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durch ein bezeichnendes Votum die Minister zwangen, sich zurückzu- ziehcn. Die neue Macht schien also schon von ihrem Entstehen an wankend; sie trennte sich von ihren Hauptführern und sah sich von einem Theile der Soldaten verlassen. Das war eine Lockung für alle ihre Feinde, und der Baron von Leina, welcher im Norden kommandirte, erhob am 12. Juli die Fahne der Empörung. Mehrere Garnisonen, wichtiger durch den Namen der Städte, als durch die Zahl der Soldaten, erhoben sich mit dem Ruf: Es lebe die Charte! Der Marschall Saldanha verfügte sich nach Castel-Branco. Bald vereinigte sich mit ihm der Herzog von Tcrccira, und im Laufe eines Monats durchzogen diese beiden Insurgenten-Marschälle das Land ohne Widerstand. Die Regierung zu Lissabon hatte dem Vicomte de Sä und dem Baron de Bonfim außerordentliche Vollmacht übertragen. Diese beiden Offiziere griffen mit den constitutionellen Streitkräften am 28. August bei Nio-Mapor die Truppen der Marschälle an, und obschon man sowohl von der einen als der anderen Seite über sechs Wochen Zeit gehabt hatte, seine Borbereitungsmaßregeln zu treffen, so zählte doch keine der beiden Armeen achthundert Mann. Ist das nicht ein augenscheinlicher Beweis für die Gehaltlosigkeit der Parteien und für die Schwäche des Vorwandes aller Bürgerkriege, in welchen, was auch die Ursache derselben sepn mag, der angrei fende Theil immer strafbar istk Die Constitutionellen hatten eine schlechte Handlung begangen, indem sie die Charte umstießen, und die Chartisten hatten gleichfalls Unrecht, die Constitution anzugreisen. Das hieß von der einen wie von der anderen Seite aus individuellen Beweggründen die Zerrüttung befördern. Doch die Soldaten waren klüger als ihre Anführer. Nach einem leichten Infanterie-Gefecht, wo der Portugiesische Adel sehr schmerzliche Verluste zu beklagen hatte, als die beiden Marschälle ihrer kleinen Schwadron zu laden befahlen und der Vicomte de Sä sich an die Spitze seiner Truppen stellte, hielten die Reiter von beiden Seiten aus fünfzig Schritte an, stießen den Säbel in die Scheide und kehrten, nachdem sie sich als Brüder begrüßt hatten, treu unter die Fahnen ihrer rcspektiven Chefs zurück. Diese saben sich gezwungen, einen Waffenstillstand zu unterzeichnen, und die Marschälle zogen sich nördlich zurück, um sich mit dem Baron von Leiria zu vereinigen, welcher noch in der Ge gend der Stadt Valencia hielt. Die Streitkräfte waren gleich, und der Sieg hing davon ab, welche Partei das Corps nehmen würde, welches, nachdem es in der Armee der Königin Christine gedient, unter dem Befehl des Vicomte das Antas wieder nach Portugal kommen sollte. Dieser General entschied sich für die Constitutionellen, und nach einer blutigen Schlacht, welche am 2U. September bei Ruivaens geliefert wurde, sahen sich die Trümmer deü chartistischen CorpS genötbigt, nach Galizien zu fliehen. Unter diesen Umständen bewilligten die Cortes dem Ministerium ausserordentliche Macht und hoben' im ganzen Reiche die Freiheit der Presse und die persönliche» Garantieen aus. Seit dem Monat März waren Algarbien und Alcmtejo in Belagerungszustand ver seht, um den Aufstand eines Miguelistischcn Parteigängers, Namens Remeschivo, zu unterdrücken. Diese Maßregel wurde auS ähnlichen Gründen auch auf andere Theile des Gebiets ausgedehnt, so daß seit der September-Revolution bis zur Proclamation der neuen Constitution fast ganz Portugal einer auünahmSweisen Regierung unterworfen war. Indessen muß man den Parteien die Gerechtig keit widerfahren lassen und sagen, daß, wenn sie sich nicht gescheut haben, ihr Vaterland durch unbesonnene Aufstände zu beunruhigen, doch wenigstens die Indifferenz Aller und die Richtigkeit der Beweg gründe ein edleS Resultat hervorbrachten, welches sie nicht immer nach sich ziehe», das Vergessen des Hasses nach dem Siege. Das Ereigniß in Belem war schon als nicht geschehen betrachte! und die Königin konnte dem Beschlusse der Cortes, welcher die Chartistischcn Chefs ihres Ranges beraubte, ihre Sanction verweigern'. Während der drei Monate eines in ihrem Namen veranlaßten Aufstandes könnte cs scheinen, als hätte die Fürstin schweren Ge fahren ausgesetzt sepn müssen. Die Proclamationen von der einen wie von der anderen Seite geschahen mit äußerster Heftigkeit. WaS aber oie Constitutionellen besonders an den Chartisten tadelten, war, daß sie Portugal im Augenblick der Schwangerschaft der Königin beunruhigten. Die Unbesonnenheiten, zu denen die Hitze eines zu jugendlichen Muthes den Prinzen Ferdinand von Sachsen-Coburg, zweiten Gemabl der Königin, verleitet hatte, wurden auch leicht vergessen. Das Portugiesische Volk, welches sich sorgfältig um die genauesten Details des Lebens seiner Fürsten kümmert, war erkennt lich für die zärtliche Anhänglichkeit, welche der König der Königin einzuflößen gewußt hatte, und die Geburt mehrerer Söhne hat seit dem die Ergebenheit der Nation noch mehr erhöht. Die chartistischen Bewegungen hatten einzig und allein zum Zweck, die Trümmer der Charte zu sichern und an die Spitze ter Verwaltung den Vicomte de Sä und den Baron de Bonfim zu rufen. Die Cortes, gelassener, nahmen darauf ihre Diskussionen über das Fundamental-Gesetz wieder auf. Die neue Constitution unterschied sich von der Charte hauptsächlich dadurch, daß die Senatoren, nach gewissen Bestimmungen wählbar, von der Königin nach einer drei- sachen Kandidaten-Liste ernannt wurden. Eine in den gegenwärtigen Krisen wichtigere Modification war die Deputirtenwahl durch direkte Abstimmung mit einem sehr geringen Grundbesitz; man schloß alle Beamte von der Kammer auS; die Zulassung dieser letzten Klausel 'elite die Vernichtung jedes Einflusses der Regierung auf die CortcS zum Resultat haben. Zum Unglück machte die Feststellung eines an sehnlichen Gehaltes aus den Geschäften der Deputirtcn einen Stand. Da viele von ihnen nur von ihrer Besoldung lebten, und sich für ihre Erwählung dem Einflüsse der Regierung oder der Klubs fügen mußten, so war die Unabhängigkeit und Würbe, von der^man ge träumt hatte, nur dcm Namen nach vorhanden. Aber bas Uebel, welchem keine Constitution abhelfen konnte, nahm immer mehr zu. Am 14. Oktober >837 wurde der Bankerott wirklich proklamirt; die Nothwendigkeit, die Sieger zu besolden, erschöpfte die letzten Ueber- reste der Staats-Finanzen. Man mußte zu Maßregeln seine Zuflucht nehmen, welche gänzlich den Kredit vernichteten, ohne dcm Schatze eine Hülfe zu bringen, und belastete die Zukunft, ohne die Gegen wart sicher zu stellcn. Die Klubs wurden nicht befriedigt; die eral- tirten Ideen der CortcS hatten nicht den Sieg davon getragen. Alle batten nach der Heftigkeit ihrer Wünsche nicht Befriedigung finden können. DaS Bataillon Arbeiter am Zeughause, welches seit vier zehn Tagen unzweideutige Zeichen von Unzufriedenheit gab, insur- girtc offen den 13. März 1838. Der Baron von Bonfim ließ das Zeughaus mit Linientruppen besetzen, und die Rcvolutionairs ge wannen über die Soldaten die Oberhand. Das war eine wahrhaft kritische Epoche für Portugal. Die neuen constitutionellen Minister hatten zum ersten, aber nicht zum letzten Male mit den constitu tionellen Nevolutionairs zu schaffen, mit denen selbst, welche gegen die Chartisten ankämpften, der einzigen aktiven Armee von Ler Partei der Constitution. Auch schien Herr Bernhard de Sä anfangs mehr bestrebt, eine Beschwichtigung zu vermitteln, als die Ordnung wieder- herzustellen; er befahl den Linientruppen, sich zurückzuziehen, und ließ dem Bataillon des Zeughauses seine Waffen und seinen Posten. Dieses, crmuthigt durch ven Vortheil, welchen es, wie es schien, er langt hatte, verband sich mit anderen Bataillons der Nationalgarde und nahm im Innern der Stadt furchterregende Positionen ein. Die Cortes widersetzten sich jeder durchgreifenden Maßregel und neigten sich auf die Seite de- Aufstandes; und das eben vernichtete ihn. Das Schicksal der Minister hing damals mit der Aufrechthaltung der Ordnung zusammen, und Herr Bernhard de Sä ergriff kühn seine Maßregeln; er marschirte mit dem Baron von Bonfim gegen die Aufrührer, welche nach einem blutigen und hitzigen Gefecht eine vollkommene Niederlage erlitten. Seit dieser Zeit hat die Partei des Arsenals, wie man sie nennt, neue Aufstände versucht und mehr als einmal die Ruhe des Reichs bedroht; aber der 13. März hatte die Position der Regierung unwiderruflich festgestellt. So sahen sich auch, als am 4. April die Königin die neue Constitution beschwor und eine allgemeine Amnestie für das Vergangene proklamirte, die Chartisten und der gemäßigte Theil der Constitutionellen natürlicher weise gegen die am meisten craltirtc Partei vereinigt. Nachher sind sie fast mit einander verschmolzen unter dem Namen der Freunde der Ordnung. So groß ist die Herrschaft der Vernunft; der Trieb zur Erhal tung hat so viel Gewalt, daß selbst unter der kleinen Zahl Männer, welche die Gesellschaft beherrschen und leiten, der Theil, welcher dem gesunden Menschenverstände huldigt, in Portugal eine große Majo rität hat. Das Uebel liegt wohl mehr in einem Mangel an Ueber- cinstimmung zwischen den Parteien und National-Interessen, und darin, daß cs an Männern von Erfahrung und Charakter fehlt, als in der Schlechtigkeit der politischen Grundsätze für sich betrachtet. Es ist eine eben io seltsame als lraurige Wahrheit: während die Nation nur nach Ruhe trachtet und die Mehrzahl derer, welche an der Regierung Theil nehmen, an die Grundsätze der Ordnung und des Bestehens sich hält, wurden doch die Grundsätze unaufhörlich den anarchistischen Leidenschaften geopfert. Das scheint die Meinung zu bestätigen, welche in Frankreich gangbar ist, daß auf dör Halbinsel nur Ertreme gefunden werden. Nirgends ist im Gcgentheil der CpuiSmuS der Gleichgültigkeit größer, nirgends gewöhnlicher, und selbst diese Glcichgüliigkeit bring! Wirkungen hervor, welche den Zuschauer aus der Ferne täuschen. Die Gesellschaft ist so gethcilt, der politische Zwiespalt und das Unglück, diese wichtige Ursache der Immoralität, haben dermaßen alle Bände und alle Herzen gebrochen, daß nur träge Atome übrig bleiben. Nichts vereinigt sie, nichts bildet einen Körper; die geringste organisirle Macht erzwingt sich leicht Gehorsam; sie findet nur vereinzelte und entmuthigte Indivi duen. Jedes Interesse ist erdrückt, jede Ordnung zerstört, die Cor- poralionen find geschwächt; der Aschenhausen hat keinen Keim neuen LcbenS; es hat sich keine neue Nation hcrauSgebildet, und an den äußersten Enden der politischen Kette bestehen zwei feste Gewalten, von sehr verschiedenem Ursprünge; die eine ist alt, die andere ganz neu; aber sie gleichen sich in dem Punkt, daß sie beide allein mit Bewegung begabt sind, und daß sich beide gleich heftigen Leiden schaften hingeben. Zur Beförderung Les allgemeinen Bruches und eines moralischen Skeptizismus, welcher noch verderblicher ist, als der der Erkenntniß, haben sie abwechselnd, nicht zwar die Nation, welche unbeweglich in ihrer Erschlaffung ist, aber die nach einander folgenden und verschiedenen Regierungen, welche ihnen die Vorsehung geschickt hat, mit hineingezogen. Wenn der Wind von der Seite dcS Absolutismus weht, so unterdrücken die Mönche ihn leicht; sie beherrschen ihn wider seinen Willen, denn er hat nur in ihnen seine Kraft und seine Stütze. Führt der Sturm die liberalen Ideen wieder herauf, so umlagern die Freimaurer und Eraltado's die Macht; ihre Zahl ist sehr klein, aber die Gemäßigten haben Mühe, sich ihrer Herrschaft zu entziehen. Jene allein find einig und thätig. Wenn es ihnen gelingt, einige Bataillone der Nationalgarde oder die Offi ziere eines over zweier Regimenter für sich zu gewinnen, so eilen sie beim ersten Tumult zusammen und triumphircn ohne Widerstand; die ganze Bevölkerung bleibt passiv. Mit Gieichgültigkeit wird cin Ministerium, eine Constitution umgcworfen; man sagt dann, die Stimme des Volks und der Armee habe sich ausgesprochen, und in Frankreich wird die Trägheit der Portugiesischen Ration für ein Zeichen der Zustimmung gehalten. Aber vielleicht geht Portugal einer besseren Zukunft entgegen, vielleicht ist die Gegenwart besser als die Vergangenheit. Portugal hat sich von dcm Einflüsse Spaniens losgemacht, und der Nach-