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884 Bourbonen nach Frankreich und nicht in ihr Reich zurück kehrten. Royer Collard setzte alle Bedingungen fest; er redete zu seinem erlauchten Korrespondenten im Namen MonteSquieu'S, tm Namen der Erfahrungen Englands; er führte die Sprache eines ernsten Lehrmeisters, und seine Worte wurden gehört und gefürchtet. Er war es auch, der jenen Brief Ludwig'S XVIII. an Bonaparte aufgesetzt, der fo viel Aufsehen gemacht hat °) Als die Triumphe der konsularischen Diktatur die Royalisten erbitterten, als Ludwig XVIII. von der Verzweiflung sich beherrschen ließ und die Georges Cadoudal den friedlicheren Gang der Unterhandlung ersetzten, da hörte Royer Collard auf, Korrespondent zu sepn. Er brach nicht mit den Prinzipien der Monarchie, wohl aber mit denen, die sic auf solche Weise geltend machen wollten. Er wendete sich wieder zu seinen unterbrochenen Studien der Philo sophie der Port-Royalisten, unter welchen zu jeder Zeil ein Glied seiner Familie war. Fontanes, der Großmeister der Kaiserlichen Universität, setzte ihn auf den Lehrstuhl der Philosophie und machte ihn zum Dekan der Fakultät. Fontanes war ein geschickter Diener eines zweiten Augustus, und er fand Mittel, die am stärksten kompromittirten Cinna'S mit seinem Kaiser zu versöhnen. Leute wie Delille, Bonald und Royer Collard wurden für den Dienst gewonnen, ohne daß sie ihre monarchischen Wünsche anfgaben. Der Letztere trug die Schottische Philosophie vor und wurde der Lehrer von Männern wie Cousin, Jouffroy und Damiron. Die erste Restauration sand ihn bereit für die neuen Begeben heiten, ohne daß ihn die früheren kompromittirt hätten. Ludwig XVIII., sein früherer Korrespondent, und der Minister Montesquieu bedienten sich seines NatheS bei der Redaktion der Charte, machten ihn zum StaatSrath und zuni Direktor der Buchdruckcreien und des Buchhandels. Die zweite Restauration machte ihn zum Großmeister der Universität, nachdem ihn seine getreue Champagne im Arron dissement Vitry le FranyaiS zum Dcputirtcn gewählt. In der Kammer, an der Universität und in den Conseils des Königs empfing man die Schätze seines metaphysischen Nachdenkens und seinen constilutioncllen Groll. Alle Ministerien liebkosten ihn wie eine eifersüchtige und unumschränkt herrschende Egeria, denn er war das Orakel und die Inspiration des ganzen Französischen TorpiSmuS, der das Königthum libcralisiren und die Nation rvyali- siren wollte. Unter der Herrschaft der rechten Seite, als die blinde Verwal tung des Villölc ans Ruder stieg, gab er seine Entlassung und be schränkte seine öffentliche Thätigkeit auf seine Pflichten als Depntirtcr. Der Sieg von 1827 zwang das übelberathene Königsthum, ihn als Präsidenten der Kammer anzunchmen. Er war ein würdiger Chef der Opposition im Kampfe der beiden Prinzipien, und er wünschte, daß die Demokratie aus den Usern trcie, und daß das Königthum sich in sein constitutionelles Bett zurücksührcn lasse. Gewählt von sieben Wabl-Kollegien, glaubte er sich Herr der öffentlichcn Meinung, und er rechnete beharrlich auf einen Sieg der Tribune, niemals auf eine Revolution. Daher kam es, daß er im Juli I8Z0 nicht die Ehrenbezeugungen des Triumphes, sondern die Trauerklcidnng und die Niedergeschlagenheit eines Besiegten annahm. Haben wir bisher vom Staatsmann und seinen Grundsätzen ge sprochen, so wollen wir einige Worte von seiner Persönlichkeit und seiner Haltung im gesellschaftlichen Leben sagen: Er ist I76Z geboren und durch Allianzen mütterlicher Seite mit dem Adelsstand verwandt, und hiervon mag er, gleich Cuvicr, einen Geschmack für alte Familiengeschichte und Wappen erhalten haben. Seit langer Zeit tragt er graues Haar, das noch durch eine Per- rücke, die den starken runden Kopf bedeckt, gehoben wird. Sangui nischen Temperaments, ist er dabei mäßig, enthaltsam, obgleich er innerhalb der Gränzen der Weisheit zu genießen versteht. Er ist ein fach in seinen Gewohnheiten, ohne Stolz, und er scheint mehr durch sein Alter als durch sein Auftreten zu imponiren. Seine geringe Harthörigkeit übertreibt er manchmal boShafterwcise, um nicht zu antworten, wo eS ihm nicht gefällt. Gerade so wie es M macht, wenn man mit ihm von Rossini spricht. So sehr er auch für einen Manu seiner Zeit gehalten sepn will, so blieb er doch ein Mann der Vergangenheit durch seine Sitte und seine socialen Ansichten, seine Geistesrichtung und seine Erinnerungen. Es ist oder 20 Jahre her, daß er keine Journale gelesen hat; und zwar mchr, weil er einen Widerwillen gegen ihre Grammatik hat, als wegen ihrer Politik. Die neue Grammatik macht ihm Schmerz, die Politik macht ihn lachen. Er gehört in der Literatur den Klassi kern an, und wenn er manchmal Neuerer oder gar dunkcl ist durch die Jdce, so drückt er sich doch elegant, klar, streng und genau aus. Er will für einen Mann gelten, der es mit den Schriftstellern des I8tcn und I7tcn Jahrhunderts hält, und dies erklärt sein Bescheid an Victor Hugo, der ihn uni seine Stimme für die Akademie bat: „Mcin Herr, ich kenne Ihre Schriften nicht, ich lese nicht mehr, ich wiederhole sä« ne Us ptu«, j« reli^)." Auch die Ernennungen Scribc's und Dupaty's waren ihm schmerzlich. . Die moderne Wohlredenhcit vollends mißfällt ihm arg, und die- ') Der Vers, meint hier den Brief, wodurch Ludwig die angebliche Auf forderung Bonaparte'-, feine Thronreebte auszugeben, beantwortet- Be kanntlich bat Bonaparte damals und fpater die Aufforderung, die von der Franwsiscben Gesandtschaft zu Berlin ausgegangen se,,n soll, deSarvuirn das Antwortschreiben bleibt nichtsdestoweniger em mertwiirdiges Aktenstück der Zeit. D. liebers. jenigen, welche als die mit derselben am begabtesten gelten, dienen am meisten zur Zielscheibe seiner üblen Laune. Eines Tages, als Rcmusat die Tribune verließ, aus der er eben eine seiner körnigsten Reden hielt, sagte der alte Chef der Doctrinaire zum Nachbarn: „Ich begreife nicht, wie man Ohren für diesen jungen Menschen haben kann, wenn man Beine hat, um davonzulaufcn." Obgleich er dem Redner nur halbe Ohren schenken konnte, so hatte er doch mit der Hälfte schon so viel, daß er sich bessere Beine wünschte. Ohne Zwei fel ist ihm, trotz seiner Harthörigkeit, doch ein Ausspruch von Rcmu sat zu Ohren gekommen, der so lautet: „Der Doctrinaire ist ein unverschämtes Wesen rc." Zu Odilon Barrot sagte cr: „Mein Herr, ich kenne Sie seit langer Zeit, vor »o Jahren habe ich Sie schon gesehen, damals nannten Sie sich Petion." In unseren Tagen hat er sich zum Stillschweiger verdammt, und für die ganze Politik deü Tages hat cr nicht einmal ein verächtliches Wort, sondern nur ein O! und ein Ach! Und dieses studircn seine Freunde; dieses O! und Ach! ja manchmal nur ein Husten, ein Seufzer, ein Achselzucken gilt ihnen mehr als manche lange Rede Anderer. Sie vergleichen sein Schweigen mit dem berühmten Schweigen des Mirabeau und SiöycS unv halten cS zwar für ein öffentliches Unglück, aber für gerecht, für eine Strafung des jungen Geschlechtes, welches der Reden eines Royer Collard unwürdig ist. Dagegen erklären cs seine Spötter für feine Heuchelei, für den be stimmten Wunsch, den einmal erlangten Ruf tiefer Weisheit nicht zu kompromiitiren, und es fehlt ihnen freilich nicht an Gleichnissen, wo berühmte Männer früh aufhörcn zu sprechen und zu schreiben, weil sie nicht das so frühzcitig genossene weiche Lorbeerlager zum Einsätze in einem Spiele benutzen wollen, das neue Lorbeern bringen, die alten aber auch wegnebmen kann. Seine politischen Freunde waren bloß Tallcyrand, Mol«, Gui- zot und Dccazes. Ersteren hielt er für seinen Lehrcr, den Zweiten für seinen Schülcr, den Dritten für seinen Mitarbeiter, den Vierten für seinen Dupc. Broglie, Dubois, Thiers, Remusat und Mignet hält er für kleine Girondisten in her^ Politik, für große Jakobiner in der Grammatik. In dcr Nähe von Valenyäy bat cr ein kleines Landhaus, und von hier aus schreibt cr nach Paris nur an zwci von den genannten Männern. Dagegen soll er mit seiner Nachbarin, dcr Herzogin von Dino, cine eigcnthllmlichc Korrespondenz eröffnet haben, die eine Art von politischer Jntrigue enthält. Eine seiner Töchter ist an Herrn Andral, eincn der berühm testen Aerzte, verhcirathct; und zwei seiner Neffen, die seinen Namen tragen, haben auch einige Eigenschaften seines großen Geistes. Aber sein glückliches Alter ist in der neuesten Zeit von einem grausamen Schlag getroffen worden. Er hat ein Kind durch den Tod verloren, das die Freude und der Trost seines GreiscnalterS war. (b'. d.) Mannigfaltiges. — Der Mirza. Untcr diesem Titel hat dcr Verfasser dcs „Hadschi Baba", Herr James Morier, eine ncue Reihefolge Persi scher Erzählungen herauSgegeben, wie wir dergleichen schon mehrere von seiner gewaudtcn Feder besitzen. Dcr „Mirza" ist auch solche orientalische Maske wie jener „Havschi". Letzterer bedeutet bekanntlich einen Frommen, und meistens erhält man diesen Beinamen, wenn man eine Pilgerfahrt nach Mekka und Medina gemacht. „Mirza" dagegen hat zweierlei Bedeutungen; nach dem Namen gesetzt, kommt es nur einem Prinzen des Königlichen Hauses zu, wie AbbaS Mirza sl. Mirsa); vor dem Namen dagegen zeigt cS einen Hosbeamten oder einen Groß würdenträger an. Der Mirza Morier'S ist ein Hofbcamte, den er in dcr Umgebung Feth-Ali-Schah's kennen gelernt haben will und der ihm die anmuihigen orientalischen Geschichten erzählte, die er uns jctzt mitthcilt. „Der Orient", bemerkt Hr. Morier, „wie wir ihn durch seine Erzählungen kennen, fängt allmälig an, von der Welt zu verschwinden. l"«iu le e»mm«neem«»r ci« M li». Vielleicht ha den wir die letzte Nachlese gehalten, den letzten Anblick des mächtigen Caouks und des weiten Schalwar gehabt, die bald für immer mit dem Hute und den zierlichen PantalonS vertauscht sepn werden. Wie wun derbar ist doch und würdig der crnstcstcn Betrachtung jene Thatsachc, daß das ganze Gebäude des Muhammedanismus so plötzlich und gleich zeitig von allen Seiten durch Ereignisse sich bedroht sieht, die kein menschlicher Verstand vor wenigen Jahrzchndcn noch geahnt hätte! Di« Berberci, Aegypten, Syrien, die Ufer des Euphrats und dcs Tigris, das Rothe Meer, Konstantinopel, Klein-Asien, Persien und Afghanistan, alle haben mchr oder weniger den Einfluß Europäischer oder anti-Mu- hammcdanischer Agcnticn empfunden. Vielleicht sieht die gegenwärtige Generation noch kein neues Gebäude erstehen, aber sicher hat sie den Grund zu demselben schon legen sehen." — Philosophie in England. Ein Herr Charles Bray ist in England als Philosoph auferstanden, der ein neues System ent deckt haben will. Er nennt dasselbe dic „Philosophie dcr Nothwcn- digkeit", dic cr in einem „Gesetze ver Konsequenzen" entwickelt, wie sic sich aus dic Vernunft-, Moral- und Social-Wissenschaft anwen den lassen.") Die Englische Kritik dieses Systems beschränkt sich jedoch auf den zwar alten, aber bezeichnendsten Ausspruch; „Was daran neu ist, ist nicht gut, und was gut ist, nicht neu." ') Itie ot or tlie larv ns couso^usoeez, L» Io , morul avll sooisl «eieuce. CUrrles öruv. volume«. L,ou6ou, 1841.. Herausz-gedcn von der Erpebiiien ter Mg. Preuß. StaatS-Icilung. Rcbigirt von Z. Lehmann. Gedruckt bei Sl. W. Hayn.