Volltext Seite (XML)
Leuten gelebt, die seinen Rath suchten. Die Komödie der „Wolken" stimmt vortrefflich zu dieser Stellung. Nun begreift man es, daß Aristophanes damals in Sokrates nur noch einen Sophisten von gleichem Werth wie die Anderen sah, der nur den lächerlichen Vor theil vor ihnen voraus hatte, sich mit Visionen zu brüsten, die den Leuten imponirtcn. °) Betrachten wir noch einmal Sokrates zur Zeit, wo das Orakel über ihn gegeben worden. Es ist kein Zweifel, wie H. Ritter (in seiner Geschichte per Philosophie) sehr richtig bemerkt, daß er schon viel, besonders mit Chärephon, philosophirt hatte; das Orakel selbst setzt es voraus. Nun laßt uns die Apologie über den Ausgangspunkt und den Charakter seiner Philosophie keine Ungewißheit: sie war ganz psychologisch und moralisch, ganz auf die Beobachtung seiner selbst gegründet, gemäß der berühmten Inschrift des Delphischen Tempels, deren tiefen Sinn er früh begriffen und in welcher er gleichsam einen Führer sah, den die Gottheit den Menschen anbiete, um sie auf den Weg des wahren Wissens zu leiten. Sokrates war damals zu dem Bewußtseyn seiner eigenen Unwissenheit gelangt; dies war es, was ihn in seinen Augen vom Haufen unterschied. Das Orakel zeigte ihm eigentlich nur den Werth dieser Entdeckung: er hatte sie gemacht, indem er sich selbst beobachtete; er erweiterte, verallgemeinerte sie durch Beobachtung der Anderen, und indem er sich von da zur Unter scheidung zwischen der göttlichen und menschlichen Weisheit erhob, schloß er, daß diese nichts Anderes sey als das Bewußtseyn der eige nen Schwäche und Unwissenheit. Sokrates setzte sich damals die Mission, die Menschen zum Prinzip der Weisheit, zu dem Punkte, den er selber erreicht hatte, zu führen; er versuchte, die falsche Meinung, die sie von ihrem Wissen hegten, zu berichtigen, eine Meinung, die in seinen Augen eine Krank heit war, eine Art Narrheit, von der man die Leute erst heilen müsse, «he sie von der Vernunft den Gebrauch machen könnten, zu welchem sie uns gegeben worden. Das ist der Sinn jener schönen Stelle des Phädon: „Hüten wir uns vor allen Dingen, daß uns nicht das Un glück begegne, Misologen zu seyn, wie es Misanthropen giebt; es giebt kein größeres Unglück als das, das Denken zu hassen . . . . Lassen wir uns nicht von dem Glauben beherrschen, daß es in dem Denken vielleicht nichts Gesundes giebt: laßt uns vielmehr einsehen, daß wir krank sind, und daß wir muthig alle unsere Kräfte auf bieten müssen, uns zu heilen...." Ausfallend ist die Uebereinstimmung der Sokratischen Weisheit mit dem ersten Wort des Evangeliums: Selig sind die Armen an Geist, denn das Himmelreich ist ihr. Aber es fehlte Sokrates an der Autorität, die allein eine Religion stiften kann; er hatte keinen anderen BcglaubigungSbrief aufzuwcisen als ein Orakel, das nur zu leicht umgangen werden konnte und das auch nichts von dem Cha rakter eines Mandats an sich hatte. Um die ihm fehlende Autorität zu ersetzen, war er also genöthigt, eine philosophische Methode zu suchen, und dies hat ihn zu einem Philosophen gemacht. Seine Lehre, in der Form und Darstellung ganz philosophisch, ist ihrem Inhalt nach supranaturalistisch; sie stützt sich nirgends auf ein wissenschaftlich feststehendes Prinzip. Aber jede philosophische Methode ist ungenügend, .wenn es darauf ankommt, den Widerstand des Willens zu besiegen. Die Sokratische war die gewandteste, sinn reichste, die man sich denken kann; aber es war immer nur eine mehr oder weniger verhüllte Polemik, und die Leute schlagen, mag «S auch mit noch so viel Bescheidenheit und Anmuth geschehen, ist nicht das sicherste Mittel, sic zu gewinnen. Sokrates wußte dies auch vor seinem Tode. „Soll ich mich zur Verbannung verurtheilen?" sagt er zu seinen Richtern. „Ihr würdet vielleicht einwilligen. Aber ich müßte von der Liebe zum Leben sehr verhlendet seyn, um nicht rinzusehen, daß, wenn ihr, meine Mitbürger, meine ganze Art zu seyn und meine Reden nicht ertragen konntet und sie euch so zuwider geworden, daß ihr euch endlich davon befreien wolltet, Andere die selben leichter ertragen werden. Rein, Athener, ich bin weit entfernt, mich dieser Täuschung hinzugeben." Kurz vorher hatte er ihnen ge sagt: „Ein Mensch wie ich, Athener, ist schwer wiederzufinden, und wenn ihr mir dies glauben wollt, werdet ihr mich am Leben lassen. Aber vielleicht werdet ihr, mir zürnend wie Leute, die man weckt, wenn sic gern schlafen wollen, mich zurückstoßen und, den Einflüste rungen des Anytus gehorchend, mich ohne Gewiffenshiffe tödten und dann für immer in einen lethargischen Schlaf fallen, wenn nicht die Gottheit aus Mitlcidcn euch noch einen solchen Menschen, wie ich, sendet." Und nach dem Ausspruch des TodeSurtheilS sagt er: „Ihr lobtet mich nur, um euch von der unangenehmen Last zu befreien, von eurem Leben Rechenschaft zu geben." Fassen wir also alles Bisherige zusammen. Ich glaube gezeigt zu haben, daß Sokrates gleichsam eine doppelte Natur hatte, und daß die Philosophie für sich allein diesen großen Mann mit Unrecht in Anspruch nimmt. Sokrates hatte seinen Glauben, ehe er Philosoph war, und er behielt diesen Glauben bis an sein Ende. Nichts ist weniger philosophisch als sein Tod, und Voltaire hatte recht zu sagen: „Nein, die modernen Sökratcs werden den Giftbecher nicht trinken. Der Athenische Sokrates war, unter uns gesagt, ein sehr unkluger Mann, ein unbeugsamer Rechthaber, der sich tausend Feinde gemacht hatte und seinen Richtern wider alle KlugheitSrcgcln trotzte." Die, welche überzeugt sind, daß kein großer Mann in der Ge schichte auftritt, der nicht seine Mission hat, der nicht ein Werkzeug für die Pläne der Vorsehung ist, werden noch fragen, welches die wahre Mission des Sokrates war? Er glaubte sich berufen, seine Zeit zu regcnerircn, die Athener zum Kultus des Geistes und der Wahrheit zurückzuführen. Offenbar täuschte er sich, und seine Wahrscheinlich hat SlriSoobaneS sväter seine Meinung über Sokrates' geandert. Wurde ihn sonst Plato in seinem Gastmabl einge,uhrt baden? 575 Zeitgenossen selbst haben seinen Jrrthum erkannt. „Er bewies", sagten sie, „große Kraft, die Menschen zur Tugend zu ermahnen, war aber nicht im Stande, sie tugendhaft zu machen." Seine Mission war also nur für die Zukunft berechnet; er bereitete für die Völker, zu denen allmälig die Griechische Kultur und Civili- salion hindrang, dem späten Triumph des Spiritualismus über den Materialismus der auSgearteten antiken Religionen den Weg. In diesem Sinn konnte man sagen, daß er ein Vorläufer Christi war. Der Einfluß des Sokrates, der vor seinem Tode sehr be schränkt war, nahm seitdem durch die Schriften seiner Schüler und besonders durch den Eindruck des wunderbaren Endes, baS seine Laufbahn krönte, fortwährend zu. Ein solches Beispiel konnte nicht verloren gehen; es war eine zu entschiedene Protestation gegen die Erniedrigung der Geister, gegen die überwiegende Herrschaft dcr Sinne und irdischer oder eitler Interessen. Portugal. Lissabon. (Schluß.) Das Zollhaus umschließt einen bedeutenden, mit einer Fon taine und Gartenanlagen versehenen Hosraum. Noch in der Blü- thenepoche des Portugiesischen Sechandcls aufgeführt, ist es ge räumig genug, sämmtlichc Waarcn aufzunehmen, die gegenwärtig in Portugal importirt werden. Alle eingcführten trockenen Waaren dürfen nämlich zwei Jahr, alle nassen aber sechs Monat im Zoll hause liegen bleiben, ohne Lagergeld zu zahlen, wenn sie in dieser Zeit im Lande abgesetzt werden; für den Fall aber, daß man sie erportirt, haben sic einen Zoll von 2 pCt. zu entrichten. Hier liegt auch daS Arsenal, dessen graue, düstere Fayade sich längs der Rua do Corpo Santo fast bis zur Pratza voS Ro ni u la res erstreckt und ein Werft für Kriegsschiffe in sich schließt, wo man noch gegenwärtig niit dem Bau eines 1816 begonnenen Kriegsschiffes beschäftigt ist. Ein großer, 243 Fuß langer und «t Fuß breiter Saal ist zum Ercrcierplatz und Auditorium für die Scekadet- ten eingerichtet. Eine Menge Modelle von Schiffen in allen Zustän den, im Bau, scgelfertig, in der Ausbesserung u. s. w. dienen zur Instruction der angehenden Seeleute. Die Wände sind mit Land karten und Plänen bedeckt. An der einen Seite prangen die vergol deten Büsten dcr Königin und des Königs. Im Hintergründe des Saales steht eine Statue Johann's VI., von weißem Marmor, und vor ihr eine SO Fuß lange Fregatte zum praktischen Einüben des Manövers. Das Portugiesische Wappen und ein Marienbild schmücken die seidenen, mit Goldfranzcn besetzte Fahne, die von der Königin eigenhändig gestickt und den Seekadcttcn verehrt worden. Im Arsenale werden eine Menge Arbeiter beschäftigt, doch sind diese oft genöthigt, in Bezug auf Arbeitslohn der Regierung Kredit zu gewähren. Vor kurzer Zeit nahm indeß ihre Geduld plötzlich ein Ende, und zwar, weil die Negierung, nachdem sic ihnen lange keinen Pfennig Lohn bezahlt, ihnen verbieten ließ, sich nebenher nöch etwas durch Arbeit bei Privatmeistern zu verdienen, also gleichsam von. ihnen verlangte, geduldig zu verhungern. Da entschlossen sich die Arbeiter kurz und verließen sämmtlich das Arsenal. Man sah sich genöthigt, das Verbot zurückzunehmen und einen Theil des rückstän digen Arbeitslohnes auszuzahlen, um sic zur Wiederaufnahme der Arbeit zu vermögen. — Ein andermal war eS noch schlimmer. Ein Inspektor, Namens Franca, empörte sich mit 3000 Arbeitern, schloß die Thore des Arsenals und verschanzte sich in dem starken Gebäude. Die Negierung ließ eine Fregatte kommen und sich dem Werste gc- genüber aufstellen; doch kümmerte dies die empörten Arbeiter wenig, denn sie wußten sehr wohl, daß die Regierung ihr eigenes, theures Etablissement nicht zusammcnschießen lassen würde. Die Fregatte feuerte in der That auch keinen einzigen Schuß und wurde sowohl von den Empörern als von dem versammelten Volke verhöhnt. Zu letzt sah die Königin sich genöthigt, vollständig mit den Aufrührern zu kapituliren: sie erthcilte ihnen Amnestie, und Fran?a war ein Mann des Volks geworden. So leicht werden Ruhe und Ordnung in einem Lande erschüttert, welches durch eine Reihe von unweisen Regierungs-Maßregeln von einer bedeutenden Europäischen Macht zu einer kaum beachteten herabsank, und dessen früher Hochherzige Be wohner — um mit Byron zu reden — jetzt nichts sind als ein Volk „voller Müßiggang und Eigendünkel." Das Lazareth ist ein großes, auf einer Anhöhe in dcr Siadt freigelegencs Gebäude. Lange Säle, deren gewölbte Decken von Pfeilern getragen werden, beherbergen die Kranken, welche gut gepflegt, richtig behandelt und sehr reinlich gehalten zu werden scheinen. Das frühere Franziskaner-Kloster enthält ein Museum der schönen Künste, welches nicht besonders reich auSgestattet ist, aber einige sehr schätzenSwcrthc Kopieen Raphaelscher Bilder enthält. — Das TheaterSanCarloS ist ein recht schönes Gebäude, obgleich es sich mit dem Stockholmer Theater nicht messen kann. Senhora Luiza Boccabadati ist die Primadonna, und ihre Tochter die ausge hende Sonne. Der erste Sänger ist ein kleiner Mann, Namens Conti, der gewöhnlich höchst grimmig und verzweifelt aussieht; seinc Stimme erinnert an d;e Belletti'S. Sänger und Sängerinnen find ohne Widerrede ausgezeichnet und besitzen Alles, was zur vorlheil- haften Neproduzirung Jtaliänischcr Musik nöthig ist. DaS Ballct wird dem Acußeren nach sehr anständig unterhalten, obgleich es nichts Außerordentliches aufzuweiscn hat. Unter der Verwaltung des reichen Grafen Farroba waren Oper und Ballet äußerst prachtvoll auSge- stattet, denn er soll, um sich populair zu machen, bedeutende Summen