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467 Vcrzeichniß der Komponisten, welche ErfindungKra mit gelehrter Kcnntniß der Formen verbinden, nicht sehr zahlreich seyn. Rossini war, ungeachtet der Größe seines Genies, trotz seines bewunderungs würdigen Musiksinns, doch nicht fähig, die strengen Regeln und die tiefere Wissenschaft der Compositionskunst zu fassen, ja, er konnte nicht einmal ihren Nutzen begreifen. Der Zweck der Musik ist, zu ergreifen. Die Eindrücke, welche sie hervorbringt, sind verschiedener Gattung: melodische, harmonische, oder solche, die aus der Vermischung der Harmonie und Melodie entspringen; andere bezwecken wieder einen sanften Ausdruck, oder eine gewisse dramatische Kraft; welches nun aber auch die angenom mene Form scp, so ist ein reiner Styl, der in einer bestimmten Folge oder dem Ohr wohlgefälligen Zusammensetzung von Tönen besteht, ein Vergnügen, welches den Haupteindruck erhöht. Die Wissenschaft ist zur Erlangung eines solchen Stples höchst nothwendig, wenn cs sich darum handelt, seingebilvetcn Ohren zu gefallen; können aber geschliffene For men wohl den Mangel an melodischer Erfindung, oder au Gefühl für Harmonie und dramatischen Ausdruck ersetzen? Gewiß nicht. Es kann der Fall eintretcn, daß eine im reinsten, untadclhaftcstcn Styl ge schriebene Musik auf die Hörer nur den Eindruck einer reizlosen Regel mäßigkeit macht, der nur für wenige, durch ihre besondere Bildung dazu befähigte Personen ein Genuß seyn kann. Wer aber, selbst von den Eingeweihten, wird dies untergeordnete Vergnügen dem vorziehen, welches die melodischen Schätze uns bereiten, die ein angcbornes glückliches Naturell in seinen Werken verschwendet? Und wer bat in dieser Beziehung mehr Anspruch auf unsere Bewunderung als der Schöpfer bcS „Othello"? Rossini's Compositioncn erregten zuerst bei^ den Kennern der Musik mehr Erstaunen als Wohlgefallen, denn die Nothwendigkeit der Regeln wird von Jugend auf von allen Lehrern cingcschärft, man gewöhnt sich allmälig an dieselben und giebt sie nur schwer wieder auf. Natürlich sieht man es dann nicht gern, wenn diejenigen mit Erfolg gekrönt werden und sich Ruf erwerben, die gerade diesen Regeln Hohn sprechen, welche man mit so vieler Arbeit und An strengung erlernt hat. Uebcrhaupt verleitet die Schulerziehung alle diejenigen, welche auf diese Weise gebildet werden, die Ausübung der Kunst in einem bestimmten Sinne zu betrachten und die, welche sich davon entfernen, mehr oder weniger tadelnswerth zu finden. Das stufenweiS und langsam erfolgendc.Fortschreiten der Neuerungen, Mozart noch mit eingeschloffen, halte gewisse Prinzipien unangetastet gelassen, die weniger das Resultat willkürlichen Uebereinkommcns, als durch Erfahrung begründete Thatsachcn zu seyn schienen. Durch die Unabhängigkeit seines Genies und durch die Richtung des Jahr hunderts geleitet, welche gern altes Herkommen in Frage stellt, schüttelte Rossini jede Fessel ad und schlug einen Weg ein, welcher dem seiner Vorgänger durchaus entgegengesetzt war. Mit der Fähig keit ausgestattet, schöne Gcsangsweisen zu erfinden, achtete er der Schulformen nicht, und dies war die Ursache aller Angriffe, welche seine ersten Werke in Frankreich zu erdulden hatten. Rossini rächte sich aber "glänzend; er strömte ganze Fluthen von Melodiken über seine Verächter aus. Da es nun nicht lange gelingt, aus Parteigeist oder Eigenliebe dem Vergnügen, welches mau empfindet, zu trotze», so ist man endlich besiegt worden und hat eingcstehen müssen, daß es demjenigen gestattet sey, die gewöhnlichen Regeln zu mißachten, der durch tausend Schönheiten gewisse Fehler verdecken kann, deren Wichtigkeit überhaupt noch zu beweisen ist. Rossini hat ein ganz neues System der dramatischen Musik ge schaffen. Der bewegtere Gang des RecitativS, der zu einer bis da hin unbekannten Entwickelung vervollkommnete Zuschnitt der Musik stücke"), die veränderten Formen der Instrumentation, die Fülle einer an pikanten, unerwarteten Wendungen reichen Harmonie, das Alles ist sein Werk. Man hat gefunden, daß er ost mit seinen Mitteln und Effekten zu verschwenderisch umgehe, die oft Größeres wirken könnten, wenn sic sparsamer gebraucht würden. Dieser Vorwurf, dessen Richtigkeit man anerkennen muß, trifft jedoch mehr seine Nach ahmer als ihn selbst. Während die Künstler, welche schon zu alt waren, nm ihre Laufbahn zu verändern, Nossim's Werke in Miß kredit zu bringen suchten, beuteten ihn die der jüngeren Generation zu ihrem Vortheilc aus; sie hatten gesehen, welcher Erfolg den Neuerungen des Jtaliänischen Meisters zu Theil wurde, sie bemäch tigten sich also derselben und wendeten sie auf ihre Gedanken an. Wenn man aber auch das materielle Verfahren ablernt, so kann man sich doch nicht zugleich den befruchtenden Genius «»eignen, der demselben Leben ctnhaücht. Die Nachahmer Rossini's, die in Italien bald eben so zahlreich wie in Frankreich waren, nahmen daher zu leeren Formeln ihre Zuflucht; so herrschte denn bald in den Pro duktionen der ganzen Schule die größte Einförmigkeit, und das Publikum, welches die Dinge nicht immer vom rechten Standpunkt aus sicht, schob die Schuld auf Rossini, anstatt ihn zu bedauern, daß sein Eigenthum so den Plünderungen preiSgcgcben war. Es ist nicht gewagt, wenn man geradezu die Behauptung auf- stcllt, daß die ganze heutige Französische und Jtaliänische Musik sich auf einen und denselben Ursprung, auf den Genins Rossini's, zurück- sühren läßt. Aubcr, der geistreichste und fruchtbarste der Komponisten seiner Nation, schreibt seine Triumphe nur von dem Augenblick her, wo er den von unserem Meister vorgczeichnetcn Weg einschlug; Herold, der Musiker aus Instinkt, der Großes geleistet haben würde, wenn der Tod ihn nicht so früh abgerufen hätte, entsagte zwar seiner Eigenthümlichkeit nicht, nahm aber doch auch, wiewohl mit mehr Urtheil, .die Modeformcn an. Boycldieu, der am Ende einer glänzenden Laufbahn und in einem Alter stand, wo man sich ge- ') Wenn dieser Zuschnitt nur nicht wieder zur mechanischen Schablone wurde, statt »cd in freier Form stets neu zu erzeugen. wöhnlich nicht mehr ändert, verdankt seinen populärsten Erfolg der Oper „die weiße Dame", worin er ebenfalls NossinUche Ele mente angcwendct hat. Von der großen Masse der mittelmäßigen Musiker, von den Nachahmern der Nachahmer, wollen wir gar nicht sprechen. Deutschland sogar, welches selbst eine Schule besitzt, deren Widerwille gegen alles Jtaliänische bekannt genug ist, hat Wider Willen den Einfluß des Meisters empfinden müssen. Der berühmteste der jetzt lebenden dramatischen Komponisten Deutschlands, dem man gewiß seine großen eigenen Vorzüge als Musiker nicht absprcchen wird, hat sich bei allen seinen in Italien aufgeführten Opern, „Emma von Rorburg", „der Kreuzritter" und „Margarethe von Anjou", damit begnügt, ein Widerschein Rossini's zu seyn; und wir möchten uns fast anhcifchig machen, zu beweisen, daß er selbst bei seiner Oper „Robert der Teufel" n cht viel unabhängiger verfahren ist, denn obgleich diese Oper, in der besondere Rücksicht auf die An forderungen des Französischen Tbcaters genommen ist, eine Reform in seinem Styl bekundet, so muß man doch nicht vergessen, daß der Weg zu dieser Reform von dem Komponisten des „Wilhelm Teil" gebahnt war. ES hat vielleicht zu keiner Zeit einen Künstler gegeben, der seinen Zeitgenossen die Herrschaft seines Geistes allgemeiner und ausschließlicher ausgeprägt hätte, als Rossini. Oft wird erst noch ihrem Tode der Ruf großer Männer begründet, Rossini aber hat noch bei Lebzeiten sich seines vollen Ruhmes erfreut und wird ihn nicht, wie viele Andere, überleben, denn nachdem er seine schönste musikalische Schöpfung dem Bcifallc seiner Bewunderer übergeben hatte, weihte er sich selbst einem Schweigen, das er noch immer nach seinem Willen mit Glanz wieder brcchen kann. Wir erwähn ten schon, daß der Partitur des „Tcll" zuerst nicht der verdiente Erfolg zu Theil wurde; unter dem Drucke eines schlechten Textbuchs erlangte sie anfangs nur eine rücksichtsvolle Anerkennung, während sie doch den größten Enthusiasmus hätte erregen müssen. Obgleich auf dieses anfängliche Schwanken eine unbegränzte Bewunderung folgte, die von Tag zu Tage lebhafter wurde, hat Rossini es den Franzosen doch nie verzeihen können, daß sie ihn nicht gleich ver standen oder vielmehcr crrathen hatten, denn dies muß man oft bei Männern von Gcnic. Er Hot geschworen, nie wieder zu schreiben. Man sparte keine dringende Bitten, um ihn von diesem Entschlusse wieder abzubringen, aber er blieb unerschütterlich, und allem An schein nach hat er der musikalischen Welt sein letztes Lebewohl zugc. rufen. Am Ende ist es auch für einen großen Künstler ehrenvoller, im vollen Glanze seines Ruhmes auSzuruhcn, als nicht zu rechter Zeit aufzuhörcn und zuletzt noch sein Waterloo zu finden. (kovuo nationale stv Lelgigne.) T ü r k e i. Das Innere des Serai's. Serai oder, wie es die Franzosen unrichtig schreiben: Serail (Jtaliänisch: SeragUo), bedeutet im Tatarischen: Palast. Der Sultan hat deren zwei. Das eine in der Nähe Konstantinopels in dem reizenden Thalc der Süßen Gewässer, in welchem sich der kleine Strom BarbyfeS schlängelt; dieses Serai heißt das Sommer- Serai. DaS des Winters ist in der Stadt selbst, an der Meeres küste, aus der Stelle des alten Byzanz, von dessen Mauern noch ein Theil steht und die Kaiserlichen Gärten von den angränzenden Straßen trennt. Der erstere Palast heißt Kagid-Hane. Der Sultan begiebt sich Anfangs Mai dahin, begleitet von 2000—3000 Bostandschis, die dcn Zugang bis auf «ine Stunde im Umfange verwehren. Der zweite ist das Serai im engeren Sinne. Es besteht aus zwei Flügeln, dem Selamlik oder dcr Wohnung des Heiles, worin die Männer sind, und dem Harem, welcher ausschließlich für die Fauen bestimmt ist. Zwischen dcn bcidcn Flügeln sind die Zimmer dcr Eunuchen. Im Selamlik wohnen eine Menge Enderum - Agalassi (Schlvß-Bcomlen), die in vier Quartieren vertheilt sind: in Hasfe- Oda, Hasini, Kiser und Seferlci. In Hasse-Oda wohnen vierzig Agas unter dem Befehle des Silidar oder Schwertträgers. Nach ihm kommen: der Sukadar-Aga, welcher dem Sultan die Stiefeln anzieht; der Rikabdar-Aga, dcr ihm die Steigbügel hält; der D obb cns-Ag assi, welcher die Turbane in Ordnung hält; der Sariktfi-Baschi, welcher dem Sultan den Turban auf den Kopf setzt; der Pickir-Agassi, Schreibzeug und Serviette bereit zu halten; dcr Sirkatib oder Geheim-Secretair; dcr Suka dar oder Aufseher der Pagen; dcr Sahrcz-Baschi, dcn Kaffee zu scrvircn; dcr Timaktzy, die Nägel abzuschneiden; dcr Barber- Ba sch i oder Chef der.Barbiere, und endlich der Sanahser- Agassi, dcr Aufscher der Garderobe. Das gewöhnliche Gefolge des Sultan», Mabeindse genannt, besteht aus drei oder vicr dieser Beamten, wobei gewöhnlich der Sir- katib und der Sukadar. Sie halten Wache vor seiner Thür und begleiten ihn beim AnSgchcn. Die achtundzwanzig Beamten, welche noch in der Hasse-Oda wohnen, sind nur Supernumerarit und treten nach und nach m den Dienst, wenn die Vorderen das Serai ver lassen und entweder als Kämmerlinge, oder al» Geistliche, oder im Departement des Innern, Hadsche-Gihamlik, in andere Staats dienste übergehen. Eines der Privilegien des Silidar ist, daß, wenn er mit dem Sultan spricht, das ganze Gefolge sich zurückzieht und er sich setzen kann. Das Hasini, oder vielmehr Hasini-Odassi, enthält die Intendanz des StaatS-Schatzes. Die Zahl dcr Beamten, die Pagcu