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882 Standpunkt in diesen Beziehungen nicht gekränkt fühlen, denn sie treten ja erst in diese Laufbahn ein, und sie bedürfen, wie alle Völker, erst der Hülfe der Zeit, um in den Annalen der Literatur einen ge wissen Rang cinnehmen zu können. Die auf den Ruhm ihres Vaterlandes eifersüchtigen Amerikaner sollten sich darauf beschränken, alle die ungünstigen Umstände darzu legen, welche ihrem literarischen Aufschwung hemmend entgegentreten; übrigens sind dieselben schon an und für sich genugsam in die Augen fallend. Eine gewaltsam aus ihren alten Grundvesten herausgeschleu- derte Gesellschaft, die bald damit beschäftigt ist, ihrer Unabhängigkeit durch die Gewalt der Waffen den Sieg zu erringen, bald die noch un gleich schwierigere Aufgabe ihrer politischen Reorganisation zu regeln hat, die einer materiellen Bewegung ohne Beispiel und einer bestän digen Regsamkeit hingegebcn ist, eine solche Gesellschaft kann unmög lich der ruhigen Beschäftigung mit dep schönen Wissenschaften obliegen. Wenn man alle diese so verschiedenen Ursachen bedenkt, so muß man darüber erstaunen, daß Amerika noch etwas besitzt, was einer Litera tur ähnlich, nicht darüber, daß es vergleichsweise arm an verdienst vollen Schriftstellern ist. Uebrigens sind aber die Vereinigten Staa ten nicht durchaus aller wissenschaftlichen und schöngeistigen Berühmt heiten baar. Man kennt die merkwürdigen Werke Washington Jrving's, Cooper's, Jefferson's und die von Washington selbst, welche kürzlich in einer Französischen Ausgabe von Guizvt er schienen sind; solche Arbeiten würden einer ruhigen, starken und geregelten Gesellschaft zur Ehre gereichen, deren politische Organi sation schon einer viel früheren Epoche angehörte. In diesen, letzten Punkte sind wir ganz mit Herrn Vial einverstanden, nur fühlen wir uns bewogen, ihm einzugcstehcn, daß die Hoffnung, in den geistigen Erzeugnissen seiner Landsleute nicht das Schöne oder Edle, wohl aber das Ungewöhnliche, das Ercentrische anzutreffcn, am meisten un sere Aufmerksamkeit aus dieselben lenkt. Hierüber noch Einiges zur näheren Erläuterung. Mit geringen Ausnahmen trifft man jetzt überall in Europa dieselbe Philosophie, dieselbe Rechtspflege, dieselbe Literatur an. Die Negierungssormen, ohne gerade identisch zu sepn, gleichen sich doch untereinander; unsere Gewohnheiten, unsere Ideen, obgleich scheinbar verschieden, sind doch überall nach demselben Muster geformt. Die constitutionellcn Bürger Frankreichs und Englands urtheilen zwar nicht in allen Dingen wie ihre Nachbarn in Italien und Deutsch land, doch aber basiren alle ihre Schlüsse aus dieselben Grundprin zipien. Wenn wir alle zuweilen in unseren Systemen, in unseren Ansichten von einander abweichen, so geschieht das nur, weil wir etwas von unserem besonderen Temperament, von unseren örtlichen Gewohnheiten hineinmischen. Daher fehlt auch unseren literarischen Arbeiten oft das Verdienst der Neuheit und Originalität und folglich auch das, ein lebhaftes und tiefes Interesse zu erwecken. Man kennt die Geschichte jener alten Englischen Dame, die sich selbst das Leben nahm, weil sie, seitdem sich die höheren Stände aller Länder alle nach demselben Schnitt kleideten, darüber verzweifelt war, in Europa nichts Dramatisches, Hervorstechendes und Malerisches mehr zu fin den. Und dasselbe fast ist jetzt auch der Fall mit unseren Literaturen, die selbst in ihren Schönheiten fad und monoton geworden sind, weil eine die andere kopirt und sie dahin streben, einander immer ähnlicher zu werden. Deswegen richtet sich nun unsere Aufmerksamkeit ganz besonders auf die geistigen Erzeugnisse Amerika'S, denn sie sollen oder sollten vielmehr die Meinungen und Ideen eines Volkes ans- Lrückcn, dessen sociale Organisation durchaus nichts mit der der Europäischen Gesellschaften gemein hat. Der Philosoph, der Moralist, der Staatsmann müssen begierig sepn, zu erfahren, welches die gei stige Nahrung ist, die man der einzigen großen demokratischen Ge sellschaft darbietet, die jetzt in der Welt vorhanden ist/und welche Einwirkung diese politische Form auf die Sitten und die Geister ausübt. Man braucht nicht mehr in die Zeiten der Griechen und Römer hinaufzustcig'en, um zu erfahren, wie das moralische Leben der Demokratie gestaltet war. Amerika, das wir vor Augen haben, bie tet unS ein lebendiges Beispiel dar, ein Beispiel, das um so wichti ger für uns ist, weil es in gewisser Hinsicht vielleicht einzig in der Geschichte dasteht. Man weiß, daß dasjenige, was man in Athen und Nom Demokratie nannte, sehr wenig demjenigen gleicht, was wir jetzt mit diesem Wort bezeichnen. Das Volk von Athen wird als regierend betrachtet; unter dem Volk waren aber die Sklaven nicht mit einbegriffen, die doch zwei Drittel der Bevölkerung auS- machten. Nirgend sind im Alterthum die wirklichen Masse» zu einem direkten Antheil an Ler Regierung zugelaffen worden, wenn auch das Prinzip der allgemeinen Zustimmung, welches stets zu berücksichtigen man sich den Anschein gab, baS Gegcntheil zu beweisen scheint. Nor dem Beispiele Amerika'S gab cs also nur mehr oder weniger demo kratische Oligarchicen, aber keine wahre Demokratie. Welches Argument, bietet uns aber nun Amerika zu Gunsten der civilisirenden Macht der Demokratie dar k Sind die Geister im Fort schritt begriffen, schreitet die Aufklärung immer weiter vorwärts k Ist die leidenschaftliche Gährnng der Massen, die zu gleicher Zeit ein Zeichen und die Folge der Freiheit ist, mit jenem Gefühl von Sicher heit, mit der Stätigkeit der traditionellen Ideen vereinbar, ohne die cS für ein Volk weder moralische Kraft, noch wahre Civilisation giebt? Wir wollen nicht behaupten, daß diese Elemente hinreichend seyen zur Lösung jener großen socialen Frage, um die es sich seit dem Beginn aller Dinge gehandelt, nämlich welches die passendste Ncgierungssorm für den Menschen scy. Will man indeß wissen, ob die Institutionen eines Volkes auf seine Aufklärung und Erhebung hinwirken, ob sie ihm einen ruhigen Geist, eine hohe Civilisation ver liehen und ihm doch zu gleicher Zeit jenes kräftige Temperament, jene militairische Gewandtheit bewahrten, die selbst jeden Anschein einer Gefahr von außen fern halten, so studire man seine Literatur, man entdeckt man nur zu deutlich da sein Wirken, wo man nur sehe zu, was seine Denker, seine Dichter sagen. Ist ihre Sprache niedrig und trivial, sind ihre Bilder schwerfällig oder übertrieben, ihre Gedanken gemein, oder tragen sie den Charakter widerlicher Mittelmäßigkeit, so kann man sicher sepn, daß ohne eine gründliche geistige Wiedergeburt hier keine echte Civilisations-Keime, kein wah res Prinzip moralischer Größe vorhanden sey. Wir wollen jedoch keineswcges alles eben Gesagte auf die Zu stände beziehen, welche die Amerikanische Demokratie gebildet hat. In ihrer Literatur giebt eS zwei sehr von einander unterschiedene Epochen. In der ersten bemerken wir eine wahre Erhebung, alle Kennzeichen echten Talentes. Jefferson, Madison, Franklin, Jap, alle die Unterzeichner der Unabhängigkeits-Erklärung, edle und aufgeklärte Geister, gehören dieser ersten Epoche an. Leset ihre un sterblichen Werke und vergleichet sie mit denen der gegenwärtigen Generation. Welch ein Unterschied! Bevor Amerika gänzlich die politischen und literarischen Traditionen des monarchischen Europa'» abschüttelte, als die öffentliche Meinung sich noch im Uebergangs- punkte befand, hat es große Schriftsteller, kühne Denker hervorge bracht; als aber die Umwälzung vollzogen, die neue Ordnung der Dinge sich gänzlich von den alten socialen Elementen losgelöst hatte, da scheint es, als wären die Geister plötzlich stumpfer geworden- Nicht mehr an die Gebildeten, an die geistig Hochstehenden wendet sich der Amerikanische Schriftsteller; nicht mehr nach ihrer Einsicht und ihrem Geschmack regelt er seine Gedanken; sein Publikum ist zahlreicher, aber roher geworden. .Sein Ziel sind die Massen, die in der Literatur wie in der Politik herrschen. Man begreift leicht, daß sich alle seine Ideen gezwungen den Instinkten, Vorunheilen und Ge wohnheiten dieses neuen akademischen Tribunals füge» müssen. Es wirb sich also in seine» Erzeugnissen die Abneigung dieses neuen Publikums gegen jede Auszeichnung des Standes oder Ranges ab spiegeln, ja selbst gegen das Talents gegen Alles, was über daS Ge wöhnliche hervorragt; eine Abneigung, die eben so wohl heut zu Tage, wie vor tausend Jahren, einen der charakteristischen Züge des demokratischen Geistes ausmacht. Die alten Dcmokraticen mißtrauten selbst dem von ihnen mit Lob gekrönten Verdienste, und die modernen Dcmokratieen sind von denselben Gefühlen beseelt. Nur erst wenn ihre großen Männer im Grabe ruhen, fällt es ihnen ein, sic zu ehren; lebend werden sie zwar nicht mehr verbannt, wie einst Aristides und Coriolan, aber man verleumdet ihre Absichten, man greift ihren Cha rakter an, und die Menge ist immer leichtgläubig genug, um die ge hässigsten Schmähungen des Neides und die unwürdigsten Verklei nerungen für wahr zu halten. Leider muß man cS eingestehen, daß das arme Menschengeschlecht sich zu keiner Zeit und an keinem Orte seiner einwohnenden Schwächen entkleidet; unter jeder Regierungsform und im Dienste jeder Sache tritt daS höfische Wesen hervor, und oft uneigennützigen Patriotismus zu sehen glaubte. Da wo die Macht vollkommenheit in den Hänbcn der Massen rubt, sind nur zu oft die Schriftsteller schwach genug, ihr Talent dadurch herabzuwürdigen, daß sie den Eingebungen eines beschränkten Neides oder einer groben Unwissenheit das Wort reden und denselben schmeicheln, und eine fruchtbare, ja in gewisser Art unerschöpfliche Mittelmäßigkeit tritt an die Stelle jener Werke ausgezeichneter Geister, die zwar selten sind, aber doch zuweilen bei den monarchischen Völkern ihr Jahr hundert erschüttern und.erleuchten. Dieser Ausspruch mag vielleicht zu streng erscheinen, aber man mustere die Liste der jetzt lebenden Amerikanischen Schriftsteller, und man wird ihn nur gerecht finden. Kaum fünf oder sechs Namen sind der Erwähnung wcrth, und diese gehören in gewisser Beziehung fast eben so wohl Europa wie Amerika an. Washington Ir ving ist ganz unbestritten einer der geistreichsten und fruchtbarsten Schriftsteller des Jahrhunderts. Wer sein Brackbridge-Hall, seine Geschichte von Ncw-Aork, die Erzählungen eines Reisenden und jenes große Werk, das allein schon hinccichcnd wäre, seinen Verfasser be rühmt zu machen, das Leben des Columbus, gelesen hat, alles Ar beiten, die einen scharfe», geläuterten Geist, seltene Forschungskraft und ein gründliches, sicheres Urthcil bekunden, der giebt zu, daß die Lobeserhebungen, die sowohl Europa wie Amerika dem Versasscr dieser Schrine» zollt, kcineswegeS übertrieben sind. Wenn nun aber auch Amerika das Recht zusteht, de» Namen Washington Jrving's ausschließlich für sich in Anspruch zu nehmen, so hat sich doch im Schoße Europa'», das er fast gar nicht verlassen, erst das Talent dieses Schriftstellers entwickelt. Hier, und nicht in den Vereinigten Staaten, hat Washington Irving seine Verehrer und sein zahl reichstes Publikum gefunden. Seine Ideen richten sich auch mehr nach unserem Geschmack, als nach dem seiner Landsleute, und das wahrscheinlich auf eine ihm selbst unbewußte Weise. Dieselben Be merkungen finde» auch auf Cooper ihre Anwendung, dessen mit Recht gefeierte Romane wohl ohne Zweifel durch die Erfolge Walter Scott's hervorgerufen wurden und sich ganz augenscheinlich dem Europäischen Geschmacke anfügen. Wir wollen also in Rücksicht auf diese Schriftsteller Herrn Vail nicht entgegen sepn. Wir geben gern zu, daß er diese beiden schönen Namen auf das Frontispiz seines National-Pantheons ein schreibe, wenn er nur seinerseits zugiebt, daß sic eine Ausnahme unter den Amerikanischen Literaten bilden. Tucker, Storp, Li vingston, Sparks und besonders Channing, weichender jetzigen Generation angchörcn, sind zweifelsohne verdienstvolle Schriftsteller; wir fügen denselbe» noch Clap und Webster bei, deren Redner- Talent von Bedeutung ist; dann aber entdecken wir nur höchst un bedeutende geistige Berühmtheiten in den Annalen dcS heutigen Amerika'S. (Schluß folgt.)