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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrcMumerMionS Preis 22i Silbcrgr. (Z Tklr.) vierteljährlich, 3 Tdlr. für das ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumcrirt aus dieses Literatur- Dlatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. SlaatS Zeitung (Friedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den WoIMbi. Post-Acmtern. Litcrntur des Auslandes. 63. Berlin, Freitag den 27. Mai 1842. Frankreich. Die Jungfrau von Orleans. Resultate der neuesten Forschungen.") Seit dem Jahre 181» haben die Herren Buchen, Pctitot, Monmerquv und der berühmte Guizot bändereiche Sammlungen Französischer Memoiren herausgegcben, welche vieles Licht über die Geschichte des Mittelalters ver breiten. Man findet darunter auch einige wichtige Aufschlüsse über das Leben und die Thaten der Jungfrau von Orleans, wodurch man zu einem richtigeren Begriff ihres häufig entstellten und mißverstandenen Charakters gelangt. Be kanntlich wurde im I. I4äk, fünfundzwanzig Jahre nach der Verurtheilung Johanna's, auf Befehl Karl's VU. ein neues Gericht gehalten, um ihr Anden ken von der Schmach des ersten zu reinigen, bei welcher Gelegenheit mehrere ihrer Verwandten und Waffcngenoffcn als Zeugen anftraten. Von diesen merkwürdigen Aussagen, so wie von den Verhandlungen des ersten Prozesses, eristircn in den Bibliotheken")» Paris und Genf handschriftliche Kopieen, die von Barante und Sismondi kommentirt worden und worauf wir folgende biographische Skizze dieses Wundcrmädchcns gründen. Die Aeltcrn Johanna's, JacgncS d'Arc und Isabelle Romöe, waren arme Bauern zu Domremy an der Lothringischen Gränze. Sie hatte eine Schwester, die, wie cs scheint, als Kind starb, und drei Brüder. Nach ihrer eigenen Erklärung war sie I» Jahr alt, als sie zuerst am Französischen Hose erschien, und obgleich man einem Frauenzimmer nicht verargen könnte, einige Jahre wegzuleugncn, so wurde doch diese Aussage durch mehrere Zeugen bestätigt, und ihre Geburt muß demzufolge in die Jahre 1410 oder 1411 ge fallen seyn. °°) Sie erhielt eine ihrem Stande angemessene Erziehung; man ließ sie weder Schreiben noch Lesen, wohl aber Spinnen, Stricken, das I'akor nnnter und das 4ve 41»ru> lernen und von ihrer frühesten Kindheit an die Heerdcn ihres Vaters hüten. Weit davon entfernt, eine außerordentliche Un erschrockenheit zu zeigen, ging ihre Blödigkeit so weit, daß die Anrede eines Fremden sie außer Fassung brachte. Sie war ihren Nachbarn nur als ein einfältiges, gntmüthigcs Mädchen bekannt, die immer bereit war, Kranke zu warten oder arme Wanderer zn unterstützen, welche der Zufall in ihr Dorf führte. Ihre außerordentliche Frömmigkeit machte sie jedoch bald zum Gegen stände der Aufmerksamkeit und vielleicht des Spottes. Man sah sie zuweilen ganz allein auf dem Felde niederkniccn und beten; sie sand kein Vergnügen an de» Spielen ihrer jungen Gefährtinnen, sondern eilte nach vollbrachtem Tagewerk in die Kirche, wo sie sich vor dem Altarc hinwarf und ihre Gebete vorzugsweise an die Mutter Gottes und dieHeiligen Katharina und Margarethe richtete. Jeden Sonnabend, oder noch öfter, machte sie eine Pilgerreise nach einer kleinen, der heil. Jungsrau geweihten Kapelle, die sich in einer kurzen Entfernung vom Dorfe befand. Oft begab sie sich auch nach einer ehrwür digen Buche, deren altcrthümliche Zweige sich am Saume des Waldes Ilm* <^wn» ausstrccktcn und an deren Fuß ein klarer Bach vorüberrauschte. Dcn Fluthcn dieses Baches wurde eine heilsame Wirkung zugeschricbcn, und der Baum selbst war unter dem Namen I'Krbro üox Nnmex oder i.Lrbro üox Veen bekannt, weil einige alte Weiber im Dorfe die Zusammenkünfte der Feen unter seinem gehcimnißvollen Schatten belauscht hatten. Aus demselben Grunde war die Buche durch dcn katholischen Gottesdienst geheiligt; einmal jährlich hielt der Priester von Domremy eine Prozession um den Baum, wäh rend die jungen Leute ihn mit Kränzen bchingcn und die Nacht mit Gesang und Tanz zubrachten. Die Zeiten, worin Johanna lebte, mußten einen feurigen Geist sowohl himmlischen als irdischen Dingen zuwendcn. Sie hatte ihr zehntes Jahr er reicht, als ein schwachsinniger König durch dcn schändlichcn Vertrag von Troyes die Erbfolge seines Reichs dcn Engländcrn überließ; zwei Jahre nach her starb dieser unglückliche Fürst (Karl VI.), und der unmündige Heinrich von England wurde in Paris, Rouen und Bordeaux- zum Monarchen Frank reichs ausgerufcn, während der rechtmäßige Erbe, der Dauphin, seinen Hof jenseits der Loire halten mußte und nur von Wenigen als Karl VII. anerkannt wurde. I42Z kam die Nachricht von der Niederlage bei Crcvant; 1424 fiel die Blüthe des Französischen und Schottischen Adels bei Verneuil, und I42S wurde La Hire nebst seinen tapferen Gefährten aus der Champagne vertrieben. '1 Zusammengestellt i» bkr Än-rterE kev!„r, nach welcher wir diesen Artikel in ab, gekürzter und mehr übersichtlicher Zorn, bearbeitet haben. , ") Pasqnicr Hal, vielleicht durch einen Druckfehler, I» in SS verwandelt und dadurch sowohl Hume al« Rapin irre geleitet. Die Streitigkeiten zwischen dem Regenten Bedford und seinem Verbündeten, Philipp von Burgund, gewährten zwar dem Lande eine kurze Erholung, aber diese Fehden wurden geschlichtet, und Bedford kehrte mit der Absicht nach Frank reich zurück, den Schauplatz des Krieges jenseits der Loire zu verlegen und die letz ten Hoffnungen der Armagnacs jso nannte man die Partei Karl's) zu zerstören. Auch das ferne Domremy konnte den Unruhen und Trübsalen dieser harten Zeit nicht entgehen. Die Bewohner des Dorfes waren, mit einer einzigen Ansnahme, eifrige Armagnacs, einige ihrer Nachbarn hingegen nicht weniger cifrige Burgunder. Die Anhänglichkeit Johanna's an ihren König war nach ihrem eigenen Gestänbniß so groß, daß sie seinem einzigen Widersacher in Domremy dcn Tod zu wünschcn pflcgtc. Nach der Vertreibung der König lichen Truppen aus der Champagne hatten die Aeltesten ihres Dorfes, wie alle Anderen, ihren Nacken unter das Burgundische Joch beugen müssen, aber die Kinder behielten den früheren feindseligen Geist bei und rotteten sich oft in Schaarcn zusammen, um die kleinen Burgunder der nahen Ortschaft Marey zu überfallen; Johanna erzählt in ihrem Prozesse, daß sie ihre Brüder oft blutig und zerschlagen aus diesem Scheinkriege zurückkehren sah. Bei einer Gelegenheit wurden die Bauern von Domremy durch den Einfall eines Bur- gnndischcn Streif-Corps genöthigt, die Flucht zu ergreifen und das Lorüber- gchen des Sturmes anderswo abzuwarten. Johanna suchte mit ihM^Aeltcrn in einem Wirthshause der Stadt Ncufchateau Schutz, wo sie sichi4 Tage aushielt nnv wahrscheinlich ihren Unterbalt durch Arbeit verdiente; dieses ist der einzige Grund zu der von Monstrelct, einem Chronikenschreibcr der Bur gundischen Partei, erzählten und von Hume und anderen Historikern nachge- schriebcncn Anekdote, daß Johanna mehrere Jahre als Magd in einer Schenke gedient habe. Der feurige Geist Johanna's, durch den zwiefachen Zunder des religiösen und politischen Enthusiasmus entflammt, fing bald an, sich in lebhaften Träumen zu äußern, die nach und nach eine bestimmtere Gestalt annahmen; sie glaubte die Stimmen ihrer Schutzheiligen zu hören, wie sie ihr befahlen,' den Thron Frankreichs wicdcrhcrzustellcn und die fremden Eroberer zu ver jagen. Diese Erscheinungen fanden, nach ihrem eigenen Berichte, von ihrem iZten Jahre an zu verschiedenen Zeiten statt und erfüllten sie anfangs mit Furcht, später aber mit überschwenglichem Entzücken. Zuweilen nannte sie diese himmlischen Gäste, die sie als dcn Erzengel Michael („uu vrox prenü'. luniuno"), die heil. Katharina und die heil. Margarethe erkannte: „meine Stimmen"; zuweilen belegte sie dieselben mit dem Ehrentitel: INesiäre, und gelobte, zum Dank für solche Zeichen der göttlichen Gnade, sich fortan dem jungfräulichen Stande zu weihen. Unterdessen fand ein ehrlicher Landmann an ihrer Schönheit Gefallen; er wünschte sie zu heiraten und wurde in seinem Gesuch von ihren Aeltcrn eifrig unterstützt, von Johanna jedoch standhaft abgewiesen. Der verliebte Bauer hatte bald seine Uebcrredungskunst erschöpft und nahm zu einer sonderbaren List Zuflucht; er gab vor, sie hätte ihm die Ehe versprochen, und zitirte sie vor das Tribunal zu Toul, um die Uebereinkunft zu erfüllen. Die Jung frau ging selbst nach Toul, wo sie ihre Bertheidigung persönlich führte, und da sie die Richt-Eristenz eines solchen Versprechens mit einem Eide bekräftigte, so wurde sie von den Richtern frcigesprochen. Ucber ihre hartnäckige Weigerung erzürnt, hielten sie ihre Aeltcrn, wie sic sagt, „on grünt subjoetion", da diese auch durch einige Reden erschreckt wurden, die sie von Zeit zu Zeit über die ihr vom Himmel anvertraute Sen dung fallen ließ. Gegen den Einwohner von Domremy, dessen Tod sic ge wünscht hatte, weil er die Partei des Dauphins nicht begünstigte, äußerte sie: „Gevatter, wenn Ihr kein Burgunder wäret, so könnt' ich Euch was erzählen." Einem- anderen Nachbar rief sie zu: „ES befindet sich jetzt zwischen Vaucou- lcurS und Colonibcy eine Jungfrau, die den König von Frankreich krönen lassen wird"; und gab oft zu verstehen, daß sic nach Frankreich gehen müsse °). Der ehrliche Jacques und sein Weib fürchteten, daß die lebhafte Einbildungs kraft ihrer Tochter durch die Kriegskncchte irre geleitet seyn möchte, und daß diese sie überreden dürften, die Heimat zu verlassen und ihnen in den Krieg zu folgen. „Glaubte ich, daß sich so etwas ereignen würde", sagte der Vater zu einem seiner Söhne, „so solltest Du sie lieber ersäufen, oder wenn Du cs nicht könntest, so thäte ich es mit eigenen Händen." Die Schranken, die das Geschlecht und der Stand Johanna's ihr in dcn Wcg legten, würden sie gewiß noch lange an der Ausführung ihrer Träu- ') Unter dem Namen Frankreich wurden damals nur die Provinzen verstanden, welche die Kron-D°maincn bildeten, die anderen hießen im Allgemeinen da» Französische König reich. lSupplöm. uu» meiu. ck« SeLuus ck'Xre.)