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Wöchentlich erscheinen drei Nemmern. Pränumeration», Drei» 22j Sgr. jj Thlr.) oieneijähriich, z Tdir. für das ganze Jahr, ohne Er, Höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man pränumerirt auf diese« Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Mg. Pr. StaatS-Aeitung (Friedrichsstr. Rr. 72); in der Provinz so wie im AuSlande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 95 Berlin, Montag den 9. August 1841. Frankreich. Ein Ministcrwcchsel im Jahre 1810. Von Marco de Saint-Hilaire. Im August I80S, den Tag vor seinem Aufbruch zum Oester- reichischen Kriege, richtete Napoleon in der Minister-Konferenz an Fouche die Frage: „Was würden Sie thun, wenn eine Kanonen kugel oder sonst ein Zufall meinem Leben ein Ende machtet" — „Sire", entgegnete der Polizei-Minister mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit, „ich würde so viel von der Gewalt an mich reißen, wie ich nur könnte, um die Begebenheiten zu beherrschen und nicht von ihnen überfluthct zu werden." Bef diesen Worten schaute der Kaiser Fouche unverwandt an und sagte dann: „Freilich, das ist das Recht des Spiels." Sechs Wochen später erlebte der Kaiser, daß die Donau die Brücken fortriß und einen Theil seiner Armee von dem anderen trennte. Diese kritische Lage erforderte ungeheure Anstrengungen. Das Britische Kabinet, welches sich keine günstige Gelegenheit ent schlüpfen ließ, sendete unter Anführung Lord Chatam's eine Expe dition nach Vließingen, welche sich dieses Punktes bemächtigte, gegen Antwerpen vorrückte und so Belgien bedrohte. Kaum war diese Nachricht nach Paris gelangt, als sich die Minister unter dem Vorsitz des Erz-Kanzlers zu einer außerordentlichen Verathung versammel ten. Fouche meinte, die National-Garden des Reiches müßten un verzüglich aufgerufen werden. „Was würden der Kaiser und die Armer sagen", äußerte er, „wenn das Französische Gebiet ungestraft verletzt würde, während sie außerhalb des Landes kämpfens" — „Herr Fouche", sagte Cambacerös, der etwas ängstlich war, „ich mag mich nicht der Gefache aussetzen, um einen Kopf kürzer zu werden. Ich habe heule Morgen einen Courier an de» Kaiser ge lendet, und meine Ansicht ist, baß wir seine Antwort abwarten." — „Und ich", versetzte Fouche trocken, „werde unterdeß meine Schuldig keit thun." An demselben Tage erließ der Polizei-Minister das berühmte Manifest, das „Aufruf an den Französischen Muth" betitelt war und welches den Befehl zur Mobilisirung der National-Garden aller Departements enthielt. Diese Maßregel, wie übertrieben sie auch sepn mochte, machte dennoch einen gewaltigen Eindruck auf die öffent liche Meinung. In weniger als Tagen waren l,2WM0 Büger- Soldaten auf den Beinen. Napoleon wagte das Geschehene nicht laut zu tadeln; aber es war ihm äußerst empfindlich, daß in seinem Reiche ein Minister mächtig genug war, um das ganze Land in Bewegung zu setzen. Bon Fouche war nicht nur die Initiative dieser großen Bewegung ausgegangen, sondern er hatte sie auch geleitet, während der Minister des Krieges und der des Innern un- thälig geblieben waren. UeberdieS hatte er Bernadotte an die Spitze der Bürger-Armee gestellt, obgleich Napoleon denselben kurz vorher von der Armee entfernt hatte. Zugleich schloß der Herzog von Otranto einen Bund mit Tallep- rand, der ebenfalls in Ungnade gefallen war. Dieser hatte, auch nachdem er das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten ab gegeben, immer noch in einem gewissen Vertrauen bei Napoleon gestanden, bis zu dem Tage, wo der Kaiser ihm den Kammerherrn- schlüffel abnahm und ihn Herrn von Montesquieu gab. Da zeigte sich Talleprand zuerst im Salon des Herzogs von Otranto, in dem selben Salon, wo der Minister kurz vorher Herrn Desmarest, der an der Spitze der Gefängniß-Angelegenheiten stand, gefragt hatte, ob noch Platz in Vincennes für Herrn Talleprand seh, der die ge gründetsten Ansprüche auf eine solche Wohnung habe. Die Antipathie der beiden einflußreichsten Minister hatte Na poleon nie mißfallen. Die plötzliche freundschaftliche Annäherung dieser beiden Männer gab ihm mancherlei zu denken. Es war ihm nicht unbekannt geblieben, daß Fouche mit allen der Negierung feind lichen Parteien in Verbindung stand. Fouche repräkentirte im Senat eme Partei, die er um jeden Preis vernichten wollte. Ferner hatte sich seit der Ankunft der Kaiserin Marie Louise ein ganz anderer Ton am Hofe gebildet. Fouche war einer Nichte der" unglücklichen Marie Antoinette gegenüber nicht ganz an seinem Platz. Zwar hatte Napoleon seinen Minister mit einer Menge von Orden und mit dein ^itcl eines Herzogs von Otranto ausgeputzt, einem Titel, den Fouche so ernst nahm, baß er oft äußerte, wenn er von seinen Unterhaltungen mit Robespierre sprach: „Eines TageS sagte Robes- Pierre zu mir: „„Herzog von Otranto u. s. w."" Aber nicht alle Personen am Hofe hatten ein so schwaches Gedächtniß. Napoleon war jedenfalls entschlossen, Fouche bei Seite zu werfen, und er würde diesen Gedanken schon früher zur Ausführung gebracht haben, wenn Fouche nicht im Besitze von Papieren gewesen wäre, die für den Kaiser vom höchsten Werthe waren und die er zunächst wieder in seine Hände bringen wollte. Fouche's Fall war also nur verschoben. Fouche wußie indev, daß seine Macht nicht von langer Dauer sepn werde. Um diese Zeit wünschte der Kaiser schnlichst den Frieden mit England. Eine geheime Unterhandlung war mit seinem Bor- wiffen unter dem Deckmantel des Namens seines Bruders, des Königs von Holland, eingeleitet worden. Dieser hatte Herrn von la Bouchere, den reichsten Banquier Amsterdams, nach London gesendet, um mit. dem Marquis von Wellesley zu unterhandeln. Es fanden Konfe renzen statt, und es ließ sich Alles ganz gut an, als Fouche auf den unglücklichen Einfall kam, sich bei den Unterhandlungen zu betheiligcn. Er hoffte die Abneigung des Kaisers zu besiegen, wenn er ihm einen großen Dienst leistete. Demgemäß sendete er Herrn Ouvrard mit geheimen Aufträgen nach London. Ouvrard, bn wohl wußte, wie gewagt eine solche Mission sep, nahm dieselbe nicht eher an, als bis Fouche ihm die Versicherung gab, daß der Kaiser ihn ermächtigt habe, so zu handeln. Ouvrard reiste mit Instructionen ab, Vic' so ziemlich mit denen des Herrn von la Bouchöre übereinstimmten. Fouche, der Niemand traute, ließ indeß seinen Agenten wieder beaufsichtigen. Diese Beaufsichtigung hatte eine Menge Hin- und Herreisen des zweiten Agenten zur Folge, denn Fouch,- war zu vorsichtig, um sich schreiben zu lassen. Die beiden Agenten, welche sich nicht kannten, arbeiteten sich entgegen, und die Verschiedenheit in ihren Anerbietungen brachte das Londoner Kabinet ans die Bermuthung, daß man ihm eine Schlinge legen wolle. Sowohl der Agent des Königs von Holland wie der Fouche's wurden kurz abgefcrtigt und die Unterhandlungen gänzlich abgebrochen. Während dessen machte Napoleon mit der Kaiserin eine Ver gnügungsreise. Nachdem er Belgien durchstreift, begab er sich nach Amsterdam. Die Reise nach Holland verbarg einen politischen Zweck: er wollte wissen, wie weit die Unterhandlungen mit England gediehen seyen. Napoleon wunderte sich, daß dieselben keinen Fort schritt machien, und cs kam zu heftigen Erklärungen zwischen ihm und dem Könige von Holland. Am Abend vor seiner Abreise fragte ihn dieser, warum er ihn den Vorwürfen des Englischen Kabtnets aussetze k Napoleon sah ihn erstaunt an; Louis fuhr aber mit der größten Ruhe fort: „Ja, während ich einen Mann von anerkannter Redlichkeit nach London sende, dessen Charakter, dessen Worte meine Aufrichtigkeit verbürgen, schicken Sie einen geheimen Agenten ab, um iu Ihrem Namrn und ohne mich zu unterhandeln." — „Das ist nicht wahr", fiel Napoleon ein. — „Es ist wahr", entgegnete Louis. „Herr von la Bouchöre hat mich nicht eher von diesen ^Um trieben in Kenntniß gesetzt, als bis er den positiven Beweis erlangt hatte." — „Aber beim großen Teufel!" rief der Kaiser zornig aus, „ich kenne dicken Mann nicht, ich habe keine Instructionen ertheilt," — Er kreuzte hierauf die Arme, ^und nachdem er eine Weile nachgesonnen, sagte er mit dumpfer Stimme: „Wer sollte gewagt haben, einen Unterhändler nach London zu schickens Ich werde es erfahren, und wehe dem! wehe allen Beiden!" — „Und wer anders als Ihr Fouche", versetzte LouiS; „und ich wiederhole Ihnen, daß man gegenwärtig für Sie in London unterhandelt, und daß dort dieselben Gegenstände erwogen werden, welche die Basis des zwischen uns verabredeten Traktats bilden. Muß ich so aus Ihr Wort ver trauen?" Bei diesen Worten erblaßte Napoleon; er ging mehrmals rasch im Zimmer auf und ab und sagte dann zu seinem Bruder: „Höre; ich sehe wohl, daß hier verbrecherische Umtriebe im Spiele sind, aber ich habe keinen Antheil daran; ich gebe Dir mein Wort, mein Kaiser wort, mein Bruderwort. Glaubst Du wirk" — Louis erwicderte: „Ich glaube es, aber meine Ehre erfordert, daß der Urheber dieser Umtriebe zur Untersuchung gezogen werde." — „Dieses Verbre chens", entgegnete der Kaiser. „Ich werde ihn entdecken. Ich glaube die Schlange zu erkennen, die mich schon lange mit ihren Knoten umschlingt. Ja, Du hast Recht, Fouche muß cs sepn. Abcr ich werde ihn zermalmen." Bei diesen Worten nahm Navolcon von der Konsole eine kleine elfenbeinerne Bonbonniere und zerdrückte sie in seinen Händen. Als er nach Saint-Cloud zurückgekchrt war, crthcilte er dem Polizei-Präsekten Dubois den Auftrag, den Verzweigungen dieser