Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erscheine» drei Nummern. PränumerationS- Prei« 22j Sgr. (; Tblr.) vierteljährlich, 3 Thtr. sür LaS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen her Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumcrirk auf dieses Literatur-Blatt in Berlin i» der Expedition der Mg. Pr. Staats-Zeitung sFüednchösu. Nr. 72); in der Provinz so wie im Ausland« bei den Wohllöbl. Post-AemterN. Literatur des Auslandes. 132 Berlin, Mittwoch den 3. November 1841 Schweden. Brief über Stockholms Abend-Gesellschaften. Von Fredrika Bremer, Verfasserin Ler Skizzen auS dem Alltagsleben. Du fragst mich, liebe Freundin, was ich in der großen Haupt stadt mache, während die Reichstags-Parteien ihre Fahnen schwin gen, — während Stockholms kluge und dumme Köpfe an einander rennen und alle Uneingeweihte glauben, durch den gewaltigen Stoß werde eine neue Minerva des öffentlichen Wohls geboren werden,... was ich während all' der Zeit mache ? — Ach, meine Freundin, — ich soupire und — gähne! Ich war vorgestern auf einem Souper, ich war gestern, ich bin heute auf einem Souper, und wenn ich morgen noch lebe, werde ich ganz bestimmt wieder soupircn. „Aus einem Souper!" hör' ich Dich rufen, „was ist denn daran so unangenehm?" Glückliches Landkind, beschäftige Du Dich mit Deinen Blumen und Deinem Nähzeug, — laß die reine Luft Deine Wangen um spielen, — singe Deine einfachen Weisen, — laß Dein Rädchen schnurren, — schließe Deinen Tag in Frieden und Freude, — ver zehre Dein leichtes Abendbrov, geh' um zehn Uhr zu Bett und bitte Gott, daß er Dich vor dem Stadtlcbeu und seinen Abend-Gesell schaften bewahre. Wenn Du aber von weitem mit den Vergnügungen dieser großen und feinen Welt Bekanntschaft machen willst, so folge mir »m Geiste einige Augenblick, und Du sollst in die Mpsterien unserer Soupers eingeweiht werden. Wir schmücken unser Haar zunächst mit Blumen! — Vor acht Tagen zu den Vergnügungen des Festes eingeladen, nehmen wir setzt die heiterste Miene an, um sie zu begrüßen! ES schlägt acht Uhr, und wir werfen einen letzten Blick in den Spiegel, um in den bereits auf uns wartenden Wagen zu steigen, der uns mit Geräusch durch die Straßen der Stadt dahin fährt, wo eine lange Reihe erleuchteter Fenster unS zu halten einladet und die Helle Treppe zu ersteigen. Ich übergehe eine herüntergesallene Locke, eine Falte im Kleide und tausend andere kleine Reise-Abenteuer; man bringt eiligst sein Haar und seine Toilette in Ordnung und nimmt das graziöse Lächeln wieder an, wenn man cö, was oft geschieht, auf der Treppe verloren haben sollte. Die Salonthürcn öffnen sich, und wir treten ein. — Ist es der Samum oder der Sirocko, was uns aus der Masse von Licht und Leuten anweht? Eines von Beidem, — und bei diesem schwülen Hauch fühlst Du schon, wie sich über Deine intellektuellen Kräfte eine gewisse Dumpfheit verbreitet. Wir haben rechts und links gegrüßt und setzen uns Gott sey Lob und Dank! Kommt kein Erdbeben, so stehen wir so bald nicht wieder auf. Dicht neben einander sitzend, mustern, bc- komplimentircn und kajoliren sich die Damen, unv von allen Lippen fließen zuckersüße Artigkeiten. Man nickt sich zu, die Federn schwan ken, die seidenen Kleider rauschen, man fragt und antwortet; es murmelt und summt, bald stärker, bald schwächer, — es dröhnt dis zur Betäubung dann wird cs plötzlich still. Man stellt Spieltische auf, reicht Thee herum, legt Kupferstiche vor. Man spielt und schweigt, bläst unv trinkt, betrachtet und gähnt. Es ist warm und dunstig. Langsam rückt die Zeit vor. Die Hitze in den Zimmern nimmt zu, — die Locken gehen auS, — eine und die andere Nase wird roth, — die Ohren sangen an zu brennen, — man wird unruhig, rückt auf seinem Stuhle hin und her unv fächelt sich Kühlung zu. Man sucht ein Gespräch anzuknüpsen. Die fließenden Ideen sollen unsere schmelzenden Gefühle gleichsam wie ein frischer Quell "guicken; aber ach, — die Ideen in unserem Kopfe sind geschmolzen wie die Pomade in unserem Haar, und wir finden uns kaum witzig klug genug, um mit dem nöthigen Geist vom Wetter zu sprechen, ^dnn Du Dich bemühst, etwas Originelles zu sägen, so antwortet man Dir mit einem „Za", „Nein", „Haha" oder „Ja so" daraut, welches so viel sagen will, als: „Quälen Sic sich nicht, meine Liebe!" Sieh' dort einen Herrn n.it dem Hut in der Hand, der sich Dir naht, um eine Diversion und Eonvcrsation zu machen. "Ole er zu Dir? Du lächeltest so mild. War cS eine Artigkeit?" „Nein." „Etwas Witziges?" „Nein." „Also etwas Dummes?" „Nein." „Er sagte aber doch etwas." „Za freilich, aber es war durchaus etwas Nichtssagendes. Der arme Mensch, — er war etwas schläfrig, hatte sein Geld am Spiel tisch verloren und befand sich außerdem unter dem Einfluß des Souper-Sirocko; — was konnte er wohl anders zu mir sagen, als: Es ist entsetzlich warm hier!" Um Deine gegen Deinen Willen schläfrigen Sinne etwas zu ermuntern, blickst Du in der zahlreichen Gesellschaft mit der Hoff nung umher, irgend eine Veranlassung zu eigenen Betrachtungen zu finden; aber vergebens, — Du triffst nichts als die größte Einför migkeit. Der gute Ton und die feine Bildung Haden an diesem Kreise so viel geschliffen und polirt, alle ausgesprochene Formen und jegliche Originalität dergestalt verdrängt, daß man an den Indivi duen keinen anderen Unterschied mehr bemerkt, als den geringen der Kleidung und den, welchen die barmherzige Natur, diese Feindin aller lästigen Einförmigkeit, stets sortfährt, zwischen Nasen, Augen, Mund und Ohren, die bald klein, bald groß, bald gerade, bald ge bogen sind, bcizubchalten, was aber auch Alles ist. Eis und Zuckergebäck werden herumgereicht. Einige Erfrischung macht sich tm Salon und in den Gemüthern bemerkbar. Man führt seinen Thcclöffel zum Munde und ißt und schweigt. Aus den Spielzimmern hört man Geräusch von Karten und Marken. Die Gesellschaft im Salon rührt sich, — man steht auf, setzt seine Untertassen fort, — man athmet- Der Flügel wird geöffnet. Gut! — Die Zauberklänge der Musik werden die Dämonen vcr Langcnweile in die Flucht schlagen. Man zieht einen halb schüchternen, halb frechen Dilettanten hervor. Er versichert, er wisse nichts auswendig, — er setzt sich aber dennoch ans Instrument. Er erröthet, er erblstcht, er zittert, — aber er paukt herzhaft aus die geduldige Klaviatur und stimmt einen Gesang an.... Gott scp Dank, daß er zu Ende ist! Jetzt läßt sich ein wirkliches Talent, anspruchslos, aber ruhig im Gefühle seiner Kraft, hören. ES ertönen Gesänge aus der Fril- Hiofs-Sage; — Worte und Musik sind schön. Des Sängers Stimme ist sicher und angenehm, obgleich die Menge der Gäste und die Hitze ihrem Klange Abbruch thun. Die Schlußakkorde ertönen und der Gesang verhallt; — aber woher dies Schweigen in der Gesellschaft, — woher diese Regungslosigkeit? Ist man stumm und regungslos vor Entzücken? — Schläfrige Augen und halbuntcrdrücktcs Gähnen beantworten diese Fragen. Der Sänger hat nur ven Wänden etwas vorgcsunge». Der Souper-Sirocko hat alle Gefühle gelähmt. Immer dunkler brennen die Lichter, immer stärker wird die Hitze, immer verdorbener die Luft. Man füblt sich immer unbehag licher, sängt an, schläfrig zu werden, hält sich jedoch schandehalber wach und fängt an, von Onkeln und Tanten, von Diners, von Reichs tags-Mitgliedern u. dgl. zu sprechen; — man drängt sich und wird gedrängt, man redet an und wird angeredet, man lügt und wird belogen, wenn der Stoff der Unterhaltung auSgegangen und man vor Angst nicht mehr weiß, was man erzählen soll, — und man endet damit, sich tausend Meilen fort vom Souper zu wünschen. Dabei scheinen Vie Minuten sich zu dehnen unv zu recken; man fühlt sich versucht, dasselbe zu thun. Die Kupferstiche werden abermals besehen und um und um gekehrt. Man spricht weiter, sagt aber Nein statt Ja und Ja statt Nein. Man unterdrückt das Gähnen, auf die Gefahr, zu ersticken; man findet sich einfältig, Andere unausstehlich, aber man lächelt und zeigt sich liebenswürdig. Von acht bis neun, von neun bis zehn, von zehn bis elf, von elf bis zwölf Uhr haben wir still und geduldig in dieser kleinen Hölle von Hitze und Höflichkeit gesessen. Unsere Kräfte sink erschöpft, Mitternacht ist vör der Thür, und nun würde man sicher ohnmächtig werden oder sterben, — da öffnen sich jedoch die Thüren VcS Eßsaals, — der Geruch der Speisest wirkt wie Lau fle Loloxue auf unsere Nerven, — eine Stimme rusl: „ES ist angerichtct!" und — man ist gerettet! — Die Gesellschaft erhebt sich in Masse; man zieht paarweis nach dem Eßsaal, wo eine lange Tafel — ein neues Kanaan — den verschmachteten Wanderern alle Gaben des Lurus unv ves Ucber- fluffeS bietet. Man reiht sich um den Tisch, vrcht und wcnvel, sucht