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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrZnumeration«- Drei« 22; Sax. Tblr.) oieneltädrlick, 3 Tklr. für das gan,e Iadr, ohne Er> dödung. in allen Tbnlen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man prSnumerirt ans diese« Lileratur>Blatt in Berlin in der Expedition der Allg. Px. Staa,«-Leitung (Friedrichdffr. Nr. 72); in der Provinz so wie im Auslande bei den Wodllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. Berlin, Freitag den 3. September 1841. Frankreich. Madame Cottin. Madame Cottin ist eine Frau, welche schrieb, wie sie dachte und fühlte, und dachte und fühlte, wie sie lebte. In ihr war Alles natürlich, wahr, auS dem Inneren kommend, und sic schöpfte das Wesen ihrer Werke auS sich selbst. Nirgends findet man eine voll- kommenere Ucbercinstimmung zwischen den Dichtungen eines Schrift stellers und seinen geheimsten, innigsten Empfindungen: sie hat, mit einem Worte, in ihren Schriften den ganzen Charakter ihres Lebens ausgeprägt. Ihr Leden war ein Roman, aber ein ruhiger, fried licher, keusch melancholischer Roman ohne äußere Abenteuer. Wenn derselbe dadurch mit den romantischen Scenen, mit den stürmischen Austritten in ihren poetischen Schöpfungen in Widerspruch steht, so erklärt sich dies einfach dadurch, daß der Schwung der Phantasie immer den Regungen der Seele vorauSeilt. Wie viele Schriftsteller, selbst Frauen, sind erst nach einem frivolen Leden zur Darstellung zärtlicher Empfindungen gekommen! Da sie nur Wärme des Ver standes besaßen, so schilderten sie die Leidenschaften, indem sie mit ihnen spielten. Ganz im Gegentheil Madame Cottin, welche aufrich tig an die Empfindungen glaubt, die sie darstcllt; sie zeigt uns das seltene Beispiel einer Schriftstellerin, welche die Freuden, Schmerzen, Thränen mitfühlt, die ihr Pinsel schildert. Als Madame Cottin die schriftstellerische Laufbahn betrat, gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts, hatte der Roman mehrere kost bare Erwerbungen gemacht. Um nur von den Frauen zu sprechen, so hatten die Damen Lafayette, Tencin, Graffigny, Riccodoni, Souza und selbst Frau von GenliS einen größeren oder geringeren Reichihum von Anmuth, Empfindsamkeit und Schöngeiftigkeit entfaltet. Auch Madame Cottin sollte auf dieser schon so vielfach betretenen Bahn Spuren einer eigenthümlichen Erscheinung zurücklaffen. Im Grunde ist die Verwandtschaft, welche sie mit ihren Vorgängerinnen, ja sogar mit den meisten ihrer Zeitgenossinnen verknüpft, eine sehr oberflächliche. Nicht daS geistreiche Wesen, die manierirte Grazie, die fade und gesuchte Sentimentalität, noch weniger die feine und doch oberflächliche Beobachtung bilden ihre hervorstechenden Eigen schaften. Von Anfang an fühlte sie daS Bedürfniß, sich in die idealen Regionen auszuschwtngcn. Man sieht, daß sie, wie mehrere andere ausgezeichnete Geister dieser Zeit, dem Einflüsse Rouffeau'S unter worfen gewesen ist. Sie gehört zu der beredten Schule, aus welcher auch die Staül hervorgegangen ist. Sie schildert nicht das weichliche Entzücken, nicht die reizende Koketterie oder die rasfinirte Wollust der Liebe, sondern die reine, glühende, aufrichtige Liebe, den tugend haften oder schuldvollen Wahnsinn der Liebe mit seiner tiefen Empfin dung, welche nur de» Frauen eigenthümlich ist, und mit einem Auf wande von Kraft, welchen sie selten besitzen. Sie wurde 1773 in TonnainS geboren; ihre Erziehung erhielt sie zu Bordeaux unter den Augen einer vortrefflichen Mutter. Die junge Sophie, die mit einem sinnigen Charakter, mit einem zart fühlenden und melancholischen Gcmüthe begabt war, neigte sich schon früh ernsten Gedanken zu. Im I7ten Jahre wurde sie an einen rei chen Pariser Banquier verheirathet; sie wußte nun ihre geliebte Ein samkeit verlassen, um ein prächtiges Hotel der Hauptstadt zu bewohnen. Aber der Schimmer der Welt, der einen solchen Zauber auf leicht fertige oder gewöhnliche Frauen ausübt, konnte Madame Cottin nicht blenden. Inmitten der glänzenden Gesellschaft, in welcher sic lebte, bewahrte sic ihren einfachen und bescheidenen Sinn. Jndeß brach sie nicht ganz mit der Welt. Ein schmerzliches Ereigniß, der Tod ihres Mannes, der nach dreijähriger Ehe erfolgte, entschied ihr Schicksal. Der rcvolutionaire Schwindel hatte damals (I7UZ) seinen Höhepunkt erreicht, und das allgemeine Unheil machte das Bedürfniß nach den sanften Familien- Empfindungen nur noch fühlbarer. Madame Cottin's Abneigung ge gen die Welt und ihre Vorliebe für die Einsamkeit erhielt dadurch neue Nahrung, ihr von Natur schon zur Traurigkeit gestimmter Charakter nahm eine noch trübere Färbung an. Auch hatte sie in dieser Zeit das Unglück, fast ihr ganzes Vermögen zu verlieren; dasselbe machte indeß nur geringen Eindruck auf sie. Bis dahin war Madame Cottin nie auf den Gedanken gekom- men, etwas für das Publikum zu produziren, und sie schien kaum ihr Talent zu ahnen. Sie begnügte sich, die Schätze ihrer Phan tasie und ihrer Empfindsamkeit im Gcheimen auSzustreuen; selbst ihre näheren Freunde und Verwandten hatten keim Ahnung von ihrem Talente. Ein ziemlich unbedeutender Umstand offenbarte plötzlich ihr unbekanntes Talent. Madame Cottin unterhielt mit einer ihrer Freundinnen einen fortlaufenden Briefwechsel, in welchem sie auf die anspruchsloseste Weise die Reize ihrer Phantasie und die Bcredtsam- kett ihres Herzens entfaltete. Als dieselbe nach Paris kam und sah, daß so glänzenve Eigenschaften verkannt wurden, hielt sie die Aus drücke ihrer Bewunderung nicht zurück. Aber diese Enthüllung ihres Talents vermochte sie nicht, ihre Zurückhaltung aufzugeben. Sie war zufrieden, ihrer Umgebung zu gefallen und ein gemessenes Echo ihrer eigenen Gedanken zu vernehmen; weiter erstrebte sie nichts. Fremde Aufmerksamkeit erschreckte sie, und das Publikum war ihr ein Schreckbilv. Sie kämpfte lange mit sich selbst, ehe sie den Ver lockungen der Oeffentlichkeit nachgab; und die inständigsten Bitten vermochten sie kaum dazu. Es bedurfte dazu sowohl mächtiger äußerer Anregungen, so wie des inneren Dranges, der zur Produc tion treibt. Ihre ersten im Geheimen entworfenen Skizzen und Fragmente hatten Madame Cottin schon die Bahn angedeutet, welche sie einzu- schlagen hatte. Ihre Ausgabe war, natürliche, echte, lebendige Empfin dungen auszuprägcn. AuS der innigsten Verschmelzung der Melan cholie, der Tugend und der Liede sollte sich das mächtige Interesse ihrer Werke ergeben. Mit so einfachen, so natürlich und fast kunstlos hingestellten Elementen erreichte Madame Cottin das wahrste und glühendste Pathos. Sie selbst theilt unS die Umstände mit, denen ihr erstes Werk sein Entstehen verdankt. „Die Gefahr, der Ekel und der Schrecken vor der Welt hatten in mir daS Bedürfniß entstehen lassen, mich in eine ideale Welt zurückzuziehen. Schon hatte ich einen ausgedehnten Plan entworfen, der mich lange an dieselbe fesseln sollte, als ein unvorhergesehener Umstand mich meiner Einsamkeit entriß und mich auf ein herrliches Landgut am Ufer dcr Seine, nicht weit von Rouen unter eine zahlreiche Gesellschaft führte. Dort konnte ich nicht arbeiten, das wußte ich wohl. Ich hatte daher auch keinen meiner poetischen Versucht mitgenommen. Jndeß die Schön heit der Gegend, dcr Zauber der Wälder und Gewässer weckten meine Einbildungskraft und bewegten mein Herz. Ich brauchte nur ein Wort, um einen Plan zu entwerfen, und dieses Wort wurde von einer Person der Gesellschaft gesagt." Dieses Werk, welches in noch nicht vierzehn Tagen vollendet wurde, war der Roman „Claire d'Llbe", auf welchen eine Reihe anderer Productioncn folgte: „Mal vina", „Amelie Mansfield", „Mathilde", „Elisabeth". Alle Werke der Madame Cottin haben eine gewisse Familien- Aehnlichkeit. Sie schöpfte aus ihrem Herzen die wesentlichen Ele mente der Composition und die Empfindungen, die sie eben so kraftvoll wie anmuthig entwickelte. Da sic viel dachte und wenig beobachtete, da sie ferner sich gegen das Treiben dcr eitlen und frivolen Welt ziemlich gleichgültig zeigte, so zeichnete sic mehr Charaktere als Portraits und ließ das gewöhnliche Detail der Sittenschilderungen bei Seite liegen. Die Lächerlichkeiten und Thorheiten Ler Welt machten auf ihren Geist keinen starken Eindruck; besser verstand sie die Kunst, die verschiedenen Erregungen der leidenschaftlich bewegten Seele kräftig zu schildern. Da sie mit einer seltenen Empfänglichkeit begabt war, so zeichnete sie die Liebe in flammenden Zügen, aber sie verstand auch die feinsten Uebergänge und flüchtigsten Schattirungen derselben aufzufaffen. Am liebsten schilderte sie dieselbe in Thränen gebadet und in Fesseln geschlagen. Die Pläne zu ihren Werken ent warf sie sehr langsam, aber die Ausführung geschah mit bcwun- dcrnswerther Schnelle. Die Heldinnen der Madame Cottin suchen das vollkommene Ideal der Weiblichkeit zu verwirklichen; sie sind sanft, zärtlich, liebenswürdig, melancholisch, und fast alle weinen gern auf Gräbern. Ihre Fröhlichkeit ist mit einem Trauerschleier umwoben; aber ihre Traurigkeit geht nie bis zur äußersten Gränze. Obgleich sie rasch Feuer fassen und von Natur sehr leidenschaftlich sind, so ist doch ihre Liebe immer cine reine und der Gegenstand derselben ein edler, würdiger, trotz seiner Unvollkommenheiten. In den gefährlichsten Situationen, selbst wenn die Tugend unterliegt, leuchtet doch noch immer ein Schimmer der göttlichen Keuschheit. Obgleich Klara, Malvina, Amalie, Mathilde, Elisabeth in verschiedene Rahmen gefaßt sind, so haben sie doch einen gemeinschaftlichen Familicnzug. Verworfene Gestalten gelingen ihr nicht. Frau von Woldemar, Mistreß Berton, Miß Melmor, Lusignan sind karrikirt und gezwungen. Ihr schwächster Punkt ist der Stil. Sie hat dem Satzbau nicht das heilige Gepräge aufgedrückt, welches sich nie verwischt. Madame Cottin schrieb kunstlos und wie ihr die Sachen in die Fehcr kamen.