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zengnug, „es wäre gewiß das Beste für die Kinder, allein — Sic bringen damit ein großes Opfer!" „Ich bringe es gerne," sagte Helene einfach. Damit war die Sache erledigt. — Nachdem der Mcdizinalrath gegangen war, sandte sie ein Paar Zeilen an ihre Mutter, in welchen sie ihr von dem Unfälle Mittheilnng machte und berichtete, in wessen Hanse sie sich augenblicklich befand, und für die nächsten Tage zu bleiben gedenke. Man möge sich Lisa's annehmcn, ihr selbst aber dies und jenes schicken, dessen sie bednrfte. . .. Mit sanfter Uebcrredung brachte Helene die alte Kinderfrau, die thatsächlich sich kaum mehr bewegen konnte, dazu, sich nieder zu legen. Die Beuchen der Kinder wurden nach Anordnung des Mediziualrnthcs in das neben dem Kiuderzimmer gelegene Speisezimmer getragen. Helene ließ die Thüre zu ersterem vsfeu, damit die treue alte Person die Beruhigung hätte, wenigstens zu hören und theilwcise auch zn sehen, was bei ihren Pflegebefohlenen vvrging. Helene war gerade mit diesen zweckmäßigen Ver änderungen, die sic mit Hilfe der Köchin ansgesührt hatte, zn Stande gekommen, als ihr Fran Ewers gemeldet wnrde. Die Kinder fühlten sich, nachdem sie von Helene und dem Mcdizinalrath behutsam ausgckleidet wordeu waren, ziemlich behaglich in ihren Bettchen. Sic waren momentan rnhig nud Helene konnte sie für eine kleine Weile der Obhnt der Köchin überlassen. Sic sand ihre Mnttcr in einem geräumigen Eckzimmer, dessen an den Wänden angebrachte Wasfenlrvphäen, sowie der darin befindliche Gcwehrschrank nnd Herrenschrciblisch verriethen, daß es das Zimmer des Majors sei. Mit vor Aufregung glühenden Wangen, aber bangen Herzens trat Helene der Mittler entgegen, welche in steifer Haltung, mit gefalteten Händen in der Mitte des Zimmers stand. „Helene!? rief Fran Ewers — Frage, Vorwurf, Bestürzung, alles lag in diesen wenigen Silben ansgedrückt. Helene wandte sich ab. „Schilt mich nicht, Mama! Es ist nnn einmal ge schehen — ich bin hier und . . . ich bleibe vorderhand!" „Ich begreife nicht, wie Dn diesen Schritt thun konntest, vergessen konntest . . ." Ein Ausdruck der Pein überflog Hcleneu's Gesicht. „Mama! — ;a glaubst Du denn, daß ich nichts zn überwinden hatte, eh' ich herüberkam, daß ich nicht den Stolz, der sich in mir anfbänntte, erst habe zertreten müssen? ... Kannst Dn Dir nicht denken, wie ich gekämpft habe?" Fast wie ein Aufschrei käme» diese Worte von ihren Lippen. Nach einer Weile fuhr sie etwas ruhiger fort: „Die Vergangenheit soll begraben sein! Er, dessen Kinder ich jetzt pflege, ist ein Fremder für mich — ich kenne ihn nicht!" fast hart klang ihre Stimme bei diesen letzten Worten. „Und er? wird er nicht am Ende eine — Annäherung in Deiner Handlungsweise sehen?" warf Fran Ewers zweifelnd ein. „Nein!" rief Helene heftig, ans, „das kann er nicht zn denken wagen! übrigens werde ich Sorge tragen, daß er mich nicht mißverstehen kann." Bekümmert, schweigend sah Fran Ewers vor sich hin, während Helene aufgeregt sortfuhr: „Meiu Gott! was thue ich denn so Besonderes! Habe ich nicht schon öfters Aehnliches gethan? . . . . Damals, als die arme Fran dort, vor unserem Hanse, vom Schlage getroffen wurde — ging ich d'a nicht mit dem traurigen Zug, der die Sterbende nach Hanse brachte? Ich blieb die Nacht dort bei dem trostlosen Mann, den armen Kindern, bis eine Verwandte der Verstorbenen kam?... Und dann, als die arme Kutschcrsfrau schwer an einer Lnugenentzündnug erkrankt war doch warum zähle ich das alles auf! . . . Sollte ich diese Kiuder hier in ihrer 778 — Hülflosigkcit liegen, leiden lassen, weil — ihr Vater gegen mich gesündigt hat?" ,iJch will Dir ja keinen Vorwurf machen, mein Kind," beruhigte sic die Fvrfträthin, „Du bist selbständig, weißt, was Dn thnn darfst, aber ich bin nnn einmal unversöhnlicher wie Du, ich . . ." ein leidenschaftlicher Groll durchbohrte ihre Stimme, „ich hätte nicht so — großmüthig zn sein vermocht." Helene lächelte. Es war ein unendlich trauriges Lächeln. Ihr Blick schweifte durch das von den letzten Strahlen der nntcrgehenden Sonne erleuchtete Zimmer; zuletzt blieb cr au dem Schreibtische hängen, in dessen Nähe sie stand. Einige Photographien hatten ans der breiten, mit Büchern und Karten bedeckten Platte Platz gefunden. Bilder der Kinder ans verschiedenen Jahrgängen, die Porträts der Eltern Möllers — niryeuds aber war bas Bildniß seiner verstorbenen Frau zu finden. „Es ist mir auch wegen der Leute," sagte Frau Elvers zögernd, „Gottlob haben sie ja keine Ahnung davon, daß Dn und Möller — aber immerhin ist Deine Anwesen heit hier im Hanse, in welchem die Frau fehlt — eigen- thümlich." „Die Leute!" wiederholte Helcuc betroffen, „daran hab' ich, offen gestanden, noch gar nicht gedacht! Aber," fuhr sic nach einer kleinen, unbehaglichen Panse beruhigter fort, „ich glaube, daß meiu sogenannter Leumund zn gut nnd fest begründet ist, als daß die Leute meine Handlungsweise anders als cxcentrisch bezeichnen könnten!" Frau Ewers gab keine Antwort. Sic hätte wohl cinwcudcn mögen, daß der beste Nus nicht vor Verleumdung schützt; sie wußte wohl, daß edle Thntcu oft am wenigste» begriffen werden, nnd daß die Welt gerade am hellstrahlendsten Licht mit Vorliebe Schatten sucht — aber sie zog cs vor zu schweigen. Ihr Mutter- Herz fühlte staunende Bewunderung für ihre Tochter, zugleich aber auch tiefes Mitleid. . . . „Eines liegt mir am Herzen," nahm Helene wieder das Wort, „ich möchte nicht, daß Lisa jetzt meine einst malige Verlobung mit Möller erführt." „Verlaß' Dich ans uns, sie soll nichts davon wissen! — Sophie wird während Deiner Abwesenheit zu der Kleinen hinunter ziehen. Ist Dir'S so recht?" „Gewiß. Ich danke Euch!" Fran Ewers wandte sich znm Gehen. „Ich habe cs ja gewußt, daß Du trotz meiner Einwen dungen hier bleiben würdest! aber — nicht wahr, mein Kind, Dn muthest Dir nicht allzuviel zu ... . Die Nacht- wacheu, die Aufregung — es kommt so viel zusammen!" „Liebe, gute Mama!" nnd Helene warf sich in die Arme ihrer Mutter und verbarg ihr blasses, trauriges Ge sicht au der Schulter der alten Dame. Nach einem Weilchen richtete sie sich wieder ans. Noch immer die Hand der Mutter iu der ihren haltend, fragte sic schüchtern: „Und was hat Papa gesagt?" „Papa?" Die Forsträthin lächelte, „Dn kennst ja seine Art! Zuerst war er wie vom Douucr gerührt, als er erfuhr, wo Du seist. Dann ging er lange schweigend im Zimmer auf nnd ab — ich wnßtc, daß er sich die Geschichte nun znrcchtlcgcn würde. Und richtig — ans einmal blieb er vor mir stehen nnd rief: Recht hat sie, die Helene! freilich hat sie etwas von einem weiblichen Don Qnixote . . . aber sie ist ein braves Mädel, ein braves Mädel!..." Es war am Abend des zweiten Tages, welchen Helene im Hause Möllers zubrachte. Zwei Tage und zwei Nächte war sic nicht von dcn Bettchen der Kinder gewichen. Mit unermüdlicher Geduld, bcwundernswcrther Selbstlosigkeit nnd Umsicht hatte sie die großmüthig übernommenen Pflichten durchgesührt. Glück licherweise hatte die Heilung der Kiuder überraschend