Volltext Seite (XML)
570 modernen Ziegenbart. Dergleichen Bocksgesichter trifft inan hier auch häufig beim Civilstandc, obgleich cs in die Augen fallt, daß solche Bärte weit eher zu einem ledernen Koller und hochschäftigen Stiefeln, als zu Glacehandschuhen uud seidenen Strümpfen paffen. Die ärmeren Klaffen tragen in der Regel kurze Jacken, die netter aussehen als die langen, baumelnden Röcke, welche hier überdies schon des warmen Klimas wegen ganz entbehrlich sind. Im Winter geht alle Welt in den bekannten weiten Mänteln oder Mantelkragen, die ursprünglich braun sind, mit der Zeit aber durch allerlei Flick lappen, wie der Zufall sic dem Dürftigen in den Weg wirft, das buntscheckigste Ansehen gewinnen- In jeder Familie eristirt nur ein solches Kleidungsstück, und man sieht oft an einem Vormittage Vater, Mutter, Sohn'und Tochter nach einander in demselben Mantel auS- gchen. Die Frauen schlingen gern ein weißes Muffelintuch um den Kopf, was sehr zierlich aussieht, ost aber, wenn cs die Stirn einer Mohrin schmückt, den schreiendsten Kontrast hervorbringt; denn man darf nicht glauben, daß die Schwarzen den Weißen in irgend einer Mode nachstchcn wolle»; Gott bewahre! — was eine Weiße trägt, muß auch eine Mohrin aufsetzen, es kleide oder kleide nicht. Wagen sind in Lissabon etwas Seltenes; ich habe nur äußerst wenige Equipagen geschen. Zwar bekommt man eine Art kleiner bedeckter Kabriolets zu miethen, die von cintm Pferde gezogen werden, während der Kutschcr auf einem anderen daneben reitet und das Zugpferd lenkt; doch bedient man sich ihrer nicht ost, sondern zieht es vor, auf Eseln zu reiten. Erwähnen wir noch eine dritte Art Fuhrwerk, so haben wir Alles gesagt, waS sich über dicsen Gegenstand ansühren läßt. Dies besteht aus einem Kastcn, der zwei große, breite, schwerfällige Näder hat und von Ochsen gezogen wird. Die Hörner dieser Thierc sind gewöhnlich mit bunten Bändern ge schmückt, und der Fuhrmann lenki und leitet seine Ochsen einzig und allein mit der Stimme. Man trifft diese Karren ganz besonders des Morgens, wo sie die Straßen mit einem furchtbaren Gepolter erfüllen. Um diese Zeit kommen auch die Landlcute auf ihren mit Früchten und Gemüsen aller Art belasteten Eseln nach der Stadt. Die Bauer flauen gehen daneben und tragen flache Körbe mit Sardellen und anderen kleinen Fischen auf dem Kopse. DieBauer- burschcn in kurzen Jacken und breitkrempigen Hüten tragen Kuh- und Esclsmilch von Hans zu Haus, und an den Fontainen ver sammeln sich die Wasserträger, um ihre roth und grün ange strichenen Tönnchen zu füllen und sie dann mit dem Geschrei srisco, — axva kriseo!" auf der Schulter durch die Stadt zu tragen; doch muß man auch bei ihnen, wie bei allen dergleichen Ausrufern, wissen, was sic sagen, um sie zu verstehen. Um diese Zeit öffnen auch die Barbiere ihre Buden, — von der Rhede her langen Reisende in Böten an und verbreiten sich durch die Stadt, — die Glocken laden zum Morgengebct, — die Kaffeehäuser füllen sich, und das Geräusch der Domino-Steine dringt bis auf die Straßen. Diese Scenen wiederholen sich mit geringer Abwechselung jeden Tag. Einen sonderbaren Kontrast gegen den kläglichen Verfall des Handels und der Finanzen Portugals bilden die schönen Gebäude, welche die einzigen Zeugen verschwundener Größe sind. Von ihnen sind besonders anzuführen: die Wasserleitung, ein ursprünglich Maurisches Baudenkmal, aus großen Granitblöcken bestehend, deren feste Zusammenfügung der Zeit und dem Erdbeben widerstanden hat. Die gigantischen Bogen derselben führen von den Bergen Cintra's durch ein tiefes Thal, mit dessen Wänden sie einerlei Höhe haben, den Fontainen Lissabons ihr Trinkwasscr zu. — Von dem der Quadra gegenüber liegenden Platze do Commercio laufen — parallel mit einander — die beiden Haupt-Straßen der Stadt aus. In ihnen finden sich die kostbaren Läden der Juweliere und Goldarbeiter, denen sic auch ihre Benennung verdanken. Der Platz selbst ist an zwei sich gegenüber liegenden Seiten mit großartigen Kolonnaden geschmückt, von denen die eine zum Zollhause, die andere zum Arsenale gehört. (Schluß folgt.) Griechenland. Ueber den Charakter und die Mission des Sokrates. (Fortsetzung.) Lamartine, der Dichter der „Meditationen", sagt von Sokrates: „Er war inspirirt, er sagt es uns, cr wiederholt cs uns, und warum dem nicht aufs Wort glauben, der sein Leben für die Wahr heit hingad? Giebt es viele Zeugnisse, die dem Wort des sterbenden Sokrates gleichkommen? Ja, cr war inspirirt, er war ein Vorläufer jener letzten Offenbarung, die Gott durch partielle Offenbarungen von Zeit zu Zeit vorbereitete. Denn die Wahrheit und die Weisheit stammen nicht von uns; sie kommen aus dem Himmel in auserwählte Herzen, die von Gott nach dem Bcdürfniß der Zeit entzündet werden. Er streut sie an verschiedene Punkte tropfenweise aus, um nur die Kcnntniß davon mitzutheilen und die Sehnsucht danach zu erregen, bis zu dem Augenblick, wo cr uns ganz damit erquicken wollte." „Abgesehen von der Erhabenheit der Lehren, die er verkündigte, war Sokrates' Tod ein Bild, wohl würdig des Anblicks der Menschen und des HimmelS; er starb ohne Haß gegen seine Verfolger, sich zum Brandopfer für die Wahrheit hingebend. Er konnte sich ver- jheidigen, er konnte sich selbst verleugnen; er wollte eS nicht; cr hätte dem Gott, der in ihm sprach, lügen müssen, und nichts vcr- räth, daß die Reinheit, die Schönheit dieser erhabenen Hingebung durch irgend eine Aenßerung des Stolzes befleckt worden wäre. Seine Worte, wie sie Plato berichtet, sind am Ende seincs letzten Tages eben so einfach, als in der Miite seincs Lcbcns. Die Feier lichkeit dieses letzten Moments giebt seinen Reden eben so wenig Schwung, als Weichheit und Schwäche. Indem er mit Liebe dem Willen der Götter, den er in Allem wiederfindet, gehorcht, unter scheidet sich sein letzter Tag von den übrigen in nichts, außer daß cr ohnc Morgen ist.... Er trinkt den Giftbecher wie ein gewöhn liches Getränk; er legt sich zum Sterben nieder wie zum Schlafen, so sicher ist er, daß die Götter vorher, nachher, überall da sind, und daß er in ihrem Schoß erwachen wird!" Gleichwohl ist es ausgemacht, baß SokratcS selbst sich viel mit rein philosophischen Untersuchungen beschäftigte; er empfahl seinen Schülern Dialektik und war selbst als der erste Dialektiker seiner Zeit berühmt. Wie verträgt sich hiermit das System des Herrn von Lamartine? Ein inspirirter Mensch, der sein ganzes Lcbcn hindurch spekulirt, der keinen Glauben predigt, der fortwährend diSkutirt! Es käme also darauf an, zu crklären, wie es kommt, daß SokratcS, der in seinen Handlungen und Ideen der spekulativen Vernunft nur eine abhängige, untergeordnete Stellung einräumt, dieselbe in seinen Reden und seinem Unterricht eine so bedeutende Nolle spielen läßt. Zuvörderst bemerken wir, daß Sokrates keine Schüler im vollen Sinne des Wortes, in dem Sinne, wie wir Jesu Schüler sagen, gehabt hat. Wenn Sokrates viel mehr als ein Philosoph war, so läßt sich von denen, die sein Werk fortzusctzen übernahmen, nicht dasselbe sagen. Sie waren nur Philosophen, Plato zu allererst, der sich wohl hütete, daß er nicht gezwungen würde, den Giftbecher zu trinken, und der, um nicht seinem Lehrer im Tode folgen zu müssen, sich weislich enthielt, auch im Leden sein Beispiel nachzuahmen. Während Sokrates Allen, die er traf, Groß und Klein, Reich und Arm, freigebig und ohnc Zurückhaltung mittheilie, was er empfangen hatte, hielt Plato Schute. Er begnügte sich, aus der Religion seines Meisters eine erhabene Philosophie aukzubaucn, die er in Wolken und Näthsel cinhüllte. Da Sokrates' Schüler nur Philosophen waren, so ist nicht zu verwundern, daß sie ihn in den Berichten, die sie uns von seinen Reden und seinem Leben mittheilcn, nach ihrem eigenen Bilde ge zeichnet, daß sie besonders das erzählen, was sie durch Studium und Nachahmung erreichen konnten, daß sie mit einem Wort den Glauben verhüllen und den moralisirenden Dialektiker in den Vordergrund treten lassen. Xenophon selbst macht hiervon keine Ausnahme. Er bildete keine Schule, aber er war ein frommer Heide, der sich bestrebte, die Moral des SokrateS mit dem Volksglauben zu vereinigen. Da cr überdies die Memorabilien in der speziellen Absicht schrieb, Sokrates gegen seine Ankläger zu veriheidigen, so war cs ihm besonders darum zu thun, die praktische Weisheit seiner Lehren hervorzuheben und zu zeigen, daß er immer der Landes,Religion treu gcdlicden. Ihn nölhigte also eine doppelte Rücksicht zu der Untreue, von der wir reden. — Plato und Xenophon erwähnen, mit Ausnahme der Apo logie, wo Plato im Wesentlichen die Rede des berühmten Ange klagten wiedergeben mußte, in den Dialogen, wo sic ihren Lehrer sprechen lassen, kaum drei- ober viermal seincs SchutzgeifleS, und doch erklärte Sokrates selbst vor seinen Richtern, daß sie ihn oft und an vielen Orten von seiner inneren und göttlichen Stimme hatten sprechen hören; auch beruhte ja die Anklage, daß er neue Götter einführe, aus nichts Anderem als diesem Geständniß außerordentlicher Eingebungen. Einen anderen Beweis für unsere Ansicht bietet der Kriton. Dieser übrigens so schöne Diqlog bildet mit der Apologie, von der er jedoch nur die Fortsetzung ist, den ausfallendsten Gegen satz. Ist cs wahrscheinlich, daß Sokrates vor Kriton seine Hand lungsweise anders motivirt als vor den Athenern? Diese wollten seinem Gewissen Gewalt anthun; er antwortet ihnen, er wolle lieber Gott als den Menschen gehorchen. Kriton, indem er ihn zur Flucht aufsordert, schlägt ihm etwas vor, was sein Gewissen, seine innere Stimme nicht weniger mißbilligt; Sokrates aber begründet seine Weigerung, ihm zu folgen, nur damit, daß jeder Bürger die Pflicht habe, unter allen Umständen den Gesetzen seines Landes zu gehorchen. Erst am Ende der Erörterung findet sich das schöne Wort, das wir oben angeführt, und das wieder zck dem Glauben dcS SokratcS, zu dcm Geist der Apologie zurücksührt. Aber in der Apologie hatte Plato keine freie Hand, da cs sich um eine öffentliche Rede handelte, die vor einer großen Anzahl von Zuhörern gehalten ward. Im Kriton, wo er eine Scene darstellt, die zwischen SokratcS und scinem Freundt stattfindet, konnte sich Plato fret. ergehen, und er hat es nicht vcrsäumt: gab eS eine schönere Gelegenheit, seine politische Theorie von der absoluten Unterwerfung unter daö Gesetz zu be gründen, als indem er zeigte, wie SokratcS sic am Vorabend seines Todes aussprach und durch seinen eigenen Tod gleichsam besiegelte! Aber gehen wir darüber hinweg. So sehr wir auch zugeben, daß Sokrates' Schüler, wenn sie ihren Lehrer reden lassen, seinen religiösen Ucberzeugungen nicht die Bedeutung cinräumen, die sic in seinen Unterhaltungen wirklich hatten, so bleibt eS doch nichtsdesto weniger ausgemacht, daß SokrateS vicl spckulirte und sich überall der Vernunftschlüssc und Beweise bediente. Wie soll man den Ncich- thum und die Subtilität seiner Dialektik mit seiner Gewohnheit, den Eingebungen der Orakel, der Träume und seines Genius zu gehorchen, in Einklang bringen? Es würde zur Erklärung dieses Phänomens nicht genügen, daran zu erinnern, daß SokratcS Grieche war, daß er mitten unter den Sophisten lebte, und daß zu seiner^ Zeit dte Kunst der Rede und der Dialektik die Beschäftigung aller gebildeten Menschen war. Offenbar halte SokratcS seinen Zwrck, wenn cr seine Gegncr mit Fragen und Argumenten verfolgte. Diesen Zweck theilt er uns in der Apologie mit: er wollte sie ihrer Un wissenheit üdcrfübren. Aber warum legte er so viel Werth auf diese Einsicht, die er ihnen übrigens nicht bcibringen konnte? Eine aus- mcrksamc Prüfung seincs Lebens gicbt uns die Antwort, daß So krates leine Mitbürger denselben Weg wollte einschlageu lassen, den er selbst zurückgelegt.