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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrämnnkrativnS- Preis 22z Sgr. (z Mir.) vierteiiädriich, 3 Tdlr. sür daS ganze Jahr, ohne Er död ung, in allen Tdeiien der PrenSischen Monarchie. Magazin für die Man »ränumerirt auf diese- Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Mg. Pr. StaatS-Zeitung (FriedrichSstr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Lemtern. Literatur des Auslandes. 11S Berlin, Freilag den 24. September 1841. Italien. Rossini und seine Werke. Rach einer Periode der lebendigsten Regsamkeit war gegen Anfang des neunzehnten Jahrhunderts die Musik in Italien in eine Art von Siechthum verfallen. Drei große Tonkünstler waren zur selben Zeit erstanden und halten dreißig Jahre hindurch das Theater mit ihren Meisterwerken bereichert; aber das von ihnen geschaffene Repertoir erneuerte sich nicht. Paisiello war gestorben; Cima rosa hatte seine Künstlcrlaufbahn mit dem ^lstrimonio «egrew und den 4sturi tbmimm geschloffen, und Guglielmi, der gegen zwei hundert Opern geschrieben, lieferte seit seiner 1743 erfolgten Er nennung zum Kapellmeister der St. Peters-Kapelle im Vatikan nichts mehr für das Theater. ES waren zwar verschiedene Musiker in die Fußstapfen dieser drei großen und in ihrer Art gleich be gabten Männer getreten, aber wie alle Nachahmer, brachten sie nur charakterlose Werke zu Stande. Zu denen, welche sich durch ihre Leistungen eine ehrcnwerthere Stellung erwarben, gehören Ma per, «in Komponist, der sich einer gewissen Achtung in Italien erfreute und dessen Instrumentation auch brillanter als die seiner Vorgänger ist; dann Ferdinand Pa er, der Schöpfer der „AgncS", der nach dem Urthcil seiner Zeitgenossen auf der äußersten Gränzlinie steht, welche Talent und Genie von einander scheidet. Darauf folgten Fioravanti, der zum Komischen viel Anlage, doch leider nur sehr gewöhnliche Ideen hatte, Nicolini, MoSca, Gnecco") und einige andere noch unbekanntere Tonsctzcr. Die Musik gehört in Italien nicht zu den Ergötzlichkeiten, die der LuruS oder die Mode verschreiben, und wofür, je nach den Um ständen, die Vorliebe erwacht ober einschläft. Einem Römer, einem Jieapolitaner oder einem Venetianer kann nichts auf der Welt die Genüsse ersetzen, die sie ihm darbietet. Auch werden hier, wo das Klima schon von selbst zum Enthusiasmus reizt, oft mittelmäßige Erzeugnisse mit Beifall ausgenommen, weil man es vorzieht, lieber unbedeutende, als gar keine Musik zu hören. Lange Zeit hindurch lauschte man mit Entzücken den Meisterwerken Paisiello'ü und Cima- rosa's, aber eS regte sich doch endlich das Verlangen nach frischeren Eindrücken, und weil eS an guter Musik fehlte, so nahm man die mittelmäßige beifällig auf. Nie bot sich wohl einem talentvollen Künstler ein günstigerer Zeitpunkt dar, um die öffentliche Aufmerk samkeit für sich zu gewinnen. Angeborenes Genie zu besitzen, ist schon viel Werth, aber es reicht noch nicht hin, um Erfolge zu er ringen; man muß zu rechter Zeit auftreten und günstige Umstände vorfinden. Wie viele von der Natur bevorzugte Männer waren mit Allem auSgestattet, was einen großen Rus erwerben kann, doch sie blieben unbekannt, weil sie entweder zu früh oder zu spät aus dem großen Welttheater erschienen. Als Zeitgenosse Paisiello's und Cima- rosa'S hätte sich Rossini mit einem getbeiltcn Ruhme begnügen müssen; vielleicht hätte er auch, statt neue Reizmittel zur Erweckung der ermatteten Musiklust seiner Landsleute aufzusuchen, schlechthin die schon gebahnten Wege betreten. Gioacchimo Rossini wurde am 24. Februar 1742 in Pesaro, einer kleinen Stadt des Kirchenstaates, geboren. Sein Vater war Hornist in den Orchestern der Theater dritter Klasse, auf welchen seine Mutter zweite Partieen sang. ES schien anfänglich, als sep er gleich seinen Acltern bestimmt, eine dunkle Laufbahn zu verfolgen, denn nichts an ihm verkündete die Befähigung zu einem großen Künstler. Der hervorstechendste Zug seines Charakters war eine angeborene Trägheit. Gegen Ende des Jahres 1744 führte ihn sein Vater nach Bologna, um ihm einigen Unterricht geben zu lassen, doch zeigte er erst in seinem zwölften Jahre Anlage zur Musik. Sein erster Lehrer war ein armer Priester, Angelo Lessi, der ihn in den Ansangsgründen des Gesanges und der Begleitung unterrichtete. Rossini war, wie schon bemerkt, träge von Natur, aber mit außer ordentlich leichter Fassungskraft begabt. Der gute Lessi, der, über die Schnelligkeit seiner Fortschritte erstaunt, ihm kaum zu folgen Vermochte, erklärte, daß sein Schüler mehr erricthe, als lernte. Doch erstreckte sich der Ehrgeiz der Familie unseres jungen Künstlers nicht über den Stand eines wandernden Hornisten hinaus, und sein Vater unterrichtete ihn auf dem Instrumente, das er mit ziemlicher Von diesem ist küeUtch eine in musikalischer Hinsicht sehr anziehende, nur in oer Handlung qar zu monotone Oper/ la prova m uu' «eria, auf dem Konigftadtischen Theater in Berlin durch die dortige Jtaltanische Gesell- twast zur Ausführung gebracht worden. Fertigkeit blieS. Bald übertraf der junge Gioacchimo seinen Lehrer und spielte nun auf den Jahrmärkten von Lugo, Forli und Sinigaglia. Wer kann sich wohl bei dem Gedanken des Lächelns erwehren, daß der Schöpfer des „Wilhelm Tell" das Horn in einem unbedeutenden Orchester geblasen; mag cs auch für den ersten Augenblick unwahr scheinlich klingen, so glauben wir doch, daß die Ausübung dieses so wenig für ihn geeigneten untergeordneten Amtes den Grund zu der Umwälzung legte, die er in der Folge mit der Benutzung der Blech- Instrumente vörnahm; denn eS erschlossen sich ihm eine Unzahl von Effekten, die ihm wahrscheinlich ohne seine praktische Ausbildung unbekannt geblieben wären. Nach dreijähriger Mühwaltung war er weit genug vorgeschritten, um seiner Mutter in mehrere Städte der Romagna als Illae-icro al cembalo zu folgen, das heißt als Klavier- Begleiter der Recitative in den komischen Opern. Zu Anfang des Jahres 1847 trat Gioacchimo Rossini m das musikalische Lpccum zu Bologna ein, wo er von Mattei, dem ge lehrtesten Kontrapunktisten Italiens, Unterricht erhielt. Mattei, von seinem Lehrer, dem Pater Martini, in einer heiligen Ehrfurcht vor den Regeln erzogen, war noch in dem seltenen Besitze der Tradi tionen der alten Jtaliänischcn Schule. Er wollte seinen Schüler in das einweihen, was er die Mpsterien der Wissenschaft nannte, aber Rossini's freier Genius mochte sich in die Langwierigkeit einer solchen Methode nicht fügen. Er fühlte die Kraft zu dramatischen Schöpfungen in sich und wünschte, daß seine Studien ihn schnell zu seinem Ziele, zu Compositionen sür daS Theater, leiten möchten. Der treffliche Mattei, dem die Ehre der Wissenschaft viel zu sehr am Herzen lag, um sie auf solche Weise herabwürdigen zu lassen, verschwendete Bitten und Drohungen, um Rossini zu bewegen, nach und nach die Stufen eines klassischen Unterrichts durchzumachen; aber Alles, was ihm auch immer sein Eifer eingeben mochte, zer schellte an der unerschütterlichen Macht der Trägheit. Viele glauben, Rossini habe gar keine musikalische Studien gemacht, und Alles sep ihm nur so aus Instinkt gekommen; das ist aber ein Jrrthum; er hat Haydnschc und Mozartsche Quartetten fürs große Orchester instrumentirt und andere Musikstücke analpsirt, die seinem Geschmack am meisten zusagten. Mit dem Mechanismus der Fuge und der alten Schreibweisen machte er sich zwar nicht vertraut, er wollte aber auch weder Kirchen- noch Spmphonie-Musik schreiben, wozu diese Kenntnisse unentbehrlich sind. Es war ihm klar, wie großen Nutzen man aus der Deutschen Harmonie ziehen könne, wenn man sie iiiit den Formen der dramatischen Jtaliänischcn Musik verschmölze, und er faßte den Entschluß, beide Gattungen zu vermischen; so erklärt er zum wenigsten selbst die Vorliebe, die er von Jugend an sür die Werke Deutscher Meister hegte. Nichts giebt uns einen richtigeren Begriff von Rossini's Cha rakter, als die Art, wie er sich von Mattei's-Schule trennte. Eines TageS, als der alte Meister eine seiner Aufgaben verbessert hatte, sagte derselbe zu ihm: „Sic verstehen vierstimmige Harmonie zu setzen; mehr bedarf es nicht, um im freien Styl zu schreiben; wir wollen jetzt zu den Studien übergehen, welche der ernste Stpl er fordert." Rossini ließ sich die erste Phrase wiederholen, um sich über ihren Sinn nicht zu täuschen, dann nahm er das Wort: „Sie ver sichern mir also, mein Vater, daß man mit der vierstimmigen Har monie alle Formen der dramatischen Musik behandeln könne?" — „Allerdings, mein Sohn." — „Nun, dann werden Sid es nicht übel nehmen, wenn ich Ihnen Lebewohl sage." — „Was soll das be deuten?" — „Das bedeutet, daß cs mein einziger Zweck ist, Opern zu komponircn, und daß Alles, was mir nicht dazu verhilft, mir auch völlig unnütz ist." — Vierundzwanzig Stunden später verließ Rossini das Bologneser Lyceum. Matte, war über diese von ihm sogenannte Un dankbarkeit feines Schülers sehr entrüstet, denn das seltene musikalische Talent Rossini's hatte in ihm die Hoffnung genährt, daß derselbe einst der treue Beivahrer jener reinen Lehrsätze fepn werde, die sich schon so lange in Italic« ausrecht erhalten halten, deren Apostel aber von Tage zu Tage seltener wurden. Wenn man später Rossini's in seiner Gegenwart gedachte, so rief er immer auS: „Sprecht mir nicht von ihm, der meine Schule entwürdigt hat." Trotz dieses Verdrusses bewahrte Mattei stets eine hohe Idee von den großen Fähigkeiten seines ungerathencn Zöglings, und als man ihn in seinen letzten Lebensaugenblicken fragte, welchen Musiker er für den würdigsten halte, den Lehrstuhl des Lpceums von Bologna auszufüllen, nannte er Rossini, nicht weil derselbe die nöthige Gelehrsamkeit dazu habe, sondern weil er Alles besitze, um dieselbe sich aneigncn zu können. Rossini war nun frei, die Fesseln der Schule hemmten ihn nicht