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WSchrutlich erschein«» drei Nummern. Pränumeration« > Preis 22^ Silbergr. (j Thlr.) vierteljährlich, Z THIr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theile» der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf diese« Literatur- Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedrichS- Strasle Nr. 72); in der Provinz so >»ie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Freitag den 18. März 1842. Frankreich. Philosophie und Leben in ihren gegenseitigen Einwirkungen im heutigen Frankreich. Mit wic glühendem Eifer die Philosophie oft auch in den Schulen getrie ben wird, sie hat von hier aus noch einen weiten Weg zu durchlaufen, ehe sie die Literatur im weiten Sinne beherrscht, ehe sie zum Fortschritt der Mensch heit beiträgt. Seit dem Jahrhundert, welches sich in Frankreich das philoso phische genannt hat, ist dort die Philosophie in ihrem Kredit und ihrer Popu larität gesunken. Man philosophirt über Alles, doch die Philosophie will man nicht: Sie steht bei dem gemeinen Verstände in Verdacht als unnütz und zu Zweifeln verleitend, und die positiven Wissenschaften werfen ihr Vagheit und sich überall eindrängende Anmaßung vor. Wir versuchen durch einzelne Züge aus die Unmöglichkeit einer Verleugnung aller Philosophie hinzuwciscn und haben zunächst das Wesen derselben mit einigen Andeutungen zu bestimmen, nicht sie zu desiniren, denn eine Definition der Philosophie ist erst bei tiefer und umfassender Kenntniß derselben möglich. Der menschliche Geist besitzt ursprüngliche Kräfte und Begriffe, deren er sich erst durch ihren Gebrauch bewußt wird. Er erkennt zunächst das Dasepn mannigfaltiger Gegenstände und sein eigenes Dasepn im Kreise derselben. Er bemerkt, daß die Gegenstände Eigenschaften haben, daß sic entstehen und ver gehen, daß sie Einflüsse üben und erleiden , daß sie Ursachen und Wirkungen sind. Alle diese Erkenntnisse setzen die Begriffe von Existenz, Ursache, Wirkung u. s. w- voraus und die Fähigkeit, durch die Anschauungen der äußeren Sinne, vermittelst der ursprünglichen Begriffe, Erkenntnisse zu erreichen. Diese drei Punkte, die Fähigkeit, der ursprüngliche Begriff und die vermöge beider gewon nene Erkcnntniß, sind der erste Inhalt der Philosophie. Wenn sic sich darauf beschränkt, sie als Fakta festzustellcn, sie zu zählen und zu desiniren, sö ist sie beschreibend; wenn sie weiter geht und den Umfang der Fähigkeiten, die Gat tung der Begriffe, die Wahrheit der Erkenntnisse untersucht, ist sic tranSscen- dent. Und wie nun Fähigkeiten, Begriffe und Erkenntnisse jeder Wissenschaft als Grundlage oder als Mittel unentbehrlich sind, so ist die Philosophie von Bedeutung für Jeden, und wo sie fehlt, entbehrt der menschliche Geist des Bo- dens, auf dem er seine anderen Bauten aussührt. Die beschreibende Philosophie kann Psychologie genannt werden. Wenn sie sich die Analyse des Denkvermögens zur Ausgabe stellt, so heißt sie Logik, wenn sic die des Willens bezweckt, Moral-Philosophie. Erhebt sic sich zu einer absoluten Kritik des Geistes und seines Inhalts, insofern dieser in Wahrheiten besteht, die gesetzgebend selbst über de» Dingen stehen, so gebührt ihr der vicl- gefürchtete Namen Metaphysik. Die Metaphysik setzt die Untrüglichkeit unserer Erkenntnisse voraus, ihr muß eine Prüfung derselben demnach vorangchen. Dieses ist die höchste Stufe der Psychologie oder der Ausgangspunkt der Metaphysik. Insofern sie unter sucht, ob unsere Erkenntniß mit dem Wesen der Dinge übereinsiimmt, heißt sie Ontologie, und insofern sie das Wesen der Wesen selbst zu ihrem Gegenstände macht, hat sie von Leibnitz den Namen Theodicee empfangen. Die Erforschung des zur Erkennung der Gegenstände nöthigen Mittels ist somit zur Erforschung der Gegenstände selbst unerläßlich. Ein Beispiel möge dies noch mehr ver deutlichen. Der Geist besitzt eine Fähigkeit, die wir die Fähigkeit der Abstractioncn nennen. Vermöge ihrer lösen wir von den einzelnen Objekten gewisse Eigen schaften los, bilden aus ihnen Begriffe und legen diesen Begriffen Namen bei. Diese Begriffe sind die abstrakten Begriffe der Logik, diese Namen die abstrak ten Wörter der Grammatik. Die Abstractionen sind nicht wirklich vorhanden, sie bestehen nur in unserem Geiste. Betrachten wir nun mit Rücksicht auf diese Bemerkung unsere Begriffe, so tritt uns zunächst ein höchst wichtiger Begriff entgegen, der des Raumes. Wie gewinnen wir ihn? Durch Abstraktion? Dann wäre der Raum nicht wirklich vorhanden, denn die Abstractionen sind nicht vorhanden. Angenommen, der Raum cristirt nicht, so haben wir ein Er gebniß, das für die Erkcnntniß der Gegenstände von größter Wichtigkeit ist, und es wäre nur durch Prüfung unserer Kräfte gewonnen- Freilich muß ich als bald hinzufügen, daß cs ein großer Jrrthum ist, die Existenz des Raumes zu leugnen, und daß dieser Jrrthum durch eine Verwechselung der durch Abstraktion gewonnenen Begriffe mit den ursprünglichen entstanden ist, zu welcher wahr scheinlich die grammatische Bezeichnung der Abstrakta Veranlassung gegeben hat, bei der eigentlich abstrahirte und ursprüngliche Begriffe zusammengefaßt werden. Diese Wissenschaft nun, welche in so inniger Beziehung mit dem Leben steht, welche die Grundlage aller Wissenschaften zu seyn bestimmt ist und Auf schlüsse über die Interessen des menschlichen Geistes zu erringen sich bestrebt, liegt vom Volke vergessen und bisweilen verachtet, sie, die noch vor einem Jahrhundert von den beiden Herren der Zeit, Voltaire und Friedrich, einen Watz zwischen der Poesie und dem Herrscherruhm erhielt. Verschiedene Gründe haben diese Lossagung von der Philosophie veranlaßt und entschuldigen sie bis zu einem gewissen Grade. Der Hauptgrund von allen ist, die Philosophie be steht in einem das persönliche Interesse verleugnenden Reflektiren über den Geist und die Natur; doch unser Jahrhundert will sein Interesse nicht verleug nen. Es hat zu viel zu thun, um zu reflektiren. Es verlangt entschiedene Prinzipe, doch nur insofern die Anwendung derselben gegeben ist; es liebt Ideen, doch es will sie praktisch bestätigen. Es lebt von einem so mächtigen Strome von Ereignissen umtost, daß es kaum Zeit und Ruhe gewinnt, sich zur Reflexion zu sammeln. Es ist zu bedrängt mit Geschäften, als daß cs nicht stets ein klares, sicher erreichbares Ziel vor Augen haben und auf gut Glück der Wahrheit nachjagcn sollte, die vielleicht niemals gefunden wird. Die große Aufgabe, das ewige Schlagwort i» Frankreich ist die Revo lution. Die sowohl, welche in der Stille über neuen Entwürfen für die Zukunft brüten, als die, welche durch ein allmäliges Fortschrciten gewaltsame Krisen zu vermeiden strebe», als die, welche mit besonnenem konservativem Sinne das Bestehende mit dem ersehnten Neuen zu vermitteln streben, als die endlich, welche in blindem Eifer für das Prinzip überall den offenen Brand der Empörung anschüren möchten: Alle wiederholen, je nach ihrer Stellung, ihrem Charakter, ihrem Vaterlanve, ihren Talenten verschieden, das eine große Wort Revolution, und ein Unterschied besteht nur darin, daß die Einen eine unbe dingte, die Anderen eine bedingte, die Einen eine augenblickliche, die Anderen eine allmälige, die Eine» eine gewaltsame, die Anderen eine ruhig besonnene Revolution fordern. Bei diesem allgemeinen Zustande der Gesellschaft bleibt zu untersuchen, in wie scrn die rein philosophische Spekulation mit Recht ver nachlässigt wird, oder ob auch sie bei diesem Schauspiel des Jahrhunderts eine nützliche Rolle übernehmen könnte. Jede Revolution gestaltet die Gesellschaft und die Regierung um. Damit solch' eine Umgestaltung möglich werde, muß die Grundlage, auf welche die Gesellschaft oder die Negierung sich stützt, erschüttert seyn. Diese Grundlage ist erschüttert, sobald das Vertrauen, die Ehrfurcht, mit der man sic bisher be trachtet hat, schwankt, sobald die Kritik sie zu untergraben anfäugt. Die Grundlage eines Staates ist eine Religion, eine Ueberlieferung (die Religion selbst ist eine solche) oder ein großes hergebrachtes, ursprünglich selbstisches Interesse, welches die Zeit zu einem Rechte gestempelt hat, oder eine nationale Gewöhnung. Die Religion kann wahr, die Ueberlieferung verständig, die Gewöhnung nützlich, das Recht durch sein Alter hinreichend geheiligt seyn, — sobald eine dieser schützenden Grundsäulen durch den Zweifel morsch gemacht wird, wankt das Gebäude. Geschehe cs nun mit Recht oder Unrecht, der Geist der Revolution rührt in unseren Tagen an der Religion; die Wahrheit des Christenthums wird in Frage gestellt. Die Ueberlieferung, sie mag das poli tische Gesetz, die Kirche, die Sitten oder das gemeine Leben betreffen, sie wird einer zersetzenden Kritik unterworfen, und ein Theil derselben wird nach dem anderen als untauglich vernichtet. Wird das persönliche Interesse im Staude seyn, den erschütterten Glauben an die Religion, an die Ueberlieferung zu er setzen? Dies ist nicht der Schlachtruf, den Völker erheben, wenn sie die Zukunft zu erobern ausziehen. Nur die Vernunft vermag das Verlorene wieder zu geben, und die Vernunft in ihrer reinsten Reinheit, auf ihrer höchsten Höhe ist Philosophie. Alle Ideen, die gegenwärtig im Streite mit einander begriffen sind, können in ihrem Grunde nur philosophisch seyn. Die Philosophie ist so- mit nichts Entbehrliches, sie ist der stillschweigende Boden, dem alle Prinzipe entsprießen, welche die Zeit die ihren nennt; sie ist der Geist des Zeitgeistes, der sich in seinen Zerstörungen wie in seinen Schöpfungen rastlos bethätigt. Wenn diejenigen, welche in die Kämpfe des Jahrhunderts verstrickt sind, daher die Philosophie verleugnen, so verleugnen sie de» eigenen Führer, weil sie ihn nicht bemerken, weil sie ohne Führer zu schreiten »leinen. Doch sie mögen sich hüten, die philosophischen Ideen als sür die praktische Ausführung untauglich darzustellen, da sie hierdurch dem politischen Streben, das sic vertreten, den Stab brechen, insofern dieses jedenfalls auf einer philosophischen Idee beruht. (Schluß folgt.)