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Helene wandte sich ab; kein Wort war iHv entgangen. Wie jammervoll mochte diese Ehe gewesen sein, daß man jept, da die Fran todt, der Mann der Kamerad der anwesenden Herren war, ans solche Weise über sie spöttelte. In, die Strase, die Möller ereilt hatte, war groß, säst zu «tröst für sein Bergeheu! Sie wnstte wohl, dast für jeden Äkenschen die „zahlende Zeit" kommt, wie eö der Bolksmnnd nennt: Tage, in welchen ihm das, was er Gutes nnd Böses gethan hat, in gleicher Münze wieder heim gezahlt wird. — Für Aiöller hatte diese zahlende Zeit lange Jahre hindurch ge dauert — all' die Jahre seiner unseligen Ehe.. Schweigend löste sich Helene aus der heiteren Gruppe uud versügte sich iu das stillere Nebenzimmer, um sich bei der alten Dame, die au dem hübsch arraugirteu Theetisch präsidirte, eiue Tasse Thee auszubitteu. Sie fand auch hier bald Gesellschaft, ciueu alteu stattliche» Herrn, dessen Aenßeres, ohne stnperhaft zu sein, sehr gepflegt erschien. Er war gerade erst gekommen uud begrüstte Helene auf das Herzlichste. Es war der Mediziualrath Eschenbach, ein treuer Freund Heleneu's, der neben ihr am Todten- bette Döriug's gestanden hatte. Er war ein sehr geschilpter Arzt, dabei über die Masten wohlthäng, doch wenn irgend wo bei seinen Patienten Hülfe Noth that nnd seine eigenen Mittel nicht mehr ausreichteu, so kam der alte Herr zn Helene, bei ihr sand er stets Unterstüpnng, Nath nnd That. Sie verkehrte gerne nnd viel in seinem Hanse, mit seiner Fran, einer liebenswürdigen und hochgebildeten alten Dame. „Ihre Frau Gemahlin hat Sic allein gehen lassen?" erkundigte sich Helene, nachdem sie mit dein Medizinalrath an einem kleinen Tischchen Plap genommen nnd ihn mit Thee versorgt hatte. „Ja. Sie wissen, in große Gesellschaft vermag ich sie nicht zn bringen." „Oh, sie hat recht!" ries Helene im Tone der Ueber- zengnng. „Recht?" Helene erröthete und lächelte. „Es klingt nicht verbindlich, wenn ich das in diesem Augenblicke sage! doch, Sie wissen ja, wie lieb mir ein Abend im kleinen befreundeten kreise bei Ihnen, iu Ihrem Hause ist, aber — diese großen Gesellschaften! . . . Bin ich allein zu Hanse, so langweile ich mich niemals, doch wenn mau mich iu eiu paar Zimmer mit fünfzig bis sechzig Leidensgefährten eiusperrt, mit der Verpflichtung, immer- währcud zu redcu — zuzuhorcu, zn lächeln! da lerne ich die Langeweile in ihrer allerfürchterlichsten Gestalt kennen ... Ja, ihrer fürchterlichsten — — weil ich sie lachenden Mnudes ertragen muß! Der alte Herr lachte herzlich. „Sie redcu ähnlich, wie meine Fran, welche mit Bor- liebe ihren verehrten .Ivan l'-ml cilirt: mau müsse den Schlafrock dem Bratenrock vorziehcn. Hübsch gesagt, nicht wahr? . . Sie aber sind zu sulchen Ausiclstcn noch zn jung, Frau Helene!" Das Gespräch der Beiden lenkte iu ernstere Bahnen ein. Der Mediziualrath liebte eiue „verüüustige Unter haltung", wie eres nannte, über Alles nnd snchte ans diesem Grnnde die Gesellschast Helenen's mit Borliebe ans, da er bei ihr Interesse nnd Berständniß für alle Borgänge des modernen Gebens, für alle Zeitsragen fand. Auch jept erörterte er mit ihr die nenesten politischen Ereignisse, eine Rede des Kaisers, eine Ministerkrisis in Frankreich, Parlanientsstreitigkeiten in England. — Hente erhielt er indessen nnr zerstreute, theiluahmslvse Antworten. Helene hatte noch immer nicht den gewvlmten Gleichmnch, den sie durch die unerwartete Begegnung mit Möller verloren hatte, wiedererlangt. Die Ungewischeit, ob er thatsächlich das Hans verlassen habe, die Bejürchtung, ihm plöplich wieder zu begegne», quälte sie. ' (Fvrgchnng folgt.) Des Römyg Schreiber. Erzählung von H c r m nun N v b v l s t y. fNachdrulk verboten.) (Schluß.) Ivar cili wuuderschvuer Abend. Auf dem heim liehen Plapcheu dunkelte cs allgemach. Leis zischelte r Wind in den land chten Zweigen, nnd genehme Frische hanchle i die Stirn des müde wordenen Mütterchens, m ganzen Tag war es mit der Bahn gefahren, weit von München daher über St. Gallen, Zürich nnd Luzern. Was Wunder nun, daß die Ermüdete einschlummerte, so wohlig uud erguickeud. Deu Korb hatte sie uebeu sich gestellt. Er mußte wichtige oder werthvolle Sachen enthalten, denn ihre Rechte um klammerte fest deu geflochtenen Henkel. Nun zogen die Sterne am Himmel herauf; aber ihr Licht drang nur hier nnd dir verstohlen durch die Laub- masscu. Das war, als wenn eiu blinkend Auge heruieder schaute. Jehl stieg sogar, langsam uud ernst, der Mond hinter dem Massiv des Frohnalpstocks hervor und über goß deu Waldestempcl mit seinem milden Lichte. Eiu stattlicher hochgewarhseuer Manu hatte plötzlich das Qnellenpläpchen betreten. Sichtbar erstaunt blieb er vor der schlafenden Fran stehen. „Ein Weib?" murmelte der Abeudwanderer. — „Sonderbar! — Es schläft!" er trat näher heran. — „Welch' ein Bild wahren Seelenfriedens nnd der Ruhe!" Da zuckte das Mütterchen im Traume zusammen. Es wäre am Ende von der Bank gefallen, hatte der Fremde nicht zngefaßt nnd es am Arme festgchalten. „Wo bin ich denn?" stammelte die Alte. — Als sie den unbekannten Mann neben sich erblickte, fuhr sie, sich schnell fassend, fort: „Ach, gnädiger Herr! Ich komme um meinen Joseph weit her ans Bayern nnd wollt den lieben König um Guadc bitten für den Armen. Aber die herzlosen Leute hier geben'ü nicht zn, nnd so mnß ich nnn morgen in der Früh wieder mit dem Dampfer nach Brunnen zurück. Schriftlich soll ich Alles machen." „Ja, liebe Fran", lächelte der Eavalier, „wenn der völlig sich mit Allen, die ihn sprechen wollen, in große Auseinandeipepungeu entlassen sollte, wann würde er da fertig werden?" „Na, eine Ausnahme gibt's doch schon!" fehle sich das Weib wieder ans die Bank nnd zog nngenirt den Fremden mit nieder. „Wär's nicht nm den Joseph, wagt' ich's nimmer zu verlangen." Dem Unbekannten schien die Sache Spaß zn machen. Er stand nicht wieder ans nnd wandte sich mit den Worten au seine gesprächige Nachbarin: . „Was hat denn der gute böse Joseph ansgeübt, daß Sie die Gnade des Königs anrnfen wollen?" „Ausgeübt? -- Ja, du lieber Himmel! — 's Heim- weh hat ihn gepackt imd da ist er vom Regiment entwischt nnd nach Hanse gelanfeu. Hernach sind die Gendarmen er schienen und haben ihn mitgenommen." „Und nun siht er im Gesängniß?" siel der Eavalier ein. „Das ist's ja!" lamentirte die Mutter. „Er hat mir 'n Bries geschrieben, wvdrin steht, ich sollt' znm König reisen nnd sage», er — der Joseph — würde so was in seinem Leben nicht wieder thnn; — Majestät möcht'S doch nnr dies eine Mal vergeben! — Ich hab' den Brief mit hier!" fing die Alte im Halbdnnkel in ihrem Korbr an zn kramen.