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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumeratlonS- Preis 224 Sgr. () Tblr.) vierteljährlich, Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er Höhung, in allen Theilen her Prcnlllschen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt ans dieses Literatur Blatt in Berlin i» der Exprdition der Allg, Pr. StaatS-Zeitung sFriedrichSslr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Ausland« bei den Wohllöbl. Posi-Aemtern. Literatur des Auslandes. 141. Berlin, Mittwoch den 24. November 1841. Griechenland. Ueber den Charakter und die Mission des Sokrates. (Nach der ÜU-ttotkeque 6eui:ve.) Was war Sokrates? DaS ist eine alte Frage, deren Beant wortung nicht leicht sepn muß, da cs wenige Menschen giebt, über die seit zweitausend Jahren so verschiedene Urtheilc gefällt worden. Derselbe Mansch, den die allgemeine Meinung Griechenlands zu seinen ersten Illustrationen rechnete, den Mark Antonin über Alexander stellt und Cicero den Fürsten der Philosophen, den Vater der Philosophie nennt, den EraSmuS beinahe wie einen Heiligen anrief, von dem Montaigne sagte, daß nie „eine so schöne Seele sich selbst gebildet", und in welchem der Uebersetzer Plato'S, FicinuS, einen Vorläufer und ein Musterbild Jesu Christi sah, dieser von so gewichtigen Autoritäten so hoch geschätzte Mann wirb von Rollin und Bar- thclemy der Lüge oder wenigstens der List angeklagt, und Fenelon hat sich nicht gescheut, ihn sür einen Feigling und Betrüger zu er klären. Ist man heute über dieses seltsame Räthsel mehr im Reinen? KeineSwegeS. Während der Englische Uebersetzer des Aristophanes, T. Mitchell, und im Bunde mit ihm die Edinburger Review den Verfasser der „Wolken" zu rechtfertigen und Sokrates als gefähr» lichen Sophisten oarzustcllcn suchen, erklärt ihn Herr von Lamartine für inspirirt, und ein anderer Französischer Schriftsteller neuerer Zeit hält ihn, nach dem Beispiel des Justinus Martpr, für einen Schüler des Worts, für einen wahren Christen, und ist überzeugt, daß die Religion des Sohnes des SophronikuS keine andere war, als die des Fenelon. °) Lassen wir diese widersprechenden Ansichten aus sich beruhen, so scheint wenigstens das ausgemacht zu sepn, daß Sokrates ein großer Philosoph war. Aber auch dieser Halt verschwindet vor einer auf merksamen Prüfung, und die folgende Darstellung hat gerade den Zweck, zu zeigen, daß Sokrates viel mehr oder viel weniger als eln Philosoph war, wenn man dies Wort in dem Sinne nimmt, den wir damit verbinden. Eine der untrüglichsten Quellen über den Charakter des Sokrates ist seine Apologie von Plato. Plato will hier nur berichten, was Sokrates wirklich vor den Richtern sprach, und konnte sich hier um so weniger eine Verfälschung zu Schulden kommen lassen, als die Menge der Richter (es waren ihrer fünfhundert) und der anderen Zuschauer, so wie der anwesenden Freunde des SvkrateS, ihn un fehlbar Lügen gestraft hätte. Andererseits ist die Aufrichtigkeit deS Sokrates selbst bei dieser feierlichen Gelegenheit nie in Zweifel ge zogen worden. Sokrates hatte gar nicht die Absicht, sich zu ver- theidigcn; er wußte, daß seine Worte die Richter nur reizen und seine Verurtheilung um so sicherer herbciführen würben. Auch ist diese Apologie nicht sowohl eine Vcrtheidigung, als eine Art Testa ment, ein (vlaubeuöbekcnntniß, durch welches er vor seinem Tode der Welt von dem, was er war, Rechenschaft ablegcn will. Hier sagt Sokrates Alles, was er nur sagen konnte, um Allen zu zeigen, daß er etwas Anderes als ein Philosoph sep. Betrachten wir die einzelnen Stellen näher. „Ihr werdet von mir die ganze Wahrheit hören, Athener, freilich nicht in studirten Reden, wie die meiner Gegner sind, und mit allein Glanz der Sprache und Rednerkunst auSgcstattct, sondern in den Worten, die mir zuerst sich darbieten werden ...." „Wenn man euch sagt, daß ich mich mit Unterrichten abgebe und dafür Lohn nehme, so ist daS eine Unwahrheit. Nicht, daß ich es nicht sehr schön finde, die Menschen unterrichten zu können, wie GorgiaS von Leontium, ProdikuS von Cos und Hippias von Elea thun." Hier zeigt Sokrates, daß man, um die Menschen zu unter richten, im Staube sepn muß, sie zu den vollkommensten Menschen und Bürgern zu machen; dann fährt er fort: „Was mich betrifft, l°..gestehe ich, daß ich mich sehr freuen und sehr stolz daraus sepn wurde, wenn ich diese Geschicklichkeit besäße; aber leider habe ich sie »lcht, o Athener! Nun wird Mancher von Euch fragen: Aber, l Auch ,n Deutschland sind in der neueren Zeit wiederum die allerdiver- gircndllen Anüuuc,, nh^ SvkrateS an da« Licht gekommen (unter Anderem auch eine turigische Rechtfertigung der Athener wegen ihrer Verurtheilung des Phlwtovhen). Dies und der Umstand, daß gegenwärtig dis Berührungen der Gotteölehr- und der Philosophie zu Stoffen der allgemeinsten und teb- ba,testen Theilnahme geworden, veranlaßt uuö, diesen auch an und sür sich s»on tnterehanttn Artikel für unser Blatt zu bearbeiten. Sokrates, was thust du denn? und woher kommen jene Gerüchte, die über dich verbreitet sind? Denn wenn du nichts Anderes sagtest oder thätest, als was die Anderen, so würde mau nie so viel von dir gesprochen haben. Gut, auf diese Frage will ich euch antworten unv euch erklären, was mich so ins Gerede gebracht und mir so viel Feinde zugezogen hat. Hört mich an: Manche unter euch werden vielleicht glauben, daß ich nicht im Ernst spreche, aber seyd ver sichert, daß ich nichts als die Wahrheit sagen werde. In der That, o Athener, um nichts Anderen als um einer gewissen Weisheit willen bin ich in diesen Ruf gekommen. Was ist das für eine Weisheit? Es ist vielleicht eine rein menschliche Weisheit, und in der That scheint daS meine Weisheit zu sepn. Die Leute, von denen ich vor hin gesprochen, Haden vielleicht eine mehr als menschliche Weisheit; diese habe ich nicht, und wer daS behauptet, lügt und will mich verleumden." Ehe wir weiter gehen, analpsircn wir diese Stelle, die so ganz jene Attische Ironie an sich trägt*, die um so mehr versichert, je sorgfältiger sie die affirmativen Wendungen vermeidet. Sokrates erklärt, er gleiche nicht den Sophisten seiner Zeit, welche eine Schule halten, ein Gewerbe aus ihrem Wissen machen und sich dadurch be reichern; er mache keinen Anspruch auf ihr stolzes Wissen, das nur aus müßigen Speculationen oder solchen, denen der Mensch nicht gewachsen ist, bestehe; er seinerseits besitze nur eine menschliche Weisheit. Aber was versteht er unter dieser menschlichen Weisheit? Dies erklärt er im Folgenden, wo er erzählt, wie sein Freund Charepho» das Delphische Orakel gefragt, ob es einen weiseren Menschen auf der Welt gebe als Sokrates, und das Orakel geant wortet, es gebe keinen; da spricht er aus, daß Gott allein weise ist, daß die menschliche Weisheit wenig over nichts werth sep, und daß der weiseste umer den Menschen der sep, der die Nichtigkeit seiner eigenen Weisheit einsicht. Lassen wir ihn selbst sprechen: „Als ich die Antwort des Orakels erfuhr, sagte ich zu mir selbst: Was meint der Gott? welchen Sinn verbergen seine Worte? Denn ich weiß wohl, daß in mir keinerlei Weisheit ist, weder große, noch kleine; was meint er also damit, indem er mich für den weisesten der Menschen erklärt? Denn am Ende lügt er doch nicht, ein Gott kann nicht lügen." Hier schildert Sokrates seine lange Unsicherheit, und wie er anfing, diejenigen seiner Mitbürger, die am meisten Ruf hatten, zu prüfen, um, indem er sich mit ihnen verglich, zu finden, inwiefern er den Ausspruch des Orakels verdienen könne. Er ent deckt, daß Alle in gar vielen Dingen geschickter als er sind, aber daß sie das nicht wissen, waö das Wichtigste sep und was sic am besten zu wissen glauben: „so daß ich", fährt er fort, „als ich mich fragte, was ich vorziehen würde, so zu sepn wie ich bin, ohne ihre Geschicklichkeit und auch ohne ihre Unwissenheit, oder ihre Vorzüge mit ihren Mängeln zu haben, ich mir antwortete: ich will lieber so sepn wie ich bin. Diese Untersuchungen, o Athcncr, sind eS, die mir so viele gefährliche Feindschaften zugezogen; daher stammen alle Verleumdungen, die auf meine Rechnung verbreitet sind, daher der Ruf eines Weisen, in dem ich stehe; denn alle die, die mich hören, glauben, ich wisse alle Dinge, in denen ich die Unwissenheit der Anderen ausvecke. Aber die Wahrheit ist, Athener, daß Gott allein weise ist, und daß er durch sein Orakel nur sagen wollte, daß die menschliche Weisheit wenig oder vielmehr nichts werth ist; auch hat sich daS Orakel meines NameuS nur wie eines Beispiels bedient, als wollte es zu allen Menschen sagen: Der weiseste unter euch ist der, der, wie Sokrates, eiusieht, daß die Weisheit nichts ist. Von dieser Wahrheit überzeugt und um mich ihrer noch mehr zu versichern und dem Gott zu gehorchen, setze ich diese Untersuchungen fort und prüfe alle diejenigen unserer Mitbürger und der Fremden, in welchen ich die wahre Weisheit zn finden hoffe, und wcnn ich sie da nicht finde, so diene ich dem Orakel zum Dolmetscher und zeige ihnew, daß sie nicht weise sind. Das beschäftigt mich so sehr, daß eS mir weder der Republik ein wenig nützlich zu sepn vergönnte, noch meiner Familie...." Nimmt man zu diesen Erklärungen noch daS, was er über die geheime innere Stimme, über daS Dämonion sagt, das ihn von Jugend auf geleitet, indem es ihn von Allem, was ihm nicht zum Wohl gereichte, abhielt, so wie seinen Glauben an Orakel und Träume, in denen sich der Wille der Götter kundgebc, dann wird uns immer deutlicher, daß Sokrates noch etwas ganz Anderes als bloßer Philosoph war. Betrachten wir viele Züge genauer. Sokra tes erklärt, daß die menschliche Weisheit nichtig sep, daß er selbst nichts wisse, als seine Unwissenheit, und daß er nie etwas gelehrt