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Wöchentlich erscheine» drei Nummern. Pränumeration-- Preis 22i Sgr. (j Tblr.) vierteljährlich, 3 Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in alten Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man «ranumerirt auf dieses Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Mg. Pr. StaatS-Zeiiung (ZriedrichSstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Ausland« bei den Wohllöbl. Post - Aemlcrn. Literatur des Auslandes. 149 Berlin, Montag den 13. Dezember 1841. Spanien. Neue Reise-Literatur über Spanien. il. Reisebries« von Ida Gräfin Hahn-Hahn. Erster Band- Berlin, Alexander Duncker, nur. Hier haben wir eine ganz moderne Reisebcschreibung im Genre der Reisebilder u. s. w. In diesem kömmt es nicht auf die Gegenden, auf die fremden Zustände, nationale» Eigcnthümlichkeitcn an; die sind ganz gleichgültig; die Hauptsache ist das beschauende Ich; die Gegenden, die Bäume, die Felsen, die Städte, die Menschen sind nur, um sich von dem beschauenden Ich reflektiren zu lassen. Der moderne Reisende (oder sagen wir lieber die moderne Reisende, la da die Vers, den Rezensenten Oberflächlichkeit vorwirst, welche ge sagt haben, sie schreibe wie ein Mann) reist, nicht um sich zu belehren oder zu beobachten, sondern nm sich anzuregen, um ihre Phantasie zu erfrischen, um einen Gegenstand für ihre poetische oder satirische Laune zu erhalten. ES kommt also aus die Gefühle, Einfälle, Stimmnngen an; daraus entsteht die (ovune ä «emimewj (wohlgc- gemerkl temmo!); aber das Kostbare, Werthvolle dieser Gefühle ist gerade, daß sic die eigenen Gefühle sind. So geht die svunns ü dontimeus in die komme n pretenrinn« über, (kvmmv!) Die Hauptsache ist also ras fühlende, anzuregende Ich. Was es fühlt, wodurch cs angeregt werden soll, ist gleichgültig; wenn eS nur überhaupt fühlt und angeregt wird. Dadurch erhalten wir einen Rahme» von ungeheuren Dimensionen, in den alles Möglich« hinein- gebracht werden kann, wie cs hier der Fall ist. Eine größere Man nigfaltigkeit läßt sich kaum denken. Wir finden hier lyrische Klagen, poetische Ergüsse, polemische Ausfälle gegen die Dampswagcn und die Rezensenten, Franzvsenhaß, innige Gefühle, unbefriedigte Sehn sucht, Anpreisungen des Mittelalters und — aber die Liste würde zu lang werden. Za, wer sollte eS glauben, die Verfasserin macht sogar Abschweifungen in das Gebiet der Politik (wo soll man nun noch Ruhe vor derselben finden, wenn sie sich sogar in die zierliche Feder einer liebenswürdigen Deutschen Frau flüchtet?). Ob sie bei den un politischen Lesern, wenn diese das Gesetz anwendcn: „Yue I» poli- tigu, ne tombe ;uuc en guenuuilte", Gnade finden, ob sie nicht, wenn auch nicht in den Ruf einer Frau, die wie ein Mann schreibt, doch in den Ruf einer cmancipirtcn Frau kommen werde, ist eine andere Frage. Man glaube übrigens sa nicht, daß Mangel an Belehrung in dem Buche sep; im Gcgcntheil ist dafür sehr reichlich gesorgt. Da sich indeß viele der geistreichsten Aeußerungen nicht gut würden in eine Uebcrsicht hincinbringcn lassen, so veranstalten wir eine kleine Blumenlese. Zuerst, was ist gegen die Dampswagcn zu sagen? ES sind großlcntheilö persönliche und poetische Gründe, von denen wir indeß, da sie manches Neue enthalten, einige anführen. Zunächst ist der Verfasserin die Gemeinschaft mit aller Welt im engen Raume zuwider. Sodann findet sie, daß der Mensch sich dadurch zu einem Waarenballen herabsetze und sich seiner Sinne, seines Willens und seiner Unabhängigkeit begebe. Daran wird gleich eine Anklage der Zeit geknüpft. Ja, ja! ruft sie aus, in Len modernen Kram paßt sie! sie ist nivellirt und centralisirt, und das sind die beiden fixen Ideen derjenigen, welche sich Liberale nennen. Nivelliren können wir zugeben, aber nicht Ccntralisiren! das Centralisiren ist von Lud wig -X1V-, von Napoleon, überhaupt von der Gewalt ausgegangen, die alle Fäden in einer Hand zu fassen sucht. — An einer anderen Stelle sagt sie einige schöne und tiefgesühltc Worte zur Verherr lichung des Mittelalters. „Stehe ich vor solcher Blüthc deö zwölften und dreizehnten Jahrhunderts, vor solcher sublimen (warum dies in van üe mille tlour» getränkte Wort?) Hieroglyphe der Andacht, so fällt mir immer ein, daß jetzt so viele Menschen im Mittelalter nichts sehen wollen als heuchlerische Klerisei und Raubritter und völlige Knechtschaft des Geistes. Tyrannen haben die Kirchen bauen lassen und Sklaven haben sie erbaut; so sprechen sie ganz ernsthast. Aber wer hat sie erdacht, frage ich; haben das auch unwissende, stupide Sklaven gethan? Welch' ein Schwung, welch' eine Imagination zu solcher Ccnccption gehöre, davon ist mit diesen Leuten wicht zu reden, denn sie haben weder den einen noch die andere." Mit Uebergehung aller poetischen Kreuz- und Qucrzüge gehen wir der Vers, jetzt auf ihrer Fahrt nach. Diese ging über Prag, Linz, Ischl, Salzburg, durch Tprol nach Mailand, Genua und Nizza. Diese Route ist indeß zu bekannt, um noch eine sonderliche Ausbeute davon zu erwarten. Nachdem die Vers, den Winter in Nizza ver weilt, trat sie die Reise durch das südliche Frankreich an, wo sie lange Jeremiadcn über den Französischen Geist anstimmt, und bei diejer Gelegenheit auch den Deutschen vorwirst, daß sie sich unter Frankreichs Vormundschaft begebe» hätten; die Sammlungen in Deutschland zum Besten der überschwemmten Franzosen nennt sie eine Balourdise und miserable Ostentativ». Sie besuchte Toulon, Mar seille, Air, beklagt sich gelegentlich über den Mangel an Poesie in un serer Zeit, besonders über die Verleger, die nur Prosa wollen, besich tigt Avignon, das sie schildert als: „Ruine ohne Poesie, begraben in Schmutz und Dürftigkeit, menschenleer, obwohl es 30,060 Einwohner zählt, und wo Alles das Gepräge der Versunkenheit trägt, Menschen und Häuser, Kirchen und Steinpflaster." Die Reise geht sodann über Nimes, wo sie Veranlassung findet, sich über die Römer zu erstasiiren und Thümmel der Leichtfertigkeit zu bczüchtigcn, Arles, Montpellier, Veziers und Perpignan. Bei ihrem Eintritt in Spanien findet sic die Chausseen zwar schlecht, aber den Zustand des Landes doch beruhigender als sie er wartet hatte. „Verwahrlost", sagt sie, „sind die Wege, die Brücken, Und was durch die Regierung eines Landes unterhalten seyn will, aber weder das Volk noch das Land. Ich bin freilich in Catalonten, in der arbeitsamsten, gcwcrbfleißigsten Provinz von ganz Spanien, bei einem Volk, das von jeher thätig und frisch war, aber es ist dennoch unglaublich, daß man so wenig Spuren der Verwüstung und Ver nachlässigung wahrnimmt, welche die unausbleiblichen Folgen eines Bürgerkrieges und einer so kompletten Desorganisation zu seyn pflegen, wie sie seit Jahren hier geherrscht haben. Die Felder sind bestellt; in den reinlichen weißen Häuschen der Dörfcr und kleinen Ortschaften klappert der Webstahl; Vie Weiber sitzen unter den Thüren und klöppeln Spitzen, die Männer treiben ihr Handwerk. Alle sehen rüstig aus, schlank und fest von Gestalt, mit schmiegsamen Gliedern und mit einem ungewöhnlich leichten Gang." Da den Postwagen beständig einige Kavalleristen und Infante risten begleiteten, so konnte sie sich vom Zustande des MilitairS über zeugen; sie gesteht, daß dieselben ziemlich dürftig auSgesehen und ihre Equipirung geflickt und abgetragen gewesen, aber sic rühmt ihnen kräftige und behende Haltung und Nerv nach. Und an einer anderen Stelle sagt sie über denselben Gegenstand: „Etwas, woran ich mich nicht gewöhnen kann, ist die Barfüßer« der Soldaten und ihr ärmlicher Aufzug. Sie sind den ganzen Winter in Sommer- bcinkleivern herumgelaufen, und wenn ihnen die Regierung Sold für sechs Monat schuldig geworden, bezahlt sie ihnen drei. Die Offiziere solle» es noch übler haben, denn da den Gemeinen außer ihrem schon so geringen Sold gar keine Subsistenzmittel zu Gebote stehen, so treten jene mit ihren Forderungen so lange zurück, bis diese befriedigt sind. In Reihe und Glied sollen sich dennoch die Truppen rech! gut auSnehmtn. Von Barcelona sagt sie, daß cs eine recht elegant gebaute und wohlhabende Stadt sey, die ein wenig an Neapel, ein wenig an Mailand erinnere, aber durch den Mangel an Wagen etwas Klein städtisches erhalte. Sie gesteht indeß zu, daß dieselbe von allen Spanischen Städten jetzt den lebhaftesten Handel treibe, meint aber, sic habe durch dic Reibung mit Fremden ihre Originalität verloren, wie ein Golvstück, das aus einem Beutel in den anderen gehe, sein Gepräge verliere. Wenn sie in Barcelona das Spanische Wesen vermißte, so fand sie sich in Valencia e» plein L»p»gne versetzt. „Valencia", sagt sie poetisch, „lag, weiß wie ein Schwan auf seinem grünen Nest, aus der Ebene da, und ein Kranz von violetten Bergen, wie von Blumen, rund umher, während das Blau dcS südlichen Himmels Vor- und Hintergrund von unvergleichlicher Transparenz bildet. Valencia! klingend von Liedern, von Romanzen, von Guitarren; duftend von Blumen, belebt von tapferen Rittern und schönen Frauen, von reizenden, lockenden Abenteuern der Liebe, der Leidenschaft - und der Rache. Valencia! wer kennt cs nicht! „Den Cid zu Valencia und im Tode", den herrlichen Königlichen Kampfpreis, den der edle Campeador durch sein gutes Schwert sich gewann! Das flog mir Alles durch den Sinn, als ich's ins Auge faßte mit jenem erwar tungsvollen, freudetrunkenen Blick, den wir ans etwas nie Gesehenes und doch schon längst Bekanntes und Geliebtes werfen." Alicante zeigt hiermit den vollkommensten Kontrast, der sie um so mehr frappirte, als er durch gar keine Abstufung vorbereitet war. „Vor zwölf Stunden sah ich Frische und Kraft in voller Ueppigkeit,