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Wöchemlich erscheinen drei Nnmmern. PcänumeratlonS- vr-i» 22; Sgr. Tblr.) niereelMrlich, Z Tblr. sür d»S ganze Jahr, ohne Er- HSdung, in allen Lheiien her Preußischen Monarchie. für die Man pränumerirl ans dieses Literatur-Blatt in Bertin in der Expedition der Allg. Pr. StaatS-Zeitung (ZriedrichSsir. Nr. 72); in der Propinz so wie im ÄuSIande bei den WohUSbt. Post-A-Mlern. Literatur des Auslandes. N 116. 184k Berlin, Montag den 27. September Frankreich. Pariser Notabilitäten. (Aus den Erinnerungen eines Englischen Journalisten ) So lange ich das Amt eines Redakteurs eü ob«s in London bekleidete, hatte ich es mir zum Gesetz gemacht, jedes Jabr einen Monat Urlaub zu nehmen, den ich unabänverlich in Paris verlebte. Aus diese Weise hatte ich den doppelten Bortheil, mich sehr zu amüfiren und mich etwas zu belehren. Natürlich beichäsiigle ich mich vorzüglich mit der Politik, und es gelang mir, Bekanntschaften mit den Hauptführern der damals sogenannten liberalen Partei anzuknüpfen, mit Lafayette, Benjamin Constant, Casimir Perier, Sebastian), dem General Fop, Keratry und Laffitte. Ein Empfehlungsschreiben eines Londoner Freundes des Generals Lafayette eröffnete mir dessen Hotel, und durch diesen wurde ich den anderen schon genannten Personen vorgestellt. Selten versäumte ich eine der wöchentlichen Soireen, welche der ehemalige Ober-Anführer der Rational-Garde in seinem Hotel in der Straße Anjou Saint- Honorö gab. Es war ihm gelungen, mochte cs nun Zufall oder Berechnung seyn, die schönsten jungen Frauen bei sich zu versam meln. Daher strömte auch sie männliche Jugend in Menge hinzu. Die Französische Sitte, welche jedem Cingelaveuen gestattet, seine Freunde da einzuführen, wo er selber Zutritt hat, hatte beständig eine Menge neuer Vorstellungen zur Fölge. Lafayette machte die Honneurs seines SalonS mit einer gewissen republikanischen Ein fachheit, durch welche indeß der Edelmann von altem Schlage noch immer hindurchblickte. Man drängte sich zu seinen Gesellschaften, wo indeß die nothwendigen und nicht eben kostspieligen Beigaben jeder Pariser Soiree (sehr schwacher Thee, kalter Kuchen und Zucker- wasscr) gewöhnlich fehlten. Der Herzog von Broglie, der damals an der Spitze des „Globe" stand, and der Enkel-Schwiegersohn Lasayette's, Herr von Rcmusat, waren die literarischen Größen die ser Gesellschaften. Die politischen Erörterungen waren ziemlich frei, und ich habe mir niemals denken können, daß die Regierung Spione an einen Ort gesendet habe, den so viele Damen besuchten. Die BourbonS hatten übrigens großes Vertrauen zu dem Charakter deS republikanischen Veteranen, der allgemein als ein unschuldiger Utopist angesehen wurde. Lafayette glänzte nicht durch sein Unterhaltungs- Talent; er sprach viel und viel konfuses Zeug. Die Engländer und die Amerikaner wurden sehr zuvorkommend bei ihm ausgenommen, besonders wenn sie eine Empfehlung von Bentham hatten, für den er eine hohe Achtung an den Tag legte. Dagegen verachtete er Herrn von Tallcyrand im höchsten Grade, und augenscheinlich that er sich großen Zwang an, um sich über diesen schlauen Diplomaten nicht zu energisch zu äußern. Nicht so sehr hielt er an sich, wenn die Rede auf Ludwig Philipp kam, von dem er sich mit Recht oder Unrecht hinter das Licht geführt glaubte. „Wir Beide haben nichts mehr mit einander gemein", erwiederte er einst einem Friedensboten, der aus den Tuilericen an ihn gesendet wurde. Als er eines Tages erfuhr, daß er zu einem großen Festmahle in den Tuilerieen eingeladen werden solle, befahl er seinen Bedienten, jedem Ueberbringer einer König lichen Botschaft zu antworten, daß er auf dem Lande sey und erst in vierzehn Tagen zurückkehren werde. „Anfangs", sagte er zu mir, „wollte ich de» Brief uneröffnet zurückschickcn; aber ich nahm dann zu einer Lüge meine Zuflucht, um nicht durch eine Unhöflichkeit An stoß zu geben." Dies war übrigens nicht der einzige Versuch, der gemacht wurde, um seine Hartnäckigkeit zu besiegen. Jedesmal aber gab der eingefleischte Republikaner de» Unterhändlern zur Antwort: „Er möge seinen Thron behalten und ich mein Gewissen!" Lafayette'S großer Jrrthum war der, daß er die republikanischen Institutionen, wie sie in den Vereinigten Staaten begründet waren, mit der monarchischen Regierung vereinigen zu können glaubte. Ludwig Philipp'S Jrrthum war, daß er die republikanische Partei für eine Vereinigung von Ansichten hielt, welche die Neubegriindung bcr gesetzlichen Gewalt unmöglich machten. Uebrigenü ist wohl nicht zu bezweifeln, daß, wenn die Republik in Frankreich proklamirt worden wäre, Ludwig Philipp eine glänzendere Rolle gespielt haben würde als Lafayette. Die Geschichte deS Zerwürfnisses zwischen Laffitte und dem König der Franzosen hat viele Aehnlichkeit mit dessen Verhältnis zu Lafayette. Laffitte war im Jahre I8Z0 nichts weniger als ein Anhänger der republikanischen Ideen. Sein Traum war eine demokratische Monarchie. Er war ein ehrlicher Mann, aber etwas eingebildet; da er nicht genug gegen die Jntriguen auf seiner Hut war, die ihm in den Weg gelegt wurden, so blieb er nicht lange im Besitz der Gewalt, ohne gewahr zu werben, daß er seinen Kräften zu viel zugemuthet hatte. Die unglückliche Bindung, welche seine Vermögens-Verhältnisse nahmen, gab ihm Kuen Borwand, um wenige Monate nach seinem Eintritt ins Ministerium wieder aus- zuscheiven. In Wahrheit aber fühlte er sich dadurch verletzt, daß das Staats-Oberhaupt, welches sich einst so sehr um die Volksgunst beworben, die öffentliche Meinung immer weniger beachtete und dem Wunsche, sich mit den gekrönten Häuptern Europa's zu versöhnen, so große Opfer brachte. Bei dem Bruch zwischen Laffitte und dem Könige gab sich eine noch größere Bitterkeit zu erkennen, als zwischen Lafayette und Ludwig Philipp, der auch weit mehr Schonung gegen den Anführer der republikanischen Partei als gegen seinen ehemaligen Minister beobachtete, llebrigens soll auch der Reichthum und die Freigebigkeit des großen Banquiers, durch welche ein wesentlich sparsamer Hof in den Schatten gestellt werden mußte, eine Ursache seiner Ungnade gewesen seyn. Als die Sparsamkeit eine Pflicht für Herrn Laffitte wurde, hat er bewiesen, daß er auch diese Tugend zu üben verstehe. Ich habe ihn in MaisonS-Laffitte gesehen, inmitten dieser Stadt von Villen, mit denen er seine prachtvolle Nefivenz umgeben hatte, um ihren Ertrag zu erhöhen. Er wohnte in seinem prächtigen Palast mit nur zwei Bedienten und bekümmerte sich um alle Einzelheiten seines Hausstandes. Diese Einschränkungen, die Parzellirung seines Parks und einige andere günstige Umstände haben ihm gestattet, seine Ge schäfte zu liquidiren und sich mit einem immer noch beträchtlichen Vermögen zurückzuziehen. Laffitte soll gegen Z7 Millionen Franken im Vermögen gehabt haben. Jetzt steht er wieder an der Spitze eines Banquicrhauses. Lalfitte ist ein ehrlicher Mann und in Finanz- Gegenständen bewanvert, aber ein großer Staatsmann war er nie und wirb er nie seyn. Casimir Perier konnte eher auf diesen Namen Anspruch machen. Zwischen seinem und Canning's Charakter läßt sich eine merkwürdige Uebereinstimmung nachweisen. Dasselbe ehrgeizige Streben, dieselbe Raschheit des Entschlusses, derselbe Eifer bei der Ausführung, dasselbe Vertrauen auf ihren Glücksstern, dieselbe Verachtung fremden RatHS.- Beive hatten eble Eigenschaften und eine Freiheit der Haltung, welche kein sremver Einfluß beugen konnte. Obgleich die Derbheit in ihrer ursprünglichen Anlage überwiegend war, so konnte sie sich doch allen Bedingungen der Eleganz unterwerfen. Ihr beiderseitiges Ver hältnis zu ihren respektive« Monarchen war so ziemlich dasselbe. Sie sahen Beide in dem Staatsoberhaupte nur den ersten Diener der Gesetze. Beive litten an schlechter Verdauung, wodurch sie reizbar gestimmt wurden und sich oft sowohl ihren Kollegen als dem Mo narchen unangenehm machten. Casimir Perier wollte wie Canning die ganze Gewalt in seinen Händen konzentriren; er zog seine Kolle gen nur zu Rathe, um nicht gegen die constitulionellen Grundsätze zu verstoßen. In Folge seiner kommerziellen Erziehung legte er großes Gewicht auf das Englische Bündniß. Canning hatte eben falls immer den Wunsch gezeigt, in freundschaftlichen Beziehungen mit dem Französischen Kabinct zu bleiben. Bevor Perier ans Ministerium gelangte, war er bemüht, eine Englisch-Französische Gesellschaft zu gründen, welche die unbebauten Ländereien der Bretagne urbar machen sollte. Auch als er zur Macht gelangte, gab er diese Idee noch nicht auf, und er rechnete besonders, auf freiwillige AuSwanverungcn aus Schottland und Irland. Er war der Erste in seinem Lande, der Dampfmaschinen gebrauchte, natürlich mit Englischer Unterstützung. Er hatte zu diesem Behufs sich mit einem Englischen Affoci« verbunden, und seine meisten Ar beiter kamen aus England. Seinem Andenken wurde kein großer Schmerz geweiht. Er war zu starr, um von seinen Anhängern ge^ liebt zu werben. Ludwig Philipp ließ ihm zwar Gerechtigkeit wider fahren, aber auch er fühlte sich von diesem energischen Charakter ge drückt, der sich die wirkliche Leitung der Geschäfte nicht entziehen ließ. Casimir Pcrier'S Verwaltung war jedenfalls die kräftigste seit I8Z0. Auch die des Herrn Thiers ist nicht auszunehmen. Obgleich dieser eben so thätig, eben so ehrgeizig wie Casimir Perier ist, so hat er sich doch dem höheren Einfluß nicht entziehen können, der den Ministern nur die passive Vollstreckung seines unabänderlichen Willens überläßt. Wenn ich auf die Erinnerungen einer anderen Zeit zurückgehe» so sehe ich Herrn von Keratry vor mir stehen, der, als ich ihn kennen.