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WSlkmUsch <rs»tm<n drei Rummrrn. Pränumkration«- Prn« 22j Sgr. Tblr.) »«neljShrN», 3 Tdlr. für da« ganze Jahr, ahne Er- hihung, in allen TbnNn der Vreu«ischen Monarchie. Magazin für die Man prünumeriri auf diese« Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition ter Mq. Pr. Staais^eitunz sFrikdrichSür. Re. 72); in ter Provinz so wie im AuSIante bei ten WohllSbl. Poft.Aemiern. Literatur des Auslandes. 1VS Berlin, Mittwoch den 1. September 1841. Frankreich. Mirabeau, nach Cormenin's. Darstellung. Als Christoph Columbus, nachdem er den unermeßlichen Raum des Meeres durchschifft hatte, sich dem Amerikanischen Fcstlande näherte, erhob sich plötzlich ein Sturm, die Blitze fuhren hernieder, der Donner grollte, die Taue zerrissen, der Steuermann verlor die Fassung und das Schiff schien dem Untergange geweiht. Aber wäh rend Soldaten und Matrosen verzweifelnd auf die Kniee sanken, er griff er im Vertrauen auf feine hohe Bestimmung das Steuerruder und leitete das Schiff durch die wogenden Wellen und die finstere Nacht. Und als das Schiff an das Uferland der neuen Welt anlicf, rief er mit tönender Stimme: Land! Land! Als das Schiff der Revolution mit zerbrochenen Masten und flatternden Segeln aus einem sturmbewegten Meere hinschwanktc, stand Mirabeau aufrecht am Steuerruder, den Blitzen und dem Donner trotzend, ließ seine prophetische Stimme unter den geängstig ten Passagieren ertönen und wies mit dem Finger aus das gelobte Land der Freiheit hin. Alle Umstände vereinigten sich, um Mirabeau zum gewaltigen Beherrscher der Tribüne zu erheben: seine ungewöhnliche Organi sation, sein Leben, seine Studien und die Kämpfe mit seiner Familie, die außerordentliche Zeit, in welcher er auftrat, der Geist und die Berathungsweise der konstituirendcn Versammlung, so wie das wun derbare Zusammenstimmen seiner rednerischen Anlagen. In einer Versammlung von zwölfhundert Gesetzgebern ist es erforderlich, baß der Redner von weitem gesehen werden könne, und Mirabeau wurde von weitem gesehen; er muß von weitem gehört werden können, und Mirabeau wurde von weitem gehört; es ist erforderlich, daß kein einzelner Zug äuf Kosten des Gesammteindrucks hcrvortrctc, daß der innere Mensch sich in der äußeren Bildung enthülle, und daß die Seelengröße sich auf dem Gesichte und in der Rede ab spiegele. Aber Mirabeau brachte einen solchen Gesammteindruck hervor, er hatte ein solches Gesicht, eine solche Seele. Mirabeau war auf der Tribüne der schönste Redner. Er war ein so vollende ter Redner, daß sich schwerer sagen laßt, was er nicht besaß, als was er besaß. Mirabeau hatte eine massenhafte und gedrungene Körperlichkeit, dicke Lippen, eine breite, knochige, hcrvortretende Stirn, geschweifte Augenbrauen, einen Adlerblick, dicke, etwas hängende Backen, eine zerrissene, durchwühlte Physiognomie, emc donnernde Stimme, einen ungeheuren Haarschmuck, ein Löwenantlitz. Ausgcstattct mit einem eisernen Körper und einem feurigen Temperament, übertraf er seinen Stamm an Tugenden und an Lastern. Die Leidenschaften erfaßten ihn in der Wiege und hielten ihn während seines ganzen Lebens fest. Da seine wuchernden Anlagen sich nicht nach Außen entwickeln konnten, so konzentrirtcn sie sich nach Innen. Cs wogte, gährte, arbeitete in ihm, wie in einem Vulkan, ehe derselbe die glühende Lava ausschleudert. Er lernte Alles, behielt Alles, wußte Alles: Römische und Griechische Literatur, fremde Sprachen, Mathematik, Philosophie, Musik. Er war Meister in allen körperlichen Geschick lichkeiten, im Fechten, im Schwimmen, im Reiten, im Tanzen, im Lausen. „ „ , , Er litt an allen Uebeln, welche die glücklichen Philosophen des Jahrhunderts geschildert hatten. Er hatte dem väterlichen und ministeriellen Despotismus kühn ins Antlitz geschaut. Er war arm, flüchtig, verbannt, geachtet, gefangen; jeder Tag, jede Stunde seiner Jugend war ein Fehler, ein Sturm, ein Studium, ein Kampf. Hinter dem Niegel der Gefängnisse und der Bastillen sehen wir ihn, die Feder in der Hand haltend und das Gesicht über die Bücher ge beugt, die weiten Behältnisse seines Gedächtnisses mit den reichsten und mannigfaltigsten Schätzen anfüllen. Er stählte seine Seele in dem Kampfe gegen die Tyrannei, wie das glühende Eisen gehärtet aus dem Wasser hervorgeht. Während die adelige Jugend ihre Kräfte in geistlosen Aus schweifungen vergeudete, kämpfte er muthig gegen die Verhältnisse und die Menschen. Sein Geist, der durch die Ungerechtigkeit und Willkür mehr gekräftigt als empört wurde, steifte sich gegen die Hindernisse; sein Verstand, den bas Unglück schärfte, bot ihm immer neue Hülfsmirtel und Auswege. Welche unerschöpfliche List, Fein heit, Kühnheit! Wie entging er seinem Vater, der Polizei, seinen Feinden? Wie lebte er allein? Wie zu zweien? Wie rührte er seinen Vater, ohne sich von der Geliebten zu trennen? Wie trennte er sich von ihr, ohne sie zu erniedrigen, ohne sie zu tövten? Er verdoppelte sich, er vervielfältigte sich, er vertheibigie sich und griff an, er bat und drohte, er schrteb und sprach, er führte seine eigene Sache wie ein Advokat, ohne Advokat zu seyn, besser als ein Advo kat, wie nur Mirabeau es vermochte. Tage ohne Ruhe, Nächte ohne Schlummer; ein stürmisches Leben voller Klippen und Strandungen, immer angespannt, zuweilen glück liche, meist unglückliche Anstrengungen. Aber welche Studien des menschlichen Herzens in einem Herzen! welches Arbeiten in diesem einen Kopse? welche Befruchtungen! welche Geburten! Wie verstand er die Kunst, sich zu beugen, sich zu schmiegen, sich wieder zu erheben! Wie leicht war es ihm, jeden Ton anzunchmen, sey es, daß er Sophien in Flammenzügen die Zuckungen seines Herzens schilderte, sey es, daß er an die Marseillaiser ein Schreiben über die Theurung des Gctraides richtet. Ueberall enthüllt sich Mirabeau: in seinen Briefen, in seinen Klageschriften, in seinen Abhandlungen, in seinen Werken über die willkürlichen Verhaftungen, über die Freiheit der Presse, über die Ungleichheit der Stände, über Finanzfragen und über die Lage Europa's. Er ist allerdings merkwürdiger durch den Schwung, die Kühnheit, die Originalität seiner Gedanken, die Wahr heit seiner Beobachtungen, die schlagende Kraft seines RaisonnementS, als durch die feine Abrundung der Form. Er ist wortreich, selbst weitschweifig, inkorrekt, selbst ungleich in seinem Stile, der überhaupt mehr den Charakter eines Sprcchstils als eines Schreibestils hat, wie bei allen Rednern. Ucberblicken wir den ersten Theil seines Lebens, denn dasselbe hat mehrere Erscheinungsformen. Er hatte in den Bastillen ein hartes und erfahrungsreiches Leben geführt, er hatte die Noth der Verbannung überstanden, über Politik geschrieben, Gesetzbücher ent worfen, seine eigenen Prozesse geführt, Denkschriften verfaßt, sich zum Prediger des Volkes aufgeworfen, seiner Kaste den Handschuh hin geschleudert, mit Ministern Umgang gepflogen, England besucht, die Schweiz studirt, in Preußen Erfahrungen gesammelt. Als Mann dcS Studiums und Mann des Vergnügens, als Soldat, Diplomat, Hofmann, VolkSfrcund, als Staatsgefangener, Opfer der Tyrannei, Literat, Geschäftsmann hatte er nachgedacht, gelitten, verglichen, ge- urtheill, für den Druck gearbeitet, durch die Rede gewirkt. Seine parlamentarische Erziehung war vollendet, ehe das Parlament noch beendet war. Er sprach schon fließend die Sprache der Politik, als Andere sie kaum stammelten. Er sprach sie besser als die Advokaten, besser als die Prediger. Er war Redner, ehe er als Redner her- vorlrat, ehe er cS selbst wußte. Er war zum Leiter wie zum Redner der konstituircnden Versammlung bestimmt, zum Fürsten der modernen Tribünen, zum Gott der Beredsamkeit; er war die vollendetste Per- sonification der Revolution von I78S. Die Revolution von l78ll ist das größte Ereigniß der neueren Zeit; die alte Gesellschaft war im Gipfel und im Grunde baufällig geworden; wie man anfing, einen Theil des Gebäudes abzudecken, um es auszubessern, wurde man gewahr, daß es von den Würmern zerfressen und von der Zeit zernagt war. Sobald der Hammer einen Stein losgeklopst hatte, entstand daher auch in den Mauern eine all gemeine Erschütterung und die alte Gesellschaft stürzte zusammen. Es entstand ein wirres Getriebe aus den Trümmerhaufen, als die Generalständc zusainmcnberusen wurden; ein allgemeiner Schrei erhob sich und forderte, daß nicht mehr ein Stockwerk auf das andere gethürmt und keine große Wohnung für eine oder einige Personen eingerichtet werde. Das Gebäude sollte nicht mehr einem Besitzer, sondern allen Mitgliedern der politischen Gemeinschaft gehören, und ihre Abgeordneten sollten für die Ausbesserung, Sicherheit und Be quemlichkeit des neuen gesellschaftlichen Gebäudes sorgen. Mirabeau trat wie ein Riese in die Kampfbahn, und der Boden wankte unter seinen Tritten. Der Adelige führte den dritten Stand gegen den Adel ins Gefecht, der ihn thörichterweisc ausgestoßcn hatte. Er selbst vergleicht sich mit Grachus. „So", sagte er, „starb der letzte der Grachen von der Hand der Patrizier. Als ihn aber der Todesstreich traf, schleuderte er Staub zum Himmel, indem er die rächenden Götter als Zeugen aufrief, und aus diesem Staube er stand Marius, Marius, der weniger groß ist, weil er die Cimbern vernichtete, als weil er zu Rom die Aristokratie des Adels in den Staub streckte." Diese stolze Antwort schmetterte seine Gegner nieder, und Mira- . beau ergab sich nun ganz der Demokratie. Auf diesem Terrain setzte , er sich fest und rang auf demselben als Athlet des Volkes mit dem