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kommen, sie dort unglücklicher sind, als vorher. Ausgesetzt der Eifer sucht ihrer Landsleute, welche ihnen ihre Ucberlegenheil an Kennt nissen nicht verzeihen, sehen sie sich außerdem von allen Aemtern, die sie, ohne etwas zu wissen, erhalten haben würden, entfernt, während letztere unwissenden Paschas, von denen die Meiste» in der Sklaverei geboren sind, anheimsallen. Auch bietet die öffentliche Verwaltung, ähnlichen Menschen anvertraut, überall nur Unordnung, Albernheit und die thörichtste Verschwendung der Staatsgelder dar. Was materielle Verbesserungen betrifft, so ist niemals davon die Rede gewesen. Alles wirb einigen Persönlichkeiten geopfert: wenig kümmert man sich um das Schicksal und das Wohl der Bevölkerung. Während sich der dreißigste Palast des Sultans am Bosporus er hebt, sieht das Innere von Konstantinopel aus wie vor zwei Jahr hunderten. Zur Seite glänzender Moscheen und Fontaine» von vergoldetem Marmor sind die Straßen, mit unreinlichen Thieren angefüllt"), fast alle eben so dunkle und schmale Gänge, wo man bei jedem Schritte offene übelriechende Kloaken und oft Leichname, welche nach dem Gesetze hier drei Tage lang ausdünsten, findet. °°) Wenn man genauer den jetzigen Zustand der Türkei untersucht und die traurigen Resultate der beabsichtigten Reform, wenn man die unzähligen Leiden wahrnimmt, welche das Reich erduldet, so muß man über die Flüchtigkeit, mit welcher die Dinge in Europa bcurthcilt worden sind, erstaunen und sich fragen, wie so viele Federn sich beeilen konnten, das Genie des Sultans zu preisen. Mahmud ist nie ein großer Mann gewesen, so wenig als ein großer Refor mator, und er konnte weder das Eine noch das Andere sepn. Indem er der Europäischen Civilisation, die er kaum von wei tem wahrnehmen konnte, leidenschaftlich huldigte, glaubte Mahmud in seiner beschränkten Einsicht, daß cS hinreichend sep, di- Form dem Volke anzupaffen, damit eS wiedergeboren würde. Nach diesem Grund sätze handelnd, hat er viele Veränderungen, aber keine Reform be wirkt, während er hätte Alles rcformiren und Nichts verändern müssen. Ohne von der Anhänglichkeit, welche die Türken für die alten Ge bräuche hegen, Nutzen zu ziehen, ohne zu bedenken, daß der Mensch sich unter dem Turban ausbilden könne, wie unter dem Feß, verhöh nend den alten Glauben der Osmancn, verlangte er von dem Volke den Umsturz der Götzen, welche rS liebte, und verletzte dessen stolze Nationalität, indem er es zwang, vas zu kopiren, was cS verachtete. Dieses unkluge Verfahren hatte die traurigsten Folgen; es führte die Vernichtung der Janitscharen, welche mit den Neuerungen unzu frieden waren, herbei, brachte die Provinzen auf, in welchen der JSlam sich rein erhalten hatte, und erregte den Aufstand in Bos nien, dieser Vendee der Türkei, wohin sich der muselmännische Fanatismus geflüchtet hatte. Die Reform der Tracht hat sich über dies nicht auf die Bevölkerung ausgedehnt, die die Nationaltracht bribehaltcn hat; die Beamten der Regierung allein tragen den Ueberrock und daS Feß. Mahmub's Negierung wird in der Geschickte Epoche machen, nicht wegen der Handlungen, womit dieser Fürst sie bezeichnete und welche fast eben so viele Fehler sind, sondern weil eben diese Fehler, man muß es anerkennen, vas Signal einer neuen Aera geworden sind. Wenngleich sein fehlerhafter Plan einer Reform nicht sein Ziel erreicht hat, so kann man doch nichtZeugnen, daß sie zum Resultat gehabt, häufige Beziehungen mit dem Abendlands hcrzustellen. Durch seine, obgleich immer schlecht geleiteten Anstrengungen, Europäische Ideen in seine Staaten zu verpflanzen, hat er wenigstens eine erste Reaction gegen den stationairen Geist und die stolze Unwissenheit des Orients bewirkt. Unglücklicherweise war dies nnr ein schwaches Vorspiel zu dem, was ein wirklicher Reformator gethan hätte. Jetzt ist die Türkei einer völligen Auflösung nahe. Getrennt durch die verschiedenen Interessen der Völker, die sie beherrscht, zer stückelt In ihrem Gebiete durch den Ausgang der Griechischen Re volution, durch den Verlust ihrer Provinzen jenseits der Donau °°°) und die drohende Unabhängigkeit Aegyptens, zerfällt sic, von ihrer eigenen Last niedergedrückt. Die religiöse Einheit und der Fanatis mus, welche während mehrerer Jahrhunderte sie gehoben hatten, haben ihren jetzigen Sturz verursacht, indem sie sie von den Fortschritten Europa's trennten. Dieses erstaunenswerthe Gebäude, so kühn auf dem Zelte Osman's durch Mahomet II. und Soliman den Großen aufgerichtet, unterliegt der Wirkung der Zeit und zerfällt, von Wür mern durchfrcffcn. Marcel Chevalier, (lt. kl.) Ostindien. Ueber das Brahmanenth'um. Die Geschichte Indiens zerfällt in drei Perioden, eine Indische, Muhammedanische und Europäische. Es giebt allerdings Spuren einer noch früheren Bevölkerung wilder Urbewohner in Bcrgschluch- ten und Wäldern, die mit den Hindu's nicht verwandt zu sepn scheinen; aber eine Geschichte kann natürlich erst mit der Indischen ") Der Sultan, Ler die Janitscharen niedergemetzelt hat, hat nicht ge wagt, die Tarnende widerlicher Hunde, welche auf den Straßen umhcrlaufen, tu »ertilgen. Als ein Deutscher Arzk, der kürzlich berufen war, UNI den Ge- iundheitszustand der Stadt zu verbessern, als erste Maßregel die Entfernung dieser lästigen Gaste verlangte, hat mau ihm geantwortet, daß das unmög lich sei,. "l Wenn eine Hinrichtung statthaben soll, so führt man den Schuldigen in eine lebhafte Straße, und da vor irgend einer Boutigue schneidet man ihm den Koos ab, Ler ihm Lann unter den Arm gesteckt wird- Der unglückliche Kaufmann, an dessen Thür das Urtel angeschlagen ist, darf drei Tage laug, wahrend welcher der Leichnam ausgestellt bleibt, das HauS nicht öffnen, wel ches auch die Temperatur sey. Wir sind von vier ähnlichen Hinrichtungen wahrend Ler Hitze des MonatS Juni Zeuge gewesen. '") Es genügt, die Moldau und Waliachei zu durchwandern, um sich zu Überzeugen, daß die Türkische Herrschaft nur noch dem Namen nach dort eri- stirt. Die wirkliche Oberherrschaft wird von Rußland auSgeübl. 547 Periode beginnen, und wo beginnt die letztere? Keiner erschrickt jetzt noch über die ungeheuren vorwcltlichen Zeiträume, in welche die Chronologie fast aller Asiaten hinaufsteigt; es sind dies offenbar mythische oder astronomische Eyklen, die entweder niemals oder doch erst in vergleichungsweise neuerer Zeit auf die nationale Geschichte angewendet worden. Man weiß, daß Ostindien in dem ganzen Be reiche seiner alten Literatur kein eigentlich historisches Werk aufzu weisen hat. Die Geschichte von Kaschmir ist eine Lokal-Chronik, einem Volke angehörcnd, das schon eine andere Stufe der Civilisation einnahm. Aber eigentliche Geschichte ist auch nicht die einzige Quelle historischer Belehrung. Die Gesetz- und Religionsbücher eines alten Volkes werfen mehr Licht auf seine wahre Lage und oft auch bei läufig aus seinen Ursprung und seine historische Entwickelung, als dürre Chroniken ovcr Annalen. Das Gesetzbuch des Manu ist schon mehrfach übersetzt worden; aber die ältesten Religionsbücher der Hindu's, die Weva's, sind erst fragmentarisch bekannt; daher selbst eine so meisterhafte Skizze des alten Zustandes der Hindu's, wie Herr Elphinstone sie giebt, noch Vieles unentschieden läßt.") Die Eintheilung der Kasten, namentlich das Verhältniß der Brahmanen-Kaste zu den ihr untergeordneten, wird, je tiefer wir in ihren Geist und ihre Gesetze cindringen, desto schwerer erklärbar. Das Problem ist noch keincswegeS befriedigend gelöst, wenn man die Brahmanen, wie gewöhnlich geschieht, für eine erbliche Priester schaft, allenfalls eine Race höher civilisirtcr Fremdlinge, erklärt, die sich unter barbarischen Horden niedergelassen, sie mit den Künsten und Bequemlichkeiten des Lebens bekannt gemacht und daher, mit dem Charakter von Göttcrbotcn, eine Art vermittelnder Gewalt zwischen dem Menschen und seinen Göttern erlangt hätten. Es wäre gar nicht undenkbar, daß eine so begründete priester liche Aristokratie die hohe Achtung, in der sic bei dcn Menschen stand, durch die strengste Disziplin gegen ihre Mitglieder aufrecht gehalten hätte. Insofern könnte das Uebcrgcwicht der Brahmanen - Kaste Indiens nur eine vollkommenere Entwickelung dessen sepn, was im Orient allgemein sich findet und was man in Europa als ein sicheres Zeichen orientalischen Ursprungs betrachten kann. Ueberall finden wir sociale und religiöse Suprematie unzertrennlich verbunden: die Magier, die Chaldäer, die Acgyptischc Priesterschaft, welche unstreitig der Indischen am meisten analog, die Leviten, die Druiden, Etrusker und die alten priesterlichen Familien Griechenlands — alle sind mehr oder weniger streng von den übrigen Stämmen oder Familien, welche die Nation bilden, geschieden; sie haben ihre besonderen Pri vilegien; ihr Leben hat vor dem Gesetz einen höheren Werth, und eine Vermischung dieser heiligen Stände mit der übrigen Nation ist streng untersagt. Aber die Begründung eines so wunderbar künst lichen Systcmcs in einem Lande von ungeheurer Ausdehnung, wie Ostindien, macht den Unterschied und zugleich die Schwierigkeit. Daß eine Familie mit geistlicher Superiorität bekleidet werden und zu einem Priesterstamme heranwachsen könne, der unter den übrigen Stämmen seine Heiligkeit bewahrt; daß eine erobernde Nation ihre Priesterschaft mitbringen und mit der Vergrößerung ihres eigenen Gebietes die Sphäre ihrer priesterlichen Gewalt erweitern könne; daß selbst in einem Königreiche von beschränktem Umfang, wie Aegypten, dieser Anwachs einer auswärtigen oder einheimischen Hierarchie stattfindcn könne — alles dies setzt dcn Forscher in Ver legenheit, scheint aber wenigstens nicht unbegreiflich. Aber die Brahmanen-Kaste ist gleichsam eine Nation in der Nation, die nicht in engen Schranken lebt, sondern über ein Land sich auSbreitct, welches beinahe ein Kontinent heißen kann. Daß die Bevölkerung einer so ausgedehnten Region, die niemals unter Einem Herrscher vereinigt war, sondern, so weit alle Sage reicht, ein Aggregat vieler unabhängiger Staaten rind Herrschaften bildete, dennoch in Kasten zerfiel, von denen eine nur dem Kriegswesen, eine andere nur Han del und Gewerben, eine dritte aber den niedrigsten und verächtlich sten Beschäftigungen sich ergab, und daß über allen diesen Kasten eine gigantische Hierarchie sich behauptete, die mit äußerstem Stolze an ihren Privilegien hielt und, nicht minder streng gegen sich selbst als gegen die Beherrschten, drei Vierthcilc des Lebens in den härtesten Entsagungen und Selbstpeinigungcn zubrachte — alles vieS wird erst lange Nachforschung ins Klare bringen. Erwägen wir nun, daß dieses System schon zur Zeit der Eroberungen Alcrander'S deS Großen vollkommen ausgebildet war, so finden wir in dieser That- sache einen ungleich stärkeren Grund für die Annahme eines sehr hohen Alters der Indischen Civilisation, als in allen vorhandenen Denkmälern, die, selbst mit Einschluß der Höhlen-Tempel, wahr scheinlich einer nicht allzu frühen Periode angchören. Wir betrachten dieses politische Phänomen mit derselben stum men Verwunderung, wie Stonehenge oder die Pyramiden, und ge stehen, daß uns jeder Schlüssel zu Erklärung des Räthscls fehlt. Die Eintheilung in Kasten muß älter gewesen sepn, als die Eroberung Indiens, sofern man nämlich unter letzterer die Unterwerfung deS ganzen Landes versteht. Dev große Stamm, aus welchem das Sy stem emanirte, mag fremder Abkunft gewesen sepn und in dem fo einladenden Hindostan durch Waffengewalt eine Kolonie gegründet haben; hier wurde er allmälig zu einer Nation, die sich durch über legene Macht, Thätigkeit oder Intelligenz über ganz Indien aus. breitete. Wohl mochten die bürgerliche und die religiöse Oberhoheit anfänglich einer und derselben Familie zukommen; der König oder die herrschende Familie konnte, gleich dem Melchiscdek der hei ligen Schrift, oder dem Könige AniuS deS Virgil, König und Priester Z'mlcich seyn; und hierfür spricht der patriarchalische Charakter der alten" Religion Indiens. Die Brahmanen sind (wenn man einige spätere Sekten auSnehmen will) niemals eine Priesterschaft gewesen, ') Ni,«ory ot luSia. r Bände. London, I8«l.