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496 Frankreich. Zur Geschichte des Liebhaber-Theaters. Unter allen Manieen des achtzehnten Jahrhunderts, und welches Jahrhundert war daran wohl reicher, hat die Manie der Liebhaber- Theater mit der größten Schnelligkeit, ja mit wahrer Wuth um sich gegriffen. Ueberall und bei jeder Gelegenheit improvisirl man Stücke; die Komödie ist von der Bühne in die große Welt und von da in die Familie übergegangen. Es gicbt kein Geburtssest, keine Abreise, keine Ankunft, die nicht durch irgend ein Gelegenheitsstück mit einge legten Liedern gefeiert würden. Ist man auf dem Lande, so wird schnell ein Vorhang, Couliffen und Gerüste herbeigeschafft. Man be raubt den Park seines schönsten Blumen- und Blätterschmuckes, um die Bühne damit aufzuputzen; man erlaubt sich tausend unbescheidene, aber heitere Nachforschungen in den Garderoben der alten Tanten, um daraus irgend etwas ganz Besonderes und längst Vergessenes ans Tageslicht zu ziehen. Riesenmäßige Wulste, Schleppkleider, selt same Kopfzeuge, nichts von den alten Putzgegenständen wird ver schont. Befindet man sich in der Stadt, so wird in einer Ecke des Salons ein Theater aufgeschlagen. Man hat aber kein Stück ein- studirt, Niemand weiß, was er sagen soll. Hm! so mag Jeder irgend etwas Lächerliches vorstellen, und man wird sich doch köstlich amüsiren. ES ist eine Liebhaberei, die bis zur Thorheit geht. Ein Wort wird uns eine richtige Vorstellung von dem ganzen Ansehen geben, in welchem die Liebhaber-Theater im achtzehnten Jahrhundert standen: sie rivalisirten mit den Soupers, was kann man mehr zu ihrem Ruhme sagen? Wenn man die gefeierten Damen Frankreichs im achtzehnten Jahrhundert betrachtet, muß man ohne Zweifel Frau von Pompa dour an die Spitze derselben stellen; mit ihr wollen wir auch den Anfang machen. Ludwig XV. setzte ihr beinahe eine Krone auf, und Voltaire umgab ihr Haupt fast mit einer Glorie. Frau von Pom padour war die Erste, welche die Liebhaber-Theater in Aufschwung brachte. Die Marquise du Deffant, welche sie kannte, als sie noch Frau von Etiolles war, erwähnte ihrer in einem Briefe an den Präsidenten Henault: „Sie treibt ganz ausgezeichnet Musik, singt mit Anmuth und Geschmack und spielt in EtiolleS auf einer Bühne, die eben so schön wie die der großen Oper ist, und auf welcher Maschinen sich befinden und Couliffenwechsel vorkömmt." ES scheint, man hat schon damals sich eifrig um die Begünstigung einer Auf nahme in die Soireen von Etiolles bemüht; später sollte diejenige, welche denselben damals so viel Reiz verlieh, wenige AuSerwählte in noch elegantere und auserlesenere Zirkel einsührcn. Ziemlich be kannt ist das Theater der geheimen Gemächer Ludwig'» XV. Duclos erwähnt desselben in seinen geheimen Memoiren. Ihm zufolge ver- suchte eS Frau von Pompadour, einen schon erkalteten Liebhaber da durch zu fesseln, daß sie sich jeden Abend in einer neuen Gestalt, in einer anderen Rolle zeigte. Man erzählt sich eine sonderbare, naiv profane Aeußerung der Favoritin, die für die Wahrheit der DucloS- schen Angaben spricht. „Ach!" rief sie einst mit strömenden Thränen beim Schluß einer jener Soireen auS, in welcher der König noch gelangweilter als gewöhnlich ausgesehen hatte, „mein Leben ist, wie das des Christen, ein immerwährender Kampf." Während aber derjenige, den man zu zerstreuen bemüht war, stolz in seiner Königlichen Loge gähnte, saß oft in einem Winkel des Saales ein Dichter und betrachtete die liebenswürdige Darstellerin seiner Gedanken mit Blicken voll Erkenntlichkeit oder schwelgte in köstlichem Genuß. Dieser Dichter war Voltaire, der zu Ehren der Frau von Pompadour, als er sie die Rolle der Life in seinem „Ver schwenderischen Sohn" batte spielen sehen, ein Madrigal dichtete, das ihm den Haß der Gegenpartei der Favoritin zuzog. In den geheimen Gemächern Ludwig's XV. führte man auch zum ersten Mal Greffet's Meisterwerk „der Boshafte" auf, und Herr von Nivernais, der die Rolle des Valore gab, spielte so ausgezeich net, daß der Schauspieler Rosali von der Comedie franyaise mit Erlaudniß der Frau von Pompadour den Vorstellungen beiwohnte, um von diesem trefflichen Vorbild» zu lernen. Das aber, was für Künstler und Dichter ein Genuß ist, gut geschriebene Stücke auch gut aufführen zu sehen, gewährte den Herrschaften bei Hofe nicht lange Vergnügen und war für sie ein säst zu ernster Zeitvertreib. Ludwig XV. verbannte das Schauspiel und wollte nur noch Opern sehen; di» Pirouktten der Tänzer ersetzten Voltaire's Verse. In den Opern „Bacchus und Erigone" und „Jsmene und Egle" glänzten vor allen die Stimme des Herzogs d'Agcn, des ersten Sängers der Truppe, und die Beine des Marquis von Courtenvaur, der um das Privilegium als erster Tänzer derselben angehalten und es auch empfangen hatte. Da man das Schauspiel als zu pedantisch ver bannte, so wollen auch wir mit demselben von einem Kunsttempel scheiden, den fürder nur Rpmphen, Zephyretten und Liebesgötter be völkerten. Nur noch wenige Worte über die Einrichtung des Theaters, welches Berücksichtigung verdient, da Frau von Pompadur auf dem selben in einem Voltaireschen Stücke gespielt hat. Die Schauspieler waren die Herzoge von Orleans, von Agen, von Nivernais, von Duras, von Coliani und Andere; den Baß spielte der Prinz von Dombes, das Violoncell der Marquis von SourcheS, und der Mar quis von Courtenvaur, der Graf von Melfort und der Herzog von Beuvron tanzten auf demselben. Man bilde sich ja nicht ein, daß diese Sprößlinge der ältesten Französischen Häuser, wie jener Römische Krieger auf den Befehl Cäsar'S, weinend die Bretter des Theaters betraten; im Gegentheil, man stellte sich mit höchster Anmuth auf denselben var und wendete alles Mögliche an, um nur vor Ludwig XV. die Schönheit seines Wuchses oder seiner Stimme entfalten zu können. Wenn man den Memoiren der Frau von Hauffet Glauben beimeffen kann, so gab ein Theater-Erfolg Anwartschaft auf ein Regiment. Um sich aber mit allen diesen hochadeligen Schauspielern auszu söhnen, muß man der Schlacht bei Fontenop gedenken, wo diese Herren der Maison-Rouge eben so tapfer wie die alten Soldaten der Armee fochten. Uedrigens waren die Theater-Statuten auch von einem gewissen galanten und ritterlichen Hauche beseelt, der günstig für dieselben stimmt. Nur die Schauspielerinnen wählten die Stücke aus, bestimmten die Tage zu den Proben und legten den zu spät Kommenden Geldbußen auf. Neben Frau von Pompadour halten die Herzogin von Brancas und die Gräfinnen von EstradeS und von MarchaiS noch Theil an diesem schönen Vorrecht. Die Zu schauer waren nicht eben zahlreich; die einzige Dame, welche be ständig kingeladen wurde, war die Marschallin von Mirepoir, die kleine Marschallin benannt, die Gefährtin und Freundin aller Favo ritinnen Ludwig's X V. Hätten wir uns treu an die chronologische Ordnung halten wollen, so würden wir zuerst eines Theaters gedacht haben, das schon vor dem der Frau von Pompadour bestand, des Theaters von Anet. In dem schönen Schlosse Anet führte die Herzogin du Maine unter dem Schatten hundertjähriger Bäume und unter den vergol deten Wölbungen ihrer prächtigen Säle ein sehr vergnügtes Leben. Mademoiselle de Launay hat unS eine interessante Schilderung der Unterhaltungen des kleinen Hofes mitgetheilt, de» die Herzogin um sich versammelt hatte. Jeder Tag brachte irgend einen neuen Gast, der freilich oft zu nichts als zur Führung des Jagdmessers geschickt war, so daß die Damen manchmal darüber in Verzweiflung ge- riethen. Da führte Frau von Chatelet einst Voltaire ein, und so gleich wurden Theater-Aufführungen eingerichtet. Nun gewann Alles ein ganz anderes Ansehen, selbst die Langweiligsten waren zu etwas zu gebrauchen, die Abende wurden vergnügt durchlebt und lieferten den herrlichsten Stoff für die Unterhaltungen des nächsten Morgens. Noch glänzender als das Theater des Schlosses Anet war daS des Prinzen Conti. Auf seinem herrlichen Lustschlosse der Jle-Adam kreuzten sich beständig auf allen Wegen die Kaleschen, trug jeder Fußsteig des Gehölzes die Spuren der glücklichen und munteren Ge sellschaft, die sich hier versammelte, um Komödie zu spielen. Die Gräsin von GenliS gab die ersten Rollen und war in einem nach dem Geschmacke der Zeit improvisirten Sprüchwort so reizend als Schuhflickerin, daß der Prinz von Conti einen Maler herbeiholen ließ, um sie sogleich in diesem erzentrischen Kostüm abzukonterfeien. Auf dieser Bühne schoß auch Frau von Monteffon einen so tödtlichen Pfeil auf den Herzog von Orleans, daß »r zu Gott Hymen seine Zuflucht nehmen mußte, um seine Wunde zu heilen. Sic war als Pomona mit einer Apfel-Guirlande um ein reizend aufgestecktes Kleid in einem Stücke ausgetreten, wo der Marquis von Clermont den Pan und Frau von GenliS den VertumnuS gab. Frau von Monteffon leitet uns zum Theater von VillerS-Cotteret hinüber, wo sic ihre auf Jle- Adam begonnene Eroberung vollendete. (Schluß folgt.) Mannigfaltiges. — Deutsche Reisewerke im Ausland. Wir freuen unS, in Lem Lande, welches die meisten Reisenden nach allen Theilen der Erde auSzusenden pflegt, in England, die Forschungen und treuen Darstellungen Deutscher Reisenden vor allen anderen anerkannt zu sehen. Das neueste Heft der k'oreign tjusclecl)- Keview spendet dem Reisewerke des Baron von Hügel: „Kaschmir und das Reich der Siek", das auch in Deutschland mit verdienter Anerkennung aus genommen worden, daS höchste Lob. ES werden alle Reisende, von dem Spanischen Jesuiten Pater Xaverius bis zu dem Franzosen Victor Jacquemont, aufgezählt, denen wir eine Bereicherung »nscrer Kcnntniß von Kaschmir verdanken, aber keiner von ihnen, fügt daS Englische Journal hinzu, erreichte die Leistungen des Baron von Hügel, der zu seinen Reisen durch eine hohe wissenschaftliche Bildung vorbereitet war und damit ein großes Talent der Beobachtung ver band. Unmittelbar nach diesem Berichte über das Hügelsche Reise werk wird ein anderer, allerdings etwas verspäteter, über Rüppell'S „Reise in Abyssinien" ertheilt, dem nicht minderes Lob gespendet und wobei daran erinnert wird, daß Herr Rüppell der erste Ausländer sey, welchem die König!. Geographische Gesellschaft in London ihre PreiS-Medaille „für die überaus wichtigen Resultate seiner geogra phischen Forschungen" zucrkannt habe. Endlich findet sich in demselben Hefte der genannten Englischen Zeitschrift auch noch »ine sehr lobende Anzeige von Kohl's „Reisen in Süd-Rußland", dessen Werke überhaupt sowohl in Frankreich als in England als unparteiische Schilderungen eines mit großem Fleiße und vielem DarstellungS- talent auSgestatteten Reisenden anerkannt werden. — Jtaliänische Kinderschriftew. Die in Italien sehr po- pulair»» und mit Recht geschätzten Kinderschrift»n Eesa" Can tu's sind von Madame Amable Tastu, derselben Schriftstellerin, die im vorigen Jahre wegen ihrer Schrift zum Lobe der Madame Sevignö den akademischen Preis erhielt, ins Französische übersetzt worden. ES sind vor kurzem bei Didier in Paris, in einer allerliebsten mit Vignetten verzierten Ausgabe, vier Bändchen der Cantuschen Kinder, schritten unter folgenden Titeln erschienen: k>e bon perir gar^on (im JtaliZnischen Original: II Kuon kanciulln); filonzieur Nonkomme (Jtaliänisch: Omobono Sell« psrsbale); l-'knonet« komme (Jtal. II Oslantuomo); l-e Kortekeuill« ü'Xmbrosie (Jtal. Osel' Xmbrogio Sa flluntevecckia). Da wir auch im Deutschen noch immer keinen Ueberfluß an guten Kinderschriften haben, so möchte vielleicht das Beispiel der Mavame Amable Tastu zur Nachahmung geeignet sepn. HerauSgegebcn von der Eppedition dec Allg. Preuß. Staat»-Zeitung. Redigirl von 3- Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hapu.