Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheinen drei Nummern PrSnumcrotioni-Preis 22p Silbergr. (j Lblr.j viertelialirlich, Z Tblr. für dns gan;c Jahr, ohne Erhöhung, in ollen Theile» her Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pranumerin auf drescS Ltteratur- Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staats- Zeitung ^Friedrichs- Straße Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wohttöbl. Post Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Montag den 2l. Februar 1842 Frankreich. Die jüngste Schwester. Von George Sand. Der Pfarrer einer kleinen Stadt der Lombardei, wo ich einige Zeit ver lebte, hatte drei Nichten, die alle eine angenehme Bildung und eine gute Er ziehung hatten. Sic waren Waisen und ohne Vermögen; ihr Oheim hatte sie bei sich ausgenommen, in dessen Haus sie durch ihre Sparsamkeit, ihren gutmüthigen Charakter und ihre Liebe nicht nur Glück und Frohsinn, sondern auch einen größeren Wohlstand cinführten. Der gute Alte brachte ihnen dafür so viel Tugend bei, daß sie dem Gedanken, sich zu vcrheirathcn, den sie bis dahin wohl im Stillen genährt haben mochten, entsagten. Er machte ihnen begreiflich, daß sie in Betracht ihrer Armuth nur Männer finden könnten, die weit unter ihnen stehen würden, oder die selbst so arm sehn würden, daß Noth und Elend das Loos des neuen Hausstandes scyn müßten. „Armuth ist keine Schande", sagte er oft in meiner Gegenwart; „Schmach über den, welcher diejenigen nicht achtet, die sie mit Würde tragen, oder denen nicht sein Er barmen schenkt, die unter ihr erliegen. Aber Entbehrungen sind eine harte Schicksalsprobe. Iss es nicht Verwegenheit, den Frieden und die Ruhe seiner Seele auf das Spiel einer so schrecklichen Prüfung zu setzen s" Es gelang ihm so wohl, daß er ihre Gemüther zu einem wahrhaft bcwundernswerthen Zu stande der Ruhe und Würde erhob. Wenn er das Antlitz der einen verdüstert sah, so sagte er in der scherzhaften Jtaliänischen Weise: „Was machst du, kleine Nichte k Geh' weg vom Fenster, denn wenn die jungen Männer, die vorübergehen, dich so sehen, so werben sie glauben, du schmachtest nach einem Maune." Und augenblicklich erglänzte das schwermüthige Gesicht des Mädchens wieder im Lächeln der Unschuld und des gerechten Stolzes. Es läßt sich leicht denken, daß diese Familie in der strengsten Zurückgezogenheit lebte. Die jungen Mädchen wußten zu gut, daß sie selbst den Blick der Männer vermeiden müßten, da sie der Ehelosigkeit geweiht waren. Wenn vielleicht auch heimlich eine Neigung aufsproßte, so wurde sie auch heimlich bekämpft und unterdrückt ; wenn sich auch zuweilen die Sehnsucht regte, so fand doch kein Austausch unter ihnen statt, obgleich sic sich zärtlich liebten. Aber die Festigkeit und die Selbstachtung waren so stark, daß ein heimlicher Wetteifer sie antrieb, jeden Samen der Schwäche zu ersticken, ohne ihn aufgehen zu lassen. Eigenliebe, aber eine rührende »nd achtungswerthe Eigenliebe, hielt die Tugend der jungen Ein siedlerinnen wach. Man muß wohl glauben, daß die Tugend kein gewaltsamer Zustand schöner Seelen ist, daß sie in reiner Luft von selbst keimt und wächst; denn ich habe nie wie hier Gesichter gesehen, die so sehr der Bläffe, nie Blicke, die so sehr der Düsterheit, nie Gestalten, die so sehr jedes abschreckenden Scheins entbehrten. Sie waren frisch wie drei Alpenrosen und unaufhörlich in Be wegung , entweder mit der Haushaltung oder mit milden Werken beschäftigt. Wenn sie sich auf den Treppen des Hauses oder in den Gängen des Gartens begegneten, begrüßten sie sich mit einer freundlichen Neckerei, schüttelten sie sich herzlich die Hände. Ich wohnte in der Nähe und hörte ihre frischen Stimmen in jedem Winkel des Pfarrhauses zwitschern. An Festtagen kamen sie in cinem niederen Saale zusammen, um sich abwechselnd eine fromme Geschichte vorzu lesen, worauf sie einen Psalm sangen. Durch die Kränze von weißen Rosen und scharlachfarbenen Winden hindurch, welche die Kreuze des offenen Fensters umschlangen, sah und hörte ich die niedliche Gruppe. Die herrlichen blonden Haare und die natürlichen Blumen, mit denen sich die Mädchen in der Lom bardei schmücken, machten sie zu einer Trias christlicher Grazien. Die jüngste war die hübscheste. Ihr Benehmen hatte mehr natürliche Eleganz, ihr Geist war gebildeter; ich würde auch sagen, ihr Charakter war edler, wenn ich nicht durch die Annahme, daß der folgende hochherzige Zug nicht allen dreien möglich gewesen wäre, in meinen Erinnerungen die schöne Einheit der drei jungen Mädchen zu zerstören fürchtete. Arpalice hieß die jüngste von ihnen. Sie liebte die Botanik und pflegte ein Beet erotischer Pflanzen, das an der Mauer lag, welche ganze Sonne hatte und die Wärme bis zur Nacht bewahrte. Nach der anderen Seite der Mauer hin lagen die Fenster eines hübschen Nachbarhauses, das eine reiche Englische Familie für den Sommer gemiethet hatte. Ladp C ... hatte zwei Söhne bei sich, von denen der eine schwindsüchtig war, den sie durch die reine Luft der Gebirgsgegend wiederherzustcllen hoffte; der andere, der im Alter von 28 Zähren stand, war ein schöner, hoffnungsvoller junger Mann von rechtlicher nnd großmüthiger Gesinnung. Der junge Mann sah von seinem Fenster aus Arpalice die Blumen begießen, unv um sic nicht zu verscheuchen, beobachtete er sie, so lange er vort wohnte, durch eine Ocffnung der Gardine. Er ver liebte sich in sie, und Alles, was er von ihr und ihrer Umgebung erfuhr, riß ihn so sehr bin, daß er um ihre Hand anhiclt, mit Einwilligung der Lady C . .., welche, da sie ihren ältesten Sohn hinsiechen sah und durch Strenge den anderen von sich zu entfernen fürchtete, ihre aristokratischen Vorurtheile zum Opfer brachte. Groß war das Erstaunen in der Englischen Familie, als der Pfarrer, nachdem er seine Nichte befragt, höflich dankte und rundweg das Anerbieten eines vornehmen Mannes, eines großen Vermögens und, was mehr sagen wollte, einer ehrenhaften Liebe ausschlug. Der juuge Lord glaubte, daß der Stolz vcr Pfarrcrfamilie durch die Eilfertigkeit seiner Bewerbung verletzt worden sey. Er bezeigte einen so tiefen Schmerz, daß Lady C ... sich ent schloß, selbst Arpalice aufzusuchen und sie inständigst zu bitten, ihre Schwieger tochter zu werden- Die Schönheit, die Verständigkeit und die Anmuth des jungen Mädchens machten einen solchen Eindruck auf sic, daß sie fast den Kum mer des Sohnes theilte, als sic dieselbe unerschütterlich fand. Der junge C... wurde krank, und zu gleicher Zeit starb sein Bruder. Der Aufenthalt der Englischen Familie verlängerte sich in der kleinen Stadt. Der Pfarrer ging zu Lady C..., bot ihr zarte Tröstungen an, erkundigte sich nach dem Befinden des jungen Mannes und bemühte sich, durch die echteste Theilnahmc ihre traurige Lage zu lindern. Kaum war Lord C ..., der sein Bett an das Fenster hatte stellen lassen, um Arpalice zu beobachten, genesen, als er in den Garten des Pfarrhauses schlich, in den Blumen, welche Arpalice pflückte, zärtliche Briefe verbarg, ihr andere zustellte, ihr in die Kirche folgte und ihr mit einem Worte auf eine unablässige, gehcimnißvolle und romantische Weise den Hof machte, worüber sic nicht böse werden konnte, da er zuvor die Lauterkeit seiner Absichten bewiesen hatte. Ein Monat verfloß so, und eines Morgens war Arpalice verschwunden. Großer Schrecken und großer Lärm entstand im Pfarrhause. Schon liefe» die beiden Schwestern händeringend auf die Straße, um Nachrichten von der Ent- ffohcnen cinzuziehcn; da trat der Pfarrer bewegt, aber nicht betrübt aus seinem Zimmer hervor; er sagte ihnen, sie möchten sich ruhig verhalten, den Leuten keine Verwunderung zeigen und sich selbst nicht beunruhigen. Er selbst habe, sagte er, Arpalice in einem Geschäfte nach Bergamo geschickt, und er bäte seine lieben Nichten, ihn nicht eher darum zu befragen, als bis ihre Schwester zurückgekehrt sey. Drei Tage nachher reiste die Englische Familie nach Venedig und von da nach Wien. Der junge Lord schien bestürzt, aber er wollte nicht dulden, daß seine Mutter ihre Bewerbung erneue. Während sie östlich in der Richtung nach Brescia reisten, schlug der Pfarrer den Weg nach Westen ein, und am folgenden Morgen war Arpalice ins Pfarrhaus zuriickgckehrt. Sie sah sehr bleich aus, und sic sagte, daß sie krank sey, aber sie war so mild und heiter wie gewöhnlich. Sie bat ihre Schwestern, sie nicht zu befragen, und erst nach einem halben Jahre, als die Farbe der Gesundheit wieder auf ihren Wangen blühte, durfte der Pfarrer ihr keusches Geheimniß vcrrathen. Arpalice hatte Lord E... geliebt, aber aus Zartgefühl für ihre Schwestern hatte sie ihn nicht heirathen wollen. Folgendes ist der Brief, den vcr Pfarrer in seinem Schlüsselloche gefunden hatte, an vcm Tage, wo Arpalice geflohen war. Als der gute Mann ihn mir vorlesen wollte, war er so gerührt, daß er ihn nicht beende» konnte und ibn mir auf ven Schoß warf mit den Worten: „Da ist er; ich vermag es nicht, obgleich ich ihn auswendig weiß." Ich habe mit seiner Erlaubniß eine Abschrift von dem Briefe gemacht; ich lasse sie folgen: „Mein Onkel, taveln Sie mich nicht wegen der Schwäche, die mich besiegt; ich habe Alles gcthan, um sie zu bekämpfen. Diese Leidenschaft, welche man Neigung nennt (ich übersetze wörtlich), muß schwerer zu bekämpfen seyn, als ich glaubte. Gewiß beliebt eS Gott, mich zu prüfen, um mich zum Gefühl der Furcht nnd Demuth zurückzufllhrcn. Ach, mein guter Onkel! bewahren Sie mein Geheimniß. Nichts in der Welt hätte mich bewegen können, meinen armen Schwestern zu entdecken, warum ich krank bin; aber Sie sind mein Beichtiger und mein Vater in Gott; Ihnen muß ich mit Beschämung gestehen, daß der Kummer mich besiegt bat. Ich bin so unklug gewesen, mehrere Briefe des jungen Mannes anzunehmcn; verbrennen Sic dicsclben, daß ich sie nickt wiedersehe; sie haben mir zu weh gcthan. Sic habcn vcn Lebensmuth meiner Tage und die Ruhe meiner Nächte gestört. Ich habe das Gift der Schmcicke- lei in meine Seele dringen lassen, und einen Augenblick, traurig und sonder bar genug! ist mir die Achtung dieses Fremden wcrthvoller geworden als