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3L2 liche Vereinigung; daß diese stets fester und inniger werde, dazu mögen Klugheit und Beharrlichkeit wirken! V. Das Land der Nordfricsen. Eiderstädt. — Wieder Marsch! Wälle und Gräben! Fette Gegenden! Aber diese sind ja auch mit Blut gedüngt, mit Ritter blut — mit Königöblut. Hier erreichte das Schwert der Rache den Brudermörder Abel. Vielleicht dachte er das böse Gewissen im Blut Ler Friesen zu ertränken; aber es wurde in seinem eigenen. Fort mit diesem schauerlichen Nachtstück! — Ein lichteres herbei! — Da liegt ja Tönningen, wo der Siegeshcrr von Gadebusch, der Mord brenner von Altona, bas Ziel für seine allzu flimmernde Kriegerbahn fand. Ach, auch an diese für Dänemark glückliche Waffenthat knüpfen sich trübe, demüthige Erinnerungen. Wer war cs, ver Steenbock gefangen nahmt Dänen? O ja! doch mit Hülfe von Fremden. Gott schütze uns vor der Hülfe! sie war fast schlimmer als die Krank heit. „Wenn diese unsere Alliirten" — schrieb Friedrich in seinem Kummer — „eben so tüchtig sind, unsere Feinde zu bekämpfen, als unsere Unterthanen zu plündern, so zweifle ich nicht am Siege." Hülfstruppen! Ei freilich! Peter würde seinem guten Freund und Verbündeten sogar gern von seiner Hauptstadt geholfen haben, und wohl noch von etwas mehr. — Sollten Fremde unü ihre Hülfe für nichts anbieten? Nimmer! „Etwas für Etwas, wo Freundschaft ge schloffen wird." — Armes Vaterland! wann wirst du einmal lernen, dir selbst zn helfen! Du könntest noch den Tag erleben, wo du Alles für Nichts geben mußt. Eiderstädt ist eine breite Landzunge, die sich kühn von dem an- gränzcnden Festland vorschicßt, recht um dem ersten Angriff des Feindes zu begegnen. Die Eider und die Hever legen ihre Arme an seine beiden Seiten, können es aber nicht beschützen; daö Meer drängt sie beide zurück und bemächtigt sich des Lagers. Zur Ebbezeit watet man durch die Hever; kleine Knaben fangen auf ihrem Grunde Fische mit den Händen, und über ihnen stehen dann die Schiffe mit dem entblößten Kiel hoch in der Höhe. Aber sechs Stunden nachher schwimme» dieselben, und kommt der Strom dazu, so werden sie über das Bollwerk gehoben und sehen sich in HusumS Straßen um. — Gewaltig ist dein Athemzng,, du starke Westers« °j; er speit Ver derben aus und saugt Menschen und Vieh mit ihren Wohnungen ein. Husum. — Sieht mir ja ganz Holländisch aus. Alle Häuser kehren den Leuten ihr Hintcrcnve. zn; aber das ist auch der hübscheste Theil der Häuser, verziert im Altniedcrländischen Geschmack, und zum Theil mit alten Inschriften Man sicht wohl, wo die Baumeister hergekommen sind; ans jenem Lande, wo man auch „ein wenig unter dem Meeresspiegel wobnt." Unsere Nordfricsen — die, bei läufig bemerkt, jetzt aus eine schmale Küstenstreekc, nördlich von Husum auf Töndern zu, nebst einigen davorliegcnvcn Inseln, beschränkt sind — die Nordfriescn sprechen eine Sprache, die am nächsten mit der der Ostfriesen und Westfriesen viel tiefer südlich verwandt ist. Zwar ist cs eine Mundart des Deutschen; aber noch mehr ausgeartet als sowohl Plattdeutsch, Niederdeutsch oder Schwäbisch und zugleich mit ein wenig Jütisch cingesprengt; doch ist der Ursprung, die Ver wandtschaft mit der klassischen Ursprache unverkennbar. — Ich liebe diese Dialekte der Muttersprache; von ihrem Zischen und Schnarren haben sie sich befreit, doch haben sie auch ihre Fülle und ihren Klang verloren. Plattdeutsch und Friesisch sind die wenigst accentuirten Sprachen in diesem Wclttheil; sie fließen leicht und glatt zwischen den chenig geöffneten, schwachbewcgien Lippen hin. Wenn ich, doch ohne im Geringsten die reiche, kräftige, ausdrucksvolle Germa nische Sprache hcrabsetzen zu wollen, beim Hören derselben au das Raffeln einer Staatskarosse auf einer gepflasterten Straße denken möchte, so erinnern jene Mundarten, nach demselben etwas grotesken Gleichniß, an das Nollen eines Kinderwagens auf der Stubendiele. VI. Ucbcrrcste von der Insel Nordstrand. Der Name deutet an, daß diese Insel in ihrer einstigen natür lichen Größe so nahe an Eiderstadt geglanzt hat, daß nur der Fluß Hever sie trennte; auch schloß sie hinter ihren Dämmen mehrere der jetzt schutzlosen Halliger") ein. AlS man in:t4 schrieb, brach die Slurmfluth durch die Wälle und machte diese und zwanzig Kirch- sprengel zur Beute — jctzt hat Nordstrand noch drei übrig. — Und diese haben drei verschiedene Religionen: lutherisch, katholisch und jansenistisch. Drei Sekten, sonst einander hassend und verfolgend, hat hier die Vorsehung in so enge -schranken zusammengcführt, daß sie in Eintracht leben und gegen wirkliche Feinde zusammenhalten müssen. Wie ist dies zugegangen? Als das Meer den größten Theil dcS- Landes ncbst dessen Einwohnern verschlungen und das alte Bollwerk geschleift hatte, verloren die wenigen Uebriggebliebcnen den Muth und die Kraft, den kleinen Rest aufs neue einzudeichen. Da wurden aus den Niederlanden Kolonisten hcrgcrufen, um das kleine Nord strand zu schützen. Noch steht der katholische Pfarrer unter dem Lberhirt von Mechcln. — Die Sage will unS lehren, die Einwohner des alten großen Nordstrands wären gottlose Leute gewescn, die Tag und Nacht wie der verlorene Sohn — so lange nämlich sein Erdtheil währte — gelebt und darüber in leichtsinniger Sicherheit versäumt hätten, ihre Dämme im Stand zu halten. Die Vernichtung wäre deshalb für sic eine recht eigentliche Sündfluth gewesen. Aber, mit aller sonstigen Achtung vor unseren lieben Vorfahren, wir sind mehr ge- '> Bekanntlich der Name der Nordsee in Dänemark. "» Die uneingedammten Inseln. neigt, dergleichen sllr Althebräische Gehässigkeit anzusehen, und denken lieber mit dem Stifter unserer Religion der Liebe: „Es war ein Werk Gottes, dessen Grund und Absicht über den engen Gränzeu unseres Verstandes liegt. VII. Dre Halliger. MaulwursShaufen! Wie darf euch doch ein Mensch Haus und Heerd und sein Leben dazu anvertraueu? Wahrlich, das heißt „aus Sand bauen". Auf einer aufgeworfenen Sandhöhe („Werf") stehen diese Wohnungen, die eine jede Sturmfluth umzustürzen vermag; denn keine Dämme hegen die offenen Inseln ein. — Sie erzählen hier, raß unser König Friedrich VI. dies selbst erfahren und in einem HallizhauS eine vierundzwanzigstündige Belagerung auSge- haltcn hat; — das Meer zeigte sich nicht fügsamer gegen ihn, als gegen Knud den Großen. — Auf eine so lange Rast war weder Küchenmeister noch Mundschenk vorbcreilet. Als deshalb der kleine Vo.rrath verbraucht war, trat die Eigenthümcrin des Hauses vor und sprach zur Majestät: „Herr König! de Wiin is op — nu mut he Melk drinken!" — Das ist wohl das erste und letzte Mal, daß Königsfüße „Halligen Haage" betreten haben; diese Begebenheit wird in der Geschichte dieses LändchcnS Epoche machen und als eine merk würdige Sage von einem Geschlecht zum anderen überliefert werden. Es ist etwas höchst Rührendes m dieser „Liebe zum GeburtS- lanbc", wenn sie, wie hier, bas Herz an eine» öden, für jeden An deren so schauerlichen Fleck fesselt, wo sie nicht ein Laubreis, nicht ein Saatbcet besitzt; nur die GraSfläche, heute grün, morgen gelb, heute Weibe, morgen Fischteich. Wenn bie Norvsee in ihrer Wuth aufschwcllt und gegen die Halliger Sturm läuft, dann ragen alle Häuser über die schäumenden Wellen empor, nicht anders als Wracke auf blinden Klippen und Scheeren. Wenn auch eines mit seinen Einwohnern fortgespült wird, die anderen werden deshalb nicht ver lassen; man wartet sein Schicksal ab. Arme Menschen! worauf wartcc ihr doch? warum zieht ihr nicht hinüber zu unS Anderen auf das sichere Festland? Wir haben Gctraibc und Vieh, blumenreiche Wiesen und laubreiche Wälder — ihr habt nichts selbst, außer vielleicht „GraS zu einer Kuh"; Brod holt ibr bei uns, Thee und Zucker von frcmven Ländern, und damit fristet ihr ein dürftiges, stets bedrohtes Dasepn! — Aber ihr lächelt, verzehrt euer Butterbrod, trinkt euren Thee, werft einen frommen Blick zum Himmel und einen rubigcn auf das Meer — der Hprr des Himmels und des Meeres beschirme euch! Wie seltsam! Die schönen, die fruchtbaren Gegenden können ihre Bewohner nicht festhalten. Sie schwärmen fort, wie Bienen aus reizenden Gärten nach den wilden Wäldern. Aber auf den nackten Sandbänken - da graben sie sich ein in vie wüüen Klippen — da kleben sie sich fest. Wo weder Frühling noch Herbst ist, zehn Monate Winter und zwei Monate Sommer — da ist nichts im Stande, den Finnlappen von seiner fast das ganze Jahr verschncieten Grube fortzuocklcn. — Wir Anderen haben unsere Wohnungen voller Pferde und Vieh, Schafe und Geflügel mancherlei Art. Der Finnlappe hat nur sein Rennthier, der Grönländer seinen Hnnd, der Halliger seine Kuh; aber Keiner von ihnen will mit unS tauschen. Ist cS vielleicht, weil je weniger man hat, man desto mehr es liebt? Ist es, weil eine gütige Vorsehung große Entbehrungen durch größere Zufrieden heit ersetzt? Mannigfaltiges. — Das Pricster-Cölibat, den Arabern erklärt. Vom Abbe Landmann, Pfarrer zu Konstantine, ist ein Werk: „Die Nieder lassungen am kleinen AtlaS" (le« forme« äu pelic .4rl»« ou oolmü- «minn »grieole, religieuxe el mililaire än ><»-(> äe I'-Xfrmno) er- schienen, vaS manche nicht uninteressante Darstellungen enthalt. Zu diesen dürfte auch eine Stelle gehören, wo er de» Arabern das Eölibat der katholischen Priester begreiflich zu machen sucht. Diese lautet: „Die Araber, die mich besuchten, befragten mich auch zu weilen über mehrere Punkte unserer Religion. AlS eines Tages der Scheik El-Arab mit mehreren seiner Brüder und Neffen bei mir speiste, fragte er mich mit vieler Gutmülhigkcit, warum ich nicht vcrheirathet sep. Ich antwortete ihm: Siehe, wenn ich vcrhcirathct wäre, würde meine Liebe gctheilt sepn; ich würde meiner Frau und nicht mehr einzig Gott zu gefallen suchen. Wenn ich verbeirathct wäre, würde ich in meinem Lande geblieben sepn, um dcS Glücks der Familie zu genießen; ich würde Vermögen erwerben und meinen Kindern eine Zukunft haben sichern wollen. Jetzt, wo ich frei bin, habe ich Frankreich verlassen und nach Afrika kommen können, um Gott denjenigen bekannt zu machen, die ihn nicht kennen, und die jenigen ihn lieben zu lehren, die ihn nicht lieben. Du siehst übrigens, daß mir die Kinder nicht fehlen; ich habe deren iS in der Schule, denen ich das geistige Leben mittheile, welches kostbarer ist alö das thicrische. Dann kommen alle Tage viele Arme, viele Unglückliche aus der Stadt und vom Lande zu mir, Franzosen und MoSleminS; diefe Armen betrachte ich wie meine Kinder; ich verbinde ihre Wun den, pflege sie und gebe ihnen Brod- Alles das würde ich nicht thun können, wenn ich vcrhcirathct wäre Diese Erklärung machte auf ihn und seine Verwandten einen tiefen Eindruck. Sic sahen mich erstaunt an, und der Scheik sagte zu mir: „„Wenn ich nach Btskarah zurückgekehrt bin, sollst Du mit mir kommen; ich werde Dir ein HanS und eine fcbönc Moschee geben; es giebt dort viele Arme und Unglückliche, und Du kannst dort Gott lieben und dienen wie in Konstantine."" Herausgegebcn von ter Erpedition der Allg. Preuß. Staats-Zeitung. Rebigirt von I. Lehmann. Gedruckt bei A. W. Hayn.