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Wöckenilich »scheinen dec! Nummern. PränumkraitonS- Prei« 22j Sgr. tr Thlr.) vancliükrUck, Z Tbir. mr duS ganze gakr, odn« Er höhung, i" allen Tkkiirn der PrenSischen Monarchie. Magazin für die Man pränumcnrl auf diese« Liieratur-Blait in Berlin iy der Cxvediiion der Mg. Pr. TiaatS-Zeiiung ^Friedrichgsir. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande dei den ILokliöbl. Poil-Lemeern. Literatur des Auslandes. sN 121 Berlin, Freitag den 8. Oktober 1841 I r a l i e n. Ncisebriefe eines Glücklichen. Von I. Janin. Nizza. — Lucea. — Jauin's t'ulurLiua l>:rT«krrini.') Italien! Da ist die Jungfrau mit dem schönen Haupt, mit dem zärtlichen Blick, mit dem schwarzen Auge. Wie lose flattert ihr Gewand! Wie stolz zeigt sie die braune Schulter! Ich erlasse Ihnen den Weg und die Ungeduld, die Thaler Und die Berge, sogar den CirkuS von Fröjus. Ich bin gütig gegen Sie, ich führe Sie geraden Weges nach Nizza. Aber lassen Sie unS auch nun einige Augenblicke auf den göttlichen Höhen Athem schöpfen. Himmel! Wie schön ist die Nacht! In welche glänzende Klarheit hüllt sich Italien! Am Fuße dieser schönen Terrasse, auf welcher wir langsam vorwärts schreiten, geleitet unS das Jtaliänische Meer, dieses Meer, welches vom Meerbusen von Neapel nach Athen, vom Vesuv zum Parthenon führte, mit seinen phosphorglänzcndcn Schaum wogen. Vor uns schweben wie Schatten bleiche Jünglinge, todes- kranke Jungfrauen; sie sind hierher gekommen, um die Gesundheit und die Jugend, die ihrer kranken Brust entwichen, wiederzuerlangen. In der Ferne singt eine frische und reine Stimme, eine Stimme, die vielleicht durch die balsamische Luft geheilt ist, das Schwancnlieb der Desdemona. DaS Läuten der Glocken folgt auf die Stille der Nacht. Die Sonne steigt strahlend, wie ein rechtmäßiger Eroberer, der sein Ge biet in Besitz nimmt, am Himmel auf. In der Stadt erwacht das Leben und die Bewegung. Die Soldaten ziehen aus ihren Kasernen. In den Kirchen, in den Kapellen steigen Gebete auf, aber nicht die leisen Gebete unserer vornehmen Damen. DaS Jtaliänische Gebet steigt gerade und stolz zum Himmel auf; eS läßt laut seine Stimme erschallen; Angesichts Aller wirft eS sich auf die Kniee und schlägt sich mit beiden Händen die Brust. Man muß diese glücklichen Christen in dem wunderbaren Durcheinander dieses ungeheuren Vaterunsers in Prozession einherziehcn scheu. Ihr sprech! von Gleichheit und Freiheit: hier sind sie, beschützt durch dasselbe Banner. Der Bischof, der Diakonus, der Chorknabe, Lcv-Bettler, welcher mit seinem Elende, die Weltdame, welche mit ihren Diamanten und Perlen prunkt, das Volk mit seinen bloßen Füßen, der Offizier mit seinem glänzenden Panzer, der entlassene Sträfling und der GerichtSbeamte, der die 'Strafe über ihn verhängt hat, sic Alle gchcn unterschiedslos in derselben Reihe und singen in cinstimmigcm Chor die heiligen Litaneien. Wo steigen wir hinaus! Gott weiß es; aber was liegt darank Uebcrall ist Anbau, überall Pocsic. Sogar der Fels ist fruchtbar geworden, und der gebändigte Gußbach arbeitet MorgcnS wie ein Familienvatrr in scincr Werkstatt und singt Abends wie ein Jüng ling unter den Fenstern seiner Geliebten. Die fruchtbare Furche, gehüllt in FrühlingSgrün und Blumenglanz, steigt zu den Höhen aus. Bei ievem Schritt zeigt sich eine neue llebcrraschung. Drohend und stcil tritt uns der Beeg entgegen; wir spähen nach einbm Fußpfade umher. Plötzlich, o Wunder! weicht der Berg zurück und macht uns Platz, oder er üffnct sich vor uns, und wir gehen triumphirend durch die feierliche Wölbung. Mag man aber immerhin langsam gehen und sich an jedem Bergabhange niederlaffen, mag man noch so lange am Ufer des Meeres anhaltcn, um den Fischern znzuschauen, so kann man doch den Weg von Nizza nach Genua in nicht mrhr als zwei Tagen machen. Nachts zogen wir in Genua ein, in die Stadt der Paläste upd großen Erinnerungen, der großen Maler und Bau- künstlcr. Da liegt sie wieder vor meinen Blicken, da wieder der Hafen, die Meisterwerke und die verblichene Größe. Besuchen wir noch einmal die vornehmen gastfreundlichen Herren, die Durazzi's, die Brignvle's, die Balbi'S, die Doria's. Noch einmal sehc ich wieder die Gärten, Fontamen, Terrassen, Marmorhäuser und euch, ihr Meisterwerke des Correggio, Leonardo va Vinci, Guido Reni, Vandyk, Holbein, Vie ihr in Königlichen Palästen pranget. Der Palast Balbi hatte sich mit Anmuth und Jugcnd geschmückt. In den Gärten der Doria'S wuchert vaS Unkraut nicht mehr; eine mit- lndige Hand hatte die Rosensträuche beschnitten und die Marmor- Statuen von ihrer MooSkruste gesäubert. Am Gipfel dcö Gebäudes 'l Es ist dies di« Fortsehunq des Jtalianischen Xeisederichtes, den wir vor einiger Zeit von demselben Verfasser milgelheilk. erglänzt wieder das Wappenschild der Herren. Nur der Doria wird noch erwartet. Hinter Genua, wie hinter Nizza, sind Berge zu übersteigen. Es ist derselbe Anblick, dieselbe Schönheit der Landschaft, und in jedem Augenblick das Meer als Königliches Geleit. In der Ferne steigt der Meerbusen von Spezzia auf. Weiterhin trat uns ein Gußbach, die Magra, in den Weg, und unsere Jtaliäncr, als sie unS ankommen sahen, erhoben die Hände zkim Himmel. Derselbe war schrecklich; er rollte Felsstückc mit sich fort, er war tief und treulos, wir gingen einem sicheren Tode entgegen. O, die Dichter! Am Ufer saßen Mönche mit vollem Ranzen und gefalteten Händen; sie wollten warten, bis die Magra abgclaufen wäre. „Nun, wohlan!" rief ich aus; „die Würfel sind geworfen; wir wollen hinüber." — „Das soll geschehen, Ercellcnz", sagten die Schiffer. Der schreckliche Gußbach hatte kaum Wasser genug, um uns zu tragen. Aber still! Wir kommen nach Lucca, dem schönsten Fürsten- thumc der Welt. Wir wandeln durch Wiesen, welche mit Bäumen bepflanzt sind; der Regen, welcher seit dem Morgen fällt, hat daS Grün aufgcfrischt und die schönen Fußpfade besprengt. Aber der Regen ist in Italien der durchsichtige Schleier der Sonne. So komme ich vom Berg ins Thal, vom Thal in die Ebene, unruhig, bewegt, glücklich und mit klopfendem Herzen. Und warum klopft dieses Herz so stark! Warum! Weil e» in diesem kleinen Fürsten thum einen kleinen Erdwtnkel giebt, der mir gehört, den der Zufall mir geschenkt hat, den ich noch nicht gesehen habe und den ich noch sehen soll. Sie werden mir, gnädige Frau, die Gerechtigkeit wider- fahren lassen, daß ich zwei lange Jahre mein Glück würdig getragen habe. Ich habe noch mehr gethan, als ertragen; ich habe höchstens acht Tage jährlich daran gedacht, wenn die Sonne schien und Arbeit, Lärm und eine Unmasse von neucn Büchern auf mich einstürmten. Dann ries ich wohl auS: „O, mein kleiner Ervwinkel, wann werde ich dich sehen! t> rux gminüu re s^pk-iam!" — Da bin ich nun. Aber ich will ja leise auftretcn, damit mein Besitzthum nicht ver dunstet. Endlich zeigt sich mir die Hauptstadt. Dort liegt sie, ver schanzt hinter ihren Nasen- und Lindenwällcn. Lucca war festlich bewegt; daS hcißt, zum Feste jsdcS Tages kam noch ein besonderes Fest. Das Pferderennen war kaum zu Ende, und der Ball der Stadt entsendete kaum seine Tänzerinnen. Noch einmal wechselt die Scene. Denn um in die Bäder von Lucca zu gelangen, muß man fünf oder sechs Berge durchwandern, die einc ganz Deutsche Physiognomie haben. Der Fluß zcrtbcilt diese griincn Schichten. Er schäumt aus der Tiefe des Thales auf, braust und tobt; aber Niemand achtc! darauf; man könnte ibn für eine jcncr machtlosen Rcdcmächtc der Dcputirtcn-Kammer halten, die man toben läßt, ohne sie anzuhören. Dcr Weg schlängelt sich in Zickzacks, wie cin Weg, der nur zu Vergnügungen und Festen führt; aber plötzlich führt er durch eine Allee alter Baume in eine Gebirgsschlucht. Fasse dich, mein Herz! Da sind die Bäder von Lucca. Dort, daS große Haus am Ende dcr Brücke, ist dcr Gasthof des Herrn Pagnini. Sein Haus ist eine wabrc Kolonie von Eng ländern und Deutschen. Dort ist das Spiclhaus. Das Spiel ist der Wohlthäter der Bäder von Lucca. Das Spiel hat diese schönen Pfade gebahnt, diese Brücke gebaut, das Thal ausgefüllt und diesem kleinen Errwinkel Lust und Raum gegeben. In diesem Königlichen Hause fehlt nichts. Es ist ein großer Lesesaal da, in welchem man die wahnsinnigsten Einfälle offen lesen darf; cin großer,Ballsaal, in welchcm es keinen Abend an etwas Musik, etwas Tanz, etwas nackten Schultern, etwas Geist, etwas Liebe kehlt; ferner ein zwanzig Fuß großer Gartcn, dcr noch groß für den Ort ist, und endlich eine kleine bescheidene Roulette, die diesem glücklichen Lande, wo das Gold so selten ist, etwas Gold zuführt. Wenn dennoch meiner Freude etwas fehlte, so war es, weil ich mich nach meinem Hause schnte, nach dcr berühmten I'ul»/.riun I.nz.Emi, die mir so viele tödtlichc Feinde zugezogen hat; dieses große Luftschloß, das ich, wie man sagte, gebaut hatte, um wahlfähig, Dcputirtcr, Pair von Frank reich zu werden. Wo ist nur mein Haus! Eine Ahnung muß es mir zeigen, ich muß es allein finden, denn wie sollte ich wohl einen Vorübergehenden fragen: „Mein Freund, wo ist mein Haus!" An Häusern um mich herum sehlte eS durchaus nicht. Aber wie hätte ich mich mit diesen Hütten begnügen sollen! Einen Palast hat mir der Zufall geschenkt, einen Palast will ich haben. Aber an diesem Sitze der tiefsten Bescheidenheit hat nur das Spiel einen Palast. Ah! Aber nun! Ich wette, neben dem Spielhause dort oben daS ist