Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erschein«» drei Nummern. Vriiimmerationt- Prei« 22j Sgr. () Td!r.) vierteliäbrüch, 3 Thlr. sür da« ganze Jahr, ohne Er Höhung, in allen Theilen ter Preustüchcn Monarchie. Magazin für die Man »eSnumerirt auf diese« Literaiur-Blalt in Berlin in der Expedition der Mg. Pr. Ctaatt-Zeilung (FriedrichSsir. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei de» Wohllööl; Post-Aemtcrn. Literatur des Auslandes. 153 B erlin, M ittwoch den 22. Dezc m brr 1841. Frankreich. Eine philosophische Schauspielerin in Berlin. Mademoiselle Cochois, so hieß vor hundert Zähren eine beim Berliner Theater angestellt gewesene Französische Schauspielerin, die vor etlichen sechzig Jahren gestorben ist, ohne eben ein sonderliches Andenken hinterlassen zu Haden; denn wir zweifeln, daß viele unter unseren Lesern ihrer jemals haben erwähnen hören. Bloß ein ein ziger Schriftsteller hat von Mlle. CochoiS gesprochen: es ist dies Thiebault in seinen Erinnerungen an Berlin, und zwar da, wo er ihres Gatten, des Marquis d'ArgenS, gedenkt. Also lauten seine Worte: „Die CochoiS durste man eher eine häßliche, als schöne Frau nennen; dagegen war sic mit einem ausgezeichneten Verstände begabt und dcsaß überdies viele Kenntnisse und Talente. So z. B- niafte sic recht nett und war besonders sehr tüchtig in der Musik. Außer ihrer Muttersprache verstand sie das Deutsche, Jtaliänische, Lateinische und sogar ein wenig das Griechische, welches sie aus Gefälligkeit gegen ihren Gemahl erlernt hatte. Dieser hatte ihr auch noch das Hebräische bcibringcn wollen; allein schon die Buchstaben sand sie gar zu barbarisch und konnte daS Alphabet nicht verdauen. Ihr Charakter war sanft, gesetzt und rechtschaffen. Ihr war ferner die seltene Gabe eigen, unter dem Anschein größtmögftcher Unbefangen heit, sich stets zuvorkommend gegen ihren Ehemann zu benehmen und hierdurch dessen Beifall zu erwerben. Die Familie Cochois", fügt Thiebault hinzu, „gehörte seit langer Zeit der Bühne in Berlin an, wo Vater und Mutter ihr gestorben waren. Der Sohn, welcher die Rolle des Arlequin vortrefflich spielte, war nach Rußland gegangen, ärndtctc da reichliche Lorbeern, bekam brav Geld und stand in hoher Gunst. Die zur Marquise d'ArgenS erhobene Schauspielerin hatte noch eine jüngere, sehr hübsche Schwester, welche bei der Berliner Oper als erste Tänzerin sungirte." Daß ein Philosoph eine Schauspielerin -eirathet, dies ist schon vorgekommcn und müßte sich sogar öfter wiederholen, wenn die Philosophen konsequenter handelten, als gewöhnlich. Jndeß, man muß einräumen, daß d'ArgenS einen ganz besonders glücklichen Fang gethan: auf den Brettern, in einer solchen Familie, in der Schwester eines Hanswurstes und einer Operntänzcrin ein solches Weib zu finden! In der That etwas Ungeheures. Und um so höher preise ich das gütige Geschick des Marquis, als ich eben seinen Briefwechsel mit Mile. CochoiS gelesen, welche damals erst neunzehn Jahr alt war und sich wohl nicht träumen ließ, daß sic einst Frau Marquise werden sollte. Jene Korrespondenz macht nur ein gering'cS Bändchen aus, das I744 erschien und von Thiebault nicht mit einer Splbe erwähnt wird. Gcwiß mit Unrecht, da sich hierin völlig bestätigt findet, was er über die vortrefflichen Geistesgabcn und den liebens würdigen Charakter des Mädchens bemerkt. D'ArgenS, zweifelsohne überrascht von ihren Fähigkeiten und ihrer Anmuth, hatte eS übernommen, ihr Unterricht in der Philo sophie und den Wissenschaften zu ertheilcn. DicS war der nächste Anlaß ihres schriftlichen Verkehrs. Seltsam! die junge Künstlerin hatte gleich von vorn herein eine ganz besondere Vorliebe für daS Spstem gefaßt, welches mit Stolz die edelsten Geister des Zeitalters Ludwig's XIV. zu seinen Anhängern zählte: sie war mit Leib und Seele Cartesianerin, was dem Marquis keineöwcgeS behagen wollte. „Gestehen Sie eS nur", sagt er ihr, „Sie fürchten, von Grund aus Philosophin zu werden; nicht vermögen Sie, ein artiges Häuflein von Vorurtheilen, die noch an Ihnen kleben, fahren zu lassen. Cartesianerin sind Sic, ganz wohl; warum jedoch kümmern Sie sich nicht darum, auch die entgegengesetzten Lehren zu ergründen? Um- sonst bemühe ich mich, Sie zu überzeugen, daß die wahre Philosophie auf der Kenntniß der Geschichte des menschlichen Geistes beruhe, und daß dieses Wissen nur durch aufmerksame Prüfung aller von einander abweichenden Systeme gewonnen werden kann; Sie dagegen bleiben mit Hartnäckigkeit dabet, schlichtweg Cartesianerin zu sepm Ich habe die Gewißheit, daß in diesem Ihrem Entschluß mehr Acngfilichkeit als wahrhafte Verehrung für DeScarteS vorherrscht. Vertrauen Sie mir und entfernen Sie sich von Ihrem Jrrthume. Ich wünsche nicht, daß Ihre prächtigen Anlagen durch dunkle und unerquickliche Studien eipc verderbliche und falsche Richtung einschlagen; ich möchte im Gegentheil Ihren Geist mit tausend eben so angenehmen als nütz lichen Kenntnissen schmücken. Ei« besitzen Einbildungskraft, Schärfe des Verstandes; Sie haben sogar Ausdauer, etwas, das man so selten bei Ihrem Geschlechte antrifft und daS doch denen, welche sich wollcn belehren lassen, schlechterdings nvthwcndig ist. Weshalb nun lassen Sie so köstliche Gaben nicht zu ihrer Geltung kommen? Was Ihnen Abneigung gegen eine so fruchtbare Wissenschaft rinflößt, ist wohl der Charakter gewisser Personen, denen Sie den Titel Philo soph haben geben hören. Sie sind erstaunt, daß ich Ihnen rathe, sich mit ähnlichen Kollegen zu verbinden. Vielleicht glaubten Sie, Sie wären dann gezwungen, einen rauhen, störrischen Sinn, eine saure Miene und am Envc gar ein etwas unordentliches AeußercS anzunehmcn. Bannen Sie diese Furcht; ich verspreche Ihnen zu Gefährten ganz ähnliche Leute wie CartesiuS und Fontenelle. Nie werden wir Werke von anerkannten Pedanten durchgehen, indem diese eher dazu geschaffen sind, einem die Wissenschaft zu verleiden, als zu belehren. Wir werden Locke lesen, von dem Sie schon etwas vor Augen gehabt; ich werde Ihm» Gassendi'S Meinungen erklären. Sie werden Newton aus den Schriften einiger seiner Schüler, die dessen Ansichten und Entdeckungen in ein den Damen faßliches Ge wand zu kleiden gesucht, stubiren, und Sie werden sehen, daß die Cariestanische Lehre nicht die einzige fcy, welche Reiz gewähre." . Dir CochoiS entgegnet hierauf: „Warum sollte ich mich scheuen, Philosophin ex kunünmenro zu werden? Sie müssen sicher Mißtrauen gegen sich selber hegen, wenn Sie nicht glauben, daß Ihre Lehren mich von einem Jrrthume geheilt haben, der in meinem Geschlechte eine nur gar zu gewöhn liche Erscheinung ist. Ich betrachtete die Philosophie als die Klippe der unschuldigsten Vergnügungen: können Sie mir eS wohl ver argen, raß ich i» meinem Alter (d. h. in demjenigen, wo Alles, was nur eine ernste Außenseite hat, adschrcckt) besorgte, mich einer Wissenschaft zu befleißigen, die man mir in der traurigsten Gestalt vorgeführt hatte? Sie haben mich enttäuscht; Sic haben mir ge zeigt, daß die Philosophie liebenswürdig ist, daß sie heiter ist und öfters gar eben so aufgeweckt, als Lie munteren Witze eines ga lanten Herrn. Wir haben bis jetzt nur die Werke des DescartcS und Fontenelle gelesen. Sie verlangen, daß ich mit Aufmerksamkeit auch die der übrigen Philosophen lese; ich merke mit Erlaubniß, daß Sie mit verdrießlichen Augen auf meinen Eifer für CartesiuS blicken, und daß Sie nicht übel Lust hätten, mich zur Zwcifclsucht zu ver leiten. Sie versprechen mir, mich mit liebenswürdigen Philosophen befreunden zu wollen, und ich meinerseits gelobe Ihnen rastlosen und anhaltenden Fleiß. Sic haben begonnen, mich mit Locke ver traut zu mache»; Sie scheinen mir ein warmer Verehrer dieses Engländers: scpcn Sie behutsam; eS wäre wahrhaftig ärgerlich, wenn mein Widerwille gegen Alics, was nicht der Feder eines Fon tenelle und CartesiuS entflossen, anfinge, sich auch gegen einen Mann, den Sie so hoch schätzen, zu äußern." Sich von DeScarteS zu Locke wenden, hieß so viel, als von einem mächtigen GeniuS zu leidiger Mittelmäßigkeit übergehen, von emem glänzenden Gestirn zu einem schwankenden und matten Lichte; der bewundernswcrthc Verstand der jungen, weit ihrem Lehrer über legenen Schülerin täuschte sich hierin nickt. Mit welchem Scharfsinn ahnt sie daS Ziel vorher, dcm sie zugeführt werden soll, und wie spürt sie den hinter Locke's Buch versteckten PprrhoniSmus heraus! Der Marquis, welcher fast Alles trieb, beschäftigte sich auch mit Geschichte. Eines Tages übersandte er der CochoiS seinen Abriß der allgemeinen Geschichte, begleitet von einem Briese, worin er sie ausführlich über die Furcht belehrt, die er bei ihr voraussetzt, sür eine Pedantin zu gelten. Die CochoiS beruhigt ihn auf eine Weise, die ihn entzücken mußte, denn ein richtiger Takt war ihm nicht abzustrciten. „Sepcn Sie unbesorgt, daß ich mich noch ängstige, eine Gc- lehrte zu werde». Ihr Unterricht hat eine so große Veränderung in meinem Geiste hervorgebracht, daß, sollte ich auch ein wenig von dcm ungefälligen und selbst widerwärtige» Wesen, das weiland der guten Madame Dacier eigen war, an mir haben, ich trotzdem, wie ich merke, den Zweck, den ich mir einmal gesetzt, verfolgen würbe. Wissen Sic wohl, daß eS für eine junge Person immer ein starkes Stück bleibt, Kenntnisse auf Koste» der Vergnügungen erkaufe» zu wollen? Ihr ganz fertigen Philosophen, Ihr rechnet freilich den Leib für Nichts. Der Geist ist Euch AlleS: er allein ist's, der euer Thun und Lassen bestimmt. Ein Buckliger, der folgerecht schließt, ein Einäugiger, der eine geometrische Wahrheit zu Tage fördert, scheint Euch hundert Male schätzcnSwerther als Endpmion, um dessenlwillen Luna so häufig aus des Himmels Höhen zur Erde mederstieg, und als Alps, sür welchen Cpbele so viel Thorhettea beging; indrß wir un«