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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- Preis 22; Sgr. (- Tklr.) viertellädrlich, Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in alten Theilen der Preuinschen Monarchie. M Literatur a g a z i n für die des Aus Man pränumerirt auf dieses Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. Staats-Zeitung (Friedrichsstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei de» Wohllvbl. Post-Aemtcrn. 148. Berlin, Freitag den 10. Dezember 1841. Spanien. Neue Reise-Literatur über Spanien. C. O. L. von Arnim. — Gräfin von Hahn-Hahn. Sobald man eine neue Neiscbcschreibung von Spanien in Lie Hand nimmt, kann man sich nicht leicht eines unwillkürlichen Rück blicks auf H uber's „Skizzen aus Spanien" erwehren, dieses klassische Muster einer geistreichen und tiefen Auffassung einer so eigenthüm- lichen und darum so vielfach verkannten Nationalität. Keiner seiner Vorgänger, keiner seiner Nachfolger hat sich derselben mit solcher Liebe hingegeben, hat mit so großer poetischer Wahrheit die Tugenden und Laster des Spanischen Charakters geschildert, der sich, trotz dcS tiefen politischen Verfalls, in seiner ganzen Frische und Ursprünglich keit erhalten hat. Wir würden den beiden kürzlich erschienenen Reise- beschreibungen Unrecht thnn, wenn wir sie in eine so gefährliche Parallele stellen sollten. Huber's Skizzen sind und werden wohl noch lange das Grundbuch für die Würdigung des Spanischen Charakters bleiben. Allein wenn auch dieser in seinem Fonds unveränderlicher wie kaum ein anderer ist, so bietet er doch vermöge seiner provin ziellen Eigenthümlichkeiten so viele Seiten der Beachtung, daß ein aufmerksamer Beobachter hier noch lange reichen Stoff finden wird. Und dann kömmt doch auch der gegenwärtige Zustand des Landes in Betracht, das durch die langen Bürgerkriege bedeutend affizirt worden ist. Besonders über den letzteren Punkt finden wir in den beiden ncuerschienenen Reisebeschreibungen manche neue Aufschlüsse. I. Reise nach Paris, Granada, Sevilla und Madrid zu Ansange des Jahres 1841 von C- O- L. von Arnim- Berlin, Alex. Duncker, 1841. Herr von Arnim ist ein Reisender, wie es jetzt nur noch wenige giebt; er ist mit einem Worte ein verständiger Reisender- Nicht etwa, als ob dadurch die Mehrzahl der modernen Reisebeschreibungen als unverständig bezeichnet werden sollte, aber die ruhige, verständige Betrachtung bildet doch bei ihnen größtentheilS ein sehr untergeord netes Moment. Meistenthcils dienen die fremden Gegenden und Zustände ihnen nur als Spiegel, in welchem sich das Ich des Reisen den wohlgefällig beschaut; die Außenwelt hat bloß insofern Werth, als sie ihnen Stoff zu pikanten Bemerkungen giebt. Bon dieser Eitelkeit ist Herr von Arnim weit entfernt; er läßt den Dingen, die ihm Vorkommen, ihr reelles Recht angedeihen und bleibt durchaus in der Rolle des Beobachters. Hiermit verbindet er noch eine andere Eigenschaft, die einen höchst wohlthuenden Eindruck macht; er ist ohne alle Prätensioncn; eS fällt ihm nie ein, seine einzelnen Erfahrungen für allgemeine Gesetze ausgeben zu wollen. Er sagt: das und das habe ich gesehen, knüpft daran auch wohl ein Urtheil, setzt eS aber nie dem Leser wie eine Pistole auf die Brust. Dabei verschmäht er es nicht, bekannte Erinnerungen anzuregen, und wenn er z. B. er wähnt, wie es in der Lllamgagnv pouilleuxe Manchem eigen vor- komme, daß der bei uns thcurc Champagner ein Tischwein ist, und daß selbst die Kinder Französisch sprechen, so sühlt man sich dadurch gleich in eine gewisse gemächliche Stimmung versetzt, denn die Er innerung an vergangene Heiterkeit ruft immer wieder einen behag lichen Eindruck hervor. Andere Reisende, um noch eines anzuführen, haben die Flüchtigkeit in ihren Büchern, Herr von Arnim hat sie nur auf dem Titel. Lauter Vorzüge, wie man sieht. Wir überspringen die Reiseroute nach Paris und folgen Herrn von Arnim in die Weltstadt, die er seit achtunddrcißig Jahren be reits zum viertenmale sah, ein Umstand, der ihm natürlich Gelegen heit zu den interessantesten Vergleichen geben mußte. Im Jahre I8VZ, wo Herr von Arnim zum erstenmale in Paris eintraf, fand er nur noch den Schein der Revolution, die schwache Abenddämmerung der selben, die überall vor der ausgehenden Sonne Napoleon'S entwich; im Jahre 1841 herrschte daS Bürgerkönigthum. Welche Kluft! wenn auch ein Republikaner sagen würde, daß die republikanischen Institu tionen des Juli-ThronS ebenfalls nur ein Schein seyen. Im Aeuße- ren der Stadt schien Herrn von Arnim Vieles zu ihrem Vortheil ge. ändert, er fand Brücken über Brücken gebaut und die meisten Straßen mit den schönsten Trottoirs belegt, wo man sonst sich stets in Lebens gefahr befand. Wenn indeß viele neue Bauwerke aufgcstiegcn waren, so waren dagegen viele alte große Hotels nicht mehr zu sehen oder abgebrochen. Alles erschien aber mehr im Gewände der Reinlichkeit, sowohl im Aeußeren wie im Inneren. In den Wohnungen, die zur -seit dcS Konsulates anständig, aber durchaus nicht prächtig einge richtet gewesen waren, fand er jetzt einen Lurus, Ler Alles überbot, was er in irgend einem Lande gesehen; dagegen vermißte er, mit Ausnahme einzelner Galericen, Len kostbarsten Schmuck derselben, näm lich Gemälde und Bildwerke. Zu den öffentlichen Vergnügungen übergehend, lobt er es, daß die Spielhäuser verschwunden, die leicht geschürzten Schönen aus dem Palais-Royal getrieben worden sind. Dagegen haben sich im Vergleich zur Kaiserzcit die Theater vermehrt und sind mit unglaublicher Pracht an brillanter Erleuchtung, Dcco- rationcn u. s. w. eingerichtet. Hier wirft auch der Vers, die Frage auf, ob Lie darstellenden Künstler besser geworden oder nicht und ent scheidet sic dahin, daß wohl Einzelne nicht wieder erreicht werden mögen, Laß aber im Ganzen Alles viel gerundeter als früher gehe. Namentlich hebt er die Fortschritte hervor, die im Gesang durch die Errichtung Les Conservatoire und die Anwesenheit der Jtaliänischcn Oper bewirkt worden sind. In Dem. Machel scheint ihm dem Tlle»u-e Lrunyais ein Stern aufgegangen, der alles Frühere ver dunkele, und er ist der Meinung, Laß sie durch die Natur in ihrem Spiele diejenige Revolution auf Ler Französischen Bühne hervorbrin- gen werLe, wie eS Miß O'Neil in England versprochen. Wenn er auf diesem Gebiet keine Haupt-VcränLcrungen antraf, so glaubte er fich dagegen auf den öffentlichen Maskeraden in eine völlig fremde Well versetzt. Hier, meint er, wo früher eine gewisse Zucht und Ordnung geherrscht, treffe man jetzt wohl Ordnung, aber keine Zucht. Der sogenannte Höllengallop sey das wüthendste unanständigste Tan zen, das er je gesehen, und Tänzer und Tänzerinnen schienen, um einen Euphemismus zu gebrauchen, oft eins zu seyn. Neber die Fran zösische Küche fällt er das Urtheil, daß dieselbe, die sich sonst haupt sächlich durch die vortreffliche, angenehme und gesunde Mischung verschiedener Nahrungsmittel ausgezeichnet und aus den schwersten Ingredienzien selbst die leichtesten und leichtverdaulichsten Gerichte zu machen verstand, hierin nicht zugenommen habe, dagegen jede einfache Speise, einen Fisch, tin Roastbeef und dergleichen, besser als früher zu behandeln verstehe. Hier ist also offenbare Hinneigung zum RcpublikanismuS. Nach kurzem Aufenthalt machte er sich trotz aller Abmahnungen, die an ihn ergingen, im Vertrauen auf ein gutes Rciseglück, auf den Weg und langte auch glücklich in Barcelona an. Hier wohnte er der Aufführung eines Stückes bei: „LI üislozo üel Xino liberal" (das Gespräch des liberalen Kindes), in welchem ein Knabe von un gefähr zehn Jahren seinem Vater, der außer sich über die liberale Tendenz der Zeit ist, mit vieler Emphase die liberalsten Grundsätze vorträgt, ihm die Pflichten dcS Königs, der Minister und die Rechte des Volks auSeinandcrsetzt und damit schließt, seinen alten Vater von der Richtigkeit seiner Ansichten zu überzeugen. Ein noch größe res Interesse schien ihm folgender Anschlagzettel zu versprechen: „ I'eakro <b>8 Onpucbino«, Lu Luiluaü Lrovecbo üe la ziilicia Xatinual lkoz- 4 ürl corriente la Pavian Puerto üo Jesus, con loüo el apparato z- coiupostura guo renuioro". (Theater der Ka puziner. Zum Nutzen und Besten Ler Rational-Miliz, heute den 4ten des Monats, die Leidensgeschichte und Tod Jesus mit allem Glanz und Anstand, die erforderlich sind.) Also werden in Barcelona noch Mpsterien aufgcführt. Eigentliche Gesellschaften vermißte der Verf. in Barcelona. Als Hauptgrund dieser Ungeseüigkeit führt er die verschiedenen politischen Parteien an, die besonders in Barcelona mit großer Leidenschaftlichkeit gegen einander gekehrt sind. Von hier aus machte er auf dem Dampfbote die Fahrt nach Valencia, auf welches der Flüchtig-Reisende indeß nur einen flüchtigen Blick werfen konnte, aber auch dieser genügte, um ihn prächtige Brücken, schöne Gebäude und schöne Frauen entdecken zu lassen. Die Bewohner schildert er als arbeitsam, dabei aber als lustig und den Tanz liebend, eben so auch als unbeständig, leicht zu reizen und überaus heftig. In Alicante glaubte er sich nach Aegypten versetzt, denn nichts Grünes war zu sehen, die Felsen waren gelb, die Erde gelb, die Häuser gelb, die Dächer völlig flach, und einzelne Palmen vollendeten die Afrikanische Landschaft. Dieses Vorherrschen der gel ben Farbe erscheint sehr natürlich, da cs in Alicante nicht nur selten regnet, sondern auch im ganzen Jahre kein Tropfen Wasser ge fallen war. Der Zustand Carthagena'S giebt dem Reisenden Veranlassung zu einem allgemeinen Urtheilc über Spanien. „Spanien", sagt er, „ist ein überreiches Land und ernährt, so zu sagen, seine Einwohner von selbst unv ohne große Industrie, das heißt: eS hat nur solche Industrie, die sich gleichsam von selbst versteht, und über die sich keiner Len Kopf zerbrechen wirb. Der wahrhaft erfindungsreichen