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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Prönumeraiienr- PrciS 22^ Sgr. Tblr.) vierteljährlich, Z Thtr. für dnS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preuhischen Monarchie. a g a für die Man pränumcrirt auf dieses Literamr-Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedrichSstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 129 Berlin, Mittwoch den 27. Oktober 1841. Frankreich. Wiedergeburt des Orients.") Von Edgar Quinet. Alle Offenbarung kommt aus dem Orient und wird im Occident zur Ueberlieferung. Asien hat die Propheten, Europa die Gelehrten. Bald ziehen sich beide Welten an, bestätigen sich gegenseitig und be wahren so das Bewußtscyn ihres gleichen Ursprungs; bald stoßen sie sich ab, wie zwei feindliche Sekten, und fliehen von einander wie ihre Ströme; sie vergessen sich, um sich neu zu finden, neu zu ver schmelzen; bei jeder neuen Vereinigung empfängt Europa mit einem neuen Glauben, so zu sagen, einen neuen Gott; und die Darstellung der Annäherungen und Trennungen beider Welttheile enthält zugleich die Haupt-Epöchen der allgemeinen Religionsgeschichte. Die Bibel, das Buch des Orients, welches im Occident am meisten heimisch geworben, erwähnt Hoch-Asiens fast gar nicht. Der Horizont des Hebräischen Volts geht nicht über Mesopotamien hin- aus. Die Inder und Juden haben sich getrennt von einander und selbständig entwickelt; das jüdische Volk fragte nichts nach seiner Ver gangenheit; eS ist daS Lieblingskind Jehovah'S, der Erstgeborene dcS Höchsten , wozu sollte es nach einer anderen Abstammung forschen? Die Griechen hingegen, deren Götter aus der ersten Verschmelzung des Abendlandes mit Hoch-Asien hervorgegangen waren, schienen verpflichtet, das Bewußtseyn dieser Vereinigung festzuhalten; gleich wohl verloren sie es ganz. Griechenland hatte Astatische Dogmen und wußte eS nicht. Es glaubte sich den Olpmp selbst erfunden, gedichtet, geschaffen zu haben, und wenn es zwischen seinem Kultus und dem am Ml und Euphrat auffallende Aehnlichkeit fand, so zweifelte eS nicht, daß Asien ihm seine Götter geraubt habe, wie die ganze Erde nur sehe, denke, fühle durch die Seele, die Griechenland ihr cingehaucht. Herodot war einer der Ersten, der auf seiner Reise in Aegypten und Phönizien das stolze Vorurtheil seiner Landsleute einsah, doch er konnte cs ihnen nicht benehmen. Alexander blieb es Vorbehalten, dasselbe zu erschüttern; ein göttlicher Instinkt führte ihn zur Wiege des Stammes, als dessen erster Vertreter sein Volk da stand, er drang bis Indien vor und zog den Schleier von der Quelle und der ersten Gestaltung der Griechischen Bildung. Doch balv nach Alerander's Tode erlosch der Griechische Geist; cs scheint, daß sein Leben an seinen Jrrthum geknüpft war, so ging es mit diesem zu Grunde. Gleichwohl wurde die Verbindung mit Asien fortgcführt, besonders blieb Alexandrien in Beziehung zu Indien, bis das Christen thum den zweiten großen Bund des Orients mit dem Occident be siegelte. Während des ganzen Mittelalters ist dieses Band wiederum zerrissen, als ob cs nie bestanden hätte. Der gegeißelte, gekreuzigte Christus des l2tcn Jahrhunderts hatte nichts gemein mit der Pracht und den glühenden Leidenschaften am Bengalischen Meere. Selbst die Kreuzzüge mit ihrer Eroberungslust gingen nur auf Golgatha anS; ein nacktes Land wollte man für einen nackten Gott gewinnen, während Hoch-Asien mit seiner reichen schöpferischen Natur als cin Land verderblicher Zauberkünste und gottloser Lüste unbekannt blieb. So lange das mpstisch-aScetische Prinzip die Oberhand hatte, war die Verbindung mit dem Orient aufgelöst. Im fünfzehnten Jahr hundert erst, als der Handel und Gewerbflciß die verachtete Materie wieder zu Ehren brachten, mit der Entdeckung des Vorgebirges der guten Hoffnung, ist Asien in all' seinem Glanze dem Abendlande wiedergegebcn. Die Religion der Kreuzigung veS Fleisches ward durch den Geist der Industrie verdrängt., Man muß dem achtzehnten Jahrhundert zugestchen, daß es ein gewisses Vorgefühl einer Wiedergeburt des Orients in sich trug, freilich stand dasselbe mit dem SkeptiziSm in Verbindung und ent sprang zunächst aus dem Bestreben, in dem alten Orient ein Volk S" finven, welches dem Hebräischen gleichsteht; auch wußten die Ency- klopadisten von Persien und Indien nicht mehr, als Hcrodot von Lewnßt. In den Englischen Bibliotheken fanden sich Bruch stucke Indischer und Altpersischer Schriften, doch Niemand in Europa ^umw auch nur daS Alphabet dieser Sprachen. Jahrtausende lang haben die Reste jener frühen Bildung verborgen gelegen. Und wer - jst der seltsame kürzlich von uns <Nr- I2r unter „Man- mgiattlges - erwähnte Artikel, in welchem unS Deutichen die Ehre vindizirt wird, das orientalische Element in der geistigen Welt des SccidentS zu revrä- sentwen. Das Ganze ist bei aller Barockheit nicht ohne Geist und wird daher auch mit Interesse gelesen werden. hat das Siegel auf den stummen Lippen deS Orients gelüftet? wer den Schlüssel zu ihren Schriften wieder entdeckt? Dieser Ruhm ge bührt Anquetil Duperron. Ein Blatt aus einem der den Persern geheiligten Bücher fiel ihm zufällig in die Hände. Beim Anblick dieser unentwirrbaren Züge fühlt er sich von heißer Begier bewegt, die Weisheit, welche in ihnen verborgen liege, sich selbst und der Welt zugänglich zu machen, und schwärmt, diese Sprache zu lernen, die Niemand in Europa verstehe. In dieser Absicht geht er als Soldat, kaum dreiundzwanzig Jahr alt, nach Indien. Hier ange kommen, durchstreift er auf großen Faßreifen das Land, um die Er innerungen, welche in der Gegend schlummerten, besser aufstören zu können. Eine Pistole im Gürtel und die Bibel im Bündel, zieht er umher; es ist gerade die Zeit der Kriege zwischen den Franzosen und Engländern; von beiden Theilen verfolgt, kommt er nach Suratte; hier endlich trifft er Persische Priester, welche in der Verbannung die Reste der Schriften der alten Magier bewahren und dem Feuer dienste treu geblieben sind. Seine Wißbegierdc erregt anfänglich das Mißtrauen der Priester, doch ein fast zehnjähriger Aufenthalt bei ihnen erwirbt ihm die Liebe deS gelehrtesten derselben. Dieser unter richtet ihn in der heiligen Sprache seiner Vorältern, in dem Zend, welches, wie das Sanskrit und wie in Europa das Griechische und Lateinische, längst zu den tobten Sprachen gehört. Die Hoffnung seines ganzen Lebens ist erfüllt. Die heiligen Bücher hält er in den Händen, die noch kein Europäer gesehen; Venn ihr Blick allein be fleckt sie, sagen die Priester. Er fertigt Abschriften, liest sie, übersetzt sie. Wie CamoenS sein Gedicht aus dem Schiffbruch rettet, so bringt er eine ganze Bibliothek von Werken der Magier, der Zeitgenossen von Darius, Xerres, Cprus, CambpscS, nach Europa und veröffent licht diese Denkmäler Persischer Religion kurz vor der Revolution. Von dieser Zeit an wurde das Studium der orientalischen Sprachen ununterbrochen- fortgesetzt. Bald fing auch England, welches die Herrin beider Indien geblieben war, an, auf dem Wege der Wissen schaft tiefer in dasselbe einzudringen. Ein Franzose hat die Sprache und Religion der Persischen Stämme aufgesunden; ein Engländer, William Iones, die Sprache der alten Hindus. Bald wurden durch Missionaire und Reisende immer mehr Manuskripte aus jener alten Welt uns zugebracht, Hymnen, Epopöen, Gesetzbücher in Versen, Dramen, philosophische, theologische, philologische Schriften; und jede neue Handschrift macht den Pflegern dieser Wissenschaft dieselbe Freude, die einst Pctrarka beim Anblick eines vollständigen Homer genoß. Was Laskaris und die Byzantinischen Flüchtlinge für die Wiedergeburt deS Griechischen Geistes waren, das wurden William Jones und Anquetil Duperron für die hes orientalischen. Im ersten Entzücken der Entdeckungen versprachen die Orientalisten, aus dem Asiatischen Alterthum eine tiefere Philosophie und Poesie wieder empor zu fördern, als wir aus dem Griechischen besitzen. Doch steht bis jetzt allerdings noch zu zweifeln, daß Orpheus durch Vyasa, Sophokles durch Kalidasa, Plato durch Sankara verdrängt werden wird. Allein diese Studien haben den Occident zugleich vermocht, sich dem modernen Orient zu nähern, es ist eine Gemeinschaftlich keit der Ideen zwischen beiden entstanden. Der Orient selbst tritt aus seiner Starrheit heraus und nimmt occidentale Bildung an. Und welche neue Gestaltung wird aus der Vermählung dieser beiden Welten hervorgehen? Die Blätter deö alten Testamentes mehren sich dauernd durch Trümmer, die aus den Altindischen und Altper sischen Bibeln aufgcfunden werden; wird sich das neue Testament in gleichem Grade erweitern, wird es den Geist vom Joche des Buch stabens befreien? Die Wiederherstellung der altklassischcn Wissen schaften fiel mit der Reformation zusammen; wird die der orienta lischen nicht eben so mit einer religiösen oder sozialen Umwälzung in Verbindung tret-en? Nicht Handel, Entdeckungen, Seereisen waren eS allein, welche im fünfzehnten Jahrhundert Asien Europa Wiedergaben, di« Kunst selbst und die Wissenschaft wandten sich aufs neue jenem Mutter- landc der Bildung zu. Und wie cs die Portugiesen waren, welche durch Entdeckung des Caps der guten Hoffnung diese Vereinigung herbeiführten, so sind sie cs auch, welche dieselbe zuerst durch ein poetisches Werk verherrlichen, durch die Lusiade, welche mit allen Düsten Portugals das Gold, die Myrrhen und den Weihrauch der Levante in sich schließt und noch von mancher Thräne des Abend landes benetzt ist. Zum ersten Male schwingt sich die Europäische Poesie über vas Mittelmeer hinaus, ohne Zweifel begleiten die Er innerungen Griechenlands und der christlichen Welt den abenteuer lichen Dichter in jene Allasiatischcn Fluthcn, die noch kcin Ruder be-