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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Prcii 22^ Sttbergr. (t Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. Mr da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Tkeilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerir« aus diese« LUeratnr- Blatt i» Berlin in der Expedition der Mg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedrichS- Straße Nr. 72) ; in der Provinz so wie im Auslande hei den Wohttödl. Post - Aemteen. Literatur des Auslandes. 11. Berlin, Mittwoch den 26. Januar 1842 Frankreich. Die Schriftstellerei der Handwerker in Frankreich. Von Lerminier. °) Das Volk, sagt Lamennais, bleibt in vieler Hinsicht in steter Kindheit befangen. In der That zeigen sich zwischen dem sittlichen Zustande des Volkes und dem vcs Kindes überraschende Aehnlichkeitcn. In beiden bricht der Ver stand nur in einzelnen unbestimmten und schnell vorüberfliegcnden Blitzen her vor; in beiden erwartet die Seele, wie eine empfängliche, doch unbebaute Erde, Eindrücke, Bilder und Ideen von außen, durch welche ihre Beschaffen heit und ihre Kraft bestimmt wird. Mit welcher Sorgfalt wachen die Aeltern über der ersten Entwickelung des kindlichen Geistes; jedes Wort, jeden Blick wägen sie ab, denn er kann von Bedeutung für die Zukunft eines Menschen werden; mit gleicher Sorgfalt sind die Eindrücke zu bewachen, von denen ein Volk berührt wird, das eben im ersten Aufschwünge zu höherer Ausbildung begriffen ist. Erst seit dem Jahre 1830 betrachtet man in Frankreich den öffentlichen Unterricht als eine Pflicht, die der Staat gewissenhaft zu erfüllen hat. Andere Völker, besonders die, deren Sitten seit dem ikten Jahrhundert durch die religiöse Reformation umgestaltet worden, sind den Franzosen längst auf die. sem Wege vorangegangen. In Deutschland, in der Schweiz, in England, auf der Skandinavischen Halbinsel ist seit drei Jahrhunderten der Volks-Unterricht mit der Kirche vereint. In Frankreich war selbst zur Zeit, als es durch den Glanz seiner Literatur und den Aufschwung seiner Ideen als Lehrer von Europa dastand, der größte Theil der Bevölkerung höchst ungebildet. Und selbst auf dem Gipfelpunkte der politischen Revolution entbehrte das niedere Volk die einfachsten und niedrigsten Begriffe, während die mittleren Klassen bereits von neuen Ideen und Theoriccn übcrschäumtcn. Dieses Mißverhältniß hat uns sehr geschadet. Verfehlte Tendenzen, verbrecherische Leidenschaften haben in ihrem Treiben die Unerfahrenheit des Volkes oft zur Mitschuldigen bekommen, und hierin liegt ein Hauptgrund, wenn in der Geschichte unserer Revolution neben so vielem Gelungenen so viel Verfehltes steht. Gegenwär tig sind die Regierung selbst, alle politische Parteien und alle philosophische Schulen mit gleichem Eifer für den Unterricht des Volkes besorgt; und es bedarf eines so ernsten Zusammenwirkens, um das tiefe Dunkel zu lichten, in dem das Volk noch besangen lebt. Doch kaum haben wir diesen langwierigen Weg betreten, so vernehmen wir schon Freudengeschrei und Triumphlicder; man verkündigt uns, daß der Geist der Wissenschaften in die untersten Klassen gedrungen ist, und daß die, welche gestern noch nicht die ersten Elemente höherer Bildung kannten, heute für uns Alle schreiben und denken können. Diese Versicherung ist so neu und überraschend, daß wir einen Augenblick verweilen, sie zu prüfen- Es gab eine Zeit, in der man das Geschäft eines Schriftstellers für ein sehr ernstes und schwieriges hielt, an das man sich nur mit entschiedenem Berufe und nach langen und gründlichen Studien wagte. Und wenn auch Männer von weniger umfassendem Talente zu schreiben versuchten, wie wir bereits zu den Zeiten Corneille's und Voltaire'S solche finden, so suchten sie doch durch ernsten Fleiß und durch Liebe zur Arbeit die Mängel ihrer Natur zu verdecken und möglichst zu ersetzen. Heute wird man mit bewunderns- werther Leichtigkeit zum Schriftsteller; nichts scheint bequemer, als eine Feder zu ergreifen und sich als Autor anstaunen zu lassen. Was trüge das Genie nicht in sich selbst? wie könnte es darnm sich durch den schwerfälligen Ballast eines unnöthigcn Wissens in seinem freien Fluge hemmen lassen? Mit diesem großen Bewußtseyn der eigenen Kraft fängt man fröhlich an, die Kunst, die Religion, den Staat umzugestalten; jede Stirn fordert eine Krone, bis das bitterste Erwachen auf diese sinnlosen Träume folgt. Alle diese gescheiterten Hoffnungen, diese verunglückten Lebcnsplanc haben nicht bloß eine lächerliche Seite, sic sind zugleich die Quelle der tiefsten Schmerzen, und sic drohen, ab gesehen von der Noth, in die sie Einzelne und ganze Familien stürzen, sogar für den Staat gefährlich zu werden, da so viel edle Kräfte durch die thörichtc Eitelkeit, das Höchste leisten zu wollen, zu Grunde gehen, die, wenn sie sich auf niederere Wirkungskreise beschränkten, sehr Schätzbares leisten könnten. Bisher schien cS wenigstens, als wollte dieses verderbliche Fieber der litcra- -) Diese Betrachtungen sind zunächst durch eine Reihe von Gedichten veranlaßt, welche die von George Sand hcrausgezebene Keru- luä-p.mtaute mitgrlheilt und deren Persaffcr Hand- werter sind. rischen Eitelkeit und Ehrbegierde nur in den mittleren Klassen der Gesellschaft seine Opfer suchen, jetzt ist cs auch in die untersten gedrungen; die Hand werker berauben sich des vielgepriesenen Glückes, das von ihren anstrengenden Arbeiten säst unzertrennlich ist, daß sie von den Sorgen und Bekümmernissen, die den Geistigbeschäftigten nie verlassen, frei sind. Der Dämon des Ehr geizes hat an die Thür des Handwerkers gepocht und an seinem Heerde Platz genommen. Die alte Herzenseinfalt, der Scclenfriedc, selbst der glückliche, gesunde Schlaf ist wie weggezaubert. Der Handwerker ist mit dem Körper bei seiner Arbeit gegenwärtig, seine Seele schwärmt anderwärts; seine Seele träumt Ruhmesgcdankcn, und ist cs auch nothwcndig, daß sie früh ihr eigenes Unvermögen erkennt, so entspringt aus diesem Bewußtseun der eigenen Un fähigkeit und dem gesteigerten Ehrgeiz nur die tiefste innere Zerrüttung, vor der sich Adolf Boper nur durch den Tod zu retten wußte. Adolf Boyer hatte ursprünglich nur die chrenwerthe und bescheidene Absicht, sich zu unterrichten. Unglücklicherweise kam er, als er Alles, was zunächst in sein Fach schlug, ge lesen hatte, auf den Gedanken, er könne auch schreiben. Die Arbeit, die man ihm anvertraute, überließ er anderen Handwerkern und schrieb ein Buch, ohne zu ahnen, daß man zu einem Buche neue und eigenthümlichc Ideen bedarf, daß man sie sorgfältig durcharbeiten und ihnen selbst in der Darstellung den Rei; der Neuheit verleihen muß. Niemand in seiner Umgebung glaubt an seinen Beruf zum Schriftsteller; seine Frau schilt ihn, weil er der Befriedi gung einer thörichten Eitelkeit die Hülfsqucllcn opfert, welche zu ihrer Eristen; so nöthig sind; seine Freunde und Genossen verlachen ihn, und weisen ihn mit ihrem unerbittlichen gesunden Sinne früh auf die Armseligkeit seiner Gedanken und seines Stiles hin. DaS Buch erscheint, das Publikum regt sich nicht, und Adolf Boper hatte geglaubt, mit einem Schlage der Gegenstand allgemeinen Staunens zu seyn. Das Buch geht nicht, und der Verfasser sieht sich außer Stande, seinen Verpflichtungen gegen den Verleger nachzukommen. Er glaubt sich von aller Welt verlasse»; er fühlt keine Kraft, in einer Welt zu blcibcn, die sich fühllos seiner Stimme verschließt; so endete er durch Selbstmord, und rief noch sterbend aus, Jeder, der das ganze Leid seines Standes fühle, müsse sterben wie er. Seine kleine Schrift war nichts als eine dürre Compilation, ohne jede Gewandtheit der Form, und wenn wir auch auf diese noch verzichtet hätten, selbst ohne alle ursprüngliche Lebendigkeit, ohne alles individuelle Ge präge, welches wir bei dem Werke eines Handwerkers unerläßlich fordern. Das Zunftwesen ist die Seele gewisser Klaffen von Handwerkern; es hat sich bisher in dem engen Kreise seiner Gewohnheiten gehalten, jetzt legt man mehr Nachdruck auf dasselbe, und das Buch von den Zünften steht in der ersten Reihe der volksthümlichcn Schriften, zwischen den Werken des Herrn von La- mennats und den Pamphleten des Herrn von Cormcnin. Die Handwcrks- burschenlieder, welche sich früher durch mündliche Uebcrlieferung fortpflanzten, werden heute gedruckt; als dies die ersten Male geschah, sollen sich die Hand werksburschen damit unzufrieden erklärt haben, und cS sprach sich hierin ein sehr richtiges Gefühl aus. Wenn sich das Volk, um seine Mühsale zu ver gessen, einer unbefangene» Heiterkeit hingicbt, so wird Niemand daran denken, sein« einfachen, kernigen, doch oft rohen Lieder einer peinlichen Kritik zu unter werfen; doch sobald sic gedruckt werden, treten sie mit dem Anspruch auf, für Kunstwerke zu gelten. Was einige Schriftsteller aus dem untersten Stande noch mehr aller sicheren Haltung beraubt und sie in ihren Thorheiten stärkt, sind die unbe sonnenen Schmeicheleien, durch die man sic gern zu Vertretern und Organen der demokratischen Ideen stempeln möchte. Man behandelt das Volk, wie die Höflinge den König behandeln; Alles, was das Volk schreibt, ist ausge zeichnet; seine Prosa kräftig, seine Poesie überschwänglich. Man erzählt, das Ludwig XI V. einst die Schwäche hatte, Boileau einige Verse zu zeigen, die er mit eigner Hand geschrieben hatte; „Sire", antwortete der Freund Raci- ne's, „ich erkenne mehr als je, daß Ew. Majestät nichts unmöglich ist; Sie haben schlechte Verse machen wollen, und sic sind entsetzlich geworden." Wie viele der sogenannten Volksfrcundc würden heut den Muth haben, dem Volke zu erklären, daß bei seiner Schriftstellerei ihm oft dasselbe Kunststück gelingt? Ehe wir nun einen Blick auf die Poesien der Handwerker werfen, welche diesen Aufsatz hervorgerufeu haben, und welche wir als Symptome einer merkwür digen Bewegung ansehcn, scheint es passend, mit einigen Worten den gegen wärtigen Zustand unserer Literatur zu charakterisircn. Seit fünfundzwanzig Jahren ist unsere literarische Thätigkeit ungemein gestiegen, und seit zehn Jahren zeigt sich in ihren Produkten eine eigenthümlichc Erhitzung und Ueber- reizung. Zur Zeit der Restauration studirte man viel, und die Talente ent wickelten sich mit einer gewissen schwerfälligen Gediegenheit. Mit der Revo-