten, fruchtbar an nachtschwarzen Miffethaten — mehr als jeder gleich lange Zeit raum dramatisch, vermöge epochemachender Persönlichkeiten und Vorgänge: jene Zeit, welche das Ritterthum und die unabhängigen Städtc-Vcrfassungcn, die edelsten Institutionen des Mittelalters in Italien, zu Grunde gehen sah; welche die Frömmeleien Ludwig's XI., jenes gekrönten Tartüffc, wie die thörichten Nitterstrciche Franz' I. mit angesehen und Zeugin der großartigen Pläne Julius' II-, dieses echt Jtaliänischen Papstes, so wie der unerhörten Gräuelthatcn des Herzogs Valentin gewesen; welche den Päpstlichen Stuhl von einem Alexander Vl. besudelt und die Schätze der Kirche durch Leo's X. verschwenderische Prachtliebe verschleudern sah — die Zeit, in welcher Eng land vor dem dreifachen Königinncnmorde jenes Heinrich zusammcnschauderte, der mit derselben Hand erst für den katholischen Glauben wider Luther kämpfte und dann die Urkunde vollzog, durch welche die Römische Kirche für alle Zeiten von der Anglikanischen getrennt wurde — während auch Deutschland in seinen Grundvesten erschüttert ward durch die ins Leben tretenden Lehren des Wittenberger Mönchs.... Wahrlich, eine rechte Zeit für das politische Lustspiel im Sinne des Aristophanes! „Zu allem Obigen nun nöch Machiavcll's Stellung zu den Machthabern Italiens von seinem 24sten Lebensjahre an, und das ganze Wesen des eben so sicher blickenden, als fein unterscheidenden Mannes mit einer Zweifelsucht, gleich der Goethe's, „dieses sorglosesten Skeptikers der Neuzeit" — und man wird es kaum befremdend finden, daß Jener inmitten der Verderbniß, welche an Italiens Innerstem nagte, inmitten zahlloser Edel- und Schandthaten, erhabenster Sclbstopferung, nichtswürdigster Berrätherei, leichtfertigster Wag halsigkeit, sorgsamst berechnender List — die Menschen und der Menschen Weise viel zu gründlich kennen und verachten gelernt, um nicht ihre Thorheiten zu belachen oder ihre Verirrungen zu beklagen. Befremden vielmehr wird, daß derselbe, obgleich Dichter aus natürlichem Triebe, mit der tiefeinschncidcnden Sprache, wie das Lustspiel sie haben soll, begabt und ein Nebenbuhler von Tacitus, dcr schon in eincm einzigen Worte ein ganzes Bild zu geben wußte — nicht mehr als vier Lustspiele geschrieben, und auch diese nur, um. Frau °°) und Kinder vor Mangel zu schützen. „Er vermochte auch in seiner fünfzehnjährigen Verbannung nicht, vom einzigen Dichten und Trachten seines ganzen Lebens, vom Gedanken an das Vaterland, sich loszumachcn, und verschmähte deshalb den Wettkampf, in ') Machiavell wurde am ß. Mai geboren und starb am 22. Juni ILI7. ") Marietta Corsini. welchem er sich gewiß bald bis zu den Meister-Malern des öffentlichen und des häuslichen Lebens, bis zu den Aristophanes und Goldoni, Bahn gebrochen haben würde. Vergebens erheiterte er sich in seiner freiwilligen Verbannung auf dem kleinen Familiengute zwischen Florenz und Siena (wie er selber erzählt) damit, den Kranichen Schlingen zu legen, den Krammctsvögeln Netze zu stellen und vor Tagesanbruch schon aufzustehen, um Leimruthen zu beschmieren; die Zeit zu tödten, indem er, am Rande einer Quelle sitzend, sich damit unterhielt, mit den Holzhauern Dante, Petrarka und die Dichter, welche er die kleineren nennt, z. B. Tibull, Ovid, Catull, zu lesen, deren Liebeslust ihm die seinige zurllckrief und ihn eine Zeitlang an dieser Erinnerung sich erfreuen ließ. Ver geblich suchte er Erheiterung darin, daß er ins Wirthshaus an der Landstraße ging, um mit den Reisenden zu plaudern, ihnen Neuigkeiten aus ihrer Heimat abzufragen, mancherlei Liebhabereien und Grillen der Menschen sich anzumerken und dann, nach dem Mittagessen, in dasselbe Wirthshaus zurückzukehren, um dort, dem Wirthc, dem Fleischer, einem Müller und zwei Kalkbrennern sich an schließend, für den ganzen übrigen Tag ins Dreikart- oder ins Trictrac-Spiel sich zu vertiefen, wobei tausend und aber tausend Zwistigkeiten und beleidigende Worte vorfielen, obwohl meist nur um einen Quattrin gestritten wurde. End lich Abends, zu Hause wieder angelangt, trat er in die altehrwürdigen Dome der großen Männer der Vorzeit und schrieb von den Fürstenthümern, wie solche erworben, wie behauptet und wie verloren werden. „Nach »Z Jahren ehrenvollsten Lebens befand er sich in einer sorgen schweren Lage; da schrieb er die „Uanüraxors" und vereinte nun in sich den besten Lustspieldichter seiner Zeit mit deren scharfsinnigstem Politiker. In fünf Auszügen und in ungebundener Rede verfaßt, hat sie etwas damals unlängst Vorgefallenes zum Gegenstände: Ein Ehemann läßt sich durch die List eines Pseudo-Arztes, welcher von dessen Frau als Liebhaber übel ausgenommen worden, verleiten, dieser einen Alraunwurzeltrank (>lsnüragor») beizubringen, um dem Mangel an Kindersegen abzuhelfen; zugleich aber muß er sich darauf den Umarmungen seines zärtlich gewordenen Weibes entziehen, was zu allerlei komischen Scene» Anlaß giebt. „Solcher Muthwille wird den mit der damaligen Literatur Vertrauten nicht befremden °), der Witz aber, mit dem Machiavell sein Stück gewürzt, ver schaffte diesem einen wahrhaft wunderbaren Erfolg, indem es das erste Mal geschah, daß ein Dramatiker, dcr sich von dcr Nachahmung der Alten losge macht und die Natur in pnrix aufgegriffen hatte, so entschiedenen Beifall fand. Die Akademiker von Florenz stritten sich um die Rollen, und Leo X. ließ sich nicht nur die Schauspieler, sondern auch die Decorationen zu dem Stücke von dort nach Rom kommen. — Jetzt, nach einer so geraumen Zwischenzeit, unter unseren von den damaligen so durchaus verschiedenen Zeitumständen, muß freilich die Mandragora etwas frostig erscheinen; doch würde man die Schuld hiervon nur mit Unrecht dem Talente Machiavcll's zuschreiben, denn die Gutmüthigkeit des Nikeas, die Verliebtheit des Kallimachos, die allerliebste Offenherzigkeit der neuen Lucrezia, deren Sittsamkeit das Ganze noch vor vielen Klippen bewahrt — der Schmarotzer Li zur ins und die Ver schlagenheit des Dieners Sirus spiegeln die Sitten der damaligen Florentiner so getreulich und so geistvoll, daß wir uns dadurch vollständig in jene Zeit zu rück versetzt glauben und die Begeisterung seiner Zeitgenossen sehr erklärlich finden. Da ist z. B- ein Auftritt, dessen Moliere selbst sich nicht geschämt haben würde, iden er vielleicht auch gekannt hat): wie etliche Worte unverstandenen Lateins jeden Zweifel des Ehemanns über die Wunderkräfte des Schelmen doktors und seines sauberen MittelchcnS zerstreuen. °°) „Die anderen drei Lustspiele, von denen zwei keinen Titel haben, und das dritte, Clizia, eine Nachahmung des Plautus, sind nicht minder unterhaltend, sinnvoll und ergötzlich. „Späterhin wandte Machiavell sich dcn strengeren geschicht- und staats- wissenschastlichen Arbeiten wieder zu, so daß er das Lustspieldichtcn gänzlich aufgab. Inzwischen gewann er in eincm Venetianischen Lotto 3i>00 Ducati, zu welcher gar nicht zu verachtenden Abhülfe seiner Dürftigkeit Gnicciardini noch beitrug, indem er in Modena die Mandragora aufführen ließ. Hierzu dichtete M- die Canzonen des Intermezzo zwischen den Aufzügen. Dennoch starb er, mit seinen Gönnern, den Medicäern, bei seinen Landsleuten in Ungunst gefallen, in Dürftigkeit- ') M. bittet übrigen« seiber, in naivster Weise, ihn zu entschuldigen: Ich wollte mich erheitern und fand nicht« Andere«, da es mir versagt worden, in anderen Werken andere Kräfte zu bekunden, denn mein Bestreben ärndtct nimmer Lohn. Ter Loh», auf dcn ich hoff', ist, Laß man abscit« tret', und lächl' und schelte, wa« man sieht und hört. sProlog.) ") dlum c»u»ae »terllltatl» «uut etc. 21er Aufz. 2,er Auftr.