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Senats-Versammlung kein geringes Gewicht hatte. Nachdem Roms Schicksal entschieden war, entsagte er aller öffentlichen Wirksamkeit und lebte in beschei dener Zurückgezogenheit ausschließlich den Wissenschaften und Künsten. Wie wunderbar! Ueber achtzehn Jahrhunderte wiederholt man: „Ehre sey Mäcen! Mäcen hat die Dichter seiner Zeit zu Ruhm und Würden erhoben; er war ihr redlichster Freund, ihre Stütze, ihr Schutzgott!" Und über diese ein- müthigen Lobeserhebungen vergißt man den, welcher zuerst den fähigen Köpfen seiner Epoche, einem Virgil, einem Roscius und unserem Horaz, seine wohl wollende und hülfreiche Hand darbot. Herr Janin geht nun noch ein paar Satiren, allerdings nur flüchtig, durch und weist nach, wie in diesen, namentlich in der dritten des ersten Buches, der Dich ter schon einen weit milderen und sanfteren Ton anstimmc, obwohl noch hier und da etliche sehr derbe Hiebe ausgetheilt wurden. Horaz, meint Herr Janin, habe diesen Morgen beim Erwachen daran gedacht, was für einen über schwänglichen, was für einen kaum faßlichen, geschweige denn zu verwirklichen den Begriff hinsichtlich der Tugend die rauhen Stoiker aufgestellt, und er habe sich deshalb vorgenommen, uns Kinder des Staubes, wegen unserer kleineren Vergehungen, wegen unserer leidlichen und unschuldigeren Fehler, zu verthei- digen. Er wolle, fügt er hinzu, daß wir uns gegenseitig mit Schonung und Nachsicht behandeln, daß man ja nicht über den Splitter im Auge des Nach bars Lärm schlage, während man den Balken im eigenen kaum bemerke u. s. w. u. s. w. Aeußerst gewandt beschließt der Französische Aesthetiker das Kapitel der Satire, um zu den übrigen poetischen Gattungen, in denen Horaz geglänzt, übcrzugchen. Dies sey fern von mir, ruft er aus, unserem Dichter Schritt vor Schritt auf seinen satirischen Streif- und Feldzügen folgen zu wollen. Soll ich meine Meinung über diesen Gegenstand sagen, so scheint es mir, als habe er nicht lange genug von diesem ätzenden, jedoch recht heilsamen Stoffe Gebrauch gemacht. Er war bloß auf einen Augenblick der Schrecken der Unterdrücker, die Hoffnung der Unterdrückten. ES stand bei ihm, allein er verschmähte eS, strenges Gericht über seine Zeit zu halten; denn solch eine Aufgabe schien ihm zu hart und — verhehlen wir es uns nicht — auch ein bischen zu unbequem. Er besaß zu wenig Galle, zu wenig Gehässigkeit, um auf die Dauer einem so mühseligen und unfreundlichen Geschäft gewachsen zu seyn. Wartet nur, bis Juvenal kömmt, an dem sollt Ihr schon einen unversöhnlichen Satiriker fin den. Auch wäre es überdies eine starke Anforderung an einen Mann mit der Gemüthsart, mit der frischen Lebenslust, wie Horaz, daß er sich sein kurz zugemessenes Erdenwallen durch rastloses Zürnen, Grollen, Tadeln und Schel ten verleide. Er ist es wahrlich nicht, der seinen Mitbrüdern stets düstere und feindselige Blicke zuwerfen kann; nicht er, der, gleich einer strafenden Neme sis, dem frevlcrischen Römervolke über blutgedüngte Auen Nacheilen wird. Ueberlaßt solche Arbeit einem Persius, einem Juvenal, einem Tacilus; dies ist das peinliche Tribunal, bei dem auf keine Gnade zu rechnen ist, dies die fürchterlichen und unerbittlichen Rachegötter, deren Lächeln selbst noch eine Drohung, ein Fluch ist. Unserem liebliche» Dichter aber ist's gar nicht rechter Ernst mit seinem Ingrimm, und darum leistet er auch gern Verzicht darauf. Er bedarf vielmehr zur Verwirklichung und zum Bollgenuß des in seiner Seele ausgcmalten Still- und Dichter-LebenS eines alten Weins, blühender Rosen, junger Mädchen und seiner theurcn Jugendgefährten. Er findet seine höchste Freude an Gottes freier Natur, an herrlich prangenden Gefilden, an munter dahinrieselnden Bächlein, an lustig hervvrsprudelnden Quellen, an sanft abfallenden Thälern, am klaren Mondesschimmer und selbst an den win terlichen Stürmen, die von den eisbedeckten Gipfeln des Soracte tobend her überbrausen. Freilich wohl ist er ein satirischer Dichter, jedoch vor Allem ein Sänger der Liebe, deren Gewalt er selber empfindet, ein Schüler des Lucilius, ich räume es ein, aber auch ein Schüler Anakrcvn's. Er züchtigt, er geißelt wohl die Gebrechen, jedoch stets mit zarter und im Grunde wohlwollender Hand, er wählt sich diejenigen Fehler heraus, die ganz nach seinem Schnitte sind, und klebt ein gut Theil davon ihm selber an, so bleiben es doch immer nur solche Makel, durch die Niemand wehe geschieht, kaum ihm selber. Nur solche liebt er, nur solche feiert er in seinen Liedern, wie ein leibhaftiger Epikuräer, der er auch in der That ist. Kaum hat er sich seine Sporen, nicht auf dem Felde der Ehre, sondern der täglich wechselnden Liebes-Abenteuer verdient, kaum hat er sich so viel erworben, um ein Häuschen nach seinem Geschmack zu besitzen, kaum hat er sich in die roga virili« gehüllt, als er sich auch mit dem ganzen Feuer seines beweglichen und empfänglichen Geistes in den Taumel der Sinnengenüsse stürzt. Man vergesse hierbei ja nicht, daß er ein Kind Italiens, daß er noch nicht volle scchsundzwanzig Jahr alt, daß er in Athen nach dem Beispiele der Heroen Griechischer Poesie von süßen und zauberischen Liebcsbanden umstrickt war, und endlich, daß er nach Rom wieder zu einer Zeit zurückkehrte, wo eben mit der Auflösung der alten Ordnung und mit dem Beginn eines neuen gesellschaftlichen Zustandes die maßlosesten Leidenschaften und Ausschweifungen ihren Höhepunkt erreicht hatten. Und nun stelle man sich unseren blühenden und lüsternen Horaz erst gar dem Troß von Sirenen gegenüber, die in alle Toiletten- und Verführungskünste eingewciht, selbst den felsenfestesten Stoiker wankend machen konnten — wie vermochte Er zu widerstehen? Unter jenen Mädchen und Frauen aber, die nicht bloß durch ihre Körperreize, sondern auch durch ihre geistigen Vorzüge eine so magische An ziehungskraft auSzuübcn wußten, meinen wir die Hetären oder, um uns eines modernen Ausdrucks zu bedienen, die Courtisanen. — Von diesen Damen entwirft Herr Janin ein so schönes und treues Gemälde, daß wir, mit einst weiliger Beiseitelassung unseres Dichters, versuchen wollen, es nachzuzeich nen. Nachdem der unzählige» Laster und Schlechtigkeiten, welche den tiefen Sittcnverfall der Wcltbezwingerin bekundeten, Erwähnung gethan worden, kömmt auch der unersättliche Geldgeiz °), der damals alle Gemüther ergriffen, an die Reihe. „Das Geld", sagt Herr Janin, „ja bas Geld war der oberste Lenker und Gebieter jenes durch Mchrherrschaft und Parteisucht zerfleischten Volkes; das Geld blendete und hielt gefangen Leib und Seele, es räumte alle Unterschiede der Klassen und Stände hinweg, es stellte die Courtisane in eine Linie mit der achtbaren Matrone. Man rufe sich in'S Gedächtniß jenes großartige Rom mit seinen Säulenhallen, mit seinen prächtigen Gärten, mit seinen weiten zum Lustwandeln geeigneten öffentlichen Plätzen; man ver sinnliche sich jenes unzüchtige Frauengcschlecht, welches die unabsehbare Ap- pische Straße entlang sich in einer Sänfte tragen läßt oder in einem Wagen herunter rollt. Sie zeigen, wer Augen hat zu sehen, Brust, Arme und Schul tern entblößt. Sie haben für Alle insgesammt und Jeden insbesondere ein freundliches Lächeln, werfen ihnen holde, schelmische Blicke zu und lassen eS nie an geistreichen und artigen Einfällen fehlen. Es heißen diese Art Frauen Courtisanen. Man hat später mit diesem Ramen Mißbrauch getrieben. Lasse man ihn daher lieber weg, und man wird aus dieser reizenden und flatternden Gesellschaft, aus diesem buntfarbigen FrühlingS-Flor die Anmuth, den Witz und die feine Sitte der Römer heraus erkennen. Die Courtisane war eine geborne Sklavin, aber schon von Kindesbeinen an ward sie durch die sorgfältigste Unterweisung und durch paffende Vorbilder in allerhand Kunststückchcn, Kniffe und Pfiffe eingeweiht und auf diese Weise schon frühzeitig für ihren künftigen schwierigen Beruf abgerichtet. Sie mußte cS aber auch im Tanzen und in der Musik zu einer Fertigkeit gebracht haben, sie mußte nicht bloß die Poesie, sondern fast alle schöne Künste studirt, ja selbst philosophische Kenntnisse sich erworben haben — und in allem dem mußte sie ganz so zu Hause seyn, wie in ihrem eigentlichen Fach, der Kunst, zu gefallen. Nicht selten vereinigten sich mehrere Sklavenhändler zu gemeinsamem Ankauf eines einzigen jener Engelsköpfchcn und gaben dazu fast ihr ganzes Vermögen her; und in der Regel hatten sie sich dabei nicht verrechnet, indem sie mitunter sogar hundertfachen Gewinn aus den zusammengeschoffenen Kapitalien ärndte- tcn. Die so innerlich und äußerlich wohl ausgestattcte Sklavin ward nun mit großem Gepränge in die Stadt geführt und vorweg von sämmtlichen Pflastertretern und Millionairen, über deren Mangel sich gottlob Rom eben so wenig beklagen durfte, als unsere großen Städte, in Augenschein genom men. Der gescheidte Eigenthümer traf mit seiner Waare ganz dieselben Maß regeln und Vorbereitungen, wie sie heutzutage ein Theater-Direktor anwendet, ehe er eine Opernsängerin auftreten läßt. Hierdurch ward man nur um so begieriger, um so gespannter, und bald lag Alles, Groß und Klein, Jung und Alt, staunend und anbetend der neuen Göttin zu Füßen. Die schmucken, galanten Herrchen suchten durch Artigkeiten und Schmeicheleien, die Reichen durch flimmerndes Metall, die Junggesellen durch Hinweisung aus ihren freien, zwanglosen Stand, die Dichter wiederum durch ihre schwärmerische Begeisterung und durch feierliche Schwüre ewiger Treue die Schöne zu er obern; Alle stritten sie auf Tod und Leben um ihren Besitz und bemühten sich, einander den Rang abzulaufen. Der Eine sagte: „Ich bin Römischer Ritter! Sieh, wie jung und schön ich bin! O nimm mich! In acht Tagen werde ich Prokonsul seyn!" — Der Andere sprach: „Ich bin Senator! ich bin Konsul! Ich habe eines der höchsten und wichtigsten Staatsämter!" Am häufigsten rückte irgend ein Kornwucherer, so ein Trimalchion mit seinem schweren Golde, das ihm Fortuna eben in die Hand gespielt, heran und kaperte die Dame mit einem Schlage, sämmtlichen Nebenbuhlern zum Ver druß, vor ihrer Nase weg. Doch wer auch immer bei diesem Seelenhandel das gewünschte Kleinod erbeutete, mochte er Ritter, Konsul, Prätor, Aedil oder selbst ein Trimalchion seyn, stets war es das erste Geschäft des Käufers, der ihm nunmehr angehörenden Sklavin die Freiheit zu schenken. Es mußte den Leuten ein widriges Gefühl, ein durchaus unerträglicher Gedanke seyn, ein willenloses, nur den Befehlen seines Herrn sich fügendes Geschöpf zur Geliebten zu haben. Nein, cs mußte von einem so zarten Verhältniß jed weder Zwang ausgeschlossen seyn, es durfte ihr keine Zuneigung abgepreßt werden, man mußte ihre» Trieben völlig freien Lauf lassen und ihr sogar das Recht einräumen, sagen zu können: „Ich mag dich nicht leiden, gehe weg nnd belästige mich nicht weiter." Ein Privilegium, das jene lockeren Vögel oftmals bei der ersten besten Gelegenheit wohl benutzten. — Nun vergegen wärtige man sich unseren von Liebe glühenden Dichter, von so holden, locken den Zauberinnen umschwärmt und umgarnt, welch' himmlisches Entzücken mußte ihn da nicht ergreifen! Es findet sich unter Cicero s Briefen einer, worin der berühmte Redner erzählt, daß er den Tag vorher mit seinem Freunde Titus Pomponius Atticus ") bei der reizenden Courtisane Cythcris zu Mit- tag gespeist. Da, wo ein Cicero dinirte, durfte schon Horaz zu Abendbrod essen, so glauben wir wenigstens. Und überdies haben sich zu allen Zeiten die Dichter und Courtisanen aufs trefflichste mit einander verstanden. Beide sind sie Kinder eines glücklichen Ungefähr: Jene leben von ihrem Geiste, diese von ihrer Schönheit. Sie geizen nicht wie elende Filze mit den Schätzen, die ihnen der Schöpfer verliehen, wie er dem Bogel das Gefieder und den Gesang gegeben hat. Sie sind die Günstlinge einer und derselben Gott heit; man dulde also ihren Bund; man gestatte, daß sie sich einander be freunden, daß sie sich zusammenfindcn unter dem großen Haufen, der das Erdenrund bedeckt. Laßt einen Augenblick euren erlauchten Anbeter, eure ehrgeizigen Bestrebungen, euren Durst nach Ruhm, nach Glanz und Glücks- ') Man denke an Jugnrtha, der von einer Koma venaN, idem feilen, käuflichen Rom) spricht und durch Bestechungen der Straf- silr sein- ruchlosen Frevel zu emgehen hofft. "1 Derselbe, dem der bekannte Biograph Cornelius Neppt ein unauslöschliche» Denkmal gesetzt.