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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumcrations- Prei- 22^ Sgr. (f Tblr.) vierteljährlich, Z Thlr. für deS ganze Jahr, ohne Er. Höhung, in allen Theilen der Prrußüchcn Monarchie. a g a für die Man prönumerirt auf diese» Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedM-str. Nr. 72); in ter Provinz so wie im AuSIande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 128 Berlin, Montag den 25. Oktober 1841. England. Geschichtliche Entwickelung des Deismus. II. Die Blüthezeit des DeiSmuS.") Durch die Revolution von 1688 wurden die Prinzipien wieder in Kraft gesetzt, welche bei der Umwälzung unter Karl I. thätig gewesen waren. Die religiöse Spaltung dauerte fort. Zwar suchte der König eine Versöhnung der bischöflichen Kirche mit den Dissen ters herbeizuführen, aber er konnte mit seinem Plane nicht durch, dringen. Der Gegensatz zwischen der bigb-clnwob und der love- cbnrok befestigte sich im Gegentheil immer mehr. Diejenigen Theo logen, welche die versöhnliches Absichten des Königs zu fördern suchten, wurden als Latudinarier verschrieen. So z. B. Arthur Burp, Verfasser des „nackten Evangeliums" (tiw naleeü ko^ol). Nach seiner Ansicht faßte das ursprüngliche Evangelium nur Buße und Glauben in sich, weiter nichts; man glaubt aber der heil. Schrift nur insofern, als man durch Vernunft überzeugt ist, daß sie Gottes Wort ist. Die Zusätze und Veränderungen, mit welchen das nackte Evangelium später versehen wurde, sind nur bestimmt, das Gebiet des Glaubens so weit auszudehnen, wie möglich, und den Glauben über die Sittlichkeit zu erhebe». So John Tillotson, der den Gebrauch der Vernunft in Religionssachen festhielt. Unter den vorliegenden Verhältnissen mußte die deistische Oppo- sition zu einer bedeutenden Macht gelangen, wenn freie Diskussion gestattet wurde und wenn eine bedeutende Intelligenz an die Spitze trat. Die erstere gewährte die Abschaffung der Censur ini Jahre 1684. Die Intelligenz war aber John Locke. Wie Locke überhaupt alle angeborene Ideen bestreitet und alle Ideen aus der Erfahrung ableitet, so stammt auch, seiner Ansicht nach, alles Wissen von Gott unv göttlichen Dingen, so wie alle ethische Begriffe, aus der Erfahrung, d. h. aus Ideen, die der Mensch durch die äußeren Sinne oder den inneren Sinn erhält und durch die Tbätigkeit seines Geistes verarbeitet. Zwar glaubt man, das Gewissen scp eine Thatsache, welche das Angcborenscyn praktischer Grundsätze beweise; allein dasselbe ist nichts Anderes als unsere eigene Mmmug oder unser Urtheil über die sittliche Rechtschaffenheit oder Verkehrtheit unserer eigenen Handlungen. Es kann in der That geschehen, daß Lehren, welche keine bessere Quelle Haden als den Aberglauben einer Amme und das Ansehen eines alten WeibeS, durch die Länge der Zeit und durch die Uebereinstimmung der Nach barn zur Würde von Prinzipien der Religion oder Moralität auf- wachsen. Wenn Lockc'S Richtung auch als eine kritische, durch den Ge gensatz gegen den Dogmatismus und Skeptizismus hervorgerufene bezeichnet werden muß, so findet sich doch bei ihm auch eine stark ausgesprochene supranaturalistische Anschauung, und gerade dadurch wird er so bedeutend für die religiöse Fortentwickelung: er ist für daS Berhältniß der Philosophie zur Religion gleichsam ein Knoten punkt, in welchem verschiedene Richtungen sich verschlingen, um nach her auscinanderzugehen. Weil er alles Wisse» und Denken aus Reflexion und Sensation ableitet, so giebt er darum die Erkenntniß Gottes doch nicht auf, aber es bleibt ihm sowohl die natürliche Religion als die Offenbarung bestehen. Obwohl wir keine ange borene Idee Gottes haben, so hat sich doch Gott nicht unbezeugt gelassen, indem er uns mit den Mitteln und Zwecken, ihn zu ent decken und zu kennen, so weit es sür den Zweck unseres Dascpns und unserer Glückseligkeit erforderlich ist, vollständig versehen hat. Es ist keine Frage, daß der Mensch eine klare Idee von seinem eigenen Dasepn hat; sodann weiß der Mensch durch intuitive Gewiß heit, daß ein pures Nichts so wenig ein wirkliches Wesen hervor bringen, als eine Linie gleich zwei rechten Winkeln sepn kann; aus beiden zusammengcnojnmen crgiebt sich evident, baß von Ewigkeit an etwas eristirt hat, von dem Alles, was ist, herkommt, das dem nach höchst mächtig uud intelligent ist. Bei dem angedcuteten supranaturalistischen Zuge Locke'S ist es ganz natürlich, daß er eS zu keinem festen Gegensätze zwischen Ver nunft und Glauben kommen lassen will. Aber zur Vermeidung von Unordnungen hält er es doch sür nothwendig, die Gränzcn zwischen beiden genau zu bestimmen. Vernunft im Unterschiede vom Glauben ist ihm die Entdeckung der Gewißheit ober Wahrscheinlichkeit von ') Ngl. Nr. 124 de» Magazins. Wahrheiten, auf welche der Geist durch Ableitung von solchen Ideen kommt, die er durch den Gebrauch seiner natürlichen Vermögen, d. h. Sensation und Reflexion, erhalten hat. Glaube ist dagegen die Beistimmung zu Sätzen, die nicht so durch rationelle Ableitung aus. gemacht sind, sondern auf die Glaubwürdigkeit dessen hin angenom. men werden, der sie, als auf einem außerordentlichen Wege von Gott ertheilt, vorträgt. Nach Feststellung dieses Verhältnisses kam er zu folgenden Re sultaten: I) Kein von Gott inspirirter Mensch kann durch irgend eine Offenbarung Anderen irgend neue einfache Ideen mitthcilen, welche sie nicht vorher durch Sensation und Reflexion gehabt haben. 2) Durch Offenbarung können dieselben Wahrheiten entdeckt und mit- getheilt werden, welche für uns durch Vernunft und durch die Idee, die wir natürlicher Weise haben, entdeckbar sind, z. B- die Wahr heit des Euklidischen Satzes. In solchen Dingen bedarf eS jedoch keiner Offenbarung. Jede Wahrheit nämlich, die wir durch Betrach tung unserer eigenen Ideen klar entdecken, wird uns immer gewisser sepn, alS diejenige, welche uns durch überlieferte Offenbarung mit- getheilt wird. Z) ES giebt viele Dinge, wovon wir entweder sehr unvollkommene oder gar keine Begriffe haben, und andere Dinge, von deren vergangenem, gegenwärtigem und zukünftigem Dasepn wir gar keine Kenntniß haben; diese sind also übcrvernünftig und, wenn sie geoffenbar. werden, der eigentliche Gegenstand des Glaubens. In Allem, was bloß wahrscheinlich ist, kann Gott Offenbarung mittheilen, so daß wir davon Gewißheit erhalten. Wenn Locke so der Offenbarung und dem Glauben eine bedeu tende Stelle einräumt, so erklärt er sich doch stark gegen die Ueber« Hebung deS letzteren und schreibt dieser vorzüglich die Widersinnig- keitcn zu, die beinahe alle Religionen auSsüllen. Als Denker kann er den Rechten der Vernunft natürlich nichts vergeben, und er ver- tritl die Ansprüche derselben in dem Sinne, daß er ihr die noth wendige Entscheidung über die Frage übergiebt, ob etwas wirkliche Offenbarung, und was der Sinn dieser Offenbarung sry. Er ist beständig bemüht, Vernunft und Offenbarung in ein solches Ver- hältniß zu setzen, daß die erstere schlechterdings nicht beeinträchtigt werden darf. Darum wird beiden ein bestimmtes Gebiet zugewiesen. Die Vernunft ist die natürliche Offenbarung, wodurch die ewige Quelle alles Wissens dem Menschen die Wahrheiten zukommen läßt, die in den Bereich seiner naiürlichen Fähigkeiten gelegt sind; Offen barung ist die natürliche Vernunft, erweitert durch eine neue Reihe von Entdeckungen, die von Gott unmittelbar mitgetheilt werden, und deren Wahrheit die Vernunft bestätigt durch daS Zeugniß und die Beweise, die cs giebt, daß sie von Gott kommen. Die spezielle Anwendung dieser Gedanke» auf das Christen thum findet sich in seiner Schrift: „lieber die Vernünftigkeit des ChristenthumS, wie es in der Schrift überliefert ist." Das Ergebniß seiner Forschungen ist, daß der einzige Fundamental - Artikel des ChristentbumS der sep: „JesuS ist der Messias." Die Anerkennung dieser Wahrheit wird von Jeden, gefordert; alle übrigen können den Menschen unbeschadet ihres Heils unbekannt bleiben. Der Glaube, daß Jesus von Nazareth der Messias ist, wird den Christen als Ge rechtigkeit, d. h. als vollkommene Erfüllmig des Gesetzes angerechnct. Eine mit dem Glauben schon gesetzte Bestimmung ist die Buße, d. h. daS Bereuen der begangenen Sünden und das Bestreben, das Mög lichste zu thun, um alle Handlungen nach dem Gesetze GottcS einzu richten DaS Gesetz des Messiasreichs besteht theils in dem durch Christus bestätigten ,md von verdorbenen Traditionen gereinigten Sittengesetz des MosaiSmuS, theils in neuen Geboten nebst de», Be weggrund unaussprechlicher Belohnungen und Strafen in einer an deren Welt. Vor der Zeit des Erlösers war die Lehre von einem künftigen Zustande zwar nicht schlechthin verborgen, aber nicht klar bekannt. Christus hat Leben und Unsterblichkeit ans Licht gebracht, und während bisher die Tugend dem Hauptzweck des Menschen, der Glückseligkeit, entgegen war, wurde jetzt in die Wagschalc der Tu gend die überschwängliche und ewige Herrlichkeit gelegt. Dadurch ist ein Interesse zu ihr hinzugekommen. Daß sie die Vollkommenheit unserer Natur ist,'daß sie j„ sich selbst ihren Lohn hat, das ist jetzt nicht mehr Alles, was von ihr gesagt werden kann. Die Aussicht aus Himmel und Hölle giebt der Tugend Reize, welche die Ver nunft, daS Interesse und die Sorge für uns selbst nur Vorzieher, kann. Auf diesem Grunde, und nur auf diesem, steht die Sitilich. keit fest; daS macht sie zu mehr als einem Namen, zu etwas Sub stanziellem. Auch hierlvird das Berhältniß der Offenbarung zum Rationellen